Nummer 247 - Januar 1995 | Ökologie

Die Stimme der Vernunft

UN-Klimagipfel ’95 in Berlin mobilisiert UmweltschützerInnen

Im kommenden Frühjahr steht ein Ereignis besonderer Art auf dem Pro­gramm: Mehrere tausend DiplomatInnen und JournalistInnen werden anläß­lich der 1. Vertragsstaatenkonferenz zur Klimakonvention vom 28. März bis zum 7. April in Berlin erwartet. Doch nicht die Tatsache, daß es sich bei diesem UN-Klimagipfel um die größte je in Deutschland durchgeführte Konferenz han­delt, ist von Bedeutung. Vielmehr bietet der Berliner Klimagipfel erstmals seit der Umwelt- und Entwicklungskonferenz von Rio 1992 die Chance, einen in­ter­na­tional verbindlichen Beschluß zur Reduzierung der globalen Kohlendio­xid-Emissionen – und damit zur Eindämmung des Treibhauseffektes – zu fas­sen.

Hermann-Josef Tenhagen/DH

Die Herausforderung steht klar vor Au­gen: Die Temperaturen steigen global, die Ozeane nagen jedes Jahr mehr an Inseln wie Tuvalu und Sylt, und die Gletscher in den Alpen sind so mickrig wie seit Jahr­tausenden nicht mehr. Von Dürrekatastro­phen in Australien und dem heißesten Juli seit Menschengedenken in Deutschland ganz zu schweigen.
Die Gefahr hat einen Namen: Klimakata­stro­phe. Und sie hat eine Hauptursache: Den weltweit ungebremsten Verbrauch fos­siler Brennstoffe und die dabei entste­hen­den Kohlendioxid-Emissionen. Sie sind allein für die Hälfte des bedrohlichen, von Menschen gemachten, Treibhausef­fek­tes verantwortlich. Doch die Gefahr ist er­kannt. Mehr noch: Die internationale Staa­tengemeinschaft hat einen Mechanis­mus etabliert, um die Gefahr zu bannen: Die Klimakonvention und die in ihr vor­ge­sehenen jährlichen Klimagipfel. Wie die Gefahrenabwehr praktisch aussehen soll, können DiplomatInnen aus 150 Län­dern auf dem ersten dieser Klimagipfel im kom­menden März in Berlin zeigen. Wenn die Klimakatastrophe abgewendet werden soll, kommen die Industriestaaten nach An­sicht der großen Mehrheit der Wissen­schaftlerInnen nicht umhin, völkerrecht­lich verbindlich zu erklären, daß sie ihre Kohlendioxid-Emissionen so­wie die der an­deren wichtigen Treib­hausgase Methan, Lach­gas und Ozon ver­rin­gern wollen. Mit an­deren Worten: Sie müsssen Ener­gie­verschwenderInnen in den Industrie­län­dern die Daumenschrauben anlegen und die in Rio 1992 verabschie­dete Kli­ma­rahmenkonvention deutlich verschär­fen.
Verzicht auf fossile Energien
Die härteste Vorgabe für die Klimakon­vention wurde in Rio gleich mitbeschlos­sen; sie findet sich in Artikel 2 der Klima­rahmenkonvention, in dem es unmißver­ständlich heißt, daß die Konzentration der schädlichen Kohlendioxidmoleküle in der Atmosphäre stabilisiert werden muß – auf einem Niveau, das unschädlich ist
Was die Stabilisierung der Konzentration des Kohlendioxids bedeutet, können Wis­senschaftlerInnen leicht ausrechnen: Es darf “einfach” nicht mehr so viel Kohlen­dioxid in die Luft geblasen werden. Wenn aber die Menschheit, und das heißt immer noch vor allem in den Industrieländern, auch nur auf dem heutigen Niveau wei­termacht, würde die Zahl der Kohlendio­xid-Moleküle in der Atmosphäre für wei­tere hundert Jahre steigen.
Die 20 Prozent – ein Ziel
für alle Industrieländer
Eine Trendwende ist also dringend erfor­derlich. Wie diese aussehen könnte, hat das internationale WissenschaftlerInnen­gremium der UN, das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), schon 1990 ausgerechnet. Weltweit muß die Emission von Treibhausgasen bis zum Jahr 2050 um 60 Prozent zurückgehen. Und die Industrieländer müssen ihre heu­tigen Emissionen sogar um 80 Prozent verringern. “Praktisch heißt das, wir müs­sen bis zur Mitte des nächsten Jahrhun­derts auf fossile Energien verzichten”, versucht Hartmut Graßl, Professor für Meteorologie, die Dimension der Aufgabe deutlich zu machen.
