Nummer 516 – Juni 2017 | Peru | Politik

GESUNDHEIT VOR GERECHTIGKEIT?

Perus Rechte will eine Haftentlassung von Ex-Diktator Fujimori – bislang noch ohne Erfolg

Seit Jahren kämpfen in Peru rechte Politiker*innen für eine Haftentlassung von Ex-Diktator Alberto Fujimori. Im April scheiterte ein Gesetzesvorhaben, die Haftstrafe des 78-Jährigen in Hausarrest umzuwandeln – wieder einmal. Allerdings befürworten immer mehr Peruaner*innen die Initiative. Die Gesellschaft ist gespalten.

Von Anna Rutz

Es wirkte fast schon verzweifelt. Ein weiterer Versuch in der Reihe der unermüdlichen Anstrengungen, endlich das lang gewünschte Ziel zu erreichen: Alberto Fujimori, der wegen Mord, schwerer Körperverletzung und Entführung zu 25 Jahren Haft verurteilt worden war, aus dem Gefängnis zu holen. Im April wurde zuletzt ein Gesetzesvorhaben vor dem peruanischen Kongress vorgestellt. Der 78-Jährige ehemalige Politiker sei schwerkrank, was einen Arrest im eigenen Haus nötig mache, hieß es. Fujimori zählt zu den kontroversesten Politikern der peruanischen Geschichte. Die Auseinandersetzung zwischen den Anhänger*innen des „Fujimorismo“ und seinen Gegner*innen zeigte sich auch beim Präsidentschaftswahlkampf im vergangenen Jahr. Keiko Fujimori, die älteste Tochter des Inhaftierten, kam mit ihrer rechtskonservativen Partei Fuerza Popular als stärkste Kraft in die Stichwahl. In der zweiten Runde musste sie sich nur knapp Pedro Pablo Kuczynski von der neoliberalen Partei Peruanos por el Kambio (PPK) geschlagen geben. Dass es am Ende für Keiko an einem Prozentpunkt scheiterte, war größtenteils der Anti-Fujimori-Bewegung zu verdanken. Mit Slogans wie „Fujimori nunca más“ (Nie wieder Fujimori), demonstrierte die Bewegung in den großen Städten gegen eine erneute Machtübernahme eines Fujimoris (siehe LN 503). Auch eine mögliche Haftentlassung von Alberto Fujimori trieb viele Demonstrant*innen auf die Straße.

Trotz der Wahlschlappe sind die Bestrebungen zur Entlassung Fujimoris nicht abgeklungen, sondern haben lediglich ein neues Gesicht erhalten. So stellte der fraktionslose Kongressabgeordnete Roberto Vieira am 24. April den Gesetzentwurf Nr. 1295 zur „Regelung der Strafe für Senioren ab 75 Jahren“ vor. Mit dem Entwurf sollte eine besondere Bedingung in das Strafgesetzbuch integriert werden. Schwerkranke, alte Gefangene sollten demnach den Rest ihrer Strafe zu Hause absitzen können. Obwohl das Gesetzesvorhaben keinen konkreten Namen nannte, bestätigte Vieira, dass er das Projekt unter Berücksichtigung des ehemaligen Präsidenten entworfen habe. Vieira bestand allerdings darauf, dass der Entwurf nicht mit einer Entlassung gleichzusetzen sei: „Es ist keine Begnadigung. Es wird nichts verziehen. Stattdessen können 820 Menschen, die die Anforderungen erfüllen, die Vorteile nutzen.“

Diese Anforderungen waren, dass der Gefangene ein Drittel der auferlegten Haftstrafe abgesessen hat, älter als 75 Jahre ist und an einer schweren Krankheit leidet und sich so in einer heiklen Gesundheitslage befindet. Im Falle Fujimoris, der 78 Jahre alt ist, wären die ersten beiden Bedingungen erfüllt gewesen. Der ehemalige Diktator hatte im vergangenen Jahr das erste Drittel seiner Haftzeit beendet. Bezüglich seines Gesundheitszustandes wurden verschiedene Beschwerden festgestellt. Im Februar musste Fujimori ins Krankenhaus eingeliefert werden, da ein Bandscheibenvorfall an seiner Wirbelsäule ihm am Laufen gehindert hatte. Der Neurochirurg Carlos Álvarez erklärte, dass dies ein typisches Anzeichen des Alterungsprozesses sei, was den Patienten in seiner Beweglichkeit einschränken würde. Zusätzlich wurden beim ehemaligen Diktator weitere Leiden wie Bluthochdruck, Herzrasen, Mundkrebs und eine Magenschleimhautentzündung diagnostiziert. Fujimoris Arzt, Alejandro Aguinaga, erklärte, dass sein Patient jedoch keinen Herzinfarkt gehabt hätte: „Ein Fehler der Mitralkappe verursacht sein Herzrasen, aber kein Infarkt.“ Inwieweit diese Beschwerden ausreichend sind, den Ex-Diktator aus humanitären Gründen zu begnadigen, ist unklar. Jedoch hätte die Verabschiedung des Gesetzentwurfes Fujimori eine Möglichkeit eröffnet, seine Haft legal zu umgehen.

