Krieg im Paradies
Ein Roman von Carlos Montemayor läßt die andere mexikanische Guerilla wieder auferstehen.
In den 70er Jahren hatte Mexiko bei westeuropäischen Linken einen sehr guten Ruf. Das Land galt als sichere Zuflucht für die Flüchtlinge aus Pinochets Chile, beharrte auch gegen den Druck aus den USA auf freundschaftlichen Beziehungen zum revolutionären Kuba, und war bis in die 80er Jahre der Sitz verschiedenster lateinamerikanischer Guerillaführungen und Exilregierungen. Auch in Mittelamerika unterstützte die mexikanische Auslandspolitik die salvadorianische FMLN (Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí) und nicaraguanische FSLN (Nationale Befreiungsfront der Sandinisten) durch verschiedene Verhandlungsinitiativen. Innenpolitisch steht die Regierung Echeverría (1970-1976) bis heute für den Ausbau des Sozialstaats und damit die Umverteilung der im „mexikanischen Wirtschaftswunder“ erarbeiteten Reichtümer auf die breite Bevölkerung.
Dieses Mexiko vom Anfang der 70er Jahre beschreibt auch der Roman Krieg im Paradies von Carlos Montemayor. Er zeigt jedoch eine ganz andere Wirklichkeit hinter der fortschrittlichen Kulisse: Die extreme Armut der Bauern im südwestlichen Bundesstaat Guerrero und ihre Konsequenzen. Montemayor rekonstruiert eine Geschichte, die auch die meisten linken MexikanerInnen des urbanen Mittelstands bis heute nur lakonisch als „Alptraum“ oder „schlechte Erfahrung“ abtun: Den bewaffneten Kampf der ersten mexikanischen Guerillabewegungen.
Illegale Intellektuelle?
Lucio Cabañas, ein Grundschullehrer aus der Kleinstadt Atoyac, gründete 1967 die Partido de los Pobres (Partei der Armen) als bewaffnete Bauernbewegung. Auf die Forderungen der Kaffee- und Kopra-Produzenten der Region nach menschenwürdigen Lebensbedingungen hatte der Staat seit Anfang der 60er Jahre ausschließlich mit wiederholten Massakern an Demonstranten und verschärfter Repression reagiert und damit der Guerillabewegung den Boden bereitet. Bereits 1963 war Genaro Vázquez, ebenfalls Grundschullehrer und dadurch schon Angehöriger der kleinen intellektuellen Schicht Guerreros, mit einer Gruppe in den Untergrund gegangen. Mit dem Tod von Vázquez bei einem Autounfall im Jahr 1972 beginnt Carlos Montemayor seinen Roman, um dann die Geschichte der Partido de los Pobres im Detail zu erzählen.
Markige Revolutionsrhetorik
Krieg im Paradies ist alles andere als ein klassischer Guerillaroman, der sich mit der Mobilisierung linksradikaler Nostalgie begnügen würde. Die episodenhafte Erzählstruktur erlaubt dem Autor eine Darstellung der damaligen Ereignisse in ihrer ganzen Komplexität. Die Lebensrealität der Bauern, die neben Hunger und Elend auch permanent der Willkür von Armee und Bundespolizei (Policía Judicial) ausgesetzt sind, wird ebenso nachvollziehbar wie die spezifische Männerbund-Kultur der politischen Klasse in Mexiko, oder die Differenzen zwischen der urbanen und der ländlichen radikalen Linken jener Zeit: Während die in der Stadt die Anwendung marxistischer Lehrsätze predigen, verfügen die auf dem Land über praktische Fähigkeiten und Erfahrungen, die ihnen eine breite Unterstützung aus der Bevölkerung einbringen.
Dem Autor gelingt es, in kurzen Szenen sehr widersprüchliche Stimmungen entstehen zu lassen, die Mexiko damals, aber auch heute noch charakterisieren. Die markige Revolutionsrhetorik der politischen Klasse steht neben den zaghaften Versuchen der Bauern von Guerrero, ihre verzweifelte Lage überhaupt in Worte zu fassen. Die zähe Machtstruktur im mexikanischen Einparteiensystem wird durch die Darstellung militärischer und politischer Entscheidungsprozesse nachvollziehbar. Durch die Beschreibung der blinden Brachialgewalt und Folter, die die Uniformierten und ihre schlipsbewehrten Auftraggeber im Kampf gegen die „Straßenräuber und ehrlosen Banditen“ einsetzen, gelingt es Montemayor, die Tragödie eines Landes zu vermitteln, in dem die Armee aus ebenso ungebildeten und armen Bauern zusammengesetzt ist wie die Gruppe, die Lucio Cabañas in einem mühsamen Prozeß zu einer solidarischen und strategisch denkenden Guerilla herausbildet.
Basis im Volk?
Krieg im Paradies ist ein scharfes Stück Gesellschaftskritik. Seine Stärke bezieht es nicht zuletzt aus seiner Aktualität. Es beschreibt Methoden der Aufstandsbekämpfung, deren zentrale Strategie auch heute noch die Leugnung jeglicher politischer Zielsetzung der Aufständischen ist, und vor allem die hegemoniale Mentalität der Verachtung von campesinos und indigener Bevölkerung, mit denen beispielsweise die EZLN (Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung) heutzutage in Chiapas alltäglich konfrontiert ist. In denselben Bergen von Guerrero, in denen Anfang der 70er Jahre der Lehrer Lucio Cabañas zum Mythos wurde, existiert seit 1996 wieder eine bewaffnete Bewegung, die zwar international erheblich weniger bekannt ist als die Zapatisten, aber neben Guerrero auch in mehreren anderen Bundesstaaten operiert. Auch heute, im Zeitalter des Neoliberalismus, ist sie in den Dörfern und Landarbeiterorganisationen fest verankert. Wie die Gruppe um Lucio Cabañas machte das EPR (Revolutionäres Volksheer) bislang vor allem durch bewaffnete Hinterhalte und lukrative Entführungen führender Industrieller von sich reden. Im Frühjahr 1998 sagte sich die gesamte Guerillastruktur aus Guerrero unter dem Namen ERPI (Revolutionäre Armee des Aufständischen Volkes) von der nationalen EPR-Führung los, um ihre bewaffneten Aktionen künftig weniger von „objektiven“ strategischen Notwendigkeiten, dafür aber von einer engeren Abstimmung mit der Bevölkerung vor Ort abhängig zu machen.
In einem kürzlich in Mexiko veröffentlichten Interview sagen zwei ERPI-Comandantes gar, die Reste der Gruppe um Lucio Cabañas hätten den Untergrund nie verlassen und bildeten den traditionsreichen Kern der heutigen Guerillaformationen in den Bergen von Guerrero.
Insofern ist die Lektüre von Montemayors Krieg im Paradies aus mehreren Gründen zu empfehlen: Einerseits, weil es die Erinnerung an ein Stück linker Geschichte wiederherstellt, die vor allem durch einige, maoistisch inspirierte Dissidentenmorde aus den späteren 70er Jahren bis heute stark diskreditiert ist. Aber auch, weil die Beschreibung institutioneller Skrupellosigkeit gegen Menschen, die um die elementarsten Rechte kämpfen, leider auch die Realität des heutigen Guerrero wiedergibt – demselben Bundesstaat, der mit den Stränden um Acapulco einen Großteil der TouristInnen aus Westeuropa anzieht.
Carlos Montemayor, Krieg im Paradies, aus dem Spanischen übersetzt von Georg Oswald. Verlage Libertäre Assoziation, Schwarze Risse, Rote Strasse, Hamburg/Berlin 1998.