Bolivien | Nummer 423/424 - Sept./Okt. 2009

Klare Sache

Opposition liegt vor den Präsidentschaftswahlen im Dezember aussichtlos im Hintertreffen

Die Opposition in Bolivien kann sich bei den kommenden Wahlen kaum Chancen ausrechnen. Dies liegt nicht allein an der konstant hohen Popularität von Präsident Evo Morales. Durch Uneinigkeit und fragwürdige KandidatInnen demontiert sich die Rechte selbst.

Benjamin Beutler

Die Sieger der kommenden Präsidentschafts-, Parlaments- und Senatswahlen am 6. Dezember in Bolivien stehen schon jetzt fest: Niemand zweifelt ernsthaft an einer Wiederwahl von Präsident Evo Morales Ayma und dessen Vize Álvaro García Linera. Für das beliebte Doppel im Palacio Quemado von La Paz errechnete das renommierte Institut für Meinungsforschung Gallup International Anfang September Zustimmungswerte von 57 Prozent. Demnach blieben die beiden mächtigsten Posten im Lande bis 2014 in den Händen des Gewerkschafters Morales und Soziologen Linera. Die regierende Bewegung zum Sozialismus (MAS) bliebe somit auch weiterhin unangefochten die tonangebende Partei in dem 9-Millionen-Einwohnerland zwischen Anden und Amazonas.
Die unzähligen Rechtsgruppierungen des Landes haben die für sie ungünstigen Verschiebungen in der politischen Geografie begriffen. Eine letzte Chance auf politische Teilhabe sehen sie nun darin, so viele Sitze in Parlament und Senat wie möglich zu ergattern. Das Präsidentenamt ist längst in unerreichbare Ferne gerückt. Während „Morales im Fall der Wiederwahl seiner Politik und den Kampf um die totale Hegemonie der Macht Kontinuität verleihen wird, versucht die Opposition ein Gegengewicht zu schaffen“, bringt der bolivianische Politikwissenschaftler Franklin Pareja die strategischen Überlegungen des Wahlkampfes auf den Punkt.
Die Idee einer rechten „Anti-Morales-Einheitsfront“ zwecks Vereinigung aller Stimmen auf einen Gegenkandidaten ist gescheitert. Nicht allein die Eitelkeiten einzelner Politiker, die ihre Ambitionen auf den Einzug in den Präsidentenpalast um jeden Preis aufrechterhalten wollten, standen dem im Wege. Vor allem fehlt es dem rechten Lager an einer glaubwürdigen politischen Alternative zur vom MAS propagierten Politik des Wandels. Das Morales-Lager schickt sich mit neuen Kandidaten aus der Mittelschicht wie der ehemaligen Parlaments-Ombudsfrau Ana María Romero unterdessen an, in Parlament und Senat die Stimmenmehrheit an sich zu reißen. Bisher wurde der Senat von der neokonservativen PODEMOS-Partei kontrolliert. „Die Regierungspartei streitet um das Privileg, die Geschichte des Landes neu zu schreiben und dies auf eine noch radikalere Art und Weise als bisher“, so Pareja.
Wegen des sich verknappenden Angebots im Selbstbedienungsladen des bolivianischen Politik-Business war das Karriere- und Personalkarussell wenige Wochen vor dem Wahltag des 6. Dezember heftig in Schwung geraten. Angesichts der drohenden, weiter schwindenden Macht der alten Eliten aus Tief- und Hochland war die Parteienlandschaft rechts von der MAS zunächst in einen schwer überschaubaren Zustand nervös-hektischer Bewegung übergegangen. Gerade unter den ehemaligen Mitgliedern der abgewirtschafteten traditionellen Rechtsparteien (MNR, MIR, ADN), die sich seit dem Sturz des neokonservativen Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada im Oktober 2003 in einem rasanten Prozess permanenter Auflösung befinden, war es zum gnadenlosen Hauen und Stechen um Pöstchen und Einfluss gekommen. Das Motto: Rette sich wer kann. Zu Beginn der ersten Septemberwoche endete die offizielle Einschreibefrist der Kandidaturen und Listen beim zuständigen Obersten Nationalen Wahlgericht (CNE).
