Joint Implementation
Klimaschutz auf Abwegen
Auch wenn das Vertragswerk eine mühsam ausgehandelte Kompromißlösung darstellt, so hat sich die internationale Staatengemeinschaft dennoch auf einen anspruchsvollen Pflichtenkatalog geeinigt:
* Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die Klimagase, allen voran Kohlendioxid, auf einem Niveau zu stabilisieren, das einen gefährlichen, menschenverursachten Eingriff in das Klimasystem verhindert.
* Die bereits unabwendbare Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur darf nur in einem Umfang erfolgen, in dem die Ökosysteme und die globale Ernährungssituation nicht gefährdet werden.
* Die Industrieländer als Hauptverursacher des Treibhausproblems verpflichten sich, beim Kampf gegen den Treibhauseffekt die Führung zu übernehmen.
* Die Industrieländer müssen auf jährlich stattfindenden Konferenzen über ihre Erfolge beim Klimaschutz Bericht erstatten.
* Die OECD-Staaten stellen den Entwicklungsländern zusätzlich zur bisherigen Entwicklungshilfe Finanzmittel und Technologien zur Reduktion von Treibhausgasen und zur Anpassung an die möglichen Folgen der Klimaveränderungen bereit.
Das Vertragswerk von Rio legt jedoch weder konkrete Reduktionsschritte fest – sie sollen in späteren Zusatzprotokollen verabschiedet werden – noch gibt die Konvention eine Antwort auf die heikelste Frage im globalen Klimaschutz: wie nämlich die nötigen Klimagas-Reduktionen international aufgeteilt und durch welche Maßnahmen sie erreicht werden sollen.
Eine Möglichkeit, das dringend notwendige Zusatz-Protokoll zu verabschieden, bietet sich auf der ersten Vertragsstaatenkonferenz zur Klimakonvention, dem Klimagipfel 1995 in Berlin. Bei den internationalen Vorverhandlungen in Genf zeichnet sich bereits ab, daß man auf dem Berliner Gipfel noch keine konkreten Reduktionsverpflichtungen festschreiben wird. Stattdessen schiebt sich die Diskussion um ein einzelnes umweltpolitisches Instrument immer weiter in den Vordergrund: Auf dem Gipfel in Berlin sollen Kriterien für die Durchführung von Joint Implementation beschlossen werden.
Hinter dem Konzept steht ein ökonomisches Kalkül: Da Treibhausgase unabhängig von ihrem Emissionsort, also nicht regional, sondern global wirken, ist es gleichgültig, an welchem Ort die Treibhausgas-Reduktionen durchgeführt werden. Deshalb kann, zumindest aus technischer Sicht, mit den billigsten Reduktionsmöglichkeiten begonnen werden, egal, wo diese sich befinden.
Die Befürworter von Joint Implementation gehen davon aus, das Treibhausgas-Reduktionen in den Entwicklungsländern oder den Transformationsstaaten Osteuropas zu geringeren Kosten möglich sind, als in den westlichen Industrieländern. Als Beispiel nennen sie die niedrigeren Wärmenutzungsgrade von Kraftwerken in Entwicklungs- und Transformationsländern im Vergleich zu entsprechenden Anlagen in Industrieländern. So schätzt der Bundesverband der Deutschen Industrie die Vermeidungskosten einer Tonne CO2 in einem deutschen Kohlekraftwerk auf 1000 DM, in einem chinesischen Kraftwerk hingegen auf 200 – 400 DM. Da der Nutzen der Emissionsreduktionen global ist und die für Umweltschutz zur Verfügung stehenden Mittel begrenzt sind, sei es ökonomisch rational, sie dort durchzuführen, wo sie am billigsten sind. Zusätzlich erhielten die Entwicklungsländer auf diese Weise Zugang zu Kapital und Technologie.
Noch handelt es sich hierbei um umweltpolitische Sandkastenspiele, die bislang vor allem von der einschlägigen Fachöffentlichkeit beobachtet werden. Doch schnell könnte aus einem umweltökonomischen Zauberstückchen international und in großem Umfang Realität werden. Sollte beispielsweise die Europäische Union ihre seit langem geplante Energie/CO2-Steuer einführen, so steht die Industrie bereits in den Startlöchern, um ihre Steuerschuld mit CO2-Reduktionen in osteuropäischen Ländern und Entwicklungsstaaten verrechnen zu lassen.
