Kommt der Frühling?
Was die Proteste in Guatemala enthüllen
Die Internationale Kommission gegen Straflosigkeit hat am vergangenen 16. April ein kriminelles Netzwerk aufgedeckt, das vom Privatsekretär der guatemaltekischen Vizepräsidentin Roxana Baldetti Elías angeführt wurde.
Für die Mehrheit der guatemaltekischen Bevölkerung steht außer Frage, dass auch die Vizepräsidentin darin verwickelt war. In sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook formierten sich Gruppen, die ihren sofortigen Rücktritt forderten. In der Folge kam es zu kleineren Kundgebungen, die am 25. April mit einer ersten großen Demonstration ihren Höhepunkt erreichten.
Am traditionellen Marsch zum Tag der Arbeit am 1. Mai demonstrierten die Teilnehmenden insbesondere gegen die Korruptionsmachenschaften und verlangten nicht nur den Rücktritt Baldettis sondern auch den des Präsidenten Otto Pérez Molina. Seit Anfang Mai findet jeden Samstag eine große Kundgebung auf der Plaza de la Constitución statt.
Obwohl verschiedene „Analyst*innen“ diese Versammlungen als etwas Neues verstanden haben wollen, ist dem nicht so. Seit die aktuelle Regierung an der Macht ist, kam es vor allem auch außerhalb der Hauptstadt zu vielen Kundgebungen gegen Bergbau- und Wasserkraftwerkprojekte, die auf die Interessen der Lokalbevölkerung keinerlei Rücksicht nehmen.
Auf geschickte Art und Weise sorgten Regierung und verantwortliche Unternehmen dafür, dass in den Medien die Kundgebungen entweder kaum erwähnt oder in Misskredit gezogen und die Teilnehmenden als Antinationale verunglimpft wurden. So gelang es ihnen, mindestens bei der urbanen Mittelschicht einen entsprechend schlechten Eindruck der Kundgebungen zu erwecken.
Indessen folgte in der Amtszeit von Pérez Molina und seiner Vizepräsidentin Baldetti Elías ein Korruptionsskandal dem nächsten, während die Bevölkerung angehalten wurde, brav ihre Steuern zu entrichten. Durch diese Skandale haben die als Politiker*innen getarnte Kriminelle erreicht, dass weite Teile der Bürger*innen das Vertrauen verloren haben und Politik als Ganzes ablehnen. Bis zu jenem 25. April hielten sie Politik machen für eine kriminelle Tätigkeit, der es nicht viel entgegenzusetzen gab. Heute sehen wir, wie ein bedeutender Teil der Mittelschicht langsam aufwacht und beginnt, sich dagegen zu wehren. Sie machen Politik, indem sie sich von der bestehenden lossagen. Auf die anfänglichen Rücktrittsaufrufe folgten weitere, tiefergehende Forderungen nach Reformen der politischen Ordnung wie beispielsweise der Erneuerung des Wahlsystems.
Bis jetzt haben wir eher spontane Reaktionen aus diversen Sektoren der Gesellschaft erlebt, ohne große Koordination und ohne politische Führung. Man ist dabei, eine solche aufzubauen. Dabei sind einem solchen Führungsgremium lediglich funktionelle Grenzen gesetzt. Es müssen geeignete Organisationsformen und Ziele gefunden werden, die man gemeinsam erreichen möchte.
Guatemala, 18. Mai 2015