“Europa gehört mit seiner Asylpolitik auf die Anklagebank”
Basso-Tribunal zum Asylrecht in Europa vom 8. bis 12. Dezember 1994 in Berlin
Das “Ständige Tribunal der Völker” wurde von dem italienischen Senator und undogmatischen Sozialisten Lelio Basso gegründet und versteht sich als Nachfolgeorganisation der Bertrand-Russell-Tribunale. In Form einer symbolischen Gerichtsverhandlung bieten die Basso-Tribunale den Opfern von Menschenrechtsverletzungen ein quasi-juristisches Forum, bei dem konkrete Fälle von Verstößen gegen (inter)nationale Rechtsnormen untersucht und die damit verbundenen politischen Zusammenhänge analysiert werden. In der Bundesrepublik wurde das Basso-Tribunal vor allem durch seine Verhandlung zur Politik von IWF und Weltbank bekannt, die 1988 parallel zur IWF- und Weltbanktagung in Berlin stattfand.
Die Vorgeschichte
Die Idee eines Tribunals zum europäischen Asylrecht entstand im Juni 1993 auf einem Seminar verschiedener Berliner Flüchtlings- und Antirassismusgruppen, in dem es um die Weiterarbeit nach der Grundgesetzänderung beim Asylrecht ging. Schnell war klar, daß sich ein solches Tribunal nicht nur mit der bundesrepublikanischen Asylpolitik beschäftigen sollte, sondern daß die Einschränkung des Artikels 16 GG in Zusammenhang mit der gesamteuropäischen Abschottungspolitik analysiert werden muß. Nachdem sich die Basso-Stiftung bereit erklärt hatte, die offizielle Trägerschaft des Tribunals zu übernehmen, gründeten die Mitglieder verschiedener Berliner Asyl- und Antirassismusgruppen einen Vorbereitungskreis, der die organisatorischen Vorarbeiten für die fünftägige Veranstaltung übernahm. Inzwischen wird das Tribunal von einem breiten Bündnis bundesrepublikanischer und europäischer Gruppen und Organisationen unterstützt. Da trotz der breiten Unterstützung nach wie vor rund 50.000 DM zur Finanzierung des Tribunals fehlen, ist der Vorbereitungskreis dringend auf weitere Spenden angewiesen.
Das Tribunal
Im ersten Teil der öffentlichen Verhandlung des Tribunals werden die verschiedenen Problemfelder der Asylrechtspraxis der europäischen Staaten, wie zum Beispiel Einreisehindernisse, Abschiebung, Anerkennungspraxis, “Rückführungsabkommen”, Lebensbedingungen während des Verfahrens, Flughafenregelung, Konzept der “verfolgungsfreien Länder” und der “sicheren Drittstaaten” oder die polizeiliche Behandlung von Asylsuchenden untersucht. Neben Berichten zur allgemeinen Situation von Flüchtlingen in diesen Ländern, werden im Zuge der Beweiserhebung exemplarische Fallbeispiele aus den genannten Staaten vorgestellt und die betroffenen Asylsuchenden zu ihren konkreten Problemen mit den zuständigen Stellen angehört. Obwohl die im Rahmen des Tribunals untersuchten Fälle längst nicht die gesamte Bandbreite der mit der europäischen Asylpolitik verbundenen Probleme abdecken können, gibt ein Auszug aus der derzeit vorliegenden Liste einen Eindruck von den Auswirkungen der Abschottungspolitik der europäischen Staaten: Neben Flüchtlingsschicksalen aus dem Iran, Senegal, Rumänien, Kurdistan und Haiti ist da der Fall eines Flüchtlings aus Zaire, der nach der Ablehnung seines Asylantrags (in der Schweiz) abgeschoben und in seinem Heimatland gefoltert wurde, oder der Fall eines peruanischen Flüchtlings, der von der spanischen Polizei mißhandelt wurde.
Im zweiten Teil des Tribunals wird der politische Kontext von Flucht und Abschottungspolitik analysiert. Hierbei stehen Fragen nach den Fluchtursachen ebenso auf dem Programm wie der Zusammenhang zwischen der Einschränkung des Asylrechts und des Abbaus von Demokratie und sozialen Rechten oder die systematische Illegalisierung von Flüchtlingen.
Ausgehend von einer umfassenden Analyse der Problematik von Flucht und Abschottungspolitik ist von dem abschließenden Urteilsspruch der Jury des Tribunals nicht nur eine moralische Bewertung der Asylpraxis der europäischen Staaten, sondern auch eine Reihe von Vorschlägen für eine humane Asylpolitik und die Weiterentwicklung der Genfer Flüchtlingskonvention zu erwarten.
Johannes Zerger
Das Basso-Tribunal findet vom 8. bis 12.12.94 statt. Um das Gelingen des Tribunals sicherzustellen, ist die Vorbereitungsgruppe dringend auf personelle und finanzielle Unterstützung angewiesen. Nähere Informationen gibt es beim Sekretariat des Basso-Tribunals, c/o AStA TU; Marchstr. 6, 10587 Berlin, Tel.: 314 24437. Steuerlich absetzbare Spenden werden erbeten auf das Konto der Antirassistischen Initiative: Bank für Sozialwirtschaft (BLZ 100 205 00), Konto-Nr.: 303 96 05, Stichwort: Basso-Tribunal
Programm
Donnerstag, 8.12.:
I. Eröffnung, Anklage und rechtlicher Rahmen
1. Offizielle Begrüßung
2. Vorstellung der Hauptanklagepunkte
3. Allgemeiner Bericht über den aktuellen Stand des Flüchtlingsrechts
II. Länderbericht zur Beweiserhebung aus den europäischen Staaten BRD, Frankreich, Schweiz und Spanien mit Anhörung der ZeugInnen
Freitag, 9.12.
Länderberichte (Fortsetzung)
III. Expertenberichte zu Fluchtursachen und restriktiver Asylpolitik
1. Menschenrechtsverletzungen und Flucht (Vortrag und Befragung)
2. Ökonomische Fluchtursachen (Vortrag und Befragung)
Samstag, 10.12.
3. Restriktive Asylpolitik und Demokratie (Vortrag und Befragung)
4. Restriktive Asylpolitik und Abbau sozialer Rechte (Vortrag und Befragung)
IV. Plädoyer von Anklage und Verteidigung
Sonntag, 11.12.
V. Nichtöffentliche Ausarbeitung des Urteilsspruchs durch die Jury des Tribunals
– Politisches und kulturelles Rahmenprogramm
Montag, 12.12.
VI. Verkündung des Urteilsspruchs der Jury des Tribunals und Pressekonferenz