Guatemala | Nummer 276 - Juni 1997

Ein Schritt vor und zwei zurück?

Friedensschluß und neoliberale Strukturanpassung

Nach einem nicht enden wollenden Verhandlungsprozeß unterschrieben die gua­temaltekische Guerilla und Regierung am 29. Dezember vergangenen Jahres endlich ein abschließendes Friedensabkommen. Das Land atmet nach den langen Jahren Krieg und Militärdiktatur merklich auf, doch die sozialen und wirtschaftlichen Pro­bleme lasten schwer.

Werner Lamottke

Guatemala-Stadt im Frühjahr 1997: Die Veränderungen durch den Friedensschluß sind spürbar. An den Straßenständen sind eine Vielzahl neuer Zeitungen erhält­lich, Musik- und Theatergruppen thematisieren die bitteren Erfah­rungen der Repressionszeit, in Büros fortschrittlicher Organisa­tionen hängen Banner mit dem Konterfei von Che Guevara. “Daß wir uns hier in aller Öf­fentlichkeit versammeln können, daß wir sagen können, was wir denken und was wir wollen, daß wäre noch vor ein paar Jahren unmöglich gewesen. Sofort wäre das Militär gekommen!”
Auch auf dem Land sind die mit dem Friedensschluß ein­ge­tre­tenen Veränderungen an­ge­kom­men, zu­mindest in einigen Re­gionen, wie diese Aussage ei­nes Campesinos zeigt. Es herrscht Aufbruchsstimmung. Die Men­schen reden offener, po­li­tische Gespräche werden nicht mehr wie früher hinter vor­ge­hal­te­ner Hand geführt – eine Frucht des Friedens­prozesses, die sich be­reits seit einiger Zeit angekün­digt hat.

Im Griff des Militärs

Über Jahrzehnte war das Land im eisernen Griff des Militärs. Ende der 70er Jahre kamen zwei Faktoren zusammen, die den schon lange vorher latent vor­han­denen Konflikt zu einem Bürgerkrieg werden ließen: Zu der krassen sozialen Ungerech­tigkeit kam eine immer stärker werdende Verfolgung von Oppo­sitionellen. Nicht zuletzt mit die­ser Kombination ist es zu erklä­ren, daß die Guerillaorganisatio­nen der “Nationalen Revolutio­nären Einheit Guatemalas” (URNG) großen Zulauf be­kamen. Trotz der massiven Re­pression, mit der das Militär das Land Anfang der 80er Jahre überzog, und trotz eines militäri­schen Ungleichgewichts, konnte die URNG als politischer Faktor in Guatemala weiterbestehen. Es entstand eine Patt-Situation: Ar­mee und URNG standen sich ge­genüber und keine Seite konnte die andere besiegen.
Der eiserne Griff der Armee lockerte sich auch nach 1986 nicht, als die Macht formal an eine Zivilregierung übergeben wurde. Den Forderungen der URNG, in Friedensverhandlun­gen einzutreten, um den Krieg zu beenden, standen starke Kräfte im Militär und in der Agrar­oligarchie gegenüber, deren ein­zige Option es war, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die Guerilla zu vernichten.
Erst unter dem Druck der mit­tel­amerikani­schen Friedens­ini­ti­a­ti­ve der so­genannten Conta­dora-Grup­pe sah sich die guate­mal­te­ki­sche Regierung ge­zwungen, auf die Gesprächs­angebote der Gue­rilla ein­zugehen.
1991 konnten sich Guerilla und Regierung erstmals auf eine Ta­gesordnung für zukünftige Frie­densgespräche einigen. Die­ses Ereignis wurde damals als großer Durchbruch gefeiert. Bis es aber zu wirklich substantiellen Ab­schlüssen in den mal eilig ge­führ­ten, meist aber von der Re­gie­rung verschleppten Gesprä­chen kam, sollten noch weitere vier Jahre vergehen. Große Be­deu­tung sollte der 25. Mai 1993 er­langen: An diesem Tag ver­suchte der damalige Präsident Ser­rano Elías, das Parlament zu ent­machten und sich selbst dik­ta­to­rische Vollmachten anzueig­nen. Dieses Vorhaben, der soge­nann­te Autogolpe, scheiterte, Ser­rano wurde abgesetzt und an sei­ne Stelle kam der damalige Menschenrechtsprokurator Ra­miro de León Carpio. Dieser Präsidentenwechsel markiert einen Bruch innerhalb des Machtgefüges. Bislang waren in der Armee und in der Wirt­schaftselite diejenigen vorherr­schend, die – um ihre Privilegien zu sichern – mit harter Hand ge­gen jegliche Opposition vorgin­gen und der Meinung waren, mit “Terroristen spreche man nicht, sondern töte sie”. Jetzt meldeten moderatere Kreise innerhalb der Elite Machtansprüche an. Bei diesen Modernisierern hatte sich die Einsicht durchgesetzt, daß für eine wirtschaftliche Ent­wick­lung Guatemalas der Krieg be­en­det werden müsse – und daß es da­für notwendig sei, mit der Gue­rilla in wirkliche Friedens­ver­handlungen einzutreten.

