Aktuell | Guatemala | Militär | Nummer 550 – April 2020 – Onlineausgabe

AUSNAHMEZUSTAND DER PERVERSION

Mit der Regierung von Alejandro Giammattei tritt auch das Militär an

Guatemalas neuer Präsident, Alejandro Giammattei, beginnt seine Regierungszeit mit starker Präsenz des Militärs und einer Rede zugunsten der wirtschaftlichen Elite. Es ist eine Tendenz zu autoritärer Regierungsführung und wachsender Feindseligkeit gegenüber den Verteidiger*innen von Land- und Menschenrechten zu beobachten. Neue Gesetze sowie die Präsenz des Militärs in zivilen Funktionen bringt die Demokratie in Guatemala in Gefahr – und die neue Krankheit COVID-19 wird dafür als Schützenhilfe missbraucht.

Von Fernando Castillo & Laura Sofía Salas, VOCES de Guatemala en Berlín (Übersetzung: Elisabeth Erdtmann)

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Ausnahmezustand in Villa Nueva Das weckt traurige Erinnerungen (Foto: Carlos Sebastian)

Am 14. Januar dieses Jahres trat Alejandro Giammattei seine Amtszeit als Guatemalas neuer Präsident an. Der rechte Kandidat der Partei Vamos hatte im August 2019 die Präsidentschaftswahlen gewonnen – allerdings nur mit knapp einem Viertel der Stimmen aller Wahlberechtigten (siehe LN 543/544). Bereits zwei Tage nach seinem Amtsantritt, am 16. Januar, erklärte er in zwölf Gemeinden des Landes den präventiven Ausnahmezustand bis zum 11. Februar. Bemerkenswert ist, dass nur vier davon zu den Gemeinden mit dem höchsten Unsicherheitsfaktor gehören, laut dem 2019 vorgelegten Index über Kommunale Prioritäten. In einem offiziellen Video kündigte Giammattei diese Maßnahmen als Teil seines Kampfes gegen die Unsicherheit an, die sich im ganzen Land ausbreite. Ihm zufolge bestehe das Ziel „darin, Verbrechen zu verhindern, aber vor allem die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten.” Im gleichen Video fordert der Präsident die guatemaltekische Bevölkerung auf, Kriminelle und Delinquenten anzuzeigen. Damit will er das Vertrauen und die Unterstützung der Bevölkerung durch populistische Maßnahmen gewinnen, die an einen sensiblen Aspekt der guatemaltekischen Realität rühren, nämlich die Unsicherheit auf den Straßen.

In der Geschichte Guatemalas hat der Gebrauch des Ausnahmezustands Tradition. Der guatemaltekische Jurist und Politologe Miguel Ángel Reyes Illescas stellt fest: „Die kommunalen Ausnahmezustände erinnern an Präsident General Arana in den frühen siebziger Jahren, der während seiner ganzen Amtszeit mit dem Ausnahmezustand in der gesamten Republik regierte und die Politik der Aufstandsbekämpfung einleitete, der Präzedenzfall für Aktionen der verbrannten Erde und Völkermord.”

Ausnahmezustände sind zum bevorzugten Instrument des Staates geworden

Ausnahmezustände müssen nicht vom Kongress genehmigt werden und erlauben es der Exekutive, Maßnahmen zur Militarisierung öffentlicher Dienstleistungen zu ergreifen, Streiks zu verhindern und das Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung für 15 Tage einzuschränken. Wie es scheint, sind sie zum bevorzugten Instrument des Staates geworden, um bei Sicherheitsfragen, aber auch bei Konflikten zwischen nationalen und transnationalen Unternehmen und Gemeinschaften mit der Zivilgesellschaft zu intervenieren. Dies geschieht zum Beispiel in San Juan Sacatepéquez, wo seit 2005 ein ungelöster Konflikt zwischen der Kaqchikel-Gemeinde und dem Unternehmen Cementos Progreso herrscht. Obwohl sich 99 Prozent der Einwohner*innen bei einer Befragung der dortigen Gemeinde 2007 gegen den Bergbau ausgesprochen haben, fördert Cementos Progreso weiterhin natürliche Ressourcen – mit Unterstützung der Regierung. Mehr als zwanzig Menschen sind in diesem Zusammenhang getötet worden. In diesen Fällen offenbaren die militärischen Interventionen Absichten anderer Art: Anstatt der Bevölkerung Sicherheit zu garantieren, werden sie zur Einschüchterung eingesetzt. Laut dem guatemaltekischen Kollektiv Festivales Solidarios sind diese „Morde wie der an Schwester Berta Cáceres, Betty Cariño, Macarena Valdez und vielen Verteidigern des Lebens ein Beweis dafür, wie sich Regierungen, Militär und Paramilitärs an der Macht gehalten haben.”

Schon Jimmy Morales, Giammatteis Vorgänger, hatte die Remilitarisierung des Landes vorangetrieben, indem er die Armee in zivile Funktionen wie Katastrophenhilfe und innere Sicherheit einbezog. Ein Beispiel dafür ist der von ihm 2016 im ganzen Land verhängte Ausnahmezustand wegen der Auswirkungen der Regenzeit, die allerdings gar keine Katastrophe von nationaler Tragweite verursacht hatte. Dieses Vorgehen löste in der Bevölkerung viel Kritik aus, denn das Fehlen einer logischen Erklärung zeigte den Machtmissbrauch des Präsidenten und seiner Minister. Bei einer anderen Gelegenheit umgab Morales sich mit Militärs, um anzukündigen, dass er den Vertrag mit der Internationalen Kommission gegen Korruption und Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) nicht verlängern werde.

„Das Militär hat nie aufgehört, direkten Einfluss auf Staat, insbesondere auf Exekutive zu nehmen.“

Der derzeitige Präsident Giammattei setzt die Berufung von Militärs in die wichtigsten öffentlichen Ämter und Sicherheitsorgane fort. So ernannte er beispielsweise den pensionierten General Edgar Leonel Godoy Samayoa zum Innenminister. Godoy Samayoa gehörte dem illegalen Sicherheitsapparat La Cofradía an, der in den 1980er Jahren begann, Zoll und Schmuggel, Steuerbetrug sowie den Transfer von Drogen, Waffen und Migrant*innen zu kontrollieren. In diesem Zusammenhang bekräftigt der Politologe Reyes Illescas, dass „das Militär nie aufgehört hat, direkten Einfluss auf den Staat und insbesondere auf die Exekutive zu nehmen. Teilweise, weil die Gesetze es so regeln, einschließlich der Verfassung der Republik”. Der von der aktuellen Regierung vorgelegte Nationale Plan für Innovation und Entwicklung (PLANID) für 2020 bis 2024 bezieht sich auf Artikel 244 der Verfassung, um die Erweiterung der Ressourcen und Handlungsspielräume der Armee zu rechtfertigen. In diesem Artikel heißt es, dass „die guatemaltekische Armee eine Institution zur Wahrung der Unabhängigkeit ist, der Souveränität und Ehre Guatemalas, der Integrität des Territoriums sowie des inneren und äußeren Friedens und der Sicherheit”. Präsident Giammattei nutzt diese Rechtslage jedoch nicht nur, um die Präsenz der Armee im öffentlichen Raum zu rechtfertigen und zu verewigen, sondern geht noch darüber hinaus.

Das Militär ist wieder stark Schon der vorherige Präsident, Jimmy Morales, umgab sich mit der Armee (Foto: Carlos Sebastian)

Außerdem stellte Giammattei Ende Januar drei Gesetzesinitiativen zur Reform von Sicherheitsbereichen vor, die wegen ihrer Doppeldeutigkeit und des politischen Drucks darauf, ihre Verabschiedung zu beschleunigen, Anlass zur Sorge geben. Die Gesetzesvorlage 5694 sieht die Auflösung des Sekretariats für Sicherheitsangelegenheiten (SAAS) vor, das nach dem Friedensabkommen als Ersatz für den präsidialen Generalstab geschaffen wurde. Die SAAS ist eine zivile Einrichtung, die für die Sicherheit des Präsidenten zuständig ist, im Gegensatz zum Generalstab, der eine militärische Einrichtung war. Giammattei verstößt gegen das Friedensabkommen, indem er die Schaffung einer präsidialen Leibwache vorschlägt, die wieder der Armee unterstehen soll.

Ein weiterer Gesetzentwurf mit der Kennziffer 5693 zielt auf Artikel 24 des Strafgesetzbuches ab und versucht, die Definition „legitime Verteidigung” zu erweitern. Sicherheitselemente und Bürger*innen, die Waffen zur Selbstverteidigung oder zur Verteidigung einer anderen Person benutzen, könnten so von der strafrechtlichen Verantwortung ausgenommen werden. Nach Angaben der Generaldirektion für Waffen und Munition (Digecam) wurden im Jahr 2019 durchschnittlich 116 Waffen pro Tag registriert. Angesichts dieses Panoramas könnte der Entwurf Straffreiheit für diejenigen begünstigen, die Verbrechen mit Schusswaffen begehen, anstatt die Sicherheitsgarantien zu verbessern.

Die Gesetzesinitiative 5692 schließlich zielt auf eine Reform des Dekrets 17-73 und des Artikels 391 des Strafgesetzbuches ab, wodurch Terrorismus als die Absicht der Störung der sozialen und öffentlichen Ordnung definiert wird. Die offizielle Rhetorik versichert, dass die Änderung auf die Bekämpfung von Banden ausgerichtet ist. Die Initiative jedoch erwähnt diese gar nicht, sondern typisiert jede „Gruppe oder Person, die den sozialen Frieden oder die öffentliche Ordnung verletzt” als Terrorist*innen. Daraus ergibt sich die Sorge, dass sie gegen Menschenrechts-, Gemeinde- und Gebietsrechtsverteidiger*innen eingesetzt werden könnte. Allgemein nimmt die Feindseligkeit ihnen gegenüber sichtbar zu.

Während der Corona-Epidemie kommt es zu Entscheidungen hinter verschlossenen Türen

Die Taktik der Regierung, der Armee und der wirtschaftlichen Eliten lässt die Wunden der Vergangenheit wieder aufbrechen. Für Raúl Molina, Mitbegründer und Vizepräsident des Netzwerks für Frieden und Entwicklung in Guatemala steht fest: „Die Streitkräfte, die sich nicht wesentlich verändert haben, befinden sich weiterhin im Krieg gegen die Teile der guatemaltekischen Gesellschaft, die Menschenrechte, Wahrheit, historisches Gedächtnis und Gerechtigkeit fordern, die sie als Kommunisten oder Linke bezeichnen. Die Unterdrückung ist nicht mehr so massiv, aber die Gewalttaten gehen weiter, vor allem in den ländlichen Gebieten. Es ist klar, dass das Ziel darin besteht, das politische, soziale und wirtschaftliche Leben durch Angst zu beherrschen. Machtmissbrauch und Gewalttaten, wie sie während der von Jimmy Morales erklärten Ausnahmezustände im Nordosten des Landes begangen wurden und das militärische Spektakel, als Giammattei die präventiven Ausnahmezustände erklärte, versuchen in der bäuerlichen und Arbeiterbevölkerung Angst zu schüren. Sie erinnern an die Politik des Völkermords und der verbrannten Erde, die die Streitkräfte während des internen bewaffneten Konflikts angewendet haben”.

Für aktive Teile der Gesellschaft endet die Bedrohung damit nicht, denn vor kurzem wurde der als NRO-Gesetz bekannte Gesetzentwurf mittels eines Tricks verabschiedet. In einer seiner Bestimmungen ist festgelegt: „Es dürfen keine Spenden oder externe Mittel für Aktivitäten verwendet werden, welche die öffentliche Ordnung auf nationalem Territorium stören.” Andernfalls „wird sie sofort aufgelöst und deren Führung zur Verantwortung gezogen”. Der Begriff „öffentliches Ärgernis” ist wieder einmal mehrdeutig, es ist das gleiche Muster zu beobachten wie bei anderen aktuellen Gesetzesinitiativen.

Die zweideutigen Gesetzestexte öffnen autoritären Regierungen und dem Eindringen des Militärs in die Innenpolitik Tür und Tor, da sie die freie Auslegung der Behörden erlauben. „Wenn wir zum Beispiel demonstrieren, um Verbesserungen in den Heimen mit staatlicher Kinderbetreuung zu fordern, könnte der Präsident in Erwägung ziehen, dass wir die öffentliche Ordnung stören und das würde bedeuten, dass wir aufgelöst werden”, erklärt Paula Barrios, Koordinatorin der Organisation Frauen verändern die Welt, gegenüber der Online-Zeitung Nómada. Das Gesetz wurde dank des vom Verfassungsgericht gewährten vorläufigen Schutzes ausgesetzt. Giammattei versuchte, wie Jimmy Morales im Fall der CICIG, sich dem Urteil des Gerichtshofs zu widersetzen, musste sich aber dem Druck nationaler und internationaler Organisationen beugen. Widerstrebend kündigte er an, dass sein Regierungsteam eine neue Initiative mit einigen Änderungen vorlegen werde.

Paradoxerweise scheint die Regierung die Zivilgesellschaft für feindlich erklärt zu haben. Interessant ist, dass der Plan der Regierung die Absichten der derzeitigen Administration nicht verbirgt. Er ist voller Hinweise bezüglich der Verteidigung von Unternehmen und Privateigentum und definiert als „Quelle der Kriminalität” ausdrücklich „soziale Konflikte in Spannungsfeldern wie Bergbau, Wasserkraft und landwirtschaftliche Gebiete.” Im Gegensatz zum Wesen einer demokratischen Regierung verbirgt die von Alejandro Giammattei nicht, dass sie sich hauptsächlich um die Interessen der Eliten kümmert. Nur so erklären sich die ständigen Angriffe auf die demokratischen Institutionen in den letzten Jahren.

Hinzu kommt aktuell, dass der zur Bekämpfung der Epidemie von COVID-19 ausgerufene Katastrophenfall nun dazu genutzt wird, wichtige Entscheidungen hinter verschlossenen Türen zu treffen. So geschehen im Fall der Wahl der amtierenden und stellvertretenden Richter des Obersten Wahlgerichtshofes (TSE), die eine entscheidende Rolle bei der Regelung und Überwachung des Verhaltens der politischen Parteien, ihrer Finanzierung und ihrer Aktivitäten spielen. Wie die Zeitung Nómada hervorhebt, „ist das Erreichen eines gefälligen TSE eines der Hauptinteressen undurchsichtiger Parteien.” Anstatt einen Zustand der Prävention anzustreben, scheint sich die neue Regierung Guatemalas in einem anhaltenden Zustand der Perversion zu begeben.

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