Deutsche und internationale Umwelt- und Entwicklungshilfeorganisationen haben im vergangenen Jahr vor dem Hintergrund dieser Riesenaufgabe für den Gipfel in Berlin nach einem ersten Schritt gesucht. Was lag näher als ein Blick in die bishe­rige Klimapolitik fortschrittlicher Indu­strieländer. Das Ergebnis: Acht OECD-Staaten (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) und die Slowakische Republik haben sich be­reits das Ziel gesetzt, auf nationaler Ebene die heimischen Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahr 2005 um rund 20 Prozent zu verringern.
Chance für eine ökologische
Steuerreform in Deutschland?
Die im Klimaforum ’95 zusammenge­schlossenen Nichtregierungsorganisatio­nen gehen vor dem Gipfel noch einen Schritt weiter. Sie geben sich nicht nur damit zufrieden, eine Meßlatte aufzule­gen, über die die Regierungen in Berlin springen sollen, sondern sie sparen auch nicht mit Hinweisen und Ratschlägen, wie die Höhe zu meistern sei. Zum Beispiel eine ökologi­sche Steuerreform. Sie macht den Ver­brauch von Energie teuer und dämmt ihn somit ein. Sie schützt damit zum einen das Klima, gleichzeitig kann sie, wenn die eingenommenen Gelder über die Sozial­versicherungen den BürgerInnen zurück­gegeben werden, hunderttausende neuer Arbeitsplätze schaffen. Energie wird teu­rer, Arbeit billiger. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat ausgerech­net, daß eine solche Besteue­rung des Ener­gieverbrauches in der Bun­desrepublik etwa 500.000 neue Ar­beitsplätze schaffen würde. Eine von der Kommission der Eu­ropäischen Union in Auftrag gegebene Studie kam für die EU zu einer vergleich­baren Zahl. Zwei Mil­lionen Arbeitsplätze, so die Studie, wür­den EU-weit neu ge­schaffen.
Damit sind die Möglichkeiten, mit Verein­barungen in Berlin die “magischen” 20 Prozent zu erreichen, aber noch lange nicht ausge­schöpft. Die Staatengemein­schaft sollte sich nach Ansicht der Nichtregierungsor­ganisationen auf ein ganzes Bündel von Maßnahmen für eine wirksame Klimapo­litik einigen: Angefan­gen mit Standards für spritsparende Autos, über die Förde­rung erneuerbarer Energien wie Wind- und Sonnenenergie und bis hin zu einer Verpflichtung für Stromkonzerne, kosten­neutrale oder gar profitable Techni­ken zur Energieeinsparung auch einzuset­zen. Vor­bilder gibt es genug: So hat die US-Regie­rung beispielsweise mit Vor­schriften er­reicht, daß neue US-Wagen heute weniger Benzin schlucken als Neu­wagen aus deut­scher Produktion – und das bei einem Benzinpreis, der gerade einmal ein Drittel des deutschen beträgt. Die bri­tische Re­gierung wiederum hat vor kur­zem eine jährlich um 5 Prozent steigende Mineral­ölsteuer eingeführt. Ernst-Ulrich von Weizsäcker schlägt dies in Deutsch­land schon länger vor.
Die Meßlatte hängt – vielen in Deutsch­land sicher zu niedrig, schließ­lich hat die Bundesregierung selbst schon angekün­digt, die Emissionen um bis zu 30 Prozent senken zu wollen. Vielen in den USA und in EU-Staaten wie Spanien oder Grie­chenland hängt sie zu hoch. Sie wol­len nicht einmal wahrhaben, daß sie ihre Emissionen wenigstens auf dem heutigen Niveau stabilisieren müssen.
Aber wenn die EU als ganzes, ihre Emis­sionen um 20 Prozent veringern soll, müs­sen Länder wie Deutschland oder Däne­mark eben über diesem Niveau reduzie­ren. So wollen es zumindest die Nichtre­gierungsorganisationen verstanden wis­sen. Die 20 Prozent sind ein vernünftiger erster Schritt. “Das ist jedenfalls nicht zu viel verlangt, wenn sich 3.000 Diploma­tInnen in Berlin zum Klimagipfel ver­sammeln.”, meinen sie.

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