Mexiko | Nummer 396 - Juni 2007

Frauen vereint im Widerstand

Feministinnen und soziale Bewegungen in Mexiko kommen erstmals zusammen

Drei Tage lang tauschten Frauen aus feministischen und anderen Nichtregierungsorganisationen in Oaxaca, Südmexiko, ihre Erfahrungen aus. Eine kleine Revolution, gibt es doch auch in den linken Bewegungen Probleme mit Machismo. Die Teilnehmerinnen waren sich einig in ihrem Widerstand gegen Straflosigkeit und einen Staat, der ihre „Grundrechte mit Füßen tritt.“

Luna Paz

In Mexiko gilt das Wort „Feministin“ in breiten Kreisen immer noch als Schimpfwort. Deshalb gibt es auch wenig Kontakt zwischen feministischen und sozialen Organisationen. Diese Spaltung versuchte ein historisches Treffen im südmexikanischen Oaxaca zu überwinden: Vom 26. bis zum 28. April fand das Treffen „Mujeres en Resistencia“, Frauen im Widerstand, statt. Eingeladen hatten der Feministische Raum (Espacio feminista) aus Mexiko-Stadt und das Huaxyacac-Kollektiv aus Oaxaca. Für Marusia López, Mitorganisatorin der Veranstaltung, ist es an der Zeit, dass sich die feministischen NGOs radikalisieren: „Der Dialog zwischen den Bewegungen ist für uns persönlich absolut notwendig, um zu verstehen was zur Zeit passiert und für uns kollektiv notwendig, weil sich die Erfolge der feministischen Bewegung nur retten lassen, wenn es eine große Mobilisierung innerhalb der Gesellschaft gibt.“
Unter den mehr als zweihundert Teilnehmerinnen waren Vertreterinnen aus ganz Mexiko: Flughafengegnerinnen aus Atenco in Zentralmexiko, Frauen von der Volks­versammlung der Bevölkerung von Oaxaca (APPO) und der Organisation von Müttern ermordeter Frauen aus der nordmexikanischen Ciudad Juárez, Opfer von sexueller Gewalt seitens des Militärs aus Coahuila und Veracruz und Mitglieder von Indígena-Organisationen im Kampf um Ressourcen. Auch Frauen aus Argentinien, Kolumbien, Venezuela, Guatemala, Bolivien und Nicaragua waren dabei.

„Wir sind viele und wir werden mehr!“

Die meisten Teilnehmerinnen des Treffens waren viele Stunden lang aus den hintersten Winkeln Mexikos angereist, um hier Erfahrungen auszutauschen, Kontakte zu knüpfen und Strategien zu erarbei­ten. Indígenafrauen mit langen Zöpfen, Bäuerinnen in karierten Schürzen, Feministinnen in Stöckelschuhen und mit Kurzhaarschnitt, Sexarbeiterinnen im Anzug mit offenem Haar, Stu­den­tinnen im Che Guevara-Hemd, Jugendliche mit Piercings, Arbeiterinnen mit schwieligen Händen, Lesben, Heilerinnen, Künstlerinnen, Politikerinnen –die Vielfalt war Programm bei dieser historischen Begegnung. Ort des Treffens war das recht luxuriöse Hotel San Felipe. Die meisten Teil­nehmerinnen besaßen jedoch weder Schwimmzeug, um in den Pool zu springen, noch hatten sie Zeit, im Liegestuhl zu entspannen. Stattdessen saßen sie Stunde um Stunde auf unbequemen Klappstühlen im großen Saal, um den Vorträgen ihrer Mitstreiterinnen zu lauschen.
Am ersten Tag wurden zehn Fälle von schweren und bislang un­gesühn­ten Menschen­rechts­ver­letzun­gen in Mexiko vorgestellt. Blanca Patricia Tovar, eine der vierzehn Sexarbeiterinnen, die im nordmexikanischen Bundestaat Coahuila von Militärs vergewaltigt wurden, erzählte unter Tränen: „Sie sagten, dass sie als Soldaten uns überlegen seien. Sie könnten alles mit uns machen, denn wir seien ja bloß ein paar Nutten.“ Trotz Morddrohungen und Hetzkampagnen in der Presse, ist es den Opfern und ihren Anwältinnen gelungen, die Täter vor ein ziviles Gericht zu bringen. Das ist eine Premiere in Mexiko.

„Wir fordern Gerechtigkeit!“

Ana María Robles berichtete von der Situation der Volksfront zur Verteidigung des Bodens (Frente Popular en Defensa de la Tierra) aus Atenco, wo vor einem Jahr hunderte Menschen bedroht, etliche Frauen vergewaltigt, zwei Demonstranten ermordet und über einhundert verhaftet wurden. Sie erzählte, wie sich die Frauen der Frente intern organisieren, um trotz permanenter Belästigungen durch die Polizei ihre Ländereien zu verteidigen und forderte die Freilassung der politischen Gefangenen. Ähnlich waren die Schilderungen aus Oaxaca: Seit dem Beginn des LehrerInnenstreiks im Mai 2006 stehen die BefürworterInnen der Bewegung APPO und ihre UnterstützerInnen unter Dauer­­­beschuss – erst verfolgte die Polizei sie mit Tränengas, Gummigeschossen und scharfer Munition, jetzt kommt es regelmäßig zu Beläs­ti­gungen, Einschüch­te­­rungs­­versuchen, Folter und Verhaftungen. Neben den oft sexuellen Übergriffen durch Polizei, Militärs und Paramilitärs ist die Straflosigkeit der Täter das größte Problem. Der bekannteste Fall ist Ciudad Juárez in Nordmexiko, wo hunderte von Morden an Frauen immer noch nicht aufgeklärt sind. Irma Casas´ Geschichte ist ein Beispiel: Sie kenne die Mörder ihrer Tochter, sagte sie bei dem Treffen, aber Polizei und Staatsanwaltschaft unternähmen nichts, da der Täter eine gehobene Position innehabe. Von der Politik hat sie nicht viel zu erwarten.

Gegen die harte Hand

Die Zahl der Menschenrechtsverletzungen hat unter der Regierung von Vicente Fox nicht abgenommen und es sieht so aus, als würde sein Nachfolger Felipe Calderón den Weg der „mano dura“, der harten Hand, gegenüber sozialen Bewegungen weiterverfolgen. Auch die nationale Kommission für Menschenrechte (CNDH) mit ihrem Chef José Luis Soberanes scheint sich eher durch voreilige Schlussfolgerung als kompetente Arbeit auszuzeichnen: Lourdes Crescencio Torres berichtete in Oaxaca über den Fall der 66-jährigen Ernestina Ascención aus Zongolica, Veracruz, die höchstwahrscheinlich an den Folgen einer Ver­ge­waltigung durch Soldaten starb. Ohne eine ernstzunehmende Autopsie durchzuführen, verkündete die CNDH, dass die alte Dame eines natürlichen Todes gestorben sei. Präsident Felipe Calderón wusste überraschenderweise schon vor dieser Erklärung, dass die Indígena einer Gastritis zum Opfer gefallen war.

