Nummer 313/314 - Juli/August 2000 | Tourismus

Kindersextourismus per Telefon

Wie reagieren Reisebüros auf einen Päderasten?

Anfang der 80er Jahre wurde Sextourismus zum Gegenstand einer kritischen Öffentlichkeit. Zwar werden Kindersexreisen in arme Länder heute im allgemeinen nach außen hin rigoros verurteilt. Entsprechende Angebote sind aber leichter zugänglich als vielleicht vermutet. Wir haben zehn Reisebüros zufällig aus dem Telefonbuch ausgewählt, uns mit dem Namen Sieblow gemeldet und die Angestellten am anderen Ende der Leitung mit dem menschenverachtenden Bedürfnis nach Sex mit Kindern konfrontiert.

Harry Thomaß /Markus Mohr

Da fahren sie doch besser wieder nach Bangkok! Schönen guten Tag auch!“ Am anderen Ende der Leitung wurde der Hörer aufgelegt. So reagierte einer der wenigen, die den Herrn Sieblow moralisch verurteilten.
Wir haben uns gefragt, wie ein erster Zugang zu Kindersextourismus funktioniert. Da Kindersextourismus in der Gesellschaft tabuisiert und kriminalisiert ist, steht zunächst einmal zu vermuten, dass die meisten diesbezüglichen Kontakte über persönliche Verbindungen oder sogenannte „Ringe“ laufen. Eine weitere Möglichkeit, sich erste Kontakte zu verschaffen, besteht vermutlich darin, sich einmal im Internet umzuschauen. Obwohl der Geschlechtsverkehr mit unter 14-Jährigen selbst außerhalb des eigenen Staatsgebiets inzwischen unter Strafe steht, verzeichnen alle Statistiken über Kindersextourismus auch aus der BRD einen latenten Anstieg. Offenbar scheinen sich die in den hiesigen gesellschaftlichen Verhältnissen destruktiv verformten Triebe – trotz moralischer Ächtung, partieller Skandalisierung und strafrechtlicher Repression – zu potenzieren.
Uns interessierte die Frage, ob es sprachliche Schnittstellen zwischen der Gier nach Sex mit Kindern und der touristischen Infrastruktur geben könnte: den Reisebüros. Dabei besitzt dieser Zugang eine subjektive Seite: Wie reagieren die von uns angerufenen Beschäftigten in Reisebüros, wenn sie am Telefon mit einem derartigen Begehren nach Sex mit Kindern konfrontiert werden? Findet Herr Sieblow mit seinem „Interesse“ an Sex mit Kindern bei Reisebüroangestellten „Verständnis“, gar „ein offenes Ohr“ oder eine Form der Ablehnung und moralischen Verurteilung? Wie wirkt ein bestimmter Sprachcode in der Nachfrage nach Sextourismus in dieser Gesellschaft? Das dabei von uns gewonnene „Material“ kann zwar bei der kleinen Anzahl der Befragten nicht beanspruchen, repräsentativ zu sein. Dennoch, so finden wir, eröffnet die Stichprobe der von uns mitprotokollierten Gespräche einen weiten Horizont tatsächlicher Umgangsweisen mit dem Thema. Da wir Strategien einer vorschnellen Kriminalisierung wie auch der vordergründigen Skandalisierung für wenig hilfreich halten, wahren wir die Anonymität der von uns befragten Reisebüroangestellten. Schließlich sind diese ja nicht in erster Linie dafür angestellt, den Tabukatalog der bürgerlichen Gesellschaft zu exekutieren, sondern Tourismusgeschäfte zu machen.

