Ein Schritt vor und zwei zurück?
Friedensschluß und neoliberale Strukturanpassung
Guatemala-Stadt im Frühjahr 1997: Die Veränderungen durch den Friedensschluß sind spürbar. An den Straßenständen sind eine Vielzahl neuer Zeitungen erhältlich, Musik- und Theatergruppen thematisieren die bitteren Erfahrungen der Repressionszeit, in Büros fortschrittlicher Organisationen hängen Banner mit dem Konterfei von Che Guevara. “Daß wir uns hier in aller Öffentlichkeit versammeln können, daß wir sagen können, was wir denken und was wir wollen, daß wäre noch vor ein paar Jahren unmöglich gewesen. Sofort wäre das Militär gekommen!”
Auch auf dem Land sind die mit dem Friedensschluß eingetretenen Veränderungen angekommen, zumindest in einigen Regionen, wie diese Aussage eines Campesinos zeigt. Es herrscht Aufbruchsstimmung. Die Menschen reden offener, politische Gespräche werden nicht mehr wie früher hinter vorgehaltener Hand geführt – eine Frucht des Friedensprozesses, die sich bereits seit einiger Zeit angekündigt hat.
Im Griff des Militärs
Über Jahrzehnte war das Land im eisernen Griff des Militärs. Ende der 70er Jahre kamen zwei Faktoren zusammen, die den schon lange vorher latent vorhandenen Konflikt zu einem Bürgerkrieg werden ließen: Zu der krassen sozialen Ungerechtigkeit kam eine immer stärker werdende Verfolgung von Oppositionellen. Nicht zuletzt mit dieser Kombination ist es zu erklären, daß die Guerillaorganisationen der “Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas” (URNG) großen Zulauf bekamen. Trotz der massiven Repression, mit der das Militär das Land Anfang der 80er Jahre überzog, und trotz eines militärischen Ungleichgewichts, konnte die URNG als politischer Faktor in Guatemala weiterbestehen. Es entstand eine Patt-Situation: Armee und URNG standen sich gegenüber und keine Seite konnte die andere besiegen.
Der eiserne Griff der Armee lockerte sich auch nach 1986 nicht, als die Macht formal an eine Zivilregierung übergeben wurde. Den Forderungen der URNG, in Friedensverhandlungen einzutreten, um den Krieg zu beenden, standen starke Kräfte im Militär und in der Agraroligarchie gegenüber, deren einzige Option es war, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die Guerilla zu vernichten.
Erst unter dem Druck der mittelamerikanischen Friedensinitiative der sogenannten Contadora-Gruppe sah sich die guatemaltekische Regierung gezwungen, auf die Gesprächsangebote der Guerilla einzugehen.
1991 konnten sich Guerilla und Regierung erstmals auf eine Tagesordnung für zukünftige Friedensgespräche einigen. Dieses Ereignis wurde damals als großer Durchbruch gefeiert. Bis es aber zu wirklich substantiellen Abschlüssen in den mal eilig geführten, meist aber von der Regierung verschleppten Gesprächen kam, sollten noch weitere vier Jahre vergehen. Große Bedeutung sollte der 25. Mai 1993 erlangen: An diesem Tag versuchte der damalige Präsident Serrano Elías, das Parlament zu entmachten und sich selbst diktatorische Vollmachten anzueignen. Dieses Vorhaben, der sogenannte Autogolpe, scheiterte, Serrano wurde abgesetzt und an seine Stelle kam der damalige Menschenrechtsprokurator Ramiro de León Carpio. Dieser Präsidentenwechsel markiert einen Bruch innerhalb des Machtgefüges. Bislang waren in der Armee und in der Wirtschaftselite diejenigen vorherrschend, die – um ihre Privilegien zu sichern – mit harter Hand gegen jegliche Opposition vorgingen und der Meinung waren, mit “Terroristen spreche man nicht, sondern töte sie”. Jetzt meldeten moderatere Kreise innerhalb der Elite Machtansprüche an. Bei diesen Modernisierern hatte sich die Einsicht durchgesetzt, daß für eine wirtschaftliche Entwicklung Guatemalas der Krieg beendet werden müsse – und daß es dafür notwendig sei, mit der Guerilla in wirkliche Friedensverhandlungen einzutreten.
