Guyanische Tragödie
Zum 25. Todestag Walter Rodneys
Zwanzigster Juli 1979: Ein Mann steht auf dem Rednerpodest: 37 Jahre alt, schwarz, hochgewachsen, schlank, Afro-Frisur, Hornbrille, Spitzbart. Um ihn herum toben die Zuhörer. Der Mann auf dem Rednerpodest ist gerade auf Kaution frei. Er hat jetzt noch knapp elf Monate zu leben. Sein Name: Dr. Walter Rodney. Ort: Georgetown, Hauptstadt der Kooperativen Republik Guyana im Nordosten Südamerikas.
Die einstige britische Kolonie ist seit dreizehn Jahren unabhängig und wird von einer afro-guyanischen Partei unter dem autokratischen Staatschef Burnham regiert. Dieser versucht, in Guyana einen Sozialismus nationaler Färbung aufzubauen. Tatsächlich aber hat er das Land in eine tiefe Krise manövriert: International ist es isoliert. Wirtschaft und Infrastruktur liegen am Boden. Seit Jahrzehnten ist das Verhältnis zwischen Schwarzen und Indo-GuyanerInnen – den beiden größten Bevölkerungsgruppen Guyanas – gespannt. Nach zähem Machtgerangel hatte sich Burnham durch taktisches Paktieren gegen seinen Rivalen Cheddi Jagan, Chef einer indo-guyanischen Konkurrenzpartei, durchgesetzt (vgl. nebenstehenden Artikel).
Ehrgeiz und Fleiß führten Walter Rodney, Sohn eines Georgetowner Schneiders aus armen Verhältnissen, frühzeitig über Stipendien an die Universitäten von Jamaika und London, wo er sich auf afrikanische Geschichte spezialisierte. Er promovierte über den Sklavenhandel an der Guinea-Küste und schärfte den Blick der Welt für die lange vernachlässigte und verfälschte Geschichte unterdrückter afrikanischer Völker.
Lichtblick Rodney
26-jährig zog es ihn in einer Zeit großer politischer Umbrüche in der Karibik erneut nach Jamaika. Unter dem Einfluss der Black-Power-Bewegung setzte sich Rodney hier für die Machtübernahme der armen Bevölkerungsschichten ein. Seine Agitationen in den Slums und Rasta-Gemeinden führten dazu, dass die Regierung ihm nach dem Besuch einer Konferenz schwarzer SchriftstellerInnen in Kanada die Wiedereinreise verwehrte. Dies führte in Kingston zu der so genannten „Walter-Rodney-Revolte” mit Straßenschlachten zwischen SlumbewohnerInnen und Polizei. Rodney sah alle Intellektuellen verpflichtet, ihr Wissen dem Befreiungskampf der Unterdrückten zur Verfügung zu stellen. Dies veranlasste ihn, nach Afrika zu gehen, wo er sechs Jahre an der Universität von Dar-es-Salaam unterrichtete und sein zentrales Werk verfasste: Wie Europa Afrika unterentwickelte.
Rückkehr nach Guyana
1974 bietet ihm der Fachbereich Geschichte der Universität von Guyana den Posten des Leiters an. Doch Burnham verhindert Rodneys Ernennung. Trotzdem bleibt dieser in Guyana, engagiert sich in der sozialistischen Allianz der Werktätigen (WPA). Die WPA hat sich im selben Jahr als loser Zusammenschluss mehrerer politischer Gruppen und Professoren etabliert. Ziel der WPA ist es, durch Mobilisierung in indo-guyanischen und afro-guyanischen Wohngebieten eine revolutionäre und demokratische Allianz zwischen den beiden zerstrittenen Gruppen zu schmieden.
Wachsende Anerkennung erhält die WPA durch mutige Regierungskritik. Burnham will zur Ausweitung seiner Macht die demokratische Verfassung Guyanas ändern. Dazu ist aber ein Referendum nötig. Burnhams Lösung: Das Volk soll abstimmen, ob es auf sein Recht verzichten wolle, je wieder per Abstimmung gefragt zu werden. Die Opposition ruft zum Boykott auf. Dennoch gewinnt Burnham, auch wenn wohl nur wenige BürgerInnen am Referendum teilgenommen haben. Während sich andere politische Kräfte schließlich Burnhams Willen beugen, protestiert die WPA standhaft weiter.
Am Abend des Jahrestages des manipulierten Referendums organisieren die WPA und Jagans Oppositionspartei eine Mahnwache vorm Parlamentsgebäude. Einige Stunden nach Mitternacht brechen zwei Feuer aus und zerstören das Nationale Entwicklungsministerium und das Büro von Burnhams Partei-Generalsekretariat. Niemand weiß, wer die Feuer gelegt hat. Manche behaupten, es seien AnhängerInnen Burnhams gewesen. Dennoch verhaftet die Regierung sofort acht WPA-Mitglieder, darunter den mittlerweile sehr prominenten Walter Rodney und mehrere Universitätsprofessoren.
Zehn Tage später, am 20. Juli 1979 – Rodney und seine Mitstreiter sind auf freiem Fuß –, erklärt sich die WPA zur politischen Partei und das Jahr 1979 zum „Jahr der Wende” gegen Burnhams Regime. Am selben Tag hält Walter Rodney eine Rede, in der er Burnham, der sich den afrikanischen Titel Kabaka (König) zugelegt hat, King Kong nennt, was brüllenden Applaus auslöst – um so mehr, da die Residenz des Autokraten Burnhams direkt neben dem Zoo liegt. „Was nötig wäre”, fährt Rodney fort, „wäre eine Erweiterung des Zoos um die Residenz… Menschen würden aus aller Welt kommen und Eintritt zahlen, um King Kong zu sehen!” Die Zuhörer jauchzen vor Begeisterung. Rodney: „Das neue Phänomen der Burnham-Berührung: Alles, was er berührt, verwandelt sich zu Scheiße.“ Rodney will keinen siechen Sozialismus totpflegen, er will vollständige Erneuerung, fordert den kompromisslosen Rücktritt der Regierung: „Sie muss weg – mit allen Mitteln, die nötig sind!“
Im nächsten Jahr – Wahlen stehen kurz bevor – passiert es: Ein Anhänger Burnhams überreicht Rodney am 13. Juni 1980 eine als Walkie-Talkie getarnte Bombe. Sie explodiert kurz darauf in seinem Schoß, Rodney ist sofort tot. 35.000 Menschen nehmen an Rodneys Beerdigungszug teil.
Nach seinem Tod vermag die WPA nicht mehr wie zuvor die Massen zu begeistern, ihr Einfluss auf Guyanas weitere Entwicklung bleibt beschränkt. Burnham hält eisern an der Macht fest, gibt aber zu, dass Guyana „einzig der Wille zu überleben weitertreibt“. Mit seinem Tod 1985 geht eine dunkle Epoche guyanischer Geschichte zu Ende.
Lebendiges Gedenken
Walter Rodney ist unvergessen. In der ganzen Karibik sind seine Ideen lebendig: Auf allen Inseln fühlen sich ihm Menschen zu Dank verpflichtet, weil er ihr Vorbild war, ihr Lehrer, ihr Aufrüttler, der sie aus der postkolonialen Lethargie gerissen und zu eigener Aktivität ermuntert hat. Zu seinem 25.Todestag organisierten Rodneys alte MitstreiterInnen in Guyana öffentliche Vorlesungen und Diskussionen zu Themen wie Pan-Afrikanismus, Globalisierung und Neoliberalismus sowie deren Auswirkungen auf die karibischen Werktätigen.