Zur Konstruktion des „Herrn Sieblow“

Für unsere Anrufe haben wir uns „Herrn Sieblow“ konstruiert. Er stellte sich am Telefon als „etwas älter“, aber durchaus „kontaktfreudig“ vor und fragt zunächst nach so genannten „All-inclusive-Angeboten“ in Lateinamerika. Dabei gibt er als Begründung an, dass er „ja früher immer nach Bangkok gefahren“ sei, nun aber „die Nachbarn komisch“ darauf reagieren. Deswegen möchte er sich nun mal „umorientieren“ und dafür kann er sich seinen „Jahresurlaub“ durchaus „auch einiges kosten“ lassen.
Wir haben uns beim Aufsagen dieses Moderationstextes – ganz im Sinne der Alltagsweisheit „nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen“ – darum bemüht, ihn im Ton etwas verdruckst und leicht gehemmt vorzutragen. In gewisser Weise stellte der erste Teil des Gespräches eine Art Annäherung zu unserem GesprächspartnerInnen auf der anderen Seite der Leitung dar; eine allgemeine Nachfrage nach Informationen und Angeboten, wie sie pro Tag zigmal in einem Reisebüro vorkommt. Aus diesem Grund haben wir auch auf eine Protokollierung dieses Teiles des Gespräches verzichtet, wenn keine besonderen Reaktionen auf unsere eingestreute Bangkog-Bemerkung erfolgte. Wir gingen davon aus, dass beide Seiten am Ende der Telefonleitung um die moralische Ächtung wie Kriminalisierung des Problems wissen. Herr S. hat deshalb sein Interesse an Kindern sowohl in Form und Inhalt nur verschleiert im Sinne eines möglichen Missverständnisses in den Moderationstext eingeführt. Unsere GesprächspartnerInnen sollten jede Möglichkeit besitzen, darauf wie auch immer reagieren zu können. So lautete unsere Frage mit der entsprechenden Schlüsselformulierung in den Gesprächen folgendermaßen: Herr S.: „Das sind alles Inklusiv-Angebote, nicht? Sagen Sie, gibt es da von Ihnen aus ‘ne Möglichkeit, da auch einheimische Jugendliche mit kindlicher Ausstrahlung kennen zu lernen, äh, ob Sie da auch Kontakte hin vermitteln?“
Im Zusammenhang mit unserer vorherigen Ansprache an die Reisebüroangestellten musste die Formulierung mit dieser Reise „Jugendliche mit kindlicher Ausstrahlung kennen lernen“ zu wollen, als eindeutig begriffen werden. Die Konstruktion des Herrn S. sah vor, nach dem Stellen dieser Frage in der Regel dann keine weiteren Erörterungen und Nachfragen oder gar einen Streit mit den Reisebüroangestellten zu führen, wenn sie nicht auf dessen „Interesse“ eingingen. Schließlich wäre es absurd, wenn Herr S. unter dem Druck der staatlichen Repression in diesem Komplex mit einem ihm persönlich unbekannten Menschen am Telefon anfängt, einen Streit zu führen.

