Guategate
Der CIA betreibt eigene Außenpolitik in Guatemala
Jennifer Harbury, Rechtsanwältin aus New York, war mit einem Führer der Guerilla Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas (URNG), Efraín Bámaca Velásquez, verheiratet. Seit Bámaca 1992 auf Anordnung eines guatemaltekischen Oberst verhaftet und ermordet wurde, versuchte Harbury, die Wahrheit über den Tod ihres Mannes zu erfahren. Durch einen Hungerstreik im März vor dem Weißen Haus erzwang sie, daß endlich Licht ins Dunkel kam: Der demokratische Kongreßabgeordnete Robert Torricelli, gut unterrichtetes Mitglied des Geheimdienstausschusses, trat am 22. März mit wichtigen Informationen an die Öffentlichkeit.
Gehaltsempfänger des CIA gibt Mordaufträge
Zunächst ging es um zwei Mordfälle. Michael DeVine, US-amerikanischer Staatsbürger, war Hotelbesitzer in Poptún, Provinz Petén, und wurde 1990 von guatemaltekischen Militärs umgebracht. Für seinen Tod wie für den des erwähnten Efraín Bámaca Velásquez ist in erster Linie Oberst Julio Roberto Alpírez verantwortlich. Alpírez wurde in Argentinien und den USA “nachrichtendienstlich” ausgebildet und war unter Präsident Vinicio Cerezo (1986-1991) Chef der Sicherheitsabteilung des Generalstabs. Er wurde später zum Leiter der Truppenausbildungsstätte Kaibil in der nördlichen Provinz Petén ernannt, wo er den Mord an DeVine in Auftrag gegeben hat. Außerdem war Alpírez stellvertretender Kommandant der Militärzone San Marcos im Südwesten Guatemalas, wo die Kaserne liegt, in der Bámaca gefoltert und ermordet wurde. Bei beiden Morden war Alpírez persönlich anwesend. Mittlerweile ist er zweiter Leiter der Militärbasis La Aurora in Guatemala-Stadt.
Den Informationen Torricellis zufolge war Alpírez vom CIA für Spionagetätigkeit bezahlt worden. Daß die USA dem guatemaltekischen Militär seit Mitte der achtziger Jahre offiziell Millionenbeträge überwiesen, ist bekannt. Die Hilfe wurde erst gestoppt, als sich 1990 Menschenrechtsverletzungen durch das Militär häuften und die Aufklärung des Mordes an DeVine von der Regierung Cerezo behindert wurde.
CIA zahlt
trotz Zahlungsstopp
Der CIA hat jedoch entgegen der offiziellen Politik weiter an Alpírez gezahlt, obwohl er wußte, daß dieser die Verantwortung für DeVines Tod trug. Wie Torricelli in einem anonymen Brief mitgeteilt wurde, habe der CIA seit Monaten versucht, die Angelegenheit zu vertuschen. Nach Angaben des US-Justizministeriums haben Geheimdienstler bereits belastendes Material vernichtet, um die Aufklärung der beiden Morde zu erschweren.
In der US-Presse erschienen daraufhin Meldungen, die weit über den konkreten Fall Alpírez hinausgingen. Auch der frühere Verteidigungsminister Héctor Gramajo, der bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen kandidieren will, stand auf der Gehaltsliste des CIA, ferner die drei letzten Chefs der militärischen Todesschwadron G-2, die den verharmlosenden Titel “Militärnachrichtendienst” trägt. Der ehemalige G-2-Chef Edgar Godoy Gaitán beispielsweise war im Amt, als 1990 die US-amerikanische Anthropologin Myrna Mack ermordet wurde.
Das US-Wochenmagazin “The Nation” gab am 31. März an, daß jahrzehntelang Agenten des CIA als Ausbilder in der G-2 tätig waren. Finanziell hat der CIA das guatemaltekische Heer mit fünf bis sieben Millionen US-Dollar jährlich unterstützt – trotz des Zahlungsstopps seit 1990 und der Kenntnis über die brutalen Morde der Geldempfänger. Laut ai töteten G-2 und eine Todesschwadron namens Archivo, innerhalb der letzten 17 Jahre über 110.000 ZivilistInnen.
Die bekanntgewordenen Verbindungen zwischen Regierungen, Militärs und Geheimdiensten beider Länder und den im Bürgerkrieg verübten Morden brachten einige Untersuchungen und Gerichtsprozesse in Gang. Die Zahlungen des CIA an Guatemala sind laut US-Außenminister Christopher sofort eingestellt worden. CIA-Direktor William Studeman wies indessen den Vorwurf der direkten Beteiligung an den Morden an DeVine und Bámaca zurück. Er räumte jedoch ein, daß Alpírez dem CIA seit 1991 als Hauptverantwortlicher am Tod DeVines bekannt gewesen sei, daß man den Kontakt zu ihm jedoch aufrechterhalten und ihm 1992 44.000 US-Dollar ausgezahlt habe, um ihn in die USA zu locken und vor ein Strafgericht zu bringen.
Clinton beruft Ermittlungsausschuß
Am 30. März hat Bill Clinton in Washington Ermittlungen über die eigenmächtigen Aktivitäten des CIA in Guatemala angeordnet und einen Ausschuß einberufen. Vorsitzender ist der Staatsanwalt von Washington, Anthony Harrington, der ein vorläufiges Ergebnis binnen 90 Tagen in Aussicht stellte. Der Ausschuß wird sich in besonderer Weise mit der Geheimhaltungspraxis des CIA beschäftigen müssen. Den zuständigen Stellen in der US-Regierung waren wichtige Informationen vorenthalten worden. Bereits im Februar hatte die US-amerikanische Botschafterin in Guatemala, Marilyn McAfee, den örtlichen CIA-Chef aus ihrer Botschaft abberufen lassen, weil er sie mangelhaft informiert hatte. Zugleich sind Kreise in der US-Armee und der Nationalen Sicherheitsbehörde NSA in den Fall verwickelt, und die frühere Regierung von George Bush steht unter dem Verdacht, die geheimen Zahlungen überhaupt erst angewiesen zu haben.
Warren Christopher bot Guatemala Anfang März an, bei der Aufklärung der Morde an DeVine und Bámaca durch Agenten der Bundespolizei FBI zu helfen. Die Hilfe stehe zur Verfügung, sobald Guatemala seine Politik der Straffreiheit aufgebe.
Die USA fordern seit Jahren eine konsequente Strafverfolgung von Menschenrechtsverletzungen in Guatemala ein, besonders im Zusammenhang mit dem Mord an DeVine. Aber auch diesmal sind die Aussichten auf ein ordentliches Gerichtsverfahren gegen Alpírez und andere Beschuldigte nicht gut. Alpírez wurde zwar gerichtlich verhört, danach aber wieder auf freien Fuß gesetzt. Er arbeitet nach wie vor in der hauptstädtischen Militärbasis La Aurora.
Präsident Guatemalas gibt Schützenhilfe
Der frühere Menschenrechtsbeauftragte und jetzige Präsident Ramiro de León Carpio hat unterdessen erneut bewiesen, daß die Hoffnungen auf Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit, die sich mit seinem Amtsantritt vor zwei Jahren verbanden, nicht aufgehen. Er stellte sich hinter Alpírez, bestritt wie der Oberst selbst dessen Beteiligung an den Morden, empfahl ihm, eine Verleumdungsklage einzuleiten, und beschuldigte im Gegenteil den CIA, die Morde verübt zu haben.
Es müßte ein Wunder geschehen, wenn wirklich einmal Tatsachen über die eigenmächtige Politik des CIA an die Öffentlichkeit kämen. Das es diesen dunklen Bereich gibt, ist klar, aber selten ist er konkret faßbar geworden. Ausgelöst durch die Beharrlichkeit der engagierten Rechtsanwältin Jennifer Harbury und den Mut eines eher rechtsgerichteten Kongreßabgeordneten besteht jetzt die Chance dazu. Es ist mit großer Spannung abzuwarten, was der Untersuchungsausschuß und andere von der Geschichte Betroffene zutage fördern.
Das Angebot der USA, mit FBI-Leuten in Guatemala aufklären zu helfen, gibt dennoch Anlaß zur Besorgnis. Es hieße, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, denn die verschiedenen Geheimpolizeien und Nachrichtendienste beider Länder sind offenbar zu eng ineinander verzahnt, als daß man auch nur halbwegs Objektivität erwarten dürfte. Aufklärungsarbeit können hier nur unabhängige, internationale Kräfte leisten, und die Nachforschungen werden zu kurz greifen, wenn sie sich nicht zugleich auf CIA, G-2, guatemaltekisches Militär und andere Institutionen richten. Die Aussichten dafür stehen bekanntlich schlecht. Wird statt dessen das FBI in Guatemala aktiv, dürfte sich die Entmilitarisierung des geschundenen Landes weiter hinauszögern.