Der Wendepunkt

Zwischen diesen beiden Frak­tionen, den Hardlinern und den Modernisierern, kam es in den auf den 25. Mai 1993 folgenden Monaten zu einem harten Machtkampf hinter den Kulissen. Je nach Situation in dieser Aus­einandersetzung schritten die Gespräche mit der URNG voran oder stockten. Aus den Wahlen vom Januar 1996 ging schließ­lich mit dem Zuckerhändler und ehemaligen Bürgermeister von Guatemala-Stadt Alvaro Arzú ein Repräsentant des modernisie­renden Unternehmertums als Präsident hervor. In den ersten Monaten seiner Amtszeit gelang es ihm, die Spitzen des Militär­apparates weitestgehend von Hardlinern zu säubern und mit der ultrakonservativen Agrar­oligarchie zu einem Aus­gleich zu kommen. Schon wäh­rend dieser Entwicklungen und Ver­wick­lungen im guatemalteki­schen Macht­apparat erweiterten sich die politischen Spielräume inner­halb der guatemaltekischen Gesell­schaft. Symbolhaft dafür steht die Gründung der fort­schrittlichen Oppositionspartei FDNG (Frente Democrático Nueva Guatemala) und deren Er­folg bei den Parlamentswahlen 1995. Gleichzeitig mit dem Machtzuwachs des Modernisie­rerflügels ist ein Nachlassen der staatlich verordneten Repression zu konstatieren.
In dieser veränderten Kon­stellation ist – sicherlich in Kom­bination mit anderen Faktoren wie dem internationalen Druck – die Begründung dafür zu suchen, daß es nach dem jahrelangen Tauziehen am 29. Dezember 1996 endlich zu den Feierlich­keiten anläßlich der Unterzeich­nung der Friedensverträge kom­men konnte. Mit diesem Akt traten insgesamt elf Teilabkom­men zu verschiedenen Schwer­punktthemen in Kraft, die seit Anfang 1994 von den Verhand­lungsparteien unterschrieben wor­den waren. Die Themen der ein­zelnen Vertragstexte umrei­ßen die Komplexität der so­zi­a­len, wirtschaftlichen und po­li­ti­schen Probleme des Landes. Erst­mals in der Geschichte Gua­te­malas kam es in weiten Teilen der Gesellschaft zu einer Diskus­sion über so brisante Themen wie die Menschenrechtsverlet­zun­gen im Auftrage des Staates, die Rolle des Militärs in einer zu­künftigen Gesellschaft oder über die rassistische Diskrimi­nie­rung der Indígenas. Verein­bart wurde ein umfassendes Maß­nahmenpaket: Reformen des So­zial- und Justizwesens, Ver­bes­serung der Infrastruktur und ei­ne teilweise Neustrukturierung des Staats- und Sicherheits­ap­pa­ra­tes sind nur ei­nige Ele­mente. Vor allem soll die Be­völ­kerung stär­ker in poli­tische Ent­schei­dungs­prozesse einge­bun­den wer­den. Zwar ist bei vie­len Ein­zel­schrit­ten unklar, wie sie um­ge­setzt werden, be­zie­hungs­weise sind die Ver­pflich­tun­gen für die Re­gierung äu­ßerst schwam­mig ge­halten, doch muß al­lein schon die Eini­gung auf das Frie­dens­ab­kom­men als eine be­deut­same Zä­sur für Gua­temala ge­wertet wer­den.

Wirtschaft unter schwieri­gen Vorzeichen

Die Verbesserungen im politi­schen Leben Guatemalas sind – auch wenn sie mit großen Pro­ble­men behaftet bleiben – augen­fällig. Doch wo steht das Land wirtschaftlich und sozial? Die Einschätzung desselben Cam-pesinos, der sich Eingangs über die neuen politischen Frei­heiten freute, ist wenig ermuti­gend: “Früher waren wir arm, jetzt sind wir es immer noch – nur, daß es noch weniger Arbeit gibt und alles teurer geworden ist. In die­ser Hinsicht hat sich gar nichts verbessert.” Die Pro­bleme für einen Großteil der Guatemalte­kInnen sind gravie­rend (s. Kasten). Grassierende Armut und ein Abgleiten immer größe­rer Bevölkerungsteile in den in­formellen Sektor sind die Fol­gen. In letzterem finden nach Angaben der Internationalen Ar­beitsorganisation bereits die Hälf­te aller Wirtschaftsaktivitä­ten statt.
Der wichtigste “formelle” öko­nomische Sektor ist nach wie vor die Landwirtschaft. Diese wird auch als “Dessert-Wirt­schaft” bezeichnet, denn Haupt­pro­dukte sind Kaffee, Bananen, Zucker und Kardamon für den Export. Zumeist werden diese auf immensem Großgrundbesitz angebaut. Neben dem Dienstlei­stungsbereich hat sich zudem die Maquila-Industrie zu einem weiteren wichtigen Wirtschafts­sektor entwickelt. Geschätzt wird, daß in den größtenteils in koreanischem Besitz befindli­chen Betrieben etwa 70.000 Ar­beiterInnen unter miserablen Ar­beits­bedingungen beschäf­tigt sind. Zu 90 Prozent werden Tex­ti­lien “lohnveredelt”.
Trotz des nahenden Friedens­schlusses lag das Wirtschafts­wachstum im Jahre 1996 mit 3,1 Prozent unter dem Wert von 1994 (3,8 Prozent). Dieser Rückgang wurde in Guatemala mit Enttäuschung aufge­nommen, konzentrierten sich die Hoff­nun­gen doch auf einen allgemeinen Aufschwung, bei dem auch ei­nige Krümel für die Ärmsten ab­fallen. Für diese hat sich die Si­tuation durch zum Teil massive Preiserhöhungen, bei Grundnah­rungsmitteln wie Mais und Boh­nen bis zu 60 Prozent, noch ver­schärft.
Als Ursachen für das Ab­flauen der Wirtschaft werden ver­schiedene Faktoren dis­ku­tiert. Durch die ausschließliche Ex­portorientierung der Wirt­schaft, deren Gewinne nicht im Land reinvestiert werden, liegt der Binnenmarkt seit längerem brach. Die Überbewertung der Na­tionalwährung Quetzal bringt für den Export Absatzschwierig­kei­ten auf internationalen Märk­ten und für den Binnenmarkt stär­kere Importe ausländischer Wa­ren mit sich. Letzteres macht sich gerade durch mexikanische Pro­dukte bemerkbar, die in im­mer stärkerem Maße das Land über­schwemmen. Wirtschaftli­che Aktivitäten im Land werden zu­dem durch hohe Kreditzinsen, durch­schnittlich 25 Prozent, be­hin­dert. Ein weiteres Problem stellt die Inflationsrate dar, die 1996 bei 10,8 Prozent lag. Hinzu kommt, daß der Staat keine nen­nenswerten Wirtschaftsanreize durch eigene Investitionen bietet. Eine Folge ist das landesweite Fehlen ausreichender Infra­struktur – mit Ausnahme der Re­gionen, in denen für den Export produziert wird.
Verstärkt wird die Verunsi­cherung der Wirtschaft durch die grassierende Korruption und eine steil ansteigende Kriminalitäts­rate. Hier tun sich vor allem Mi­litärs hervor, die, ihrer originären Aufgabe entledigt, sich umori­entieren oder bereits begonnene Aktivitäten intensivieren: Dro­genanbau beziehungsweise Schmuggel, Autoschieberei und Entführungen gehören zu den einträglichen Geschäften. Die steigende Kriminalität prägt nicht nur das öffentliche Klima – auch der Tourismus ist betroffen: Nachdem in den letzten zehn Jahren die Touristenzahlen rela­tiv gleichbleibend waren, fielen sie im vergangenen Jahr um 16,5 Prozent.

