Espírituvivo – oder der verschlungene Weg der Musik
Interview mit der peruanischen Musikerin Susana Baca
Gab es einen besonderen Anreiz, der dich dazu bewegt hat, dein Leben der Musik zu widmen?
Mir kommt es inzwischen so vor, als hätte alles darauf hingewirkt. Es gab irgendwann einen Moment, in dem mir klar wurde, dass wir Schwarzen in Peru verleugnet werden, dass wir nirgendwo auftauchen. Wir waren nie in den Geschichtsbüchern. In der Schule konnten die Mädchen andinischen Ursprungs stolz sein auf ihre Geschichte, aber wir – nichts. Auf der einen Seite gibt es diese verstörende Erfahrung und auf der anderen Seite die Erinnerungen aus meiner Kindheit, wie ich die Frauen, Mütter, Tanten und Nachbarinnen, singen hörte. Sie begleiteten sich auf Kisten und Töpfen und wenn jemand Gitarre spielte, sangen sie im Chor. Sie hatten ihre eigene Art, dem Rhythmus zu folgen, zu kochen, Kräuter zu nutzen. Das weckte meine Neugier. Erst bin ich zu meiner Mutter gegangen und bat sie, mir zu erzählen, was sie wisse und so taten wir es ganze Nächte lang, die für mich unendlich wurden. So begann mich auch die Musik zu inte-ressieren. In letzter Zeit nun reise ich durch Peru und habe schon eine Menge Material aufgenommen.
Der Weg, den du gewählt hast, ist kein leichter. Einige haben ihn den „verschlungenen Weg der Musik“ genannt. Was ist das Geheimnis des Erfolges?
Fest daran zu glauben was man tut. Das war bisher meine Stärke in all der Zeit, in der ich immer wieder auf verschlossene Türen gestoßen bin. Das ist oft passiert; vor allem in meinem eigenen Land.
Ein Kollege aus Peru hat gesagt, „Susana Baca ist ein Symbol der peruanischen Musik, aber man kennt sie im Ausland mehr als hier“.
Weißt du, was sie sagen? Sie sagen: „Wie finden Sie das, dass erst ein Nordamerikaner kommen muss, um zu sagen, dass man diese Frau hören soll ?“ Für mich ist das sehr schön und gleichzeitig sehr traurig. Als ich beispielsweise an der peruanischen Küste auf Materialsuche war, trafen wir plötzlich auf eine Gruppe von Jungs, die eine chilenische Musikgruppe imitierten. Und direkt neben ihnen lebte der letzte Kalabassenspieler Perus. Ein wunderbarer Schwarzer, ein Señor! Er war so nah, aber sie kannten ihn nicht, hatten ihn auch nie besucht, kannten seine Geschichte nicht. Ich kam von sonst wo her, um ihn zu suchen. So was ist enttäuschend.
Du hast beschlossen Sängerin zu werden, als du zur Uni gingst – bist du irgendwie mit der Nueva Trova, mit den Protestliedern, in Berührung gekommen?
Natürlich – ich fand in der so genannten Nueva Canción und in der Poesie viele der Worte, die ich sagen wollte oder sagen musste. Viele Dichter haben meine Musik beeinflußt. Ich habe immer versucht die afroperuanische Musik mit der Poesie zu verbinden.
Könnte das ein Grund sein, dass die Leute in Peru deine Arbeit als elitär einstufen? Bekommst du das mit?
Ja, das habe ich mitbekommen und das Thema ist hier und da aufgetaucht, dass Susana für die Elite singe. Ich glaube, die Leute, die das sagen, waren nicht dabei, als ich am achten März „Maria Landó“ herausbrachte und als ich nach Comas, nach Villa El Salvador und weitere Randgebiete Limas ging, um dort zu singen. Die Frauen fühlten, dass das ihre Hymne war und begannen zu tanzen und zu singen. Außerdem fragten sie mich, warum sie mich nicht im Fernsehen sehen konnten und warum es keine CD gab. Die Schwierigkeiten, ein Plattenlabel zu finden, brachten schließlich meinen Mann dazu, ein eigenes Label aufzubauen: Wir gründeten den Circuito Alternativo. Heute gibt es etliche Jugendliche, die eine Platte aufnehmen können, wenn sie ein paar Monate im Jahr hart dafür arbeiten und von ihren Familien Geld geliehen bekommen. Jetzt, wo ich Welttourneen mache und meine Platten weltweit verkauft werden, kommen die Produzenten plötzlich und sagen „Señora, können wir nicht mit Ihnen etwas aufnehmen…“ Aber jetzt ist es ein bisschen spät.
Im letzten Jahrzehnt haben sich fast alle mit dem politischen Regime in Peru arrangiert, um zu überleben. Wie konnte Susana Baca überleben?
Oh – wir mussten Wunder möglich machen, Wunder um über Wasser zu bleiben, um die Seele nicht aufzugeben, denn mein Publikum war klein. Und ich wollte nicht bei diesem Kommerz mitmachen, du weißt schon: „Schwarz ist in“, kurze Röckchen anziehen, die Hüften schwingen und das alles. Das konnte ich nicht. Ich verstand, dass ich meine Arbeit außerhalb von Peru machen musste.
