El Salvador | Nummer 586 - April 2023

Für Beatriz und für alle

Mit dem “Fall Beatriz” geht der Kampf für das Recht auf therapeutische Schwangerschaftsabbrüche vor den Interamerikanischen Gerichtshof

Vor fast zehn Jahren verweigerte der salvadorianische Staat einer Frau einen Schwangerschaftsabbruch. Nun musste der Staat am 22. und 23. März vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (Corte IDH) Rechenschaft über die Entscheidung ablegen. Die Hausangestellte Beatriz hatte 2013 um den Abbruch der Risikoschwangerschaft gebeten, um ihr eigenes Leben zu schützen. Ein Urteil des Gerichtshofs wird erst Ende 2023 erwartet. Zur Vorgeschichte des Prozesses im „Fall Beatriz“, wie er inzwischen weltweit bekannt ist, veröffentlichte Metzi Rosales Martel im feministischen Onlinemedium Alharaca folgenden Text. Die LN übernehmen ihn dankend – übersetzt und in gekürzter Form.

Von Metzi Rosales Martel für Alharaca (Übersetzung: Sarah Schaarschmidt)

„Beatriz wollte leben und glücklich sein“ Die junge Frau ist zum Symbol des Kampfes für legale Abtreibungen geworden – hier auf einer Demo am 8. März (Foto: Kellys Portillo)

Beatriz’ Recht auf eine Wahl wurde nie respektiert. Es dauerte 84 Tage, bis sie einen Kaiserschnitt bekam, als sie gerade in den Wehen lag. Dem Kind im Mutterleib fehlten aufgrund eines Geburtsfehlers Schädel und Gehirn, wodurch es außerhalb des Mutterleibes nicht überlebensfähig war. Zudem hatte die Schwangerschaft das Leben und die Gesundheit von Beatriz gefährdet, da sie an (der seltenen Autoimmunkrankheit, Anm. d. Übers.) Lupus litt. Jede Schwangerschaft bei einer Erkrankung mit Lupus ist laut medizinischer Fachliteratur mit erhöhten Risiken verbunden.

Beatriz’ Tochter wurde dennoch geboren und überlebte fünf Stunden. Laut der medizinischen Akte fehlten Schädeldecke und Hirngewebe vollständig. Die Akte ist einer der Beweise, die verschiedene Organisationen nun vorgelegten, um den salvadorianischen Staat vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte zu verklagen. Die Begründung: „Weil sie im Jahr 2013 keinen Zugang zu einem legalen, frühzeitigen und rechtzeitigen Schwangerschaftsabbruch hatte. Das gefährdete ihr Leben und beeinträchtigte ihre Unversehrtheit, Gesundheit und andere Rechte“.

Die Tatsache, dass Beatriz dazu gezwungen wurde, die Schwangerschaft 84 Tage lang fortzusetzen, wird von den Kläger*innen als Form der Folter angesehen. „Das absolute Abtreibungsverbot ist eine Form der Folter. Weil Beatriz so viel Leid zugefügt wurde; weil sie wusste, dass ihr Leben und ihre Gesundheit in Gefahr waren, wenn sie nicht abtreiben würde. Und hier müssen wir (…) auch die Tatsache berücksichtigen, dass sie bereits ein anderthalbjähriges Kind hatte. Im Falle von Beatriz‘ Tod würde dieses die Mutter verlieren“, erklärte Gisela de León, Menschenrechtsaktivistin und Anwältin einer der klagenden Organisationen.

2017 entschied auch der damalige UN-Sonderberichterstatter über Folter, Juan E. Méndez, dass „das absolute Abtreibungsverbot gegen das Verbot der grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung und in bestimmten Fällen sogar gegen das Verbot der Folter verstößt“. Nun lud der Präsident des Interamerikanischen Gerichtshofs, Ricardo Pérez Manrique, den salvadorianischen Staat und Vertreter*innen der Klägerseite für den 22. und 23. März in Costa Rica vor. Es ist das erste Mal, dass der Corte IDH einen Fall gegen einen Staat verhandelt, der Abtreibungen selbst dann verbietet, wenn das Leben der Mutter in Gefahr oder das Ungeborene nicht überlebensfähig ist. Die Entscheidung wird somit in Bezug auf Abtreibungen einen Präzedenzfall für den gesamten amerikanischen Kontinent schaffen. Beatriz wurden im Alter von 20 Jahren systemischer Lupus erythematodes, Lupus-Nephritis und rheumatoide Arthritis diagnostiziert. Ein Jahr später, im Juli 2011, wurde sie zum ersten Mal schwanger. Sie lebte mit ihrem Partner in Usulután (im Südosten El Salvadors, Anm. d. Red.) in extremer Armut.

Schon ihre erste Schwangerschaft galt als Hochrisikoschwangerschaft. Sie wurde zweimal wegen Blutarmut und Atemnot ins Krankenhaus eingeliefert. Im März 2012 kam ihr Sohn per Kaiserschnitt zur Welt. Er war ein Frühchen, litt an einem Atemnotsyndrom und Entzündungen im Darm und musste 38 Tage im Krankenhaus bleiben.

Eine juristische Odyssee

Ein knappes Jahr später, im Februar 2013, wurde Beatriz zum zweiten Mal schwanger. Wieder eine Hochrisikoschwangerschaft. Die junge Frau war bereits in der 11. Schwangerschaftswoche, als ihr bei einer ärztlichen Untersuchung mitgeteilt wurde, dass der Fötus an Anenzephalie litt, also außerhalb des Mutterleibes nicht überlebensfähig sein würde. Man werde ihren Fall dem Ärzteausschuss vorlegen, „um einen Konsens über den Zeitpunkt des Abbruchs zum Wohle der Mutter zu erreichen“.

Zwei Ultraschalluntersuchungen bestätigten die Diagnose der angeborenen Fehlbildung, die zusammen mit Beatriz’ Erkrankungen die Schwangerschaft verkomplizieren würde. Am 14. März erklärten die Ärzte, dass der Fötus keine Überlebenschance habe. Daher entschied sich Beatriz mit Unterstützung ihrer Familie für einen Schwangerschaftsabbruch. Nach der Antragstellung erhielt sie jedoch die Auskunft, dass dies in El Salvador nicht legal sei, da die Abtreibung seit 1998 vollständig verboten ist. Selbst dann, wenn das Leben der Mutter gefährdet ist, das Ungeborene außerhalb der Gebärmutter nicht lebensfähig ist und die Schwangerschaft die Folge sexueller Gewalt ist. Dies war der Beginn einer juristischen Odyssee. Am 14. März kam das medizinische Komitee des Nationalkrankenhauses Rosales in der Hauptstadt San Salvador zu dem Entschluss, dass ein längeres Warten auf die Abtreibung die Wahrscheinlichkeit eines vermeidbaren Todes der Mutter erhöhen würde. Sechs Tage später forderte der Ausschuss eine Stellungnahme der Rechtsabteilung des Krankenhauses und der Generalstaatsanwaltschaft und meldete den Fall dem Gesundheitsministerium. Die Leiterin des Rechtsabteilung des Krankenhauses informierte auch den Koordinator des Jugendschutzausschusses über die Situation. Dieser antwortete jedoch in seinem Bericht, er sei nicht zuständig und die Staatsanwaltschaft solle einen Anwalt benennen, der die Interessen des Fötus vertrete.

Als Aktivist*innen und feministische Organisationen von dem Fall erfuhren, kontaktierten sie Beatriz und begannen, sie rechtlich zu vertreten. Marcia Aguiluz, die 2013 Teil des Rechtsteams einer der Organisationen war und heute in der Rechtsabteilung von Women’s Link Worldwide arbeitet, erinnert sich an die Suche nach einer legalen Alternative, um Beatriz’ Leben zu retten. So legten sie am 11. April 2013 eine Verfassungsbeschwerde vor dem Obersten Gerichtshof ein. Als die Richter der Kammer jedoch anfingen, ihre Entscheidung hinauszuzögern, begannen die Organisationen nach rechtlichen Möglichkeiten auf internationaler Ebene zu suchen.

„Was ich will, ist leben“

Als Beatriz am 18. April zu einer psychologischen Untersuchung ins Krankenhaus eingeliefert wurde, beantragten die klagenden Parteien Maßnahmen beim Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte, um eine angemessene medizinische Versorgung für Beatriz sicherzustellen, die ihre Menschenrechte respektiert. Dem psychologischen Gutachten zufolge hatte die junge Frau in den Monaten zuvor Suizidgedanken gehabt. Die Krankenhauspsychologin wies auch darauf hin, dass ihr emotionaler Zustand durch die Distanz zum Sohn beeinträchtigt wurde und sie wegen der Anomalien des Fötus sehr besorgt war. In verschiedenen Interviews mit salvadorianischen und internationalen Medien bekräftigte Beatriz ihre Entscheidung, die Schwangerschaft abzubrechen; ihre Angst vor dem Tod und das Bedürfnis, mit ihrem Sohn zusammen zu sein: „Was ich will, ist leben. Ich möchte bei meinem Kind sein, bei meiner Familie.“

Kein Vergessen Blumen- und Plakatniederlegung am Denkmal für Beatriz in der salvadorianischen Hauptstadt San Salvador (Foto: Kelly Portillo)

Doch mit der Entscheidung veränderte sich das Leben von Beatriz und ihrer Familie. Personen aus verschiedenen Bereichen der salvadorianischen Gesellschaft und auf internationaler Ebene diskutierten öffentlich darüber. Die konservativsten Gruppen drängten sie dazu, ihre Schwangerschaft fortzuführen und schickten ihr Babyausstattung. Eine Vertreterin einer dieser Gruppe schickte ihr einen Hut für das Kind, das später ohne Gehirn geboren werden würde. Für die Familie von Beatriz und die Mitkläger*innen waren solche Aktionen eine Beleidigung. Humberto, einer der Brüder von Beatriz, erinnert sich, dass er und seine Familie Angst um das Leben seiner Schwester hatten. Sie wollten, dass Beatriz‘ Recht auf Selbstbestimmung respektiert wird.