Der Wendepunkt
Zwischen diesen beiden Fraktionen, den Hardlinern und den Modernisierern, kam es in den auf den 25. Mai 1993 folgenden Monaten zu einem harten Machtkampf hinter den Kulissen. Je nach Situation in dieser Auseinandersetzung schritten die Gespräche mit der URNG voran oder stockten. Aus den Wahlen vom Januar 1996 ging schließlich mit dem Zuckerhändler und ehemaligen Bürgermeister von Guatemala-Stadt Alvaro Arzú ein Repräsentant des modernisierenden Unternehmertums als Präsident hervor. In den ersten Monaten seiner Amtszeit gelang es ihm, die Spitzen des Militärapparates weitestgehend von Hardlinern zu säubern und mit der ultrakonservativen Agraroligarchie zu einem Ausgleich zu kommen. Schon während dieser Entwicklungen und Verwicklungen im guatemaltekischen Machtapparat erweiterten sich die politischen Spielräume innerhalb der guatemaltekischen Gesellschaft. Symbolhaft dafür steht die Gründung der fortschrittlichen Oppositionspartei FDNG (Frente Democrático Nueva Guatemala) und deren Erfolg bei den Parlamentswahlen 1995. Gleichzeitig mit dem Machtzuwachs des Modernisiererflügels ist ein Nachlassen der staatlich verordneten Repression zu konstatieren.
In dieser veränderten Konstellation ist – sicherlich in Kombination mit anderen Faktoren wie dem internationalen Druck – die Begründung dafür zu suchen, daß es nach dem jahrelangen Tauziehen am 29. Dezember 1996 endlich zu den Feierlichkeiten anläßlich der Unterzeichnung der Friedensverträge kommen konnte. Mit diesem Akt traten insgesamt elf Teilabkommen zu verschiedenen Schwerpunktthemen in Kraft, die seit Anfang 1994 von den Verhandlungsparteien unterschrieben worden waren. Die Themen der einzelnen Vertragstexte umreißen die Komplexität der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme des Landes. Erstmals in der Geschichte Guatemalas kam es in weiten Teilen der Gesellschaft zu einer Diskussion über so brisante Themen wie die Menschenrechtsverletzungen im Auftrage des Staates, die Rolle des Militärs in einer zukünftigen Gesellschaft oder über die rassistische Diskriminierung der Indígenas. Vereinbart wurde ein umfassendes Maßnahmenpaket: Reformen des Sozial- und Justizwesens, Verbesserung der Infrastruktur und eine teilweise Neustrukturierung des Staats- und Sicherheitsapparates sind nur einige Elemente. Vor allem soll die Bevölkerung stärker in politische Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Zwar ist bei vielen Einzelschritten unklar, wie sie umgesetzt werden, beziehungsweise sind die Verpflichtungen für die Regierung äußerst schwammig gehalten, doch muß allein schon die Einigung auf das Friedensabkommen als eine bedeutsame Zäsur für Guatemala gewertet werden.
Wirtschaft unter schwierigen Vorzeichen
Die Verbesserungen im politischen Leben Guatemalas sind – auch wenn sie mit großen Problemen behaftet bleiben – augenfällig. Doch wo steht das Land wirtschaftlich und sozial? Die Einschätzung desselben Cam-pesinos, der sich Eingangs über die neuen politischen Freiheiten freute, ist wenig ermutigend: “Früher waren wir arm, jetzt sind wir es immer noch – nur, daß es noch weniger Arbeit gibt und alles teurer geworden ist. In dieser Hinsicht hat sich gar nichts verbessert.” Die Probleme für einen Großteil der GuatemaltekInnen sind gravierend (s. Kasten). Grassierende Armut und ein Abgleiten immer größerer Bevölkerungsteile in den informellen Sektor sind die Folgen. In letzterem finden nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation bereits die Hälfte aller Wirtschaftsaktivitäten statt.
