Mexiko | Nummer 202 - April 1991

Legalisierungsspuk um die Abtreibung

Der Kongreß des Staates Chiapas in Mexiko hat Ende Dezember 1990 die Abtreibung legalisiert. Diese überraschende und autonome Entscheidung rief stürmische Reaktionen hervor und bestimmte wochenlang die Debatte in den Medien. Einige Wochen lang konnten die Frauen in diesem Staat unter legalen Umständen eine Abtreibung vornehmen lassen, doch dann ließ sich der Kongreß breitschlagen, die Legalisierung auszusetzen und der nationalen Menschenrechtsorganisation die Entscheidung zu überlassen.

Lisa Luger

In Mexiko treiben jährlich ca. 2 Mio. Frauen ab, 140.000 von ihnen sterben an den Folgen des illegalen Eingriffs (vgl. auch LN 193). Weder die drohenden Gefängnisstrafen noch die Exkommunikation konnten diese Abtreibungen verhindern. Im Gegenteil: die Zahl der illegalen Abtreibungen steigt weiterhin und damit auch die der Todesfälle und der schwerwiegenden Folgen aufgrund der schlechten medizinischen Bedingungen, unter denen diese Abbrüche stattfinden. Gewalt gegen Frauen und die wirtschaftliche Misere sind einige wichtige Gründe, die Frauen zu dieser Entscheidung zwingen.
Angesichts dieser erschreckenden Realität entschloß sich der Kongreß von Chiapas, den Artikel 136 des Strafgesetzbuches entsprechend zu verändern und das Verbot der Abtreibung aufzuheben. Abtreibung war nun innerhalb der ersten 90 Tage der Schwangerschaft erlaubt. Zusätzlich zu den in Mexiko bereits anerkannten Begründungen für einen Abbruch (Risiko für die Mutter (medizinische Indikation) und Schwangerschaft aufgrund einer Vergewaltigung) bestand nun auch die Möglichkeit, eine Schwangerschaft aus sozialen Gründen (große wirtschaftliche Probleme, vor allem wenn die Mutter alleinstehend ist) oder bei genetischer Fehlentwicklung des Fötus (eugenische Indikation) abzubrechen.
Die Lebensumstände in Chiapas sind ziemlich schwierig: Der ärmste Staat der mexikanischen Republik ist mit hoher Kindersterblichkeit und einer extremen Armut der Bevölkerung konfrontiert. Seit mehr als 20 Jahren kämpfen Feministinnen für die freiwillige Mutterschaft. In dieser Zeit sind zahlreiche Petitionen an den Kongreß von verschiedenen Frauengruppen, hauptsächlich Indianerinnen, übergeben worden, die die Legalisierung des Abbruchs forderten. Diese Frauen kennen die alltägliche Realität am besten und wissen, was das Verbot der Abtreibung bedeutet und haben die Folgen oft am eigenen Leib verspürt.
Trotz des jahrelangen Kampfes kam die Entscheidung des Kongresses doch für alle Beteiligten realtiv überraschend. Entsprechend ungläubig klangen auch die ersten Reaktionen: Wie kommt diese lokale, relativ unbedeutende Regierung dazu, ihre große Verbündete, die Kirche, derart herauszufordern? Wie kann sie dieses Tabuthema aufbrechen und Maßnahmen treffen, die Konsequenzen für ganz Lateinamerika mit sich bringen werden?…

