Mexiko | Nummer 511 – Januar 2017

FALSCHMELDUNGEN ZU ZAPATISTAS

Ein Kommentar zu den medialen Reaktionen auf eine mögliche indigene Präsidentschaftskandidatin in Mexiko

Von Mirjana Mitrovic

In ganz Mexiko beraten sich zurzeit indigene Gemeinden und Bewegungen, ob sie eine Präsidentschaftskandidatin für die Wahl 2018 aufstellen wollen. Die Kandidatin soll indigen sein, eine indigene Sprache sprechen und einen indigenen Rat repräsentieren. Es soll keine Partei gegründet werden und die Macht ist nicht das Ziel. Sondern vielmehr die Stärkung des Nationalen Indigenen Kongresses CNI, der indigenen Bewegungen, die noch immer unter starken Repressionen von Landvertreibung bis Mord leiden. Der Vorschlag kam von der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung EZLN und wurde den Delegierten des 5. Nationalen Indigenen Kongress, welcher vom 9.-14. Oktober in Chiapas, Mexiko stattfand, unterbreitet. Er wurde dort diskutiert und am Ende entschieden sich die Delegierten, den Vorschlag in ihre Gemeinden zu tragen und den Kongress Ende des Jahres fortzuführen.

Dokumentation der Versammlung: Zapatistas haben eigene mediale und kommunikative Strategien (Foto: Mirjana Mitrovic)

Die Idee ist interessant und birgt eine Menge spannende Aspekte in sich. Zum einen ist es in einem machistischen Land wie Mexiko, das mit hohen Mordraten an Frauen zu kämpfen hat, so provokant wie wichtig, eine Frau als Präsidentschafts-*kandidatin vorzuschlagen. Zum anderen ist es interessant, dass die Asamblea – der Rat, in dem in vielen indigenen Gemeinden Entscheidungen getroffen werden – nun auf nationale Ebene gebracht werden soll. Auch wurde eine spannende Diskussion unter einigen Sympathisant*innen entfacht, inwieweit es unerwartet bis widersprüchlich ist, dass dieser Vorschlag aus der zapatistischen Bewegung kommt.
Bei so vielen interessanten Aspekten, die durch diesen Vorschlag aufkommen, ist es bedauerlich, dass die Meldung auch im deutschsprachigen Raum meist nur verkürzt und dann in einigen Fällen auch noch falsch dargestellt wurde. So verbreitete sich wie ein Lauffeuer die Meldung, die EZLN wolle bei der mexikanischen Präsidentschaftswahl in zwei Jahren mit einer eigenen Kandidatin antreten. Oder aber das Ergebnis des CNI sei, dass EZLN und CNI beschlossen hätten, sich an den Wahlen zu beteiligen. Anspielungen in Titeln und Bildunterschriften, ob es sich nicht um eine zapatistische Kandidatin handeln soll, finden sich zu Hauf. So schaffte es die Fehlinterpretation, die EZLN werde eine zapatistische Präsidentschaftskandidatin auf-*stellen, selbst auf die Titelseite der letzten LN, dabei stand in dem Artikel kein Wort davon. Die EZLN hat lediglich dem CNI den Vorschlag unterbreitet, eine indigene Frau als Kandidatin in die Präsidentschaftswahl 2018 zu schicken. Zudem wurde es fälschlicherweise oft als Fakt dargestellt, dass eine Kandidatin gestellt wird, tatsächlich wurde das noch gar nicht entschieden. Und es entscheidet auch nicht die EZLN, sondern der CNI, der wiederum bis Ende des Jahres seine Gemeinden befragt. Die viel interessanteren Informationen, dass sie keine Partei gründen werden und ihre antikapitalistische Einstellung beibehalten werden oder eben die Asamblea zur Entscheidungsfindung dienen soll – und welche von der  Kandidatin repräsentiert werden soll – werden oft weggelassen.
Die Zapatisten haben viel Gegenwind bekommen, auch im eigenen Land, auch aus dem eigenen Sympathisant*innenkreis. Auch in der spanischsprachigen Presse wird viel vermutet, gemunkelt, diskutiert. Auch dort gerieten Fehlinformationen in Umlauf. Daher baten bereits bei einer Debatte im Café Zapata Vive in Mexiko-Stadt Mitglieder des CNI darum, sich als erstes auf der Homepage der EZLN mit der Originalquelle auseinanderzusetzen, selbst die Kommuniqués durchzulesen und sich zunächst eine eigene Meinung zu bilden. Denn seit Oktober veröffentlichten die Zapatisten bereits mehrere Kommuniqués, bei denen sie auf Fragen und Anschuldigungen reagierten. Mal mit Witz, mal mit Wut, mal mit Erklärungen. So erschien am 17. November eines mit dem Titel „Eine Geschichte, um zu versuchen zu verstehen.“ Hierbei wird der Vorschlag bis ins kleinste auseinandergenommen, um alle Fragen zu klären und auch den letzten Zweifel zu beseitigen. Doch auch um ihrer Wut Luft zu machen: „All das wäre nicht nötig gewesen, zu klären oder nochmals zu erklären, wenn es eine aufmerksame Lektüre des Textes mit dem Titel, »Damit die Erde in ihren Zentren erbebe« – öffentlich gemacht am 14. Oktober 2016 – gegeben hätte.” Dabei gehen sie auch auf die Falschmeldungen ein: „Es ist ja auch nachvollziehbar, die Zeitungsnotiz: Der EZLN wird an den Wahlen mit einer zapatistischen Frau teilnehmen, lässt sich besser verkaufen als die Verbreitung der Wahrheit: Der CNI wird entscheiden, ob er mit einer eigenen Delegierten antritt oder nicht, und wenn ja, kann der CNI auf die Unterstützung des Zapatismus zählen.”
Die darauf folgende Meldung im deutschsprachigen Raum: „Bei der Präsidentenwahl in Mexiko wollen die Zapatistischen Streitkräfte der Nationalen Befreiung (EZLN) in zwei Jahren doch nicht mit einer eigenen Kandidatin antreten.” Anstatt einer Überprüfung der Quellen und einer darauf folgenden Richtigstellung, klingt es so, als ob die Zapatisten sich plötzlich umentschieden hätten. Den neuen Text scheinen sie in jedem Falle nicht gelesen zu haben, ansonsten hätten sie wohl nicht diese … wie sagen die Zapatistas? Schamlosigkeit besessen: „Aber dass Personen – die von sich sagen, sie sind gebildet und nachdenkend, von denen man annimmt, sie könnten lesen und schreiben, […] – nicht das gelesen haben, was das Dokument, »Damit die Erde in ihren Zentren erbebe«, klar ausdrückt, und alle Arten von dummen Zeug von sich gaben, tja, wie nennt man das – zart ausgedrückt? … Nun gut. Das ist Schamlosigkeit und Scharlatanerie.”
Es kann also interessant werden, wenn Ende des Jahres der CNI wieder zusammen kommt und am 1. Januar die Entscheidung verkündet wird und welche Schritte folgen werden. Denn selbst wenn sie sich gegen die Aufstellung einer Kandidatin entscheiden – was nicht erwartet wird –, werden neue Strategien gebraucht, um sich gegen die Repressionen zu schützen und zu verteidigen. Schlagzeilen werden mit Sicherheit folgen. Hoffentlich die richtigen.

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