Der wichtigste “formelle” ökonomische Sektor ist nach wie vor die Landwirtschaft. Diese wird auch als “Dessert-Wirtschaft” bezeichnet, denn Hauptprodukte sind Kaffee, Bananen, Zucker und Kardamon für den Export. Zumeist werden diese auf immensem Großgrundbesitz angebaut. Neben dem Dienstleistungsbereich hat sich zudem die Maquila-Industrie zu einem weiteren wichtigen Wirtschaftssektor entwickelt. Geschätzt wird, daß in den größtenteils in koreanischem Besitz befindlichen Betrieben etwa 70.000 ArbeiterInnen unter miserablen Arbeitsbedingungen beschäftigt sind. Zu 90 Prozent werden Textilien “lohnveredelt”.
Trotz des nahenden Friedensschlusses lag das Wirtschaftswachstum im Jahre 1996 mit 3,1 Prozent unter dem Wert von 1994 (3,8 Prozent). Dieser Rückgang wurde in Guatemala mit Enttäuschung aufgenommen, konzentrierten sich die Hoffnungen doch auf einen allgemeinen Aufschwung, bei dem auch einige Krümel für die Ärmsten abfallen. Für diese hat sich die Situation durch zum Teil massive Preiserhöhungen, bei Grundnahrungsmitteln wie Mais und Bohnen bis zu 60 Prozent, noch verschärft.
Als Ursachen für das Abflauen der Wirtschaft werden verschiedene Faktoren diskutiert. Durch die ausschließliche Exportorientierung der Wirtschaft, deren Gewinne nicht im Land reinvestiert werden, liegt der Binnenmarkt seit längerem brach. Die Überbewertung der Nationalwährung Quetzal bringt für den Export Absatzschwierigkeiten auf internationalen Märkten und für den Binnenmarkt stärkere Importe ausländischer Waren mit sich. Letzteres macht sich gerade durch mexikanische Produkte bemerkbar, die in immer stärkerem Maße das Land überschwemmen. Wirtschaftliche Aktivitäten im Land werden zudem durch hohe Kreditzinsen, durchschnittlich 25 Prozent, behindert. Ein weiteres Problem stellt die Inflationsrate dar, die 1996 bei 10,8 Prozent lag. Hinzu kommt, daß der Staat keine nennenswerten Wirtschaftsanreize durch eigene Investitionen bietet. Eine Folge ist das landesweite Fehlen ausreichender Infrastruktur – mit Ausnahme der Regionen, in denen für den Export produziert wird.
Verstärkt wird die Verunsicherung der Wirtschaft durch die grassierende Korruption und eine steil ansteigende Kriminalitätsrate. Hier tun sich vor allem Militärs hervor, die, ihrer originären Aufgabe entledigt, sich umorientieren oder bereits begonnene Aktivitäten intensivieren: Drogenanbau beziehungsweise Schmuggel, Autoschieberei und Entführungen gehören zu den einträglichen Geschäften. Die steigende Kriminalität prägt nicht nur das öffentliche Klima – auch der Tourismus ist betroffen: Nachdem in den letzten zehn Jahren die Touristenzahlen relativ gleichbleibend waren, fielen sie im vergangenen Jahr um 16,5 Prozent.
Von der Aufstandsbekämpfung zum Neoliberalismus
Jahrelang war der Staat, und somit auch die Wirtschaftspolitik, allein auf die Aufstandsbekämpfung, die Unterstützung der traditionellen Agraroligarchie und die persönliche Bereicherung der Mandatsträger ausgerichtet. Um die Wirtschaft in Schwung zu bringen, begann die Regierung Arzú bereits zu Anfang ihrer Legislaturperiode mit einem klar neoliberal ausgerichteten Modernisierungsprogramm. Die Eckpfeiler dieser Politik sind die Straffung der Staatsbürokratie, der bereits mehrere tausend Arbeitsplätze zum Opfer fielen, der Abbau von Handelshemmnissen, wie zum Beispiel die Abschaffung von Zöllen auf Zementimporte, und vor allem die Privatisierung von Staatsbetrieben.
Gerade bei letzterem geht die Regierung energisch vor, was ihr im Januar auch von der Weltbank bescheinigt wurde. Der größte Kuchen, der zur Zeit unter internationalen Investoren aufgeteilt wird, ist die staatliche Telefongesellschaft GUATEL. Um das Geschäft attraktiver zu machen, wurde im Frühjahr eine Reform des Tarifsystems vorgenommen: Während die Preise für internationale Telefongespräche um bis zu 60 Prozent gesenkt wurden, stiegen die für nationale bis zu 2.000 Prozent. In der Privatisierung sollen unter anderem die Eisenbahngesellschaft und die ländliche Entwicklungsbank folgen. Zudem machen Gerüchte über die vollständige Entstaatlichung des Bildungs- und Gesundheitswesens die Runde.
