Kuba überholt seine Wirtschaft
Regierung will mit Preisanpassungen und Subventionskürzungen die Krise überwinden
Für viele Kubaner*innen begann das neue Jahr mit schlechten Nachrichten. Mitten in der Wirtschaftskrise erhöht die kubanische Regierung den Benzinpreis um mehr als 400 Prozent. Am 8. Januar kündigte Finanzminister Vladimir Regueiro an, dass sich der Preis für Benzin und Diesel ab dem 1. Februar von derzeit 25 auf 132 kubanische Pesos (CUP) pro Liter mehr als verfünffachen wird – also auf derzeit rund 47 Cent. Touristen dagegen zahlen für Treibstoff künftig in ausgewählten Tankstellen in Devisen und zwar 1,10 US-Dollar. Darüber hinaus kündigte die Regierung eine 25-prozentige Erhöhung der Strompreise für Großverbraucher im Privatsektor sowie eine Anhebung der Tarife für Flüssiggas an. Einen Tag später folgte die Ankündigung von Tarifanhebungen für den überregionalen Busverkehr ab März um bis zu 400 Prozent, für den Schienenverkehr um 600 Prozent und für den Luftverkehr um über 460 Prozent. Während bereits zum 1. Januar die Einfuhrzölle auf Fertigwaren angehoben worden waren, wurden diese gleichzeitig für den Import von Rohstoffen um 50 Prozent gesenkt. Die Hoffnung dahinter ist, die inländische Produktion wettbewerbsfähiger zu machen. Hinzu kommen weitere Zoll- und Steuererhöhungen vor allem für private Wirtschaftsakteure.
Kubas Präsident Díaz-Canel erklärte, dass die jüngsten Tariferhöhungen darauf abzielen, „Verzerrungen zu korrigieren“ und – in Anspielung auf die US-Blockade – „die wirtschaftliche Belagerung zu durchbrechen, die darauf abzielt, uns zu ersticken“. Ökonom*innen dagegen warnen, dass die angekündigten Preis- und Zollanhebungen zu einer höheren Inflation, einer verstärkten Währungssubstitution durch den Dollar sowie einer weiteren Abwertung des CUP beitragen könnten. Der private Transportsektor werde die Preise anheben „und das wird sich auf die Bevölkerung auswirken“, prognostiziert der unabhängige Ökonom Omar Everleny Pérez gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.
Dr. Juan Triana vom Studienzentrum der kubanischen Wirtschaft (CEEC) kritisiert in einer Kolumne des Onlineportals OnCuba vor allem die Steuer- und Zollerhöhungen. „Wenn der Kampf gegen die Inflation darin besteht, mit dem geringen Angebot eine ihrer Hauptursachen zu beseitigen, erscheint es inkonsequent, die Einfuhr von Fertigerzeugnissen zu erschweren.“ Im vergangenen Jahr waren es vor allem neu geschaffene private kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die mit ihren Importen das Warenangebot auf der Insel merklich verbessert haben. „Wo wäre die Inflation heute, wenn die nichtstaatlichen Akteure diese Waren nicht eingeführt hätten?“, fragt Triana.
Kuba steckt seit drei Jahren in einer schweren Wirtschafts- und Versorgungskrise. Eine galoppierende Inflation, der Mangel an Treibstoff und Medikamenten und häufige Stromausfälle in Teilen des Landes bestimmen den Alltag und haben zu einer beispiellosen Auswanderungswelle geführt.
Ein Ziel ist die Wiederbelebung des Tourismus
Ende Dezember kündigte die kubanische Regierung deshalb einen der größten makroökonomischen Anpassungspläne der vergangenen Jahrzehnte für das Jahr 2024 an. Dieser sieht neben den oben beschriebenen Erhöhungen der Energiepreise das Ende der allgemeinen Subventionen für Grundnahrungsmittel vor, um das gewaltige Haushaltsdefizit zu reduzieren. Regierungschef Manuel Marrero begründete den Plan: „Wir sind sehr unzufrieden darüber, dass wir nicht die notwendigen Fortschritte erzielt und die Auswirkungen der externen Phänomene (US-Blockade, Anm.) gemindert haben. Wir hätten mehr tun können“, räumte Marrero vor den Abgeordneten selbstkritisch ein. Seine Bestandsaufnahme fiel vernichtend aus: Die geplanten Exporteinnahmen wurden nicht erreicht, es gebe weiterhin ein gewaltiges Devisendefizit, die Diversifizierung von Waren und Dienstleistungen nehme nicht zu, das Potenzial des Landes werde nicht genutzt, es gebe keine nachhaltige Steigerung der Produktion, insbesondere der Nahrungsmittelproduktion, und die Beteiligung ausländischer Investitionen an der Entwicklung der Wirtschaft sei nicht ausreichend.
Paradigmenwechsel bei Subventionen
Der von Marrero vorgestellte Plan zielt darauf ab, die Staatsausgaben zu senken, indem die vom Staat gedeckelten Preise angehoben werden. Gleichzeitig sollen die öffentlichen Ausgaben für Subventionen verringert werden, indem sozial schwache Gruppen finanziell unterstützt statt Produkte subventioniert werden – ein Paradigmenwechsel. „Es ist nicht gerecht, dass diejenigen, die viel haben, dasselbe erhalten wie diejenigen, die sehr wenig haben. Heute subventionieren wir einen alten Rentner genauso wie den Besitzer eines großen Privatunternehmens, der viel Geld hat“, argumentierte er. Das betrifft vor allem die libreta, das Rationierungsheftchen, über das Grundnahrungsmittel wie Reis, Bohnen, Speiseöl, Hühnchen und andere Waren gleichmäßig an alle Kubaner*innen verteilt werden – zu stark subventionierten Preisen. Laut Wirtschaftsminister Alejandro Gil bedeutet das für Kuba jährliche Ausgaben in Höhe von 1,6 Milliarden US-Dollar. Das Ziel bestehe darin, „ein gerechteres und effizienteres System“ zu schaffen, um „niemanden im Stich zu lassen“, erklärte Marrero, womit er stillschweigend die Zunahme der sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten im Land anerkannte. Befürchtungen, die libreta könnte ganz abgeschafft werden, trat die Regierung später aber entgegen.
Premierminister Marrero erklärte zudem, dass der Staat nicht mit der „Verschwendung“ bestimmter Subventionen, etwa für Wasser, Strom, Flüssiggas und Treibstoff, fortfahren könne. In den besonders von personellem Aderlass betroffenen Bereichen Bildung und Gesundheit dagegen werden die Gehälter erhöht. Zudem werde die Regierung im nächsten Jahr den offiziellen Wechselkurs des CUP zum US-Dollar anpassen, so Marrero. Dazu wurde eine Arbeitsgruppe mit der Zentralbank gebildet. Derzeit liegt der offizielle Wechselkurs bei 24 CUP pro US-Dollar für juristische Personen und bei 120 CUP für Privatpersonen. Auf dem informellen Markt ist der US-Dollar inzwischen auf 275 CUP angestiegen.
Vor der Sitzung der Nationalversammlung hatte die Regierung mehrere Daten veröffentlicht, von denen die meisten den negativen Trend der kubanischen Wirtschaft unterstreichen. Im vergangenen Jahr ist die Wirtschaft der Insel um ein bis zwei Prozent geschrumpft, nachdem sie bereits in der Pandemie stark eingebrochen war. Prognostiziert worden war ein Wachstum von drei Prozent. Die Inflation lag offiziell bei rund 30 Prozent; die informelle Inflation dürfte um Einiges höher sein.
Weitere Maßnahmen des makroökonomischen Stabilisierungsplans zielen daher auf die Wiederbelebung des Tourismus, die Förderung der Produktion exportfähiger Produkte wie Nickel, Tabak oder Rum sowie des Imports von Rohmaterialien und Zwischenprodukten zur Ankurbelung der heimischen Produktion. Der Zugang von Unternehmen zu Devisen soll verbessert werden, indem der elektronische Handel mit Zahlungen aus dem Ausland ausgeweitet wird, ausländische Investitionen sollen weiter gefördert werden, insbesondere in die Nahrungsmittelproduktion und den Ausbau erneuerbarer Energien.
Neues Gesundheitsgesetz mit *Änderungen beim Recht auf*Abtreibung und Sterbehilfe
In der Gesundheitspolitik des Landes markierte die letzte Parlamentssitzung des Jahres dagegen ganz sicher einen neuen Trend. Denn die Abgeordneten der Nationalversammlung verabschiedeten ein neues Gesundheitsgesetz, das das Recht auf Abtreibung festschreibt und Sterbehilfe erlaubt. Kuba lässt damit nach Kolumbien als zweites Land in Lateinamerika und der Karibik Sterbehilfe zu. „Das Recht der Menschen auf einen würdigen Tod wird bei Entscheidungen am Lebensende anerkannt, die die Begrenzung therapeutischer Bemühungen, kontinuierliche oder palliative Pflege und gültige Verfahren, die das Leben beenden, einschließen können“, heißt es in dem verabschiedeten Gesetzentwurf. In den staatlichen Medien wurde vorab kaum erwähnt, dass die Regierung die Praxis genehmigen würde; es gab auch keine öffentliche Debatte. Weltweit erlauben nur Länder wie die Schweiz, die Niederlande, Luxemburg, Kanada, Australien, Spanien, Deutschland, Neuseeland, Kolumbien und einige Bundesstaaten der Vereinigten Staaten die Sterbehilfe in unterschiedlichem Maße.
Das neue Gesundheitsgesetz, welches das Gesetz 41 aus dem Jahr 1983 ablöst, erkennt zudem sexuelle und reproduktiven Rechte an und bekräftigt die Notwendigkeit, dass Menschen „Zugang zu Methoden der Empfängnisverhütung und des freiwilligen Schwangerschaftsabbruchs“ sowie das Recht haben, „Unfruchtbarkeitsbehandlungen … durch den Einsatz von Techniken der assistierten Reproduktion in Anspruch zu nehmen“. Das überarbeitete Gesetz schützt nach allgemeiner Auffassung das Recht auf Abtreibung, das in Kuba seit mehr als 50 Jahren durch das Gesundheitssystem garantiert wird, ohne dass es jedoch ein Gesetz gibt, das es als Recht festschreibt. „Wir wollen nicht, dass die Abtreibung die erste Option ist, sie kann keine Verhütungsmethode sein. Das wissen wir, und es ist Teil der umfassenden Sexualerziehung“, sagte die Abgeordnete Yamila González Ferrer, Vizepräsidentin der Nationalen Juristenvereinigung Kubas. „Die Tatsache, dass das Gesetz dies in einem Kontext widerspiegelt, in dem es in diesem Bereich in der Region und in der Welt Rückschritte gibt, ist für die kubanischen Frauen und ihr Recht, über ihren Körper zu entscheiden, von großer Bedeutung.“