Grenzen des Wachstums
Die ChavistInnen gewinnen die Regionalwahlen, verlieren jedoch wichtige Posten
Für kurze Zeit herrschte ungewohnte Einigkeit. Sowohl ChavistInnen als auch Oppositionelle feierten die Regionalwahlen am 23. November als „großen Sieg Venezuelas“. Der Urnengang war zuvor friedlich und transparent über die Bühne gegangen, die Beteiligung lag bei über 65 Prozent, so hoch wie nie zuvor bei Regionalwahlen. Die Opposition konnte die von ihr regierten Staaten von zwei auf fünf erhöhen. Staats- und Parteipräsident Hugo Chávez bezeichnete das Ergebnis dennoch als „Stärkung des Weges zum Sozialismus des 21. Jahrhunderts“.
Denn die Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas PSUV setzte sich bei ihrer ersten Wahlteilnahme in 17 Bundesstaaten durch. Somit regiert sie nun in insgesamt 18 Staaten, da im dünn besiedelten Staat Amazonas erst später gewählt wird. Landesweit erhielt sie über fünf Millionen Stimmen (53,52 Prozent), gegenüber knapp vier Millionen (41,65 Prozent) für das Oppositionsbündnis. Weitere gut 450.000 Stimmen (4,3 Prozent) erhielten die kleineren chavistischen Parteien wie Vaterland für Alle PPT und die Kommunistische Partei PCV, die teilweise gegen die PSUV antraten. Die vier Staaten Aragua, Guárico, Sucre und Yaracuy, deren Gouverneure sich gegen Ende ihrer Regierungszeit von der Zentralregierung distanziert hatten, konnte die PSUV praktisch zurückgewinnen. Zudem errangen die bolivarianischen Kräfte insgesamt 265 der 326 Bürgermeisterposten und 76 Prozent aller Sitze in den Legislativorganen.
AnhängerInnen der Opposition feierten das Wahlergebnis dennoch enthusiastisch als Aufbruch in eine neue Ära. Tatsächlich konnte die Opposition wichtige und bevölkerungsreiche politische Räume (zurück-)erobern. Im winzigen Ferieninselstaat Nueva Esparta verteidigte Amtsinhaber Morel Rodríguez von der alten sozialdemokratischen Demokratische Aktion AD seinen Posten mit 57,53 Prozent gegenüber PSUV-Kandidat William Fariñas, der auf 41,80 Prozent kam. Im bedeutenden westlichen Erdölstaat Zulia setzte sich Pablo Pérez von der jüngeren sozialdemokratischen Eine Neue Ära UNT mit 53,34 Prozent gegen den bisherigen Bürgermeister der zulianischen Hauptstadt Maracaibo, Gian Carlo Di Martino, durch. Dieser erreichte 45,26 Prozent. Pérez ist ein enger Vertrauter des bisherigen Gouverneurs Manuel Rosales (ebenfalls UNT), der nach zwei Amtszeiten nun in das Bürgermeisteramt von Maracaibo zurückkehrt.
Im südlich von Zulia gelegenen Bundesstaat Táchira gewann César Pérez Vivas von der christdemokratischen Copei mit 49,46 Prozent nur äußerst knapp gegen Leonardo Salcedo, der für die PSUV auf 48,12 Prozent kam. Damit stellt die Opposition nun entlang der gesamten Grenze zu Kolumbien die Landesregierungen – ein aufgrund von Drogenschmuggel, Paramilitarismus und Guerilla-Aktivitäten strategisch äußerst bedeutendes Gebiet.
Im nördlichen Industriestaat Carabobo unterlag der polarisierende Fernsehmoderator Mario Silva (PSUV) mit 44,52 Prozent dem Oppositionskandidaten Henrique Salas Feo, der 47,5 Prozent erreichte. Salas Feo von der regional verwurzelten Partei Proyecto Venezuela, hatte das Amt des Gouverneurs bereits von 1995 bis 2004 inne.
