Aktuell | Argentinien | Nummer 596 - Februar 2024

Keine freie Fahrt für „Omnibus”

Argentiniens Präsident Milei stößt mit seinem Megagesetz und seiner Schocktherapie auf Widerstand

Argentiniens ultraliberaler Präsident Javier Milei hat nach seinem Amtsantritt am 10. Dezember 2023 schnell gezeigt, was Sache ist. Verkündet wurden zehn Sofortmaßnahmen zur Liberalisierung der Wirtschaft, ein Notwendigkeits- und Eildekret (DNU) und als Kernstück das sogenannte Omnibus-Gesetz. Mit letzterem will Milei faktisch die Gewaltenteilung aufheben und die legislative Macht in seinen Händen konzentrieren. Das Gesetz wird seit Ende Dezember in außerordentlichen Sitzungen im Kongress diskutiert, überschattet vom Generalstreik am 24. Januar, der sich gegen Mileis Schocktherapie richtete.

Von Martin Ling
Bei vielen nicht gern gesehen Milei und sein “Omnibus”-Gesetz

„Wir werden so lange kämpfen, bis das Notstandsdekret und das Omnibus-Gesetz fallen“, ruft Héctor Daer bei der Abschlusskundgebung. Daer ist Chef der CGT, der größten Gewerkschaft Argentiniens, die am 24. Januar zum Generalstreik aufgerufen hatte. Das Motto: „Das Heimatland steht nicht zum Verkauf”. Daer appellierte an die Abgeordneten, die in den nächsten Monaten über Hunderte geplante Gesetzesänderungen entscheiden müssen: „Handelt nicht versteckt im Dunkeln, schaut dem Volk ins Gesicht!”

Die offizielle Seite redet den ersten Generalstreik gegen den ultraliberalen Präsidenten Javier Milei nach nur 45 Tagen im Amt klein. 130.000 Menschen seien in der Hauptstadt auf der Straße gewesen, erklärt die Polizei am Abend, für Sicherheitsministerin Patricia Bullrich waren es sogar nur 40.000. Dabei sollen in Buenos Aires 600.000 dabei gewesen sein, im ganzen Land 1,5 Millionen, sagen die Gewerkschafter*innen.

Der Generalstreik wurde mit Bedacht auf den 24. Januar gelegt. Der argentinische Kongress aus Abgeordnetenhaus und Senat ist von Präsident Javier Milei angesichts der Sommerpause zu außerordentlichen Sitzungen einberufen worden, um über das Omnibus-Gesetz zu debattieren. Das Omnibus-Gesetz ist der bisher umfassendste Versuch Mileis, Argentinien nach seinen Vorstellungen umzugestalten, getreu dem sogenannten Washington Consensus von Liberalisierung, Deregulierung und Haushaltsdefizitreduzierung. Im Omnibus-Gesetz sind 664 Maßnahmen als bunter Mix (wie die Fahrgäste in einem Omnibus) zusammengefasst, die allesamt der Zustimmung des Kongresses bedürfen, in dem Milei mit seiner Partei La Libertad Avanza („die Freiheit schreitet voran“) nicht annähernd eine Mehrheit hat. In der Abgeordnetenkammer kommt Mileis Partei auf nur 38 von 257 Sitzen, im Senat nur auf sieben von 72 Sitzen. Peronist*innen und die trotzkistische Linke lehnen seine Vorhaben rundweg ab. Deswegen zielt Milei bei seinen Überzeugungsversuchen vor allem auf die heterogene „dialogbereite” Opposition im rechten Lager und im Zentrum auf die rechte Pro-Partei von Ex-Staatschef Mauricio Macri (2015-2019) sowie auf die zuletzt mit ihr verbündete zentristische Radikale Bürgerunion.

Die Schocktherapie hinterlässt bereits Spuren

Milei hat den Gesetzentwurf direkt nach Weihnachten am 27. Dezember unter dem hochtrabenden Titel „als Gesetz der Grundlagen und Ausgangspunkte für die Freiheit der Argentinier“ eingebracht. Damit will der ultrarechtsliberale Präsident das Land in wirtschaftlicher, sozialer und politischer Richtung komplett umkrempeln. Neben umfangreichen Privatisierungs-, Wirtschafts-, Wahl-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen wird eine Umstrukturierung der staatlichen Verwaltung vorgeschlagen. So sollen beispielsweise Einrichtungen wie das Institut gegen Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Rassis­mus (Inadi) abgeschafft werden. Noch am selben Tag nahmen laut Angaben der Gewerkschaften 20.000 Menschen an Protestdemonstrationen teil, die unter demselben Motto wie der Generalstreik standen: „Das Heimatland steht nicht zum Verkauf.“

