Fußball auf südamerikanisch
Der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano beschreibt die Ursprünge des Fußballs in Südamerika
Die Argentine Football Association erlaubte nicht, dass in den Versammlungen ihrer Funktionäre spanisch gesprochen wurde, und die Uruguay Association Football League verbot, dass an Sonntagen Spiele ausgetragen wurden, da nach der englischen Sitte samstags gespielt wurde. Doch schon in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts begann der Fußball am Rio de la Plata populärer und einheimischer zu werden. Dieses importierte Vergnügen, das den Kindern vernünftig die Zeit vertrieb, war dem hochgehängten Blumentopf entsprungen, auf dem Boden gelandet und hatte dort schnell Wurzeln geschlagen.
Der Prozess war nicht mehr aufzuhalten. Wie der Tango, so wuchs auch der Fußball von den Vorstädten aus. Es war ein Sport, für den man kein Geld brauchte und den man mit nichts weiter als der puren Lust daran spielen konnte. In den Wiesen, auf den Straßen und an den Stränden organisierten die einheimischen Jungen und die Kinder der Immigranten im Handumdrehen Spiele mit Bällen, die aus alten Strümpfen gemacht waren, die sie mit Lumpen oder Altpapier füllten, und mit ein paar Steinen, die das Tor markierten. Dank der Sprache des Fußballs, die sich immer mehr verbreitete, verstanden sich die Arbeiter, die vom Lande in die Stadt vertrieben waren, blendend mit den Arbeitern, die aus Europa vertrieben worden waren. Das Ball-Esperanto einte die einheimischen Armen mit den Tagelöhnern, die das Meer von Vigo, Lissabon, Neapel, Beirut oder Bessarabien her überquert hatten und davon träumten, Amerikaner zu werden, indem sie Mauern hochzogen, Ballen schleppten, Brot buken oder Straßen fegten. Eine schöne Reise, die der Fußball da hinter sich gebracht hatte: In den englischen Internaten und Universitäten hatte man ihn zivilisiert, und in Südamerika erfreute er Menschen das Herz, die nie eine Schule von innen gesehen hatten.
Auf den Plätzen von Buenos Aires und Montevideo wurde ein eigener Stil geboren. Eine eigene, besondere Art Fußball zu spielen, schaffte sich Raum, während eine besondere, eigene Art zu tanzen auf den Milonga-Böden kreiert wurde. Die Tänzer zeichneten kunstvolle filigrane Figuren auf einer einzigen Fußbodenfliese, und die Fußballer erfanden ihre Sprache in dem winzigen Raum, in dem der Ball nicht getreten, sondern gehalten, besessen wurde, als seien die Füße Hände, die das Leder kneteten. Und so entstand an den Füßen der ersten virtuosen südamerikanischen Spieler der toque, die typisch südamerikanische Art des Dribbling: der Ball, der wie ein Instrument gespielt wird, wie eine Gitarre, wie eine Quelle der Musik.
Gleichzeitig tropikalisierte sich der Fußball in Rio de Janeiro und São Paulo. Es waren die Armen, die ihn bereicherten, während sie ihn enteigneten, ihn sich aneigneten. Dieser ausländische Sport wurde in dem Maße brasilianisch, wie er aufhörte, das Privileg einiger weniger wohlhabender junger Männer zu sein, die ihn nur nachahmten, und es befruchtete ihn die schöpferische Energie des Volkes, das ihn für sich entdeckte. Und so wurde der schönste Fußball der Welt geboren, der aus dem Abknicken des Oberkörpers besteht, dem Schwingen des ganzen Körpers, den fliegenden Beinen, die von der Capoeira herkamen, dem Kriegstanz der schwarzen Sklaven, und den fröhlichen Tänzen aus den Armenvierteln der großen Städte.
So wurde der Fußball schnell zur Leidenschaft der Massen und enthüllte seine heimlichen Schönheiten, wahrend er sich gleichzeitig als nobler Zeitvertreib disqualifizierte. 1915 ließ diese Demokratisierung des Fußballs die brasilianische Zeitschrift Sports aus Rio de Janeiro klagen: „Die, die wir eine Stellung in der Gesellschaft innehaben, sind gezwungen, mit einem Arbeiter zu spielen, mit einem Chauffeur … Diesen Sport zu betreiben, wird langsam zur Qual, zum Opfer, und hört auf, ein Vergnügen zu sein.“
Auszug aus dem Buch Der Ball ist rund und Tore lauern überall von Eduardo Galeano, Seite 43 – 45.
Wir danken dem Peter Hammer Verlag für die freundliche Abdruckerlaubnis.
Vom Autor ist zuletzt erschienen: Kinder der Tage, Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2013, 416 Seiten, 24 Euro