Die Fronten in der Debatte sind klar…

Die einen sehen Abtreibung als Problem der Gesundheit und Selbstbestimmung von Frauen, die anderen sehen in ihr eine Sache der Moral. Unter denen, die die erste Meinung unterstützen, sind GesundheitsarbeiterInnen, Feministinnen, KämpferInnen für Menschenrechte. Sie betrachten die Legalisierung der Abtreibung als unverzichtbar, um die Risiken zu vermeiden, die die Frauen (und das sind meist die ärmsten) durch einen illegalen Abort erleiden.
Von dieser Ansicht, die bisher von der Presse wenig beachtet worden war, weit weg stehen die Kirche, die rechtsgerichteten konservativen Parteien und die Gruppen “Für das Leben”, die das neue Gesetz als kriminell bezeichnen und in ihm einen Angriff gegen die Moral sehen. Von ihnen ging die fälschliche Nachricht aus, daß mit dieser gesetzlichen Regelung die Abtreibung eine “Auflage der Regierung” sei. Eine absurde Verdrehung der Tatsachen, die zur Einschüchterung der Bevölkerung dienen sollte, denn dieses Gesetz beinhaltet in keinster Weise eine Verpflichtung zur Abtreibung, sondern bietet lediglich jeder Frau die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ob sie die Schwangerschaft annehmen will oder nicht.

…die Argumente nicht neu.

Die Argumente der Abtreibungsgegner sind nicht neu. Die nationale Aktions Partei (PAN), die immer wieder ihre christliche Gesinnung betont, wettert gegen den Beschluß des Kongresses: “Nur Ungläubige bringen es fertig, eine Schwangerschaft abzubrechen.” “Man kann nicht legalisieren, was nicht legalisierbar ist.” “Abtreibung ist Mord” und ergänzend dazu: “Der Embryo ist ein lebendes Wesen mit allen Rechten.” Dieser Logik zufolge wäre letztendlich jede sexuelle Vereinigung bei der kein Kind entsteht, ein krimineller Akt, denn “dadurch würde die Geburt eines Christen oder eines zu christianisierenden Menschen verhindert”, hält die mittlerweile sympathisierende Presse dagegen.
Der Sprecher des Erzbischofs, Generaro Alamilla, bringt auch nichts Neues in die Diskussion: “Das Gebot, du sollst nicht töten ist absolut.” Seiner Meinung nach treiben nur die Kriminellen ab. (Aber das sind 2 Millionen Frauen im Jahr allein in Mexiko.) Der Chef der PAN-Partei im Distrito Federal José Angel Condello, unterstreicht diese Meinung noch mit einer besonders qualifizierten politischen Aussage: “denn das (die Abtreibung) ist eine moralische Frage und in dieser wird die Demokratie nicht akzeptiert.”
Die Rechte und der Klerus, der sie beeinflußt und anleitet, halten in dieser Debatte an den jahrhundertealten Argumenten fest und sind in keinster Weise offen für die Realität um sie herum. Körperliche Selbstbestimmung von Frauen, die Misere unter der nicht gewünschte Kinder aufwachsen, wirtschaftliche Not der Mütter, der fehlende Zugang für die Kinder zu Bildung und Gesundheit u.v.a.m. können genausowenig in ihre festgefahrenen Denkstrukturen eindringen wie die unbestreibare altbekannte Tatsache: keine Frau treibt aus Spaß ab.
Also alles beim alten!
Schwierig ist in dieser Debatte die Bevölkerung einzuschätzen. Zum einen sind die Bewohner von Chiapas als traditionell und christlich bekannt, so daß anzunehmen ist, daß sie Abtreibung ablehnen, zum anderen sprechen die steigenden Zahlen der illegalen Abbrüche für sich. Im Laufe der Debatte hat die Bevölkerung jedoch sehr wohl Stellung bezogen: Obwohl die Macht der katholischen Kirche sehr groß ist, haben an dem Protestmarsch gegen die Legalisierung der Abtreibung in der Hauptstadt des Staates, Tuxtla Gutiérrez, kaum 3.000 Personen teilgenommen, eine unbedeutende Zahl wenn man sich vor Augen hält, daß zu diesem Marsch von allen Gemeinden aufgerufen worden ist und der Bischof von Chiapas, Samuel Ruiz, selbst den Marsch anführte. In seiner Kundgebung verurteilte er öffentlich die Feministinnen von San Cristóbal, die die Gesetzesände¬rung gefordert hatten. