LN | Nachruf | Nummer 584 - Februar 2023

EINE BERÜHRBARE SEELE

Erinnerung an den ehemaligen LN-Redakteur Roman Herzog (16. April 1968 – 6. November 2022)

Von Bert Hoffmann

Immer engagiert Der langjährige LN-Redakteur Roman Herzog (Foto: privat)

Wer die LN in der Hand hält oder auf dem Bildschirm sieht, hat immer ein bisschen Roman vor Augen: Der Titel in der Schriftart „Frutiger“, das „Lateinamerika“ in schwarz und dann die Silhouette des Kontinents und „Nachrichten“ in rot. Dieser Schriftzug war Ergebnis einer Layout-Reform, die Roman Herzog mit der ihm eigenen Begeisterungsfähigkeit maßgeblich mit angestoßen und umgesetzt hatte. Lange ist das her, Ende der 80er Jahre, in Berlin stand noch die Mauer und die LN-Texte wurden noch mit der Schreibmaschine getippt. Das Logo aber steht noch heute, 35 Jahre später auf der Titelseite jeder LN.

Ich erinnere mich noch an den ersten Artikel, den wir gemeinsam für die LN geschrieben hatten, über die Atom-Geschäfte zwischen Deutschland und Argentinien (LN 160, Juni 1987). Grundlage waren lange Gespräche mit einem kritischen argentinischen Naturwissenschaftler, der sich mit Atomkritikern in Deutschland vernetzen wollte, um der internationalisierten Atomindustrie gemeinsamen Widerstand aus den beteiligten Ländern entgegenzusetzen. Bei seinem Engagement für die LN ging es Roman nie nur um die Verhältnisse in Lateinamerika, sondern immer auch darum, was „wir“ damit zu tun hatten.

Daniel Paz y Rudy Roman brachte das Karikaturisten-Duo in die Lateinamerika Nachrichten (LN 160, Juni 1987)

Und er konnte sich begeistern für die, die sich mit den Ungerechtigkeiten der Welt nicht abfanden. Das konnten Aktivisten sein, aber etwa auch das Karikaturisten-Duo Daniel Paz y Rudy, die in der damals neuen argentinischen Tageszeitung Página 12 eine Institution eigener Art waren: Jeden, wirklich jeden Tag auf Seite 1 ein Cartoon, nein, eigentlich: ein gezeichneter politischer Kommentar, eine eigene Kunstform, spitzer und treffender als wortreiche Leitartikel. Kein Medium in Deutschland, auch nicht die damals noch junge taz, kannte Vergleichbares. Immer wieder brachte Roman die aus Argentinien geschickten Zeitungen in die Redaktion. Sein Lachen war ansteckend, irgendwie wurden wir alle Paz y Rudy-Fans, und immer wieder kamen ihre Zeichnungen auch ins Heft.

1988 wurde Berlin zum Schauplatz: IWF und Weltbank hielten in der Stadt ihre Jahrestagung ab. Die Gruppen der IWF/Weltbank-Kampagne organisierten Aktionstage, Gegenkonferenz, Störaktionen, ein Tribunal, eine Großdemo. Was die Proteste am Ende gebracht haben, wer weiß. Noch immer warten wir auf jene grundlegende Reformierung von IWF und Weltbank, zu der sie das Tribunal der Kampagne damals verurteilte. Immerhin, Wikipedia notiert: „In den Protesten wird teilweise ein Vorläufer für die globalisierungskritische Bewegung gesehen.“ Was in jedem Falle aber von diesen Tagen blieb, war unsere Freundschaft.

Irgendwann trennten sich die Wege von Roman und den LN. Für ein paar Jahre stieg er in die Wissenschaft ein: ein Forschungsprojekt über den Umgang mit den damals neuen digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien in Lateinamerika, getragen von der Begeisterung etwa für das Red Científica Peruana, das kollektive Zugänge für Alle statt individuellem Access für Wohlhabende ermöglichte. Am Ende des Projekts hatte er eine Dissertation mit Bestnote, aber gleichzeitig die Erkenntnis, dass die staubigen Hallen des akademischen Establishments seine Sache nicht sein sollten.

Es zog ihn und seine Compañera Heike aus Deutschland fort, ins Leben im Bulli in Spanien, später dann nach Sizilien. Unsere Lebenswege entfernten sich, aber ganz verloren wir uns nie aus den Augen. Beziehungsweise aus den Ohren. Ich hörte die Features, die die Beiden für das Radio produzierten. Es ging nicht mehr um Lateinamerika, aber immer um die Kritik an den Zuständen der Welt; mit beeindruckender inhaltlicher Bandbreite, aber immer entschieden engagiert. Features über Foucault und Agamben, nicht mein Fall. Eine kluge Reportage über die mit dem Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed verbundenen Hoffnungen auf mehr Demokratie in Äthiopien. Das bewegende Feature über die im deutschen Exil lebende türkische Schriftstellerin Aslı Erdoğan. Und immer wieder, während ihrer Zeit in Sizilien und auch nachdem Roman und Heike 2018 wieder zurück nach Berlin übersiedelt waren, das Drama der aus Afrika über das Mittelmeer nach Europa Flüchtenden. Die menschlichen Schicksale und der unmenschliche Umgang mit ihnen. Roman war – um einen Begriff von ihm selbst zu gebrauchen – eine „berührbare Seele“. Am 6. November 2022 ist er völlig überraschend gestorben. Er fehlt.

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