Am wichtigsten für die Opposition dürften jedoch ihre Erfolge im Großraum der Hauptstadt Caracas sein. Im an die Hauptstadt grenzenden Bundesstaat Miranda setzte sich Henrique Capriles Radonski mit 53,11 Prozent gegen den bisherigen Gouverneur Diosdado Cabello vom rechten PSUV-Flügel durch, der 46,1 Prozent erreichte und nun zum neuen Infrastrukturminister der Chávez-Regierung ernannt wurde. Der neue Gouverneur Capriles Radonski gehört der rechten Partei Primero Justicia (Zuerst Gerechtigkeit) an. Während des Putsches gegen Chávez 2002 war er an Aggressionen gegen die kubanische Botschaft beteiligt, behauptet aber, nur vermittelt zu haben. Der neue Oberbürgermeister von Caracas heißt überraschend Antonio Ledezma von der rechten AD-Abspaltung Alianza Bravo Pueblo. Er besiegte den PSUV-Kandidaten Aristóbulo Istúriz mit 52,42 zu 44,94 Prozent der Stimmen. Beide Kandidaten waren in den 1990er Jahren bereits Bürgermeister im Municipio Libertador, dem Kernbereich von Caracas. Istúriz, der den linken Flügel der PSUV vertritt, galt als haushoher Favorit. Bei den PSUV-internen Vorwahlen hatte er mit 95 Prozent Zustimmung das beste Ergebnis erzielt. Nun verlor er ausgerechnet gegen einen Mann, der für die untergegangen geglaubte Politik der Prä-Chávez-Ära steht.
Im Großraum Caracas konnte die Opposition zudem nicht nur ihre sicheren Hochburgen Baruta, Chacao und El Hatillo verteidigen, sondern auch das östliche Municipio Sucre gewinnen. Sucre ist nach dem Municipio Libertador der zweitgrößte Teil des hauptstädtischen Großraums und weitflächig von barrios übersät. Hier setzte sich Carlos Ocariz von Primero Justicia mit 55,6 Prozent gegen Ex-Minister Jesse Chacón durch, der 43,86 Prozent erreichte und nun wieder Kommunikationsminister wird. In Sucre liegt wohl auch der Schlüssel zum Verlust des Oberbürgermeisteramtes. Verantwortlich für die Niederlage wird vor allem die desolate Regierungsbilanz des chavistischen Ex-Bürgermeisters José Vicente Rangel Ávalos gemacht.
Einzig das Municipio Libertador, das die eigentliche Hauptstadt umfasst und damit den wichtigsten Bezirk im Großraum Caracas darstellt, konnte sich Ex-Vizepräsident Jorge Rodríguez mit 53,59 Prozent gegen den rechten Studentenführer Stalin González sichern, der für die UNT antrat und auf 41,39 Prozent kam.
Es ist zu erwarten, dass die Politik in Venezuela nun wieder konfrontativer wird. Die Opposition wird die gewonnen Räume dazu nutzen, den von ihr gewünschten „politischen Wandel“ einzuleiten. Chávez rief die Bevölkerung dazu auf, die „Revolution permanent zu verteidigen“. Zuvor war es in mehreren Orten, die zukünftig von der Opposition regiert werden, zu Übergriffen auf bolivarianische Einrichtungen wie Bildungs- und Gesundheitsmissionen sowie Kommunale Räte gekommen. Vereinzelte Gewaltausbrüche gab es aber auch auf der anderen Seite: So kam es etwa in Miranda und Zulia zu teils gewalttätigen Versuchen, die Vereidigung der oppositionellen Amtsinhaber zu verhindern.
Für den Aufbau eines Sozialismus des 21. Jahrhunderts wird entscheidend sein, wie sich die partizipativen Basisstrukturen in den nächsten Jahren entwickeln werden. Die als misiones bekannten Sozialprogramme will laut ersten Verlautbarungen keiner der neuen oppositionellen Amtsinhaber abschaffen. Die Kommunalen Räte, in denen direkt und basisdemokratisch über die Verwendung öffentlicher Gelder entscheiden wird, hängen finanziell in erster Linie von der staatlichen Exekutive ab. Da sie mit ihrer Arbeit aber teilweise direkt mit anderen Instanzen wie BürgermeisterInnen und GouverneurInnen konkurrieren, sind Konflikte unvermeidbar. Auch wenn es mit bolivarianischen FunktionärInnen vielerorts ebenfalls Probleme gibt, werden die Räte unter oppositionellen Landesregierungen voraussichtlich größere Schwierigkeiten haben, ihre Freiräume zu verteidigen und auszubauen. Zudem könnte ein anhaltend niedriger Ölpreis die Finanzierung zahlreicher Regierungsprojekte über kurz über lang mitunter in Frage stellen, auch wenn eine kürzere Durststrecke mithilfe der Rekorddevisenreserven von derzeit über 40 Milliarden US-Dollar sowie weiteren in diversen Regierungsfonds hinterlegten Milliarden überwunden werden kann. Der Staatshaushalt für 2009, der zur Hälfte auf Erdölexporten mit einem durchschnittlichen Preis von 60 US-Dollar je Barrel (159 Liter) basiert, wurde nur „unter Vorbehalt“ verabschiedet. Sowohl Opposition als auch Chavismo müssen die Bevölkerung nun mehr denn je mit konstruktiver und effizienter Arbeit zu überzeugen versuchen und einen Beitrag zur Lösung der Alltagsprobleme wie steigender Kriminalität, Müllbeseitigung und Korruption leisten.
Zunächst steht allerdings erstmal der nächste Wahlkampf ins Haus. Denn bereits im Februar oder März 2009 wird voraussichtlich über eine Verfassungsänderung abgestimmt werden, welche doch noch die unbegrenzte Wiederwahlmöglichkeit des Präsidenten oder der Präsidentin Venezuelas einführen soll. Da Chávez 2007 mit seinem Vorschlag einer umfassenden Reform von 69 Verfassungsartikeln gescheitert ist, kann eine weitere Verfassungsänderung nur von 15 Prozent der WählerInnen oder 30 Prozent der Parlamentsabgeordneten vorgeschlagen werden. Die PSUV entschied sich auf Chávez´ Rat hin „aus Zeitgründen“ für den Weg über das Parlament. Zusätzlich sammelt die Partei Unterschriften, um das Vorliegen zu untermauern. Sobald das Parlament die Änderung des betroffenen Artikel 230 verabschiedet hat, muss der Nationale Wahlrat CNE das Referendum innerhalb von 30 Tagen ansetzen. In der Nationalversammlung, die erst 2010 neu gewählt wird, lehnen etwa 10 Abgeordnete die Verfassungsänderung ab. Die aufgrund ihres Boykotts nicht im Parlament vertretene rechte Opposition und die oppositionellen Studierenden sprachen sich wie erwartet deutlich gegen den Vorstoß aus. Die Bevölkerung habe den Vorschlag bereits 2007 per Referendum abgelehnt. Chavistas hingegen beharren darauf, dass es damals um ein komplexes Gesamtpaket und nicht nur Artikel 230 ging. Chávez gilt nach wie vor als die einzige Person, die das heterogene bolivarianische Lager zusammenhalten kann. Unter den kleineren chavistischen Parteien gibt es unterschiedliche Meinungen zur geplanten Verfassungsänderung. Die PCV unterstützt das Vorhaben, hätte aber eine Unterschriftensammlung bevorzugt, anstatt den schnelleren Weg über das Parlament zu gehen. Auch fordert sie prinzipiell die Aufhebung der Wiederwahlbeschränkung für alle AmtsträgerInnen. Das will auch die PPT, die sich längst nicht so deutlich für den Vorschlag ausgesprach und deren Verhältnis zu Chávez sich in den letzten Monaten deutlich abgekühlt hat. Der Vorschlag sei „diskriminierend, antidemokratisch, weder sozialistisch noch revolutionär und noch weniger partizipativ“, ließ etwa PPT-Politiker Rafael Uzcátegui verlauten. Der Oppositionspolitiker Manuel Rosales äußerte sich pragmatischer: „Mit oder ohne Verfassungsänderung wird diese Regierung 2012 abtreten“, sagte der Ex-Gouverneur von Zulia . Damit erinnerte er ganz nebenbei daran, dass eine Aufhebung der Wiederwahlbeschränkung Chávez nicht automatisch zum „Präsidenten auf Lebenszeit“ machen würde.
// Tobias Lambert