Trotz der Beteuerungen Vieiras, dass dieses Vorhaben rein aus humanitären Gründen ins Leben gerufen wurde, blieb die politische Motivation unverkennbar und sorgte für viel Aufsehen.

Trotz der Beteuerungen Vieiras, dass dieses Vorhaben rein aus humanitären Gründen ins Leben gerufen wurde, blieb die politische Motivation unverkennbar und sorgte für viel Aufsehen. Das Gesetz wäre nämlich nicht nur dem Ex-Diktator zu Gute gekommen. Eine Reihe weiterer Gefangener, unter denen sich auch Vladimiro Montesinos, der brutale und korrupte Geheimdienstbeauftragte der Regierung Fujimori, befindet, hätten auf diese Weise die Chance gehabt, ihre Haftstrafe in Hausarrest umzuwandeln. Laut dem Anwalt Alonso Gurmendi hätte dieses Gesetz sogar Abimael Guzmán, Anführer der maoistischen Terrororganisation „Leuchtender Pfad“, zu partieller Freiheit verhelfen können. Ein Schreckensszenario für viele Peruaner*innen, die die Grauen des bewaffneten Konfliktes zwischen der Terrororganisation und der peruanischen Armee in den 1980er und 1990er Jahren miterlebt haben.

Kritik an dem Gesetzesvorhaben äußerte auch die Fuerza Popular, die Partei des „Fujimorismo“. Die Kongresspräsidentin und Abgeordnete, Luz Salgado, erklärte im Interview mit dem Sender RPP Noticias, dass sie mit dem Hausarrest nicht einverstanden sei: „Ich möchte Alberto Fujimori frei sehen, nicht in einem Haus eingesperrt. Ich denke, dass es eine Begnadigung geben muss, und das liegt in der Macht von Präsident Kuczynski“.

Laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Ipsos Perú befürwortet mehr als die Hälfte der peruanischen Bevölkerung eine Begnadigung Fujimoris aus humanitären Gründen. Diese kann allerdings nur vom Präsidenten Pedro Pablo Kuczynski erteilt werden. Außerdem wird von 54 Prozent der Befragten die auferlegte Strafe von 25 Jahren Haft als zu streng empfunden. Diese Daten sind sinnbildhaft für die weiterhin starke Unterstützung, die Fujimori in der peruanischen Bevölkerung genießt. Dass er nach seiner Wahl den peruanischen Kongress im Jahr 1992 auflöste, alle oppositionellen Kräfte im Land durch den sogenannten autogolpe (Selbstputsch) zum Schweigen brachte, die Medien zensierte und mit Hilfe von Todesschwadronen unschuldige Menschen des Terrorismus beschuldigte und ermorden ließ, scheint aus der Erinnerung vieler Menschen verschwunden zu sein.

Am 10. Mai wurde das Gesetzesvorhaben Vieiras zur Haftentlassung Fujimoris vom peruanischen Kongress abgelehnt und archiviert. Der Versuch, Fujimori aus dem Gefängnis zu holen, scheiterte damit erneut. Ausschlaggebend war ausgerechnet der Widerstand der Fuerza Popular, die sich gegen den Hausarrest und für eine komplette Begnadigung aussprach. Ob die gesundheitlichen Beschwerden des Gefangenen ausreichend sind, um eine Entlassung aus der Haft zu erreichen, bleibt also weiterhin ein strittiges Thema. Das Land ist in zwei gegensätzliche Lager gespalten. Fraglich ist auch, ob bei den vielen Verbrechen Alberto Fujimoris überhaupt eine frühzeitige Entlassung gerechtfertigt werden kann. Sind seine körperlichen Beschwerden wirklich schwerwiegender zu gewichten als die Erpressungen, Ermordungen und Entführungen, die während seiner 10-jährigen Regierungszeit stattgefunden haben? Eine Frage, die eine gründliche Reflexion benötigt – besonders von Seiten der peruanischen Regierung.

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