Privatisierung als Allheilmittel
Zu befürchten steht, daß ganze Politikbereiche, die das Friedensabkommen als Aufgaben des Staates definiert, von der Regierung abgestoßen werden. Nachdem der Staat seine soziale Verantwortung bislang nicht wahrgenommen hatte, droht nun, daß die entsprechenden Dienste für die Bevölkerung unerschwinglich werden.
Die Verkaufserlöse sollen das Staatssäckel auffüllen, damit die öffentliche Hand aktionsfähiger wird und die Kosten für die Umsetzung der Friedensabkommen, die auf insgesamt 2,4 Millarden US-Dollar geschätzt werden, abdecken kann.
Scheinbar versteckt sich hier ein Widerspruch: Einerseits sollen wichtige Bestandteile staatlicher Politik privatisiert werden, andererseits verpflichtete sich die Regierung im Friedensabkommen, gerade in den betroffenen Bereichen eine Versorgung zu gewährleisten. Die Auflösung besteht darin, daß im Abkommen nicht steht, daß der Staat die entsprechenden Aufgaben unbedingt selbst erledigen muß – er kann sich auf eine Vermittlerrolle beschränken. Aber auch dafür wird Geld benötigt, das nicht nur aus den Privatisierungsgewinnen kommen soll. So konnten auch internationale Gelder geworben werden: Von einem Treffen mit internationalen Geldgebern wurden im Januar Zusagen über insgesamt 1,8 Millarden US-Dollar für die nächsten vier Jahre mit nach Hause gebracht. Zum Größenvergleich: 1994 lagen die Gesamteinnahmen des guatemaltekischen Staates bei circa einer Milliarde US-Dollar.
Diese Ziffer ist sehr niedrig. Guatemalas Steuerquote konkurriert heftig mit der von Haiti um den letzten Platz im lateinamerikanischen Vergleich. Steuerhinterziehung, fehlende staatliche Kapazitäten und nicht vorhandener politischer Wille, Steuern zu erheben, sind dafür verantwortlich. Dies wurde von internationaler Seite heftig moniert. Wohl auch auf diesen Druck hin verpflichtete sich die Regierung im Friedensabkommen, die Steuerquote innerhalb von vier Jahren markant anzuheben.
Diese Verpflichtung wirft ein bezeichnendes Licht auf die Veränderungen innerhalb des guatemaltekischen Machtapparates. Noch 1995 wäre der damalige Präsident de León Carpio fast über eine Steuerreform gestolpert, da der mächtige Unternehmensverband CACIF drohte, ihn zu stürzen. Zwar stöhnen auch heute noch einige Unternehmer über das Ansinnen des Staates, die Steuern wirklich einzutreiben, doch hat gerade im CACIF ein Umdenken stattgefunden: Man will sich international glaubwürdig und integrierbar zeigen und am großen Kuchen der Globalisierung teilhaben. Und dafür ist nun einmal ein Staat mit einem gewissen Aktionsradius notwendig. Werden die staatlichen Mehreinnahmen nun wirklich in die Umsetzung der Friedensabkommen investiert, so kann vielleicht sogar auf eine Belebung der “formellen” Wirtschaft gehofft werden. Da im Teilabkommen zu Wirtschaftsfragen explizit die Privatwirtschaft aufgefordert wird, sich an den anstehenden Aufgaben zu beteiligen, und auch die Regierungspolitik in erster Linie auf die Stärkung dieses Sektors ausgerichtet ist, kann davon ausgegangen werden, daß sich zumindest die privaten Auftragsbücher füllen.