Zehn Gespräche über Kontakte zu Kindern

Im ersten Gespräch sprach Herr S. mit einer Frau mittleren Alters. Bei der Erwähnung von „Bangkokreisen“ lachte sie zunächst laut auf. In sehr freundlichen, warmen Ton plätscherte dieses Gespräch bis zur Erwähnung der Schlüsselformulierung dahin. Daraufhin machte sie zunächst eine lange Pause, um dann mit sehr entschlossenem und förmlichem Ton mitzuteilen: „Ich glaube nicht, dass wir dafür geeignet sind. So was tun wir nicht.“ Daraufhin beendeten wir dieses Gespräch.
Etwas anders gestaltete sich der Gesprächsverlauf mit der nächsten von uns angerufenen Reisebüroangestellten mittleren Alters. Sie hatte bereits im „Vorgespräch“ den Reisewunsch des Herrn S. auf Kuba gelenkt. Nach der Nennung der Schlüsselformulierung zeigte sich zunächst, dass sie das Anliegen des Herrn S. nicht richtig verstand: „Da können sie dort nur das Personal in den Anlagen kennen lernen. Kubaner haben dort keinen Zutritt.“ Im weiteren Verlauf des Gespräches zeigte sich dann aber, dass sie begann, sich das Begehren des Herrn S. zu Eigen zu machen: „Da würde ich Ihnen eher ‘ne Rundreise durchs Land empfehlen, wo sie dann bei kubanischen Familien untergebracht sind.“ Als Herr Sieblow auf die Nachfrage, ob er denn Spanisch spreche mit „Nö“ antwortete, rettete die Reisebüroangestellte diese Situation mit der Bemerkung: „Ach ja, die Leute sind dort so offen, man kann sich dort auch mit Händen und Füßen verständigen.“
Unser drittes Gespräch ebenfalls mit einer Frau mittleren Alters nahm einen eher strikten und kurz angebundenen Verlauf. Auf die Nennung unserer Schlüsselformulierung folgte ohne nennenswerte Pause als direkte Antwort: „Da müssen sie sich vor Ort selber ein Hotel suchen, das organisieren wir nicht.“ Die Versuche von Herrn S., die Angestellte am anderen Ende der Leitung durch mehrfache Nachfragen aus der Reserve zu locken, scheiterten.
In unserem vierten Gespräch sprach Herr Sieblow erstmals mit einem Reisebüroangestellten, Mitte 30. Nachdem wir in mittlerweile gewohnt gehemmter Weise nach Kontakten mit „Jugendlichen mit kindlicher Ausstrahlung“ gefragt hatten, machte er erstmal eine Pause. Wir hatten den Eindruck, dass er ein wenig schluckte. Mit erheblich langsamer Stimme fuhr er dann fort: „Naja, da müsste man dann zwischen den Zeilen lesen. Da könnte man schon was organisieren.“ Als Herr S. sein mögliches Interesse an der Karibik durchblicken ließ, drehte der Reisebüroangestellte in gewisser Weise die Gesprächsanordnung um, indem er antwortete: „Karibik ja, da müsste man mal schauen, kommen sie mal vorbei.“
Unser fünftes Gespräch mit einem jovial, aber geschäftig wirkenden Reisebüroangestellten endete überraschend kurz und schmerzlos. Nach der Nennung der Schlüsselformulierung antwortete er ohne Pause mit einer Gegenfrage: „Das weiß ich nicht, wir machen normale Reisen. Ich weiß ja nicht, was Sie da wollen?“ Als Herr Sieblow darauf die anspielungsreiche Bemerkung: „Man will ja nicht alleine bleiben!“ in das Gespräch einführte, erhielt er als unmissverständliche Antwort: „Das müssen Sie sich dann vor Ort organisieren.“
Das sechste Gespräch führte Herr S. mit einer deutlich älteren Reisebüroangestellten. Auf den Bangkok-Hinweis und den damit nun verbundenen Problemen mit der Nachbarschaft gab sie Herrn Sieblow noch den durchaus um Sachlichkeit bemühten Tipp: „Wieso, warum denn, da muss man drüber stehen.“ Nachdem aber die Schlüsselformulierung in das Gespräch eingeführt worden war, fiel ihr das Sprechen sichtlich schwerer. Auf die Frage nach der Vermittlung von „Kontakten zu Jugendlichen mit kindlicher Ausstrahlung“ antwortete sie: „Schwerlich, das müssen Sie dann selber organisieren. Ich weiß ja nicht, was Sie da vorhaben. Warum sind sie denn darauf so fixiert?“ Herr S. antwortete darauf ungelogen: „Ich möchte nicht allein bleiben“. „Wie alt sind sie denn?“, fragte die Reisebüroangestellte. Herr S. antwortete: „57“. Offensichtlich versuchte sich die Reisebüroangestellte über eine derartige Information näher an den Kunden heranzukommen und sich ein Bild von Herrn S. zu machen. Und so unterbreitete sie ihm nach der Bemerkung: „ Mhh, ach so,“ ein Urlaubsverlängerungsangebot von einer Woche, welches sie mit der aufschlussreichen Bemerkung verband: „Das wäre ja dann was für Ihre Richtung. Also am Strand von Salvador, da können Sie dann jemanden kennen lernen.“
Das siebte Gespräch führte Herr S. mit einem sehr netten, wohl jüngeren, geschäftigen Reisebüroangestellten, der sich keineswegs von dem Bangkok-Hinweis irritieren ließ. Es entfaltete sich eine offene Gesprächsatmosphäre. Der Angestellte präsentierte “All-inclusive-Angebote“ mit der eindeutigen Formulierung, dass es dort „keine Grenzen“ geben würde. Herr S. verstand diese Formulierung in seinem Sinne und war völlig überrascht, dass er als direkte Reaktion auf seine diesmal sicher und keck eingeführte Schlüsselformulierung zur Antwort bekam: „Da fahren Sie dann wohl besser wieder nach Bangkok, schönen guten Tag auch“, womit der Reisebüroangestellte den Hörer auflegte.
Im achten Gespräch kam es mit einem mittelalten Reisebüroangestellten nach der Erwähnung der Schlüsselformulierung zu einem Bruch im bis dahin geführten Gespräch. Mit einer erheblich ernsthafteren Stimme lehnte er das Geschäft zunächst ab: „Nee, kann ich nicht, und das würde ich hier auch nicht vermitteln“, verwickelte sich jedoch bei dem Versuch, eine direkte Verurteilung des Herrn S. zu vermeiden, in Widersprüche: „Das ist jetzt nicht gegen Sie persönlich, das ist keine Wertung. Aber wenn Sie das mit Ihrem Angebot vorhatten, dann tue ich das nicht.“
Im neunten Gespräch gewann Herr Sieblow den Eindruck, als würde er von einer möglicherweise aus Spanien oder Lateinamerika stammenden und auch etwas überarbeitet wirkenden Reisebüroangestellten mit seinem Ansinnen nicht recht verstanden. In stets gleichbleibender Stimme antwortete sie zunächst auf die „Kontakte zu …“ mit: „Ja, ja, ja“, um aber dann auf die Nachfrage: „Organisieren Sie das auch?“ ohne erkennbare Regung mit „Nein, tun wir nicht“ zu antworten.
Das letzte, das zehnte Gespräch, führte Herr S. mit einer außerordentlich professionellen Reisebüroangestellten. Nach dem Aussprechen der Schlüsselformulierung wies sie ihn ungerührt darauf hin, dass ihr Unternehmen, da es in der Karibik über keine persönlichen Kontakte verfüge, auch „keine Kontakte im Gegensatz zu Thailand“ vermitteln könnte. Als Herr Sieblow dann ganz direkt nach „Kontakten zu Kindern“ fragt, und die daraufhin erfolgende Zwischenfrage: „Was bezwecken Sie mit den Kontakten, was wollen Sie denn da?“ mit den Worten: „Ich bin lieb zu Kindern, und die sind lieb zu mir“ beantwortet, erhält er zunächst in ungerührtem Ton eine Absage: „Nee, das habe ich nicht.“ Als er noch einmal nachfragt: „Aber mit Jugendlichen und Erwachsenen?“ bekommt er allerdings die Antwort: „Ja, da habe ich Kontakte.“ Am Ende dieses durchaus vielversprechend zu nennenden Gespräches verspricht Herr Sieblow, sich auf jeden Fall wieder zu melden.

