Nummer 389 - November 2006 | Peru

Die wundersame Läuterung des Alan García

Der neue peruanische Präsident ist in seine zweite Amtsperiode gestartet

Mit hauchdünnem Vorsprung und lediglich 24 Prozent der Stimmen kam Alan García bei den Präsidentschaftswahlen im April in die Stichwahl. Und ohne Leihstimmen aus dem rechten Lager wäre er auch im zweiten Wahlgang nicht Präsident geworden. Dennoch hat es García nach zwei Monaten Amtszeit mit Geschick, Glück und Populismus geschafft, zwei Drittel der Bevölkerung hinter sich zu bringen.

Rolf Schröder

Alan García ist ein Phänomen. Nach dem Ablauf seiner ersten Amtsperiode als peruanischer Präsident hätte ihn die Mehrheit der Bevölkerung seines Landes im Jahre 1990 am liebsten hinter Gittern gesehen oder davongejagt. Seine damalige Bilanz war erschütternd: Eine zerrüttete Wirtschaft, ein Inflationsrekord von über 7.000 Prozent, ein blutiger Bürgerkrieg, schwere Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Postengeschacher. Niemand weinte dem Ex-Präsidenten eine Träne nach, als er 1992 während der Fujimori-Diktatur einer drohenden Verhaftung durch seine Flucht ins Exil zuvorkam.
Nach Verjährung der ihm vorgeworfenen Korruptionsdelikte kehrte García im Jahre 2001 nach Peru zurück und bewarb sich erneut um den Präsidentenposten. Er galt als chancenlos – erste Meinungsumfragen sahen ihn bei weniger als zehn Prozent. Doch García kämpfte und unterlag erst in der Stichwahl. Nach fünf Jahren beharrlicher Oppositionsarbeit gelang ihm schließlich die Rückkehr ins Präsidentenamt. Ein noch größeres Wunder aber ist: Zwei Monate nach seiner Amtsübernahme stehen laut Meinungsumfragen zwei Drittel der Bevölkerung hinter ihm.
Was ist das Geheimnis dieses spektakulären Comebacks? García ist ohne Zweifel einer der eloquentesten Politiker seines Landes. Wenn er auf einer Rednertribüne steht, wenn Scheinwerfer und Fernsehkameras auf ihn gerichtet sind, läuft er zur Hochform auf. Er besitzt die seltene Fähigkeit, aus dem Stegreif und ohne Manuskript zu einem brillanten Diskurs mit geschliffenen Formulierungen anzusetzen, dem es an Überzeugungskraft nicht fehlt. Mit Witz, Charme, Intelligenz und Schlagfertigkeit glänzte er während seiner Oppositionszeit sogar in Talkshows. Aber vor allem hat García dazugelernt: Während er 1985 mit 36 Jahren als jüngster Präsident der peruanischen Geschichte die Amtsgeschäfte übernahm, hat er sich inzwischen zu einem mit allen Wassern gewaschenen Politprofi und Populisten entwickelt.

Zufriedene Broker

In der Opposition hatte García Zeit genug, um an der Korrektur seines schlechten Ansehens zu basteln. Den jugendlich und idealistisch wirkenden García, der während seiner ersten Amtsperiode die Rückzahlung der Auslandsschulden auf zehn Prozent der Exporterlöse begrenzen und Banken verstaatlichen wollte, gibt es nicht mehr. Der neue Alan García verschreckt keine Investoren und sorgt sich stattdessen als eine Art elder statesman um wirtschaftliche Stabilität und Wachstum. Mit Erfolg: Während an der Börse in Lima zu Zeiten Garcías erster Präsidentschaft nicht viel zu verdienen war, zeigten sich die Broker nach seinem Wahlsieg in diesem Jahr zufrieden. Internationale Investoren betrachten das Peru Garcías inzwischen als einen Hort der Stabilität und als das Land Amerikas mit den besten Wachstumsaussichten.

Gesten, die ankommen

Der Präsident bemüht sich, seine verjährten Strafverfahren wegen Korruption vergessen zu machen. Der neue Alan García gibt sich sparsam und bescheiden. Er reduzierte sich selbst, seinen MinisterInnen, den Kongressabgeordneten und regionalen PräsidentInnen das Gehalt um satte 40 Prozent und erhielt dafür viel Beifall von der Bevölkerung. Denn die regt sich schon lange darüber auf, dass PolitikerInnen zu viel verdienen. Die Ausgaben für staatliche Propaganda wurden um 80 Prozent gestrichen. Selbst bei Staatsbesuchen achtet der Präsident auf die Kosten: Während seine Vorgänger Alejandro Toledo und Alberto Fujimori häufig mit einem ganzen Stab von MitarbeiterInnen im eigenen Präsidentenflugzeug zu längeren Auslandsreisen aufbrachen, flog García Anfang Oktober nur mit seinem Außenminister in einem gewöhnlichen Linienflug zu einem äußerst kurzen Arbeitsbesuch von 36 Stunden in die USA. Das sind Gesten, die ankommen.
Wichtige Stellen besetzt der Präsident nicht mehr wie früher mit FreundInnen oder ParteigenossInnen, sondern mit Fachleuten und TechnokratInnen. So gehören im neuen Kabinett nur sechs von fünfzehn MinisterInnen Garcías Partei, der sozialdemokratischen APRA, an. Das ist sicher auch ein taktisches Zugeständnis an das rechtskonservative Lager, das den Presse- und Mediensektor im Lande weitgehend kontrolliert und García schon in der Stichwahl gegen seinen Widersacher Ollanta Humala zum Sieg verhalf (siehe LN 385/386). Garcías Personalpolitik lässt indes keine Zweifel daran aufkommen, dass er nahtlos an die neoliberale Wirtschaftspolitik seiner beiden Vorgänger anknüpfen wird. Dafür steht vor allem der neue Wirtschafts- und Finanzminister Luís Carranza, ehemals ein enger Mitarbeiter Fujimoris und Vizeminister unter Toledo. Das Minen- und Energieministerium wird von LobbyistInnen der Bergbauindustrie geführt. Zur Vizeministerin ernannte García ausgerechnet eine Ex-Anwältin des US-Minenkonzerns Doe Run, der an seinem Standort La Oroya für beispiellose Umweltschäden und massenhafte Erkrankungen von Kindern aufgrund einer zu hohen Bleikonzentration im Blut verantwortlich ist.

Bonbons für das Kleingewerbe und die Armen

Trotz seiner Allianz mit dem konservativen Lager gelingt dem Vorsitzenden der sozialdemokratischen APRA bislang der Spagat, gleichzeitig den ärmeren Teil der Bevölkerung anzusprechen. So durften sich kürzlich die etwa 300.000 so genannten moto taxistas, motorisierte RikschafahrerInnen, über ihren Präsidenten freuen. Aufgrund eines Kabinettbeschlusses können sie jetzt für monatlich drei US-Dollar der staatlichen Krankenversorgung beitreten. Andere Erwerbstätige aus dem informellen Sektor sollen folgen. Und auch LandbesetzerInnen, die sich vor allem in der Peripherie der Städte illegal auf staatlichem Besitz niedergelassen haben, haben Grund zur Hoffnung: Die Regierung will im nächsten Jahr 100.000 Besitztitel ausstellen. Dazu sollen 32.000 Wohnungen für Angehörige der unteren Mittelschicht gebaut und diverse Armenviertel Limas an die Wasserversorgung angeschlossen werden. Auch um Bauern und Kleinstbetriebe kümmert sich García: Mittels einer Verdoppelung des Kapitals der staatlichen Agrarbank und einem neu aufgelegtem Fonds für so genannte Mikrounternehmen erhalten diese Sektoren künftig leichter Billigkredite.
García ist sogar bereit, sich im Interesse der Bevölkerung mit Unternehmen anzulegen. Das Arbeitsministerium bildet zurzeit 250 InspektorInnen aus, die stichprobenartig die Einhaltung des Achtstundentages und die Bezahlung von Extrastunden in Betrieben überwachen sollen. Und den spanischen Konzern Telefónica, der seit der Privatisierung von Staatsunternehmen während der Fujimori-Diktatur eine Art Monopolstellung im Telekommunikationssektor besitzt, will García überzeugen, die im internationalen Vergleich exorbitant hohen Grundgebühren für Telefongespräche zu senken.

