Nachruf | Nummer 449 - November 2011

Ein Kämpfer für die Menschenrechte

Helmut Frenz (1933-2011) kämpfte als Pfarrer gegen die Pinochet-Diktatur

Die Menschenrechte sind heute ein universal anerkannter, wenn auch nicht in gleicher Weise eingelöster Maßstab internationaler Politik. Ihre Anerkennung verlief in mehreren Etappen, eine davon während der lateinamerikanischen Diktaturen der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Der am 13. September 2011 in Hamburg verstorbene Helmut Frenz war einer der Protagonisten dieser Zeit.

Dieter Maier

Frenz kam 1965 als evangelischer Pfarrer nach Chile. Er erlebte die Polarisierungen der drei Jahre Allende-Regierung und den Putsch von 1973, den er zunächst begrüßte. Dann saßen sie vor ihm, die Folteropfer der chilenischen Militärdiktatur, die Regimegegner, die er versteckte, die Angehörigen der „verschwundenen“ politischen Gefangenen. Sie berichteten von nächtlichen Greiftrupps und geheimen Gefängnissen. Er verhalf ihnen unter waghalsigen Bedingungen zur Flucht, riskierte dabei sein eigenes Leben.
Lateinamerikanische Flüchtlinge, die in Chile unter dem Sozialisten Allende Zuflucht gefunden hatten, kamen hilfesuchend in seine Kirche. Er tarnte sie als Teilnehmer_innen eines Bibelseminars, bis die Sache aufflog, das Gebäude umstellt wurde und alle „Seminaristen“ verhaftet wurden. Sie wurden in einen Militärbus gezwungen. Frenz mischte sich unter sie. Durch rasche und gezielte Intervention von Freunden kamen fast alle frei. Der am stärksten Gefährdete war, als die Militärs kamen, in einem Einbauschrank des „Bibelseminars“ versteckt worden. Frenz erzählte den Soldaten, die das Gebäude systematisch durchsuchten, dafür gebe es keinen Schlüssel, es sei irgendwelches Zeug darin, und der Trupp gab sich damit zufrieden. Als die Militärs weg waren, brach der Mann den Schrank auf und konnte sich retten. Diese Beispiele nennt Frenz in seiner Autobiographie …und ich weiche nicht zurück: Chile zwischen Allende und Pinochet (siehe LN 439). Er hat einige solcher waghalsiger Rettungen vollbracht. In dem von ihm mitgegründeten „Friedenskomitee“ erledigte er die mühsame tagtägliche Organisationsarbeit, verhandelte mit Generälen und auch mit Pinochet selbst. Frenz besorgte Geld für den Widerstand und wurde Teil der damals entstehenden chilenischen Menschenrechtsbewegung, die die Diktatur herausforderte, als der übrige Widerstand schon gebrochen war.
„Man muss wohl schon bereit sein, seinen eigenen Standort zu verlassen, um den Platz des Leidenden einzunehmen“, sagt er seiner konservativen Kirche. Sein Engagement spaltete diese Kirche. Seine Gegner warfen ihm vor, an dieser Spaltung schuld und ein „falscher Bischof“ zu sein.
1975 verweigerten ihm die chilenischen Behörden nach einem Auslandsaufenthalt die Wiedereinreise nach Chile. Daraufhin gründete er in Deutschland die Organisation „Aktion zur Befreiung der politischen Gefangenen in Chile“. 1976 wurde er Generalsekretär der deutschen Sektion von Amnesty International. Jetzt betrieb er professionell, aber nicht konventionell, was er in Chile gelernt hatte. Er wurde Emissär der realen Welt, in der Folter und Mord herrschen, gegenüber den Behörden. Er drang wegen Verhafteter in Argentinien mit seinem Mitarbeiter Tino Thun in das Auswärtige Amt (AA) ein, diese Burg der Amtskolleg_innen und Aktenhüter_innen. Die Niederschrift des AA vom ersten Gespräch mit ihm spricht vom „sogenannten” Bischof Frenz, der „aggressiv” gewesen sei. Das AA musste erst noch lernen, dass dort nicht nur die Wirtschaftsverbände mit Forderungen vorsprachen. Wenn heute die Menschenrechte Parameter internationaler Politik sind, an dem sich alle Staaten messen lassen müssen, dann ist das auch Menschen wie Frenz und seinen Mitkämpfer_innen zu verdanken