Obwohl die Kammer die Verfassungsbeschwerde zunächst zuließ und eine Vorsichtsmaßnahme erließ, um das Leben und die körperliche und geistige Gesundheit von Beatriz zu garantieren, wies sie die Beschwerde im Mai zurück. Die Begründung lautete, es läge seitens der angeklagten Behörden kein fahrlässiges Verhalten vor. Am 3. Juni 2013 setzten bei Beatriz die Wehen ein. Ihre Tochter kam per Kaiserschnitt zur Welt und starb schon fünf Stunden später. Für Víctor Mata, der Teil des Anwält*innenteams, das Beatriz vertrat und jetzt Zeuge in dem internationalen Gerichtsverfahren ist, hat die Entscheidung der Richter*innen „das Recht von Beatriz auf Integrität verletzt und ihr Leben aufs Spiel gesetzt“.

In einem Sachbericht behauptete der salvadorianische Staat, dass Beatriz Zugang zu Justizmechanismen im Land hatte, als sie die Verfassungsbeschwerde einreichte. Der Staat bestätigte, dass die Entscheidungen der Gerichte auf der geltenden Gesetzgebung beruhten und dass sich Beatriz in einer stabilen Situation befunden habe. Er wies auch darauf hin, dass die Verfassung keine Hierarchie zwischen dem Leben der Mutter und dem Fötus festlegt, weshalb beide das gleiche Schutzniveau genießen.

Laut dem Interamerikanischen Gerichtshof ist der Schutz des Lebens ab der Empfängnis zwar ein legitimes Ziel, aber die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bei Unvereinbarkeit des Fötus mit dem Leben genüge den Anforderungen der Eignung nicht. Die Nicht-Überlebensfähigkeit des Fötus bricht die Beziehung zwischen Kriminalisierung und verfolgtem Zweck, da das Leben des Fötus zwangsläufig nicht gewährt werden könne. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass der fehlende Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen das Recht auf Leben, Gesundheit, persönliche Unversehrtheit und Privatleben von Beatriz ernsthaft beeinträchtigte und in diesem Fall die höchste Schwere erreichte. Laut dem UN-Hochkommissar für Menschenrechte sind „Einschränkungen des Zugangs zu sicheren Abtreibungen das Ergebnis sozialer Einstellungen, die Frauen stigmatisieren und ihre Körper zu Instrumenten politischer, kultureller, religiöser und wirtschaftlicher Ziele anderer machen. Die Kriminalisierung der Abtreibung verfestigt die Stigmatisierung und Diskriminierung weiter und verletzt die Würde und körperliche Unversehrtheit der Frau.“

Für Gabriela Paz, Sozialanthropologin und feministische Aktivistin, ist der Fall von Beatriz ein disruptives Beispiel für den Widerspruch der Norm: Obwohl Beatriz die Lebenserfahrung hatte, um die Mutterschaft auszuüben, und in einer heterosexuellen und monogamen Beziehung lebte, wurde sie zu einer Person, die sich der Norm widersetzte, da sie den Wunsch äußerte, ihre Schwangerschaft zu beenden. Paz betont, wie wichtig es ist, anzuerkennen, dass das Leben von Menschen ein grundlegender Wert ist, die Norm daher überprüft und an die Realitäten und Bedürfnisse der Menschen angepasst werden muss.

Am 8. Oktober 2017 verstarb Beatriz an gesundheitlichen Komplikationen, verschlimmert durch einen Verkehrsunfall. Sie hatte Atemprobleme und erlitt zwei Herzstillstände. Ihre Familie und die klagenden Organisationen fordern, dass der Interamerikanische Gerichtshof den salvadorianischen Staat nach der Anhörung am 22. und 23. März verurteilt und umfassende Wiedergutmachungen für ihre Familie, sowie weitere Maßnahmen, festlegt. Dies solle verhindern, dass andere Frauen und Mädchen das Gleiche wie Beatriz erleiden müssen. Darüber hinaus fordern sie die Abschaffung des absoluten Verbotes von Schwangerschaftsabbrüchen. „Das Recht von Beatriz, selbst zu entscheiden, wurde vom Staat verletzt. Er ließ sie im Stich. Unsere Motivation für die internationale Klage ist, dass andere Frauen nicht das Gleiche durchmachen wie meine Tochter“, erklärt Delmi, die Mutter von Beatriz. Der Interamerikanische Gerichtshof wird sein Urteil im letzten Quartal 2023 bekannt geben.

Es ist bereits das zweite Mal, dass El Salvador im Zusammenhang mit den sexuellen und reproduktiven Rechten von Frauen vor den Interamerikanischen Gerichtshof gebracht wird: Am 2. November 2021 wurde El Salvador im sogenannten Fall Manuela verurteilt. Manuela wurde wegen eines geburtshiflichen Notfalls zuhause behan-delt, wobei das Kind verstarb. Manuela wurde wegen schweren Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 30 Jahren verurteilt. Zu den vom Gericht angeordneten Maßnahmen gehört eine Neuregelung der ärztlichen Schweigepflicht, seiner Ausnahmen sowie die Anpassung der medizinischen Leitfäden und Dokumentation für die Behandlung geburtshilflicher Notfälle.

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