Der Ruf nach dem Henker

Um seine Popularität zu erhöhen, ist der Präsident sogar bereit über Leichen zu gehen. Denn er plant die Wiedereinführung der Todesstrafe für die Vergewaltigung und anschließende Tötung von Minderjährigen. Auch dafür erhält er Applaus, denn aufgrund einer rasanten Zunahme dieser Verbrechen vor allem in den Armenvierteln rufen laut Meinungsumfragen fast Dreiviertel der Bevölkerung wieder nach einem Henker. Möglicherweise gelingt García mit der Einführung der Todesstrafe gleich ein zweiter Schachzug. Denn Peru hat die Interamerikanische Menschenrechtskonvention unterzeichnet, den so genannten Pakt von San José, der den Mitgliedsstaaten nach Abschaffung der Todesstrafe deren Wiedereinführung untersagt. Ein Ausstieg aus dem Vertrag hätte zur Folge, dass Peru sich der Beobachtung durch die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte entziehen könnte. Die wiederum beschäftigt sich gerade mit dem Fall der peruanischen Gefängnisse El Frontón, San Juan de Lurigancho und Santa Barbara, die 1986 nach einer Gefangenenmeuterei auf Befehl des damaligen Präsidenten García von Marineeinheiten gestürmt wurden. Über 200 Gefangene des Leuchtenden Pfads wurden dabei hingerichtet. Einer der Befehlshaber in El Frontón war ein Kapitän namens Luís Giampetri. Inzwischen ist Giampetri nicht nur zum Vizeadmiral der Reserve aufgestiegen, sondern zum Vizepräsidenten der Republik und damit zum Stellvertreter Alan Garcías.
Giampetri arbeitet mit Unterstützung des Verteidigungsministers Alan Wagner ohnehin eifrig daran, dass Namen wie El Frontón oder auch Accomarca – ein Andendorf, in dem die Armee während der Präsidentschaft Garcías nach einer Massenvergewaltigung 69 Menschen ermordete – in Vergessenheit geraten. Laut Giampetri und Wagner rettete die Armee in einem heldenhaften Kampf die Demokratie vor dem Terror des Leuchtenden Pfads. Beide beschuldigen die peruanische Wahrheitskommission, zu Unrecht Armeeoffiziere wegen Menschenrechtsverbrechen denunziert zu haben. Dabei ist bis heute nicht ein einziger Soldat wegen Mord oder Vergewaltigungen während des Bürgerkriegs verurteilt worden. Schlimmer noch: Die wenigen Offiziere, gegen die bislang eine Anklage erhoben wurde, sollen nach Vorstellungen von Giampetri und Wagner mit Geldern aus der Staatskasse verteidigt werden.
Dem Präsidenten kommt entgegen, dass die Menschen im Land sich mehr für ihre wirtschaftliche Situation als für die Menschenrechte interessieren. Und er hat Glück, dass er die Regierung in einer Phase mit fünfprozentigen Wachstumsraten von seinem Vorgänger Alejandro Toledo übernahm. Der wirtschaftliche Boom füllt schließlich auch die Staatskassen. Doch es bleibt zweifelhaft, ob sein neoliberaler Wirtschaftskurs nicht – wie in Toledos Amtszeit – wieder zu sozialen Protesten führt. Denn um die Gesundheits- und die Bildungspolitik kümmert sich García bislang genauso wenig wie sein Vorgänger. Ein schlüssiges Konzept zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen hat er ebenfalls noch nicht vorgelegt. Und an eine höhere Besteuerung der Minenkonzerne, die in Zeiten des Bergbaubooms seit Jahren Traumgewinne einfahren, wagt er sich erst recht nicht heran.
Für eine Prognose über den weiteren Verlauf der Präsidentschaft Garcías ist es noch zu früh. Fest steht: Als Alan García 1985 das Präsidentenamt übernahm, durfte er sich nach zwei Monaten Amtszeit ebenfalls über eine enorme Zustimmung in der Bevölkerung freuen. Was folgte, ist bekannt.

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