Die Stimme der Vernunft
UN-Klimagipfel ’95 in Berlin mobilisiert UmweltschützerInnen
Die Herausforderung steht klar vor Augen: Die Temperaturen steigen global, die Ozeane nagen jedes Jahr mehr an Inseln wie Tuvalu und Sylt, und die Gletscher in den Alpen sind so mickrig wie seit Jahrtausenden nicht mehr. Von Dürrekatastrophen in Australien und dem heißesten Juli seit Menschengedenken in Deutschland ganz zu schweigen.
Die Gefahr hat einen Namen: Klimakatastrophe. Und sie hat eine Hauptursache: Den weltweit ungebremsten Verbrauch fossiler Brennstoffe und die dabei entstehenden Kohlendioxid-Emissionen. Sie sind allein für die Hälfte des bedrohlichen, von Menschen gemachten, Treibhauseffektes verantwortlich. Doch die Gefahr ist erkannt. Mehr noch: Die internationale Staatengemeinschaft hat einen Mechanismus etabliert, um die Gefahr zu bannen: Die Klimakonvention und die in ihr vorgesehenen jährlichen Klimagipfel. Wie die Gefahrenabwehr praktisch aussehen soll, können DiplomatInnen aus 150 Ländern auf dem ersten dieser Klimagipfel im kommenden März in Berlin zeigen. Wenn die Klimakatastrophe abgewendet werden soll, kommen die Industriestaaten nach Ansicht der großen Mehrheit der WissenschaftlerInnen nicht umhin, völkerrechtlich verbindlich zu erklären, daß sie ihre Kohlendioxid-Emissionen sowie die der anderen wichtigen Treibhausgase Methan, Lachgas und Ozon verringern wollen. Mit anderen Worten: Sie müsssen EnergieverschwenderInnen in den Industrieländern die Daumenschrauben anlegen und die in Rio 1992 verabschiedete Klimarahmenkonvention deutlich verschärfen.
Verzicht auf fossile Energien
Die härteste Vorgabe für die Klimakonvention wurde in Rio gleich mitbeschlossen; sie findet sich in Artikel 2 der Klimarahmenkonvention, in dem es unmißverständlich heißt, daß die Konzentration der schädlichen Kohlendioxidmoleküle in der Atmosphäre stabilisiert werden muß – auf einem Niveau, das unschädlich ist
Was die Stabilisierung der Konzentration des Kohlendioxids bedeutet, können WissenschaftlerInnen leicht ausrechnen: Es darf “einfach” nicht mehr so viel Kohlendioxid in die Luft geblasen werden. Wenn aber die Menschheit, und das heißt immer noch vor allem in den Industrieländern, auch nur auf dem heutigen Niveau weitermacht, würde die Zahl der Kohlendioxid-Moleküle in der Atmosphäre für weitere hundert Jahre steigen.
Die 20 Prozent – ein Ziel
für alle Industrieländer
Eine Trendwende ist also dringend erforderlich. Wie diese aussehen könnte, hat das internationale WissenschaftlerInnengremium der UN, das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), schon 1990 ausgerechnet. Weltweit muß die Emission von Treibhausgasen bis zum Jahr 2050 um 60 Prozent zurückgehen. Und die Industrieländer müssen ihre heutigen Emissionen sogar um 80 Prozent verringern. “Praktisch heißt das, wir müssen bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts auf fossile Energien verzichten”, versucht Hartmut Graßl, Professor für Meteorologie, die Dimension der Aufgabe deutlich zu machen.
Deutsche und internationale Umwelt- und Entwicklungshilfeorganisationen haben im vergangenen Jahr vor dem Hintergrund dieser Riesenaufgabe für den Gipfel in Berlin nach einem ersten Schritt gesucht. Was lag näher als ein Blick in die bisherige Klimapolitik fortschrittlicher Industrieländer. Das Ergebnis: Acht OECD-Staaten (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) und die Slowakische Republik haben sich bereits das Ziel gesetzt, auf nationaler Ebene die heimischen Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahr 2005 um rund 20 Prozent zu verringern.
Chance für eine ökologische
Steuerreform in Deutschland?
Die im Klimaforum ’95 zusammengeschlossenen Nichtregierungsorganisationen gehen vor dem Gipfel noch einen Schritt weiter. Sie geben sich nicht nur damit zufrieden, eine Meßlatte aufzulegen, über die die Regierungen in Berlin springen sollen, sondern sie sparen auch nicht mit Hinweisen und Ratschlägen, wie die Höhe zu meistern sei. Zum Beispiel eine ökologische Steuerreform. Sie macht den Verbrauch von Energie teuer und dämmt ihn somit ein. Sie schützt damit zum einen das Klima, gleichzeitig kann sie, wenn die eingenommenen Gelder über die Sozialversicherungen den BürgerInnen zurückgegeben werden, hunderttausende neuer Arbeitsplätze schaffen. Energie wird teurer, Arbeit billiger. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat ausgerechnet, daß eine solche Besteuerung des Energieverbrauches in der Bundesrepublik etwa 500.000 neue Arbeitsplätze schaffen würde. Eine von der Kommission der Europäischen Union in Auftrag gegebene Studie kam für die EU zu einer vergleichbaren Zahl. Zwei Millionen Arbeitsplätze, so die Studie, würden EU-weit neu geschaffen.
Damit sind die Möglichkeiten, mit Vereinbarungen in Berlin die “magischen” 20 Prozent zu erreichen, aber noch lange nicht ausgeschöpft. Die Staatengemeinschaft sollte sich nach Ansicht der Nichtregierungsorganisationen auf ein ganzes Bündel von Maßnahmen für eine wirksame Klimapolitik einigen: Angefangen mit Standards für spritsparende Autos, über die Förderung erneuerbarer Energien wie Wind- und Sonnenenergie und bis hin zu einer Verpflichtung für Stromkonzerne, kostenneutrale oder gar profitable Techniken zur Energieeinsparung auch einzusetzen. Vorbilder gibt es genug: So hat die US-Regierung beispielsweise mit Vorschriften erreicht, daß neue US-Wagen heute weniger Benzin schlucken als Neuwagen aus deutscher Produktion – und das bei einem Benzinpreis, der gerade einmal ein Drittel des deutschen beträgt. Die britische Regierung wiederum hat vor kurzem eine jährlich um 5 Prozent steigende Mineralölsteuer eingeführt. Ernst-Ulrich von Weizsäcker schlägt dies in Deutschland schon länger vor.
Die Meßlatte hängt – vielen in Deutschland sicher zu niedrig, schließlich hat die Bundesregierung selbst schon angekündigt, die Emissionen um bis zu 30 Prozent senken zu wollen. Vielen in den USA und in EU-Staaten wie Spanien oder Griechenland hängt sie zu hoch. Sie wollen nicht einmal wahrhaben, daß sie ihre Emissionen wenigstens auf dem heutigen Niveau stabilisieren müssen.
Aber wenn die EU als ganzes, ihre Emissionen um 20 Prozent veringern soll, müssen Länder wie Deutschland oder Dänemark eben über diesem Niveau reduzieren. So wollen es zumindest die Nichtregierungsorganisationen verstanden wissen. Die 20 Prozent sind ein vernünftiger erster Schritt. “Das ist jedenfalls nicht zu viel verlangt, wenn sich 3.000 DiplomatInnen in Berlin zum Klimagipfel versammeln.”, meinen sie.