Eine kurze Bilanz

Als Ergebnis fassen wir unsere Gespräche wie folgt zusammen: Etwa ein Drittel der von uns Befragten vermittelte uns ihre mehr oder weniger deutliche Ablehnung jeder Art derartiger Geschäftshändel. Als am Extremsten – und aus unserer Sicht auch am Symphatischsten – kann dabei die Reaktion des einen Reisebüroangestellten am Anfang des Artikels gelten. Er verwies uns postwendend wieder auf unser Bangkok-Ticket, beendete das Gespräch ultimativ und legte den Hörer auf.
Ein weiteres Drittel machte klar, dass sie diese Form der Geschäftemacherei – aus welchen Gründen auch immer – nichts angeht. Prototypisch dafür die Aussage unseres fünften Gesprächspartners: „Das müssen sie sich dann vor Ort organisieren.“ Sie formulierten ihre Angebote und wiesen die Aufgabe solcher Kontaktherstellungen an Herrn S. zurück. Die Angestellten öffneten sich nicht für das schlüpfrig schmierige Bedürfnis des Herrn S. Diese Gespräche wurden dann auch schnell beendet.
Das letzte Drittel sah für sich eine Möglichkeit für ein Geschäft. Sie gingen entweder indirekt auf das Bedürfnis ein und wollten Herrn S. dabei helfen, die Angebote nach seinem Bedürfnis hin, zwischen den Zeilen zu lesen. Oder sie verstanden und interpretierten das Interesse des Herrn S. auf ihre Weise und boten ihm verschiedene Möglichkeiten an, sein Bedürfnis zu befriedigen.
Das reichte von Kontakten zu Gastfamilien bis zur Verlängerungswoche am Strand von Bahia. Diese Angebote waren natürlich in der kurzen Zeit am Telefon sehr holzschnittartig. Durch die Brille eines Päderasten gesehen, konnten wir den Kontakt zu kubanischen Gastfamilien als einen zu Eltern verstehen, die ihre Kinder prostituieren. Zugegeben, diese Interpretation geht vielleicht an der Intention der Angestellten vorbei, doch waren wir verblüfft, wie leicht es den GesprächspartnerInnen fiel, auf unsere ungenauen Nachfragen und Bedürfnisse hin ihr Angebot zu formulieren.
Am Telefon werden die vorliegenden Angebote von den ReisebüroangestelltInnen natürlich grob auf die Bedürfnisse eines Anrufers projiziert. Die „Nagelprobe“ eines definitiven Geschäftsabschlusses führten wir schlussendlich bei unserer Recherche nicht durch.
Ganz direkt formulierte Herr S. sein Bedürfnis nach Sex mit Kindern, als er mit einer Reisebüroangestellten sprach, die ihm ganz offen ein Angebot zum Sextourismus in Thailand unterbreitete. Nur Sex mit Kindern hatte dieses Reisebüro nicht im Programm. Eine Verlängerungswoche in Salvador do Bahia für eine Single-Kulturreise durch Südamerika wurde uns genau unter Hinweis auf unsere Nachfrage angeboten: „Das wäre doch was für Sie! Mit ein bisschen Zeit können sie am Strand solche Kontakte schließen.“

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