„Gemeinsam sind wir stark“

Auch die internationalen Teilnehmerinnen sprachen über Menschenrechtsverletzungen an Frauen und den wachsenden Widerstand. Ruth Zurbriggen, streikende Lehrerin aus Neuquén, Argentinien und Vertreterin des feministischen Kollektivs „La Revuelta“ sah dabei durchaus Parallelen zwischen der Situation in Mexiko und Argentinien: „Als ich in dem Video über Oaxaca sah, wie sich die Frauen vor die Schilder der Polizisten warfen, da sah ich meine Lehrerkolleginnen aus Neuquén. Die machen genau das Gleiche. Ich bin total überrascht über diese Parallele. Es scheint als hätten die neoliberale Politik, der Kapitalismus und das Patriarchat keine Grenzen, auch wenn sie unterschiedliche Formen annehmen.“ Auch Patricia Guerrero, die Gründerin der Liga vertriebener Frauen in Kolumbien (Liga de Mujeres Desplazadas) erkannte sich in den Erzählungen der mexikanischen compañeras wieder: „Es gibt keine öffentliche Politik für die Frauen, keine Institutionen, sondern nur immer mehr Soldaten. Die Militarisierung ist eine Konstante.“ Ihre argentinische Kollegin Ruth Zurbriggen fügte noch hinzu: „Widerstand bedeutet, gemeinsam Strategien zu entwickeln, um uns zu widersetzen. Nicht die Maßregelung sollte unser Leben bestimmen, sondern die Rebellion.“ Zu dieser Rebellion gehört der Meinung vieler Teilnehmerinnen nach auch das Infragestellen machistischer Strukturen innerhalb der sozialen Bewegungen. Die Tatsache, dass die Frauen im Namen ihrer (gemischten) Organisationen an einem Treffen mit Feministinnen teilnahmen, war schon eine kleine Revolution für sich.

„Ulises, hau ab!“

Am zweiten Tag diskutierten die Teilnehmerinnen in Kleingruppen ihre Erfahrungen im Widerstand – Straßenblockaden, Streiks, Medienarbeit, Demonstrationen, Hungerstreik – die Liste war endlos, der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt. Am Samstagnachmittag bereiteten die Frauen gemeinsam die Abschlussdemonstration vor. Diese sollte in Form einer „Calenda“, eines Straßenkarnevals stattfinden. Sie malten Schilder auf Tlayudas, harte Maisfladen, bastelten große Puppen aus Pappmaché und erarbeiteten, gemeinsam mit der mexikanischen Künstlerin Jesusa Rodríguez, ein Theaterstück über die Entstehung der Welt, die sie sich wünschen. Obwohl die Stadtregierung die Demonstration im Vorfeld verboten hatte, zog der bunte Umzug inklusive Blaskapelle eine Stunde lang abends durch das historische Zentrum von Oaxaca. Zum ersten Mal seit seiner Räumung im November 2006 marschierten wieder Regierungsgegnerinnen über den zentralen Platz, den Zócalo. Die Slogans wurden immer übermütiger: Von „Ulises hau endlich ab“, gerichtet gegen den Gouverneur des Bundesstaates, bis „wir sind böse, aber wir können auch noch böser“.

„Wir klagen an!“

Bei der Abschlussveranstaltung verlasen die Frauen neben einem kulturellen Programm von solidarischen Künstlern und Künstlerinnen zwei Erklärungen. Darin sprachen sie sich gegen die anhaltenden Verletzungen der Menschenrechte in Mexiko und die damit verbundene Straflosigkeit aus. Und sie wiederholten die Forderung nach Absetzung des Gouverneurs von Oaxaca, Ulises Ruiz, der für zahlreiche Menschenrechtsverbrechen verantwortlich ist. Verschiedene Gruppen von Frauen haben sich zusammengeschlossen, die alle unterschiedlich handelten und auch Unterschiedliches forderten, fuhren sie fort. Doch eines sei ihnen allen gemeinsam: Ihr Widerstand gegen Armut, Machismo, Patriarchismus, Neoliberalismus und Gewalt gegen Frauen sowie das Fehlen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. „Heute klagen wir den mexikanischen Staat des Hochverrats an, weil er unsere Träume mit Füßen tritt und unsere Grundrechte verletzt“, riefen sie.
Während der Abschlussveranstaltung wurde in die Wohnung der Menschenrechtlerin Aline Castellanos Jurado, einer Teilnehmerin des Treffens, eingebrochen. Sie macht dafür direkt die Regierung des Gouverneurs Ruiz verantwortlich, da nur ihr Pass und etwas Geld aber keine anderen Wertgegenstände mitgenommen wurden. Gegen Aline Castellanos Jurado ist ein Haftbefehl anhängig. Ihr wird vorgeworfen, im August 2006 an der Besetzung eines Fernsehsenders in Oaxaca teilgenommen zu haben.

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