Am 1. Mai kamen in Guatemala-Stadt 40.000 Menschen zusammen, um gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung zu demonstrieren. Friedensprozeß und neoliberale Reformen unterstützten sich in Guatemala bislang gegenseitig. Vielleicht ermöglichen die Freiräume, die sich aus dem einen ergeben, die Formierung des Protestes gegen das andere. In Guatemala ist die Bevölkerung aber ersteinmal dabei, sich in der neuen Situation einzurichten und die Vergangenheit zu verarbeiten. Zugleich mehren sich diejenigen, die ein Szenario befürchten, in dem die großen Hoffnungen auf die Zeit nach dem Friedensschluß mit den Frustrationen über Verschärfungen im sozialen und wirtschaftlichen Bereich kollidieren. Dieses mündet in einem Chaos spontaner Aufstände und deren blutiger Niederschlagung. Der Frieden auf dem Papier ist eben noch eine sehr labile Angelegenheit.
KASTEN
Die Macht in Uniform
Über Jahrzehnte war das Militär der entscheidene Machtfaktor in Guatemala. Auch wenn der Frieden nun unterschrieben ist, die Uniformen nicht mehr omnipräsent sind und die Armee um ein Drittel abgespeckt werden soll, wird sich daran auch in Zukunft wenig ändern. Hierüber dürfen auch die Auseinandersetzungen zwischen Modernisierern und Hardlinern nicht hinwegtäuschen. Denn im Zweifelsfall hackt eine Krähe keiner anderen ein Auge aus.
Eines der elf Teilabkommen, die zwischen Regierung und URNG unterschrieben wurden, dreht sich um die zukünftige Rolle des Militärs. Dieses Abkommen wurde im Vergleich zu anderen Vereinbarungen relativ kommentarlos in Guatemala zur Kenntnis genommen. Festgeschrieben wurden Aufgaben, die durchaus im normalen Spektrum parlamentarischer Demokratien liegen. Interessant sind aber zwei Aspekte.
Einer betrifft die Zukunft des militärischen Geheimdienstes, der ein flächendeckendes Netz von Spitzeln unterhielt, eines der brutalsten und effektivsten Repressionsorgane war und seine Informationen im wahrscheinlich umfassendsten Archiv Guatemalas sammelte. Zwar soll der militärische Geheimdienst in eine neue Gesamtstruktur eingebettet werden, doch spricht bislang nichts für eine Auflösung des Dienstes oder gar für eine Strafverfolgung seiner MitarbeiterInnen. Auch ist nirgends ein verantwortlicher Umgang mit den gesammelten Daten festgeschrieben. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß der FDP-Wehrexperte Wolf Poulet auf einem Seminar in Guatemala als Referent zum Geheimdienstwesen auftritt. Auf eine diesbezügliche Anfrage antwortete die veranstaltende Friedrich-Naumann-Stiftung bislang leider nicht.
Der andere Aspekt ist die ökonomische Macht des Militärs. Diese manifestiert sich vor allem über den Pensionsfonds der Armee IPM. Über diesen ist das Militär an mehreren großen Unternehmen beteiligt: So hält der Fonds Anteile an der guatemaltekischen Fluglinie AVIATECA, ist im Zement- und auch Versicherungsgeschäft tätig. Herausragendes Beispiel für die Wirtschaftsmacht ist die Banco del Ejército (Bank der Streitkräfte), eine der größten guatemaltekischen Banken. Ein offenes Geheimnis ist die Verfügungsgewalt, die die Armee über die Telefongesellschaft GUATEL hat.
Auf den Friedensschluß hat sich die Armee bereits vor Jahren vorbereitet. Um eine moderne Elite heranzubilden, wurden Offiziere oder Anwärter auf eine eigene Akademie, an Universitäten in den USA und an die Privatuniversität Rafael Landivar in der Hauptstadt geschickt. Dort besuchten sie nicht etwa technische Studiengänge, sondern machten vor allem Abschlüsse in Wirtschafts-, Betriebs- und Verwaltungswissenschaften oder Jura. Die Ausklammerung der beiden zentralen Säulen der Macht des Militärs, der Geheimdienst und ihr Einfluß in der Wirtschaft, aus den Friedensverhandlungen soll angeblich deren Vorbedingung gewesen sein, in anderen Bereichen Zugeständnisse zu machen. Zynische Zungen sagen, die einzigen in Guatemala, die wirklich langfristige Konzepte hätten, seien das Militär – und die Kirche.