Von der Aufstandsbe­kämpfung zum Neoliberalismus

Jahrelang war der Staat, und somit auch die Wirtschaftspoli­tik, allein auf die Aufstandsbe­kämpfung, die Unterstützung der traditionellen Agraroligarchie und die persönliche Bereiche­rung der Mandatsträger ausge­richtet. Um die Wirtschaft in Schwung zu bringen, begann die Regierung Arzú bereits zu An­fang ihrer Legislaturperiode mit einem klar neoliberal ausgerich­teten Modernisierungspro­gramm. Die Eckpfeiler dieser Politik sind die Straffung der Staatsbürokra­tie, der bereits mehrere tausend Ar­beitsplätze zum Opfer fielen, der Abbau von Handels­hemm­nis­sen, wie zum Beispiel die Ab­schaf­fung von Zöllen auf Ze­ment­importe, und vor allem die Pri­vatisierung von Staats­betrieben.
Gerade bei letzterem geht die Regierung energisch vor, was ihr im Januar auch von der Welt­bank bescheinigt wurde. Der größte Kuchen, der zur Zeit unter internationalen Investoren auf­geteilt wird, ist die staatliche Telefongesellschaft GUATEL. Um das Geschäft attraktiver zu machen, wurde im Frühjahr eine Reform des Tarifsystems vorge­nommen: Während die Preise für internationale Telefongespräche um bis zu 60 Prozent gesenkt wurden, stiegen die für nationale bis zu 2.000 Prozent. In der Pri­vatisierung sollen unter anderem die Eisenbahngesell­schaft und die ländliche Ent­wicklungsbank fol­gen. Zudem machen Gerüchte über die vollständige Entstaatli­chung des Bildungs- und Ge­sund­heitswesens die Runde.

