Fünf Schritte zurück
NGOs protestieren gegen die Schlußdokumente der “Rio + 5”-Konferenz
Am Ende der internationalen Konferenz, die eine Woche lang am Zuckerhut über Fortschritte und Rückschläge seit dem UN-Umweltgipfel von 1992 beriet, kam es zum Eklat: Vor Weltbankberater Maurice Strong, der die damalige wie die jetzige Veranstaltung leitete, protestierten NGO-VertreterInnen lautstark gegen die Schlußdokumente und zerrissen sie.
Die Papiere enthielten die offiziellen Empfehlungen für die Vereinten Nationen – erarbeitet in einjährigen Konsultationen mit Regierungen, Unternehmen, Banken, Experten und den NGOs und verfeinert auf der “Rio+5”-Konferenz. Die regierungsunabhängigen Organisationen und selbst der Vertreter der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika betonten, die Empfehlungen seien zu allgemein, zudem oberflächlich und die hochinteressanten Workshop-Resultate von “Rio+5” habe man schlichtweg unterschlagen.
Liszt Vieira, Präsident des Instituts für Ökologie und Entwicklung und einer der führenden Unweltexperten Brasiliens kommentierte: “Die Kritik am Welthandel, an Marktwirtschaft, Globalisierung und zerstörerischer Landwirtschaft tauchte in den Schlußdokumenten nicht mehr auf. In den Workshops dominierten die Positionen der Zivilgesellschaft und der NGOs – in den Empfehlungen dagegen jene von Maurice Strong, den Regierungen und Unternehmern. `Rio+5` endete schlecht.” Laut Vieira mußte Strong jedoch nachgeben und die Dokumente zurückziehen, was für die gewachsene Stärke der Zivilgesellschaft und der regierungsunabhängigen Organisationen spreche.
Ignoranz der Presse
Auf dem Gipfel 1992 standen Staatschefs und Minister im Rampenlicht – aus ihren Versprechen und Absichtserklärungen schlossen viele, daß auf dem Erdball nun unwiderruflich die Ära der nachhaltigen Entwicklung begonnen habe. Selbst Strong mußte nunmehr auf der “Rio+5”-Konferenz einräumen, daß die Regierungen im Gegensatz zu den NGOs ihre Zusagen von damals nicht einhielten. So steht Gastgeberland Brasilien weiterhin an der Spitze der waldvernichtenden Staaten.
Die internationalen NGOs veranstalteten 1992 etwa dreißig Kilomenter vom eigentlichen Umweltgipfel entfernt, ihren Alternativgipfel “Global Forum”, wurden von den Medien belächelt, kaum ernstgenommen. Auf der “Rio + 5”-Konferenz waren die “Regierungsunabhängigen” stark vertreten, sie mußten daher gehört werden. Indessen fuhren die großen privaten Weltmedien ebenso wie die Presse Brasiliens einen sehr ähnlichen Kurs wie 1992: Gerade bei den komplexen Diskussionen und der Vorstellung der Workshopberichte waren ReporterInnen und marktbeherrschende internationale Nachrichtenagenturen nicht präsent, wurde somit nichts übermittelt. Damit entstand auch bei der europäischen Presse der Eindruck, “Rio+5” sei ein unwichtiges, uninteressantes Ereignis. Volle Pressekkonferenzen hatten nur Prominente wie Michail Gorbatschow oder Weltbankpräsident James Wolfensohn, die indessen nur hinlänglich Bekanntes äußerten.
Der Gang in die falsche Richtung
Die Standpunkte der NGOs lassen sich wie folgt zusammenfassen: Umweltschonende, nachhaltige Entwicklung auf dem Erdball wird ihrer Ansicht nach durch die heute vorherrschenden globalen Wirtschaftsstrukturen keineswegs gefördert, sondern vielmehr verhindert. In der Dritten Welt getätigte Investitionen bedeuteten eine Art neuer Kolonialisierung und schafften vor Ort ein Machtungleichgewicht. Dies insbesondere dadurch, daß sich die Industrien über die lokale Bevölkerung hinwegsetzten und die multinationalen Unternehmen über ihre weltweiten Aktivitäten nicht ausreichend Rechenschaft ablegten.
Zwar würden die regierungsunabhängigen Organisationen mittlerweile von Regierungen und der Wirtschaft tatsächlich mehr konsultiert, doch ihre Vorschläge und Projektideen dann oft nicht im geringsten berücksichtigt. Globale Entscheidungen, wie beispielsweise die durch die Welthandelsorganisation (WHO) getroffenen, führten in die falsche Richtung: Den Lebens-, Konsum-, und Produktionsstil des Nordens zu globalisieren sei ökologisch nicht tragbar. Pervers sei deshalb, von den Ländern des Südens zu verlangen, ihn zu kopieren – letztlich nur mit dem Zweck, dem Norden neue Absatzmärkte zu verschaffen. Den Regierungen fehle es schließlich am politischen Willen und Interesse, das ökologisch Notwendige zu tun.
Als Beweis letzterer These diente zuletzt eine Äußerung des bei den Regierungen der Ersten Welt hochangesehenen brasilianischen Staatschefs Fernando Henrique Cardoso: Vor den über 500 KonferenzteilnehmerInnen erklärte er, man sei durch Satellitenaufnahmen über Abholzung und Brandrodung in Amazonien detailliert informiert. Indessen sehe sich die brasilianische Regierung einfach nicht in der Lage, diese zu stoppen. Der Umweltaktivist Vieira bemerkte dazu nur, diese Äußerung werde Cardoso noch “teuer zu stehen kommen”.
Denn nicht nur Brasiliens NGOs halten Cardosos Argument für unsinnig, wonach in den Amazonasregionen der Staat fast nicht präsent sei und die Kontrollinstanzen unfähig seien, den Gesetzen Achtung zu verschaffen. Vielmehr sind in den betreffenden Teilstaaten politische Bündnispartner des Staatschefs am Ruder, die Interessen von Großgrundbesitzern und Holzfirmen vertreten. An Streitkräften, Polizei und Justiz, Umweltschutzbehörden sowie an Finanzmitteln fehlt es nicht. Brasilien ist schließlich die zehntgrößte Wirtschaftsnation und das Land gilt bei Investoren als großer Wachstumsmarkt – deutsche multinationale Unternehmen erbringen etwa 15 Prozent der gesamten Industrieproduktion.
Draußen das Terrorregime
Im noblen Sheraton-Hotel machte sich die Konferenz im Umweltkontext auch für die Menschenrechte stark. Nachhaltige Entwicklung und Menschenrechte seien untrennbar miteinander verbunden. Draußen, in den angrenzenden Slums, wurden sie unterdessen auf barbarische Weise verletzt: Todesschwadrone und das organisierte Verbrechen hielten ihr Terrorregime aufrecht. An jedem Konferenztag berichteten die Zeitungen darüber – zum Teil mit Großfotos über Geköpfte und lebendig Verbrannte.