// DOSSIER: GREEN GRABBING UND BIOÖKONMIE IN LATEINAMERIKA
Land, Wald und Wasser im Visier von Klimaschutz und Profit
Die sogenannte Green Economy gibt dem Kapitalismus neuen Wind. Die bisher auf fossilen Energieträgern aufbauende Ökonomie wird nun immer mehr von bio-basierter Energie grün angeheizt. Vermeintlich grünes Wachstum, aufbauend auf der sogenannten Bioökonomie, ist die neue Versprechung, um unseren Lebensstil im Globalen Norden nicht der Realität anzupassen. Biomasse für Energiegewinnung muss jedoch zunächst auf Land wachsen – Konflikte um Land sind programmiert. Green Grabbing ist das Stichwort, das bei Landnahmen im Namen der Ökologie fällt. Mit diesem Dossier wollen die Lateinamerika Nachrichten und das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile Lateinamerika (FDCL) gemeinsam durchleuchten, was Bioökonomie ausmacht und was Green Grabbing eigentlich bedeutet.
(Download des gesamten Dossiers)
Zunächst wird der Turbo angeschmissen, und all die Facetten der Bioökonomie werden erklärt. Nun läuft der Motor mit Ethanol und Biodiesel. Agrartreibstoffe werden aus sogenannten Flex Crops gewonnen. Flex Crops sind Anbauprodukte, die vielfach genutzt werden können. Neben Nahrungsmitteln beispielsweise auch als Agrartreibstoffe. Soja und Palmöl dienen als Rohstoff für Biodiesel, und Mais wird zu Ethanolkraftstoff weiterverarbeitet. In der Bioökonomie soll es bald einen neuen Trend geben – Ethanol-Kraftstoff auf Zellulose-Basis und aus Biomasse. Dafür werden dann die Flex Crops Eukalyptus und Zuckerrohr ins Visier genommen werden. Zuckerrohr wäre dann noch rentabler, wenn auch die bisherigen Abfälle, also dessen gesamte Biomasse, ökonomisch verwertet werden könnte. In diesem Dossier zeigen wir, was für soziale und ökologische Folgen die neuen Eukalyptuswälder in Brasilien haben. Kann bei Eukalyptusmonokulturen überhaupt von einem Wald gesprochen werden?
Natürlich kommt auch die Frage auf, ob das Land besser genutzt wird, um Nahrungsmittel für den Teller, Futter für den Trog oder Energie für den Tank anzubauen. Was passiert aber, wenn auch das Meer in die Verwertungslogik der Bioökonomie gerät? So erfahren wir, wie sich das Leben der Algentaucher*innen und -sammler*innen an Chiles Küsten verändert. Es wird deutlich, dass Gender-Fragen auch in der Bioökonomie eine Rolle spielen. Die Frauen haben sich zu einer Gewerkschaft zusammengeschlossen und bewegen die Geschlechterverhältnisse in ihren Küstendörfern.
Aber gegen die Landnahmen gibt es Widerstand! In der Karibikregion Kolumbiens organisieren sich Kleinbäuer*innen gegen die Agrarindustrie, die ihre Palmölplantagen ausweitet. Kleinbäuer*innen setzen dem ein alternatives Entwicklungs- und Agrarmodell entgegen. Sich der Bioökonomie und dem Green Grabbing zu widersetzen, hat besondere Herausforderungen. Warum gegen etwas sein, das dem Klimaschutz dienen soll? Weil es allzu oft dem Profit einiger Weniger dient und den lokal Betroffenen die Lebensgrundlage entzieht. Und vielleicht muss sich so manche*r bei der Urlaubsplanung an die eigene Nase fassen – denn Green Grabbing geht auch „alternativ“: Beschert sanfter Tourismus an den Stränden Costa Ricas nicht doch nur den Urlauber*innen Glücksgefühle?
Zudem findet Anfang Dezember in Paris die UN-Klimakonferenz statt. Und da sehen wir rot. Denn REDD wird von Politik und Unternehmen als das Allheilmittel zum Walderhalt und der Kohlendioxidspeicherung propagiert – als ob der Markt es richten wird. Nein, ganz im Gegenteil: Der Wald und die dort lebenden Menschen werden dadurch dem Markt unterworfen. Denn all dies ist auch eng verwoben mit den Strategien von Politiker*innen und den aufstrebenden Bio-Mastern, den Konzernen, die sich von der neuen Bioökonomie ihre Flucht nach vorne aus den multiplen Krisen des zeitgenössischen Kapitalismus erhoffen.
Wer profitiert also von der Bioökonomie und wer wehrt sich gegen die Landnahmen durch Palmölplantagen, Eukalyptusmonokulturen und REDD+ Projekte? Mit dem Dossier wollen wir thematisieren, welche Akteur*innen hinter den vielen Worten um „bio“ und „grün“ stehen. Die Beispiele zeigen, wie Bioökonomie in Lateinamerika wirkt. Wir hoffen, das Dossier regt dazu an, weiter zu diskutieren, was Bioökonomie für uns, für den Globalen Norden und was für den Globalen Süden bedeutet. Welche Alternativen wollen wir und wie wollen wir handeln?