Privatisierung als Allheilmittel

Zu befürchten steht, daß ganze Politikbereiche, die das Friedensabkommen als Aufga­ben des Staates definiert, von der Regierung abgestoßen werden. Nachdem der Staat seine soziale Ver­antwortung bislang nicht wahr­genommen hatte, droht nun, daß die entsprechenden Dienste für die Bevölkerung uner­schwing­lich werden.
Die Verkaufserlöse sollen das Staatssäckel auffüllen, damit die öffentliche Hand aktionsfähiger wird und die Kosten für die Um­setzung der Friedensabkommen, die auf insgesamt 2,4 Millarden US-Dollar geschätzt werden, ab­decken kann.
Scheinbar versteckt sich hier ein Widerspruch: Einerseits sol­len wichtige Bestandteile staatli­cher Politik privatisiert werden, andererseits verpflichtete sich die Regierung im Friedensab­kommen, gerade in den betroffe­nen Bereichen eine Versorgung zu­ gewährleisten. Die Auflösung besteht darin, daß im Abkommen nicht steht, daß der Staat die ent­sprechenden Aufgaben unbe­dingt selbst erledigen muß – er kann sich auf eine Vermittler­rolle beschränken. Aber auch dafür wird Geld benötigt, das nicht nur aus den Privatisie­rungsgewinnen kom­men soll. So konnten auch inter­nationale Gelder geworben werden: Von einem Treffen mit internationa­len Geldgebern wur­den im Ja­nuar Zusagen über ins­gesamt 1,8 Millarden US-Dollar für die nächsten vier Jahre mit nach Hau­se gebracht. Zum Grö­ßen­ver­gleich: 1994 lagen die Ge­samt­einnahmen des guatemalte­ki­schen Staates bei circa einer Mil­liarde US-Dollar.
Diese Ziffer ist sehr niedrig. Guatemalas Steuerquote konkur­riert heftig mit der von Haiti um den letzten Platz im lateinameri­kanischen Vergleich. Steuerhin­terziehung, fehlende staatliche Kapazitäten und nicht vorhande­ner politischer Wille, Steuern zu erheben, sind dafür verantwort­lich. Dies wurde von internatio­naler Seite heftig moniert. Wohl auch auf diesen Druck hin ver­pflichtete sich die Regierung im Friedensabkommen, die Steuer­quote innerhalb von vier Jahren markant anzuheben.
Diese Verpflichtung wirft ein bezeichnendes Licht auf die Ver­änderungen innerhalb des gua­te­mal­tekischen Machtapparates. Noch 1995 wäre der damalige Prä­sident de León Carpio fast über eine Steuerreform gestol­pert, da der mächtige Unterneh­mens­verband CACIF drohte, ihn zu stürzen. Zwar stöhnen auch heute noch einige Unternehmer über das Ansinnen des Staates, die Steuern wirklich einzutrei­ben, doch hat gerade im CACIF ein Umdenken stattgefunden: Man will sich international glaub­würdig und integrierbar zei­gen und am großen Kuchen der Globalisierung teilhaben. Und dafür ist nun einmal ein Staat mit einem gewissen Akti­ons­radius notwendig. Werden die staatlichen Mehreinnahmen nun wirklich in die Umsetzung der Friedensabkommen inve­stiert, so kann vielleicht sogar auf eine Belebung der “for­mel­len” Wirtschaft gehofft werden. Da im Teilabkommen zu Wirt­schafts­fragen explizit die Pri­vat­wirtschaft aufgefordert wird, sich an den anstehenden Aufgaben zu be­teiligen, und auch die Re­gie­rungs­politik in er­ster Linie auf die Stärkung die­ses Sektors aus­ge­richtet ist, kann davon aus­ge­gan­gen werden, daß sich zu­min­dest die privaten Auftragsbücher fül­len.
Am 1. Mai kamen in Gua­te­ma­la-Stadt 40.000 Menschen zu­sam­men, um gegen die Wirt­schafts­politik der Regierung zu de­monstrieren. Friedensprozeß und neoliberale Reformen unter­stütz­ten sich in Guatemala bis­lang gegenseitig. Vielleicht er­mög­li­chen die Freiräume, die sich aus dem einen ergeben, die For­mierung des Protestes gegen das andere. In Guatemala ist die Be­völkerung aber ersteinmal da­bei, sich in der neuen Situation ein­zurichten und die Vergangen­heit zu verarbeiten. Zugleich meh­ren sich diejenigen, die ein Sze­nario befürchten, in dem die großen Hoffnungen auf die Zeit nach dem Friedensschluß mit den Frustrationen über Verschär­fungen im sozialen und wirt­schaftlichen Bereich kollidieren. Dieses mündet in einem Chaos spontaner Aufstände und deren blutiger Niederschlagung. Der Frieden auf dem Papier ist eben noch eine sehr labile Angelegen­heit.