Das Panorama der neu formierten Wahl-Allianzen und Koalitionen ist ein klarer Beleg für die verbissene Verzweiflung, die sich unter der an Privilegien, Vetternwirtschaft und Kleptomanie auf Staatskosten gewöhnten Polit-Kaste breit gemacht hat. Koste es, was es wolle – Machterhalt steht vor Programm, Ideologie oder Verantwortungsbewusstsein. Zeugnis par exellence für die Arroganz der Politdinosaurier ist die Kandidatur des Doppels Manfred-Leopoldo. Der in der berüchtigten US-Militärschule Las Americas ausgebildete Ex-Präfekt des zentralbolivianischen Departamento Cochabamba, Manfred Reyes Villa war beim Amtsenthebungsreferendum im August 2008 abgewählt worden. Er kandidiert zusammen mit dem seit einem Jahr in Untersuchungshaft sitzenden Ex-Präfekten von Pando, Leopoldo Fernández Ferreira. Reyes ließ die Proteste des so genannten Wasserkriegs, als Cochabambas BewohnerInnen im Frühjahr 2000 gegen zu hohe Wasserpreise auf die Straße gingen, gewaltsam unterdrücken. Gegen Fernández ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Mordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er soll direkt am „Massaker von Pando“ beteiligt gewesen sein. Vor einem Jahr waren dabei 18 MAS-Anhänger, vor allem indigene Bauern, von schwer bewaffneten Präfektur-Angestellten mit für Bolivien beispielloser Gewalt ermordet worden. Aus dem Gefängnis San Pedro in La Paz verkündete der Großgrundbesitzer Fernández, der vom sporadischen Wahlbündnis Plan Fortschritt aufgestellt wird, ungeniert seine Ziele. Er kämpfe „für die Wiederherstellung der Demokratie.“ Bolivien sei unterdrückt von „Hochstaplern, die von Demokratie reden, aber diktatorisch handeln. Schaut nach Venezuela, dann wisst ihr, in was sich Bolivien verwandeln wird.“ Morales kritisierte die zynische Kandidatur des vorgeblichen Saubermanns: „Geld allein reicht nicht, es bedarf Programme, denen der Wähler vertrauen kann.“ Bis zu einem Urteil habe der Tieflandpolitiker aber das uneingeschränkte Recht, sich als Vizepräsident zu bewerben. Die Polit-Gruppierung Plan Fortschritt für Bolivien – Nationaler Zusammenschluss (PPG-CN) ist eine Ansammlung von 18 Splittergruppen, die aus der Nationalistisch-Revolutionären Bewegung (MNR) des in die USA geflüchteten Sánchez de Lozada hervorgegangen ist. Vor bolivianischen Gerichten muss dieser sich weiterhin für den Schießbefehl auf DemonstrantInnen verantworten. Bei den Oktober-Protesten 2003 gegen den Export von Gas nach Kalifornien über das Staatsgebiet des historischen Rivalen Chile, erschossen Militärs 67 Zivilisten und verletzten über 500 zum Teil schwer. Nach wie vor verweigern US-Behörden jedoch die Auslieferung des bolivianischen Ex-Präsidenten mit US-Pass.Dass die MNR zum ersten Mal seit der Wiederherstellung der Demokratie in Bolivien 1983 nicht an den Wahlen teilnimmt, zeigt zum einen die Totalität der Legitimationskrise der alten Parteien. Sie zeigt aber auch die Wandlungsfähigkeit seiner Ex-Mitglieder, die ihre Fahne in den Wind zu hängen wissen und in flugs aus dem Boden gestampften Pseudobürgerbewegungen neues Glück suchen. Was der Rechten hingegen fehlt ist eine überzeugende Führungspersönlichkeit, die sie in den Veteranen Reyes-Fernández wohl kaum gefunden haben wird. „Morales ist ein Caudillo, der ein Gemenge verschiedenster Kräfte dahin dirigieren kann, wo er sie haben will. Die Regierungsgegner wollen so jemanden natürlich auch“, sagt Polit-Analyst Raúl Maldonado.
Unabhängige Intellektuelle warnen schon jetzt vor neuen Konflikten nach den Wahlen. „Die Kandidatur Manfred-Leopoldo ist doch eine Kandidatur der Konfrontation und Obstruktion; sie ist der letzte Versuch, den Reformen der neuen Verfassung Hindernisse in den Weg zu legen. Sollten diese Extremen sich durchsetzen oder den Senat kontrollieren, dann bedeutet das noch mehr gewalttätige Auseinandersetzungen, Verzögerungen, Probleme zwischen Regierung und den Präfekten sowie Bürgerkomitees, mehr Risiko einer Spaltung des Landes“, meint der bekannte Historiker und Schriftsteller Ramón Rocha Monroy. Die Anwältin der Opfer des Pando-Massakers, Mary Carrasco, sieht einen ganz anderen Beweggrund für die Fernández-Kandidatur. Alles sei Kampagne, um sich im In- und Ausland als politisch Verfolgter darzustellen und einen anstehenden Prozess zu verhindern. Der Ex-Präfekt sei angesichts erdrückender Beweislast höchstens „Kandidat für das Hochsicherheitsgefängnis Chonchocoro als für das Amt des Vizepräsidenten“, ärgert sich die Juristin.
Der Zementfabrikant und Ex-Planungsminister Samuel Doria Medina und dessen Partei Nationale Einheit (UN) haben sich derweil vorsichtig der Tieflandopposition in Santa Cruz de la Sierra angenähert. Der amtierende Senatspräsident und Unternehmerliebling Oscar Ortíz ist von seiner bisherigen Partei PODEMOS zu Medina übergelaufen. Im Wahlkreis Santa Cruz will der Tiefland-Autonomie-Hardliner erneut Senator werden. PODEMOS, die zweitstärkste Kraft der Wahlen von 2005, ist endgültig implodiert. Dafür sorgte der überraschende Rückzieher des PODEMOS-Vorsitzenden und Ex-Präsidenten Jorge „Tuto“ Quiroga (2000-2001) als Präsidentschaftskandidat. Er sah keine realistische Chance für „ein Bolivien mit Arbeitsplätzen, einer unabhängigen Justiz und ohne Kokain und Drogenhandel”. Die PODEMOS-Abgeordneten suchen jetzt nach neuer Betätigung.
Einen Tag vor Quiroga hatte sich Víctor Hugo Cárdenas, Ex-Vizepräsident Boliviens, aus dem Rennen verabschiedet. “Wir wollen eine Stimmenstreuung verhindern“, so der Aymara-Indigene, der seine Ambitionen als Chef einer rechten Einheitsfront als gescheitert bezeichnete. Immerhin bestehe nun ein „Block, der die Stimmen vereint, um das MAS-Doppel herauszufordern.”
Der Opposition steht aller Voraussicht nach die Fortsetzung des Wegs in die politische Wüste bevor. Seit dem historischen MAS-Wahlsieg 2005 hatte sie bei sämtlichen Wahlgängen (Autonomiereferendum und Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung im Juni 2006, Amtsenthebungsreferendum im August 2008, Plebiszit zur Annahme der neuen Magna Charta im Januar 2009) wiederholt herbe Niederlagen einzustecken. Vieles spricht zudem heute dafür, dass die insgesamt rund vier Millionen Stimmberechtigten den Einfluss der RegierungsgegnerInnen weiter eindämmen wollen. Der Großteil der BolivianerInnen ist es leid, in einem politischen Klima der Konfrontation zu leben, in dem die Oppositionsbank allein auf die Blockade von Gesetzen (über 500 MAS-Vorlagen wie ein Anti-Korruptionsgesetz sind gestoppt) und das Schüren regionaler Streitigkeiten (Sezessionsbestrebungen der Tiefland-Oligarchie) setzt. Durch diese sture Unverantwortlichkeit hatte die Opposition das Land der 36 Ethnien im September 2008 bewusst an den Rand eines Bürgerkrieges manövriert. „Der Plan der Opposition ist weiterhin, Morales zu stürzen und das Regierungsmodell zu ändern: Ein unerreichbares Vorhaben“, prognostiziert der Politikexperte Marcos Domic. Gerade weil die pragmatische Allianz der Morales-Gegner allein ihr politisches Überleben sucht, wird sie dieses Mal wohl eindeutig scheitern.

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