Wie erlebtest du also den „Tanz des Chinesen“?
Erinnere mich nicht daran, das war eine Sache ohne Hand und Fuß. Ganz am Anfang habe ich schon ein wenig Hoffnung in Fujimori gesetzt, obwohl ich ihn nicht gewählt hatte. Während seiner ersten Amtszeit waren die Leute noch nicht so ernüchtert wie am Ende seiner Präsidentschaft. Wir begeisterten uns sogar so sehr, dass wir ihn beim zweiten Mal unterstützten. Auch ich habe beim zweiten Mal für ihn gestimmtWir dachten, später würden wir davon profitieren. Aber die Leute, die an die Macht kommen, werden wie besessen von ihr und wollen sie nie mehr abgeben. Außerdem verlieren sie den Bezug zur Realität. Und dann fragt man sich als Musikerin, was los ist, und bemerkt, dass die Dinge in den Medien nicht richtig dargestellt werden, dass die Wirklichkeit anders aussieht. Das spürt man. Die Leute sind sehr erschrocken und traurig, ohnmächtig gegenüber ihren Problemen.
Würdest du nach dieser Zeit bestätigen, dass die Kunst ein Medium ist, das sehr sensibel für die gesellschaftlichen Zustände ist?
Natürlich. Die Musik, die Kunst kann dich und deine Gedanken bereichern, um die Welt klarer zu sehen. Und als Musikerin muss man vor den Leuten stehen und sie überzeugen, damit sie aufwachen.
Ist es dieses Konzept, dass dich in dem bestätigt, was du tust?
Ja. Ich kann sagen, dass ich zufrieden bin. Auch wenn ich manchmal das Gefühl habe, dass das alles nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Als Künstler fragt man sich, was unser Gesang, unsere Kunst, unser Theater und unsere Gedichte nützen. Das einzige was mich stark macht ist, dass ich weiß, dass die Leute, die zu einem meiner Konzerte kommen, etwas mitnehmen was ihnen zu mehr Hoffnung verhilft, was sie verspüren lässt, dass sie nicht allein sind.
In deiner letzten Platte espírituvivo gibt es eine Liedzeile, die mir besonders aufgefallen ist: „Das Gewehr des Dichters ist die Rose“. Was soll es bedeuten?
Dieses Lied ist eine Hommage an Javier Heraud. Ich kannte ihn persönlich. Er war fröhlich und voll Leben. Eines Tages verschwand er plötzlich. Niemand wusste etwas, seine Familie, seine Freunde, und plötzlich erfuhren wir, dass er in Madre de Dios erschossen worden war. Danach haben wir Künstler uns viele Fragen gestellt. Ich sah damals sehr zu den Dichtern auf, ich sprach gern mit ihnen. Denn sie standen für die Rebellion und gegen alles Etablierte. Ich bewunderte sie und bewundere sie bis heute. Javier Heraud war einer von ihnen.
Wie würdest du deine letzte Produktion beschreiben?
Espírituvivo besteht aus verschiedenen Elementen, als hätte man zwei Temperamente vereint, die eigentlich sehr verschieden sind: Unsere afroperuanische Musik und die von zwei Jazzmusikern denen unsere Musik sehr gefallen hat. Seit der zweiten Platte, Eco de Sombras, haben wir sie immer wieder eingeladen, aber diesmal wollten wir richtig alle zusammenarbeiten. Wir trafen uns also mit Marc Ribot und John Medeski in New York und haben endlos geprobt um zusammenzuwachsen. Und dann kam plötzlich der 11. September. Am 12. fingen wir an aufzunehmen. Es war schrecklich. All das nahm uns sehr mit. Wir hatten schon mal Ähnliches erlebt. Es war, als würden wir um Jahre zurückgeworfen, in die Zeit als wir von zu Hause weggegangen waren ohne zu wissen, ob wir je zurückkehren würden. Deswegen und auf diese Weise verstehen wir das, was nun in Israel und in Palästina geschieht und das, was auf dem Balkan geschah. Trotzdem schmerzt es uns, dass Intoleranz immer wieder mit noch mehr Intoleranz beantwortet wird. Die Führungsschicht der Welt ist schlecht. Als wir in jenen Tagen aufnahmen gab uns die Musik Kraft, um zu uns selbst zurückzufinden. Ich hatte schon acht Monate vorher das Gedicht „Si me quitaran todo“ (Wenn sie mir alles wegnähmen) von Alejandro Romualdo ausgewählt, und wir nahmen es am 12. September auf. Wir hatten das Gefühl, das Gedicht sei gerade erst geschrieben worden. Oder in einem anderen dieser schwierigen Momente in der Welt. Dieses Gedicht, dass davon spricht, wie man alles verliert und am Ende doch Liebe und Hoffnung bleiben.
Übersetzung: Milena Neudeck
CD: Susana Baca, “espírituvivo”, 2002, Luaka Bop.com