KASTEN

Die Macht in Uniform

Über Jahrzehnte war das Mi­litär der entscheidene Macht­faktor in Guatemala. Auch wenn der Frieden nun unterschrieben ist, die Uniformen nicht mehr omnipräsent sind und die Armee um ein Drittel abgespeckt wer­den soll, wird sich daran auch in Zukunft wenig ändern. Hierüber dürfen auch die Auseinanderset­zungen zwischen Modernisierern und Hardlinern nicht hinwegtäu­schen. Denn im Zweifelsfall hackt eine Krähe keiner anderen ein Auge aus.
Eines der elf Teilabkommen, die zwischen Regierung und URNG unterschrieben wurden, dreht sich um die zukünftige Rolle des Militärs. Dieses Ab­kommen wurde im Vergleich zu anderen Vereinbarungen rela­tiv kommentarlos in Guatemala zur Kenntnis genommen. Festge­schrieben wurden Aufgaben, die durchaus im normalen Spektrum parlamentarischer Demokratien liegen. Interessant sind aber zwei Aspekte.
Einer betrifft die Zukunft des militärischen Geheimdienstes, der ein flächendeckendes Netz von Spitzeln unterhielt, eines der brutalsten und effektivsten Re­pressionsorgane war und seine Informationen im wahrscheinlich umfassendsten Archiv Gua­te­ma­las sammelte. Zwar soll der mi­li­tärische Geheimdienst in eine neue Gesamtstruktur einge­bettet werden, doch spricht bis­lang nichts für eine Auflösung des Dienstes oder gar für eine Straf­verfolgung seiner Mitar­bei­terInnen. Auch ist nirgends ein verantwortlicher Umgang mit den gesammelten Daten festge­schrieben. Interessant ist in die­sem Zusammenhang, daß der FDP-Wehrexperte Wolf Poulet auf einem Seminar in Guatemala als Referent zum Geheimdienst­wesen auftritt. Auf eine diesbe­zügliche Anfrage antwortete die veranstaltende Friedrich-Nau­mann-Stiftung bislang leider nicht.
Der andere Aspekt ist die öko­nomische Macht des Mili­tärs. Diese manifestiert sich vor allem über den Pensionsfonds der Ar­mee IPM. Über diesen ist das Militär an mehreren großen Unternehmen beteiligt: So hält der Fonds Anteile an der gua­temaltekischen Fluglinie AVIA­TECA, ist im Zement- und auch Versicherungsgeschäft tätig. Herausragendes Beispiel für die Wirtschaftsmacht ist die Banco del Ejército (Bank der Streit­kräfte), eine der größten gua­temaltekischen Banken. Ein of­fenes Geheimnis ist die Verfü­gungsgewalt, die die Armee über die Telefongesellschaft GUA­TEL hat.
Auf den Friedensschluß hat sich die Armee bereits vor Jah­ren vorbereitet. Um eine mo­derne Elite heranzubilden, wur­den Offiziere oder Anwärter auf eine eigene Akademie, an Uni­versitäten in den USA und an die Privatuniversität Rafael Landivar in der Hauptstadt geschickt. Dort besuchten sie nicht etwa techni­sche Studiengänge, sondern machten vor allem Abschlüsse in Wirtschafts-, Betriebs- und Ver­waltungswissenschaften oder Ju­ra. Die Ausklammerung der bei­den zentralen Säulen der Macht des Militärs, der Ge­heimdienst und ihr Einfluß in der Wirt­schaft, aus den Friedensver­handlungen soll angeblich deren Vorbe­dingung gewesen sein, in ande­ren Bereichen Zugeständ­nisse zu machen. Zynische Zun­gen sagen, die einzigen in Gua­temala, die wirk­lich langfristige Konzepte hätten, seien das Mili­tär – und die Kirche.

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