Als erste Versuchsballons wurden breits Joint Implementation-Projekte zwischen niederländischen und US-amerikanischen Kraftwerksbetreibern auf der einen Seite und malayischen Holzproduzenten auf der anderen aufgenommen. Für die Aufforstung beziehungsweise für den “schonenden Holzeinschlag” (reduced impact logging) erhalten die ausländischen Kraftwerksbetreiber eine CO2-Gutschrift. Die Holzproduzenten bekommen für den Umwelt-Deal bare Münze augezahlt.
Weitere JI-Projekte in Vorbereitung sind die Einführung energiesparender Lampen in Mexiko, Wiederaufforstung in der Republik Tschechien und die Reperatur undichter Gaspipelines in Rußland.
Entwicklungsländer und umwelt- und entwicklungspolitische NRO hingegen formulieren scharfe Kritik am Konzept der Joint Implementation. Sie sehen darin ein ungeeignetes und zudem schädliches Instrument zur Bekämpfung des Treibhauseffektes: Joint Implementation sei ein “Ablaßhandel” für den verschwenderischen Lebensstil des Nordens. Während der Klimaschutz im industrialisierten Norden weiterhin auf der Stelle tritt, müßten die Länder des Südens bei der Reduktion von Treibhausgasen schon einmal vorangehen.
Sie befürchten, daß sich durch Joint Implementation der Innovationsdruck im Norden verringert, und dadurch die Entstehung treibhausgas-armer Lebenstile und Technologien erhindert wird. Bei der Anrechenbarkeit auf die CO2/Energiesteuer verringert Joint Implementation zudem die erwünschte Lenkungswirkung der Steuer und zögert den notwendigen Strukturwandel in den Industrieländern hinaus.
Ein großes Problem beim Einsatz von Joint Implementation stellt die Möglichkeit von “Scheinreduktionen” dar. Es müßte die hypothetische Frage beantwortet werden, welche Emissionen sich in Abwesenheit des vorgeschlagenen Projektes einstellen wurden, bzw. eingestellt hatten. Ein Joint Implementation-Investor könnte beispielsweise ein Projekt mit einem jährlichen CO2-Ausstoß von 10 Mio. Tonnen durchführen und argumentieren, ohne seine Kooperation wäre ein Projekt mit einem Ausstoß von 11 Mio. Tonnen entstanden. Die Differenz von 1 Mio. Tonnen konnte er dann auf sein eigenes Reduktionskonto gutschreiben, obwohl es tatsächlich zu einer Nettoerhöhung der globalen CO2-Emissionen gekommen ist. Das Problem wird darüber hinaus dadurch verschärft, daß sowohl der Investor als auch das Gastland ein Interesse daran haben, von einem möglichst hohen Emissionsszenario auszugehen: je drastischer das Emissionsszenario, desto umfassender die Ausgleichszahlungen und Investitionen für das Gastland und desto höher die Emissionsgutschrift für den Investor. So könnten schlimmstenfalls als Konsequenz zusätzliche Treibhausgas-Emissionen entstehen.
Die notwendigen hohen Verhandlungs- und Kontrollkosten führen dazu, daß Joint Implementation-Projekte von großem Umfang sein müssen, um für den Investor rentabel zu bleiben. Der Hang zu Großprojekten hat sich bereits in den Industrieländern als ökologisch nicht tragfähig erwiesen. Dezentrale Formen der Energieversorgung wie Kraftwärmekopplung, Solarenergie oder Biomasse hätten dann auch in den Entwicklungsländern keine Chance, während emissionsintensive Großkraftwerke im Rahmen von Joint Implementation möglich blieben.
Doch selbst die Hoffnung auf Technologietransfer durch Joint Implementation kann sich als trügerisch herausstellen. Wenn Aufforstungsprojekte wie in Malaysia tatsächlich als Joint Implementation zugelassen werden, könnten Entwicklungsländer aus dem Handel keinerlei technologischen Nutzen ziehen. NROs aus Entwicklungsländern wehren sich deshalb heftig gegen Wälder als CO2-Speicher des industrialisierten Nordens und greifen die Idee als Ausdruck von “carbon colonialism” an.
Noch ist sich die Gruppe der Entwicklungsländer weitgehend einig in ihrer Ablehnung von Joint Implementation. Mit dem Versprechen von zukünftigen Finanz- und Technologietransfers können die Industrieländer jedoch einen mächtigen Hebel ansetzen. In den Vorverhandlungen für den Klimagipfel Berlin’ 95 zeichnet sich ab, daß die Industrieländer sich mit einer Pilotphase für Joint Implementation werden durchsetzen können.