Das Sammelgesetz wurde einen Tag nach der Vorstellung durch Milei am 28. Dezember in den Kongress eingebracht und wird seitdem in außerordentlichen Sitzungen während der parlamentarischen Sommerpause in drei Fachausschüssen debattiert. Mileis Plan, bis Ende Januar im Eilverfahren das komplette Omnibus-Gesetz über die Bühne zu bringen, ist bereits gescheitert. Der Präsident wollte, dass die Initiative im Eilverfahren behandelt und ohne Änderungen angenommen wird. Am 19. Januar sah sich die Regierung gezwungen, die Frist für außerordentliche Sitzungen bis zum 15. Februar zu verlängern. Und am 22. Januar legte die Regierung einen Kompromissvorschlag vor. Immerhin 141 der 664 Artikel wurden aus dem Sammelgesetz gestrichen und sollen ab März separat und einzeln ins Parlament kommen. Milei hat zähneknirschend zugestimmt, den „öffentlichen Notstand“, mit dem er die Exekutive für zwei Jahre mit legislativen Befugnissen ausstatten wollte – mit der Option auf eine weitere Verlängerung um zwei weitere Jahre und damit für die komplette Amtszeit – auf ein Jahr zu verkürzen. Und verlängert werden um ein weiteres Jahr könnte der „öffentliche Notstand“ nur noch mit Zustimmung des Kongresses. Auch bei den Privatisierungsplänen musste Milei Abstriche machen, der staatliche Erdölkonzern YPF wurde von der Liste der 41 öffentlichen Unternehmen, die zur Privatisierung vorgesehen waren, gestrichen. Andere werden nur „teilprivatisiert“, während die Regierung die staatliche Kontrolle behält. Weiter zur vollständigen Privatisierung stehen die Fluggesellschaft Aerolíneas Argentinas, die Eisenbahn, die Post und die öffentlichen Medien, wie die Nachrichtenagentur Télam.

Bei den Renten kam die Regierung mit ihrer Selbstermächtigung nicht durch: Die Regierung wollte sich die Befugnis geben, Erhöhungen per Dekret zu beschließen, jetzt bietet sie an, die vierteljährliche Erhöhung zum Ausgleich der Inflation bis März beizubehalten und ab April eine monatliche Anpassung der Renten an den Verbraucherpreisindex vorzunehmen.

„Das Heimatland steht nichtzum Verkauf“

„Wir haben in nichts nachgegeben, es gibt Verbesserungen, die wir akzeptieren“, sagte Milei. Diese Lesart hat er exklusiv. In den vergangenen Wochen gab es schon vor dem Generalstreik immer wieder Proteste auf den Straßen – gegen die geplante Erhöhung der Einkommenssteuer für die Mittelschicht, gegen die Renten- und Privatisierungspläne, kurzum gegen die Schocktherapie, die bereits Spuren hinterlässt. In vier Jahren der Mitte-links-Regierung von Alberto Fernández betrug der Kaufkraftverlust acht Prozent, im ersten Monat Mileis 15 Prozent.

Schon vor dem Omnibus-Gesetz hatte Milei am 20. Dezember das Dekret über Notwendigkeit und Dringlichkeit (DNU) vorgelegt. Es ist vorläufig seit dem 29. Dezember in Kraft und wird endgültig, wenn eine der beiden Kongresskammern zustimmt; lehnen es beide ab, wird es aufgehoben. Auch das DNU hat es in sich: Es sieht unter den mehr als 300 Maßnahmen unter anderem die Abschaffung des Mietgesetzes samt Mitpreisbremse vor und auch der bisher nur begrenzt mögliche Landkauf durch Ausländer*innen wird komplett liberalisiert.

Der Beginn der Schocktherapie wurde bereits in der ersten Regierungswoche von Finanzminister Luis Caputo mit zehn Sofortmaßnahmen verkündet: Unter anderem gibt es künftig neun statt 18 Ministerien, das öffentliche Bauwesen wird stillgelegt, der Peso wurde real um mehr als 50 Prozent abgewertet, Subventionen bei Transport, Gas, Strom zusammengestrichen. Die Argentinier*innen haben allen Grund, sich gegen die Kahlschlagspolitik zu wehren. Der Generalstreik war ein weiteres Signal dafür, dass Argentinien unruhige Zeiten bevorstehen.

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