Später wurde Frenz Flüchtlingsbeauftragter in Schleswig-Holstein. Er polemisierte gegen die routinemäßige und standardisierte Verwaltung von menschlichen Schicksalen. 2004 ging er erneut nach Chile. Er arbeitete in der „Stiftung Salvador Allende“, die die beschlagnahmten Schwarzgelder Pinochets an die Opfer der Diktatur auszahlte. Es war schwer, ihm etwas abzuschlagen. Deshalb wurde er vorgeschickt, wenn es etwas zu beantragen gab, und er ließ sich vorschicken. Die chilenischen Menschenrechtsgruppen drängten ihn nach Ende der Diktatur, ihr Sprecher zu werden. Das lehnte Frenz ab, denn dann hätte er sich mit dem Sektierertum der Linken abplagen müssen.
Sein Weg hatte ihn vom Dorfpfarrer einer Ostseeinsel auf eine Weltbühne der Konfrontationen mit Diktaturen, Verhandlungen mit hohen Politikern, der vollen Säle und Kirchen, Fernsehkameras und Mikrophonen geführt. Er schlug waghalsige Brücken, sprengte Festungen, die für uneinnehmbar galten. Er integrierte, wo andere resignierten, agitierte in Kirchen und predigte draußen. Die Gemeinde strenggläubiger Atheist_innen und gealterter Untergrundkämpfer_innen, die er zum Weinen brachte und die ihm bis zu seinem Tode treu blieb, dürfte einzigartig sein.
Eine Heimat hatte er nicht mehr. Von Chile, das ihn 2007 zu seinem Ehrenbürger gemacht hatte, war er enttäuscht, es gab zu viel Pinochetismus ohne Pinochet. Die Ehrenstaatsbürgerschaft bedeutete ihm eine verdiente Anerkennung, die Ehrendoktorwürde und den Professorentitel zweier chilenischer Universitäten nahm er eher ironisch. Aus dem „Bischof a.D.“ macht er nach und nach den bescheidenen „Pastor a.D.“ Die Identitätsgefühle, die ihm geblieben sein mochten, trieben ihm die Behörden aus. Als er chilenischer Ehrenbürger geworden war, entzog ihm die deutsche Botschaft in Santiago die deutsche Staatsbürgerschaft. Nun sandte er, der unter der Diktatur ausländische Pässe für Verfolgte organsiert hatte und auf nationale Identität pfiff, eine fast komische Mail an seine Freunde, in der er sein Deutschtum nachwies. Nach Hamburg, wo er sein Auge operieren lassen wollte, musste er als Tourist reisen. Schließlich bekam er seine deutsche Staatsangehörigkeit zurück. Wegen seiner sich verschlechternden Gesundheit zog sich der Aufenthalt in Hamburg immer länger hin. Die geplante Rückkehr nach Chile wäre gesundheitlich riskant gewesen.
Frenz blieb, bis er dazu nicht mehr in der Lage war, Pfarrer und Seelsorger. Als er noch in Chile war, begleitete er einen Untergrundkämpfer aus der schlimmsten Zeit der Pinochet-Diktatur beim Sterben. Opfer fanden bei ihm immer Gehör. Seine Partei war, wie er einmal sagte, „die Partei der Menschenrechte“. Zu den politischen Parteien hielt er verständnisvolle Distanz. Diese Fixpunkte und diese Distanziertheit prägten sein Leben voller Grenzüberschreitungen und immer neuen Engagements. Sie erlaubten ihm eine undogmatische politische Spannbreite, mit der er seiner Zeit und seiner Umgebung weit voraus war.

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