Landfragen sind Machtfragen
Ein neues Eigentumsgesetz in Nicaragua schafft Konflikte
Anfänglich hatte die neue Alemán-Regierung eine friedliche Lösung der Eigentumsfrage versprochen. Im Dialog mit der FSLN wurde die Landvergabe an alle Bedürftigen in Aussicht gestellt. Zugleich wurden die in den 80er Jahren Enteigneten, einschließlich der Somozas, jedoch aufgefordert, vor Gericht ihre „Rechte“ einzuklagen. Es hagelte Gerichtsurteile mit sofortiger Vollstreckung zugunsten der Enteigneten, obwohl die gesetzliche Basis der Urteile zumeist zweifelhaft und die Richter häufig gekauft waren.
Die Gewalt nahm deshalb in den ersten Monaten nach dem Regierungsantritt im Januar 1997 zu, es kam zu Toten auf beiden Seiten. Versuche, die Eigentumsgesetze der sandinistischen und der Chamorro-Regierung aufzuheben, scheiterten an landesweiten Protesten und zwangen die Alemán-Regierung in neue Dialogrunden. Erkennbar wurde, daß sie mit Imagepflege, Hinhaltetaktik und der Schaffung von Fakten versuchte, die kleinen und mittleren bäuerlichen Betriebe in die Knie zu zwingen.
Der Druck auf die Landbevölkerung hat sich verschärft, da sich unter der neuen Regierung die wirtschaftliche und soziale Lage weiter verschlechterte. Zwangsläufig hat sich so die Bereitschaft erhöht, Land aufzugeben, was seit 1990 zu einer erneuten Landkonzentration führt. Das meiste Land wurde „freiwillig“ und „legal“ durch Verkauf, also nicht durch verschärfte Gesetze, Gerichtsurteile oder direkte Gewalt in die Hände neuer oder alter GroßgrundbesitzerInnen (zurück)geführt. Das neoliberale Modell Alemáns und die IWF-Auflagen im Rahmen des erweiterten Strukturanpassungsprogramms trugen ebenfalls ihren Teil dazu bei: beispielsweise durch die Schließung der Kreditinstitute für die kleinen ProduzentInnen (BANADES) und die Eintreibung aufgelaufener Bankschulden.
Liberale Steuerreform
Neue gesetzliche Regelungen tragen maßgeblich zur Landkonzentration und vor allem zur allgemeinen Verunsicherung bei. Das neue Steuer- und Abgabengesetz spielt hier eine herausragende Rolle. Ab 1999 entfällt die Steuerbefreiung für Kooperativen für den Import von landwirtschaftlichen Geräten, Ersatzteilen und agroindustriellen Anlagen und es wird eine Bodensteuer für Ländereien ab 22 Hektar erhoben. Diese Maßnahmen treffen insbesondere agroindustrielle Kooperativen, die nicht nur Rohprodukte herstellen, sondern diese auch weiterverarbeiten und selber vermarkten. Damit wuchsen sie zu unliebsamen Konkurrenten in der profitträchtigen Domäne des Bürgertums heran. Das Gesetz verschlechtert nun ihre Ausgangslage. Die neue Bodensteuer – einzigartig in Zentralamerika – ist für Kooperativen mit mehr als 22 Hektar unbezahlbar. Landverkäufe werden folgen und den Konzentrationsprozeß beschleunigen.
Manchen gehen die Reformschritte aber immer noch nicht weit genug. So fordert der „Verband der Konfiszierten“ potentielle internationale Investoren mittlerweile auf, nicht mehr in Nicaragua zu investieren. Zugleich trat der Chef der Treuhandgesellschaft zur (Re)privatisierung des ehemaligen Staatseigentums (CORNAP) zurück, als Ende November das zwischen FSLN und Liberalen ausgehandelte Eigentumsgesetz von der Nationalversammlung verabschiedet wurde.
Widersprüchliches Eigentumsgesetz
Mehrere Faktoren haben das Zustandekommen des neuen Eigentumsgesetzes befördert: Der Popularitätsgrad der Regierung sank in den letzten Monaten rapide. Zugleich mehrten sich Protestaktionen verschiedenster Sektoren, woraufhin der IWF mehr interne Stabilität forderte. In einem einflußreichen Sektor der Liberalen setzt sich zudem die Erkenntnis durch, daß es keine ausreichende Stabilität und Regierungsfähigkeit geben wird, wenn gegenüber der FSLN nicht Zugeständnisse gemacht werden und diese in einen Stabilitätspakt eingebunden wird. Dazu kommt, daß die FSLN-Führungsschicht ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen und Spielräume auch unter einer rechten Alemán-Regierung absichern will. Die FSLN-Führung und die Liberalen bilden zusammen mit ihren jeweiligen Verbündeten unterschiedliche Wirtschaftsblöcke, die beide ein Mindestmaß an Stabilität benötigen, um Profite realisieren zu können.
Das Eigentumsgesetz erkennt generell die seit 1979 verabschiedeten Regelungen, speziell jene zur Agrarreform, an. Alle, die von der ehemaligen sandinistischen Regierung in der Übergangsphase zwischen Februar und April 1990 mit Eigentum bedacht wurden, sollen volle rechtliche Sicherheit erhalten. Die aus dem (Re)Privatisierungsabkommen heraus entstandenen APT-Betriebe (ArbeiterInnenaktiengesellschaften) sollen legalisiert und alle Dokumente, die das Agrarreforminstitut INRA bis April 1994 ausgestellt hat, anerkannt werden. Den Enteigneten wird eine „gerechte und abschließende“ Kompensation zugesichert. Viele, die bisher, zumindest verbal, unter dem Schutz der FSLN standen, macht das Gestz aber juristisch schutzlos. Denn allen KontrahentInnen wird zugesichert, daß sie ihre Ansprüche vor Gericht klären lassen können. Und die Regierung will die gesamte Agrarreform einer Revision unterziehen. Das öffnet der Willkür Tür und Tor und wird Jahre dauern. Es sorgt für eine andauernde Verunsicherung der von der Agrarreform Begünstigten. Diese Unklarheiten und die dadurch entstandene Verunsicherung bestimmen jetzt das Handeln aller Beteiligten.
Einige Auswirkungen des neuen Eigentumsgesetzes lassen sich schon jetzt absehen. In Managua und anderen größeren Städten werden die Agrarreformtitel aufgehoben. Die Menschen sollen ohne Entschädigung umgesiedelt werden, wovon allein in Managua mehr als 3.000 Familien betroffen sind. Die Bodenspekulation um das nun teure Bauland ist bereits in vollem Gange.
Außerdem sieht das Gesetz neue Stadtentwicklungspläne in privilegierten Zonen vor. Dadurch wird die Umsiedlung von etwa 20.000 Familien und die Auflösung von 70 Siedlungen in Managua legalisiert, die sich in diesen Gebieten befinden.
Begünstigt vom neuen Eigentumsgesetz werden unter anderem die APT-Betriebe (ArbeiterInnenaktiengesellschaften), die nun schneller legalisiert werden können. Die bereits mit der Chamorro-Regierung vereinbarten Rückzahlungsmodalitäten werden verlängert und bei sofortiger Zahlung besteht die Option auf den Kauf zum halben Preis. In diesen Betrieben hat die FSLN starke ökonomische Interessen, da sie eine strategische Achse ihrer Wirtschaftspolitik bilden.
Begünstigt wird auch die Militärführung, deren in der Übergangsphase 1990 erworbenes Eigentum nun abgesichert wird. Das scheint die Belohnung für die Loyalität der Armee- und Polizeispitze gegenüber der Regierung zu sein.
Die FSLN hat aber die wirtschaftlichen Interessen ihres Mittelbaus geopfert, der der hauptsächliche Nutznießer der Landverteilung in der Übergangsphase 1990 war, dessen dann erworbenes Eigentum aber nicht abgesichert wird. Ansprüche von Konfiszierten bedürfen jedoch auch hier der gerichtlichen Klärung. Doch auch Alemán opfert seinen Mittelbau. Die Konfiszierten, die in weniger großem Umfang altes Eigentum wieder zurückerhalten wollen, müssen ihre Ansprüche vor Gericht geltend machen, und sollen im Falle von Entschädigungen statt Bargeld oder anderem Eigentum nur Boni erhalten.
Gegenbewegungen
Das Gesetz wird die Eigentumsfrage nicht lösen, sondern neue Konflikte erzeugen. Die Situation der LandbesetzerInnen, die ab 1990 von der Rückgabe bedrohte Staatsbetriebe besetzten, wird durch die Vereinbarungen zwischen Alemán und FSLN verschärft. Wenn bereits Urteile zur Rückgabe dieser Ländereien existieren, muß das Land nun zurückgegeben werden.
Auch für ein vom Informationsbüro Nicaragua unterstütztes Kollektiv von rund 100 LandarbeiterInnen, die seit 1991 fünf ehemalige staatliche Baumwollbetriebe in der Villa 15 de Julio, nördlich der Stadt Chinandega, besetzt halten, kann das Eigentumsgesetz negative Folgen haben. Diese Gruppe hat sich in der Vereinigung der produktiven alternativen Entwicklung (ADEPAL) zusammengeschlossen und versucht, in der von der Baumwollproduktion zerstörten Landschaft durch neue Formen des Wirtschaftens und der Selbstverwaltung eine diversifizierte Landwirtschaft zu betreiben.
Seit den Besetzungen hat sich der Schwerpunkt der Auseinandersetzungen für ADEPAL immer wieder verändert. Bis Anfang 1993 war die Verteidigung des Landes vor allem geprägt von gewaltsamen Auseinandersetzungen, Räumungen, Abbrennen der Hütten durch die Polizei und Wiederbesetzungen, kombiniert mit politischen Aktionen. Danach unternahm ADEPAL erste Versuche, die eigene Situation rechtlich abzusichern, die aber 1995 durch ein Urteil des Obersten Gerichts zugunsten der ehemaligen BesitzerInnen abgeschmettert wurden. Zwischenzeitlich wurde aber im Dezember 1994 die Finca „La Pistola“ vom Agrarreforminstitut (INRA) legalisiert. Nach dem Urteil verlagerte sich der Schwerpunkt erneut auf politische Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit. Als Anfang 1996 die ehemaligen BesitzerInnen Klage gegen die BesetzerInnen erhoben, mußte sich ADEPAL auf der juristischen Ebene verteidigen. Diese Verfahren konnten durch den Rechtshilfefonds der Mittelamerika-Infostellen mitfinanziert werden. Zwar war die Organisation der BesetzerInnen und die Bebauung des Landes mit weiterführenden Projekten (z.B. Anbau und Weiterverarbeitung von Cashew, Wiederaufforstung, Diversifizierung, eigener Kreditfonds) in den vergangenen Jahren die zentrale Grundlage dafür, daß sich die Gruppe sowohl wirtschaftlich wie politisch halten konnte. Dennoch reicht die ökonomische Basis – wie auch in vielen anderen Kooperativen – nicht aus, um die juristischen Kosten zu tragen.
Mittlerweile wurde in vier Fällen gegen die BesetzerInnen entschieden, das Verfahren ist nun in der zweiten Instanz. Nach den Wahlen und der Amtsübernahme der liberalen Regierung verlagerte sich der Schwerpunkt wieder auf die politische Ebene, weil die Alemán-Regierung eine propagandistische, juristische und polizeiliche Offensive zur Rückgabe besetzter Ländereien startete. In dieser Phase gab es konkrete Hinweise, daß die GroßgrundbesitzerInnen Landlose aus der Umgebung der Villa 15 de Julio organisierten, um die fünf ADEPAL-Betriebe besetzen zu lassen und einen Konflikt zwischen Landlosen und den Mitgliedern von ADEPAL zu schüren. Der Plan konnte vermutlich deshalb verhindert werden, weil ADEPAL ihn über Radio und Zeitungen öffentlich machte. Mit dem Argument, die Böden würden sinnvoll genutzt und es bestehe eine Organisationsstruktur der campesinos/as, die eine Stabilisierung des Projekts verspreche, hat sich der neue regionale INRA-Chef währenddessen aber öffentlich für die Legalisierung der fünf Betriebe ausgesprochen.
Landfragen sind Machtfragen, die sich in einem politischen Kräfteverhältnis entscheiden und unter anderem auf der juristischen Ebene ausgetragen werden. Wie weit die verschiedenen Elemente des neuen Eigentumsgesetzes sich auf ADEPAL auswirken, wird sich im politischen Kontext entscheiden und nicht in erster Linie durch Gesetzestexte. Rechtshilfe ist in diesem Sinne politische Unterstützung für organisierte landlose oder landbesitzende Bäuerinnen und Bauern. Den wirtschaftlichen Ertrag aus ihrem bearbeiteten Land benötigen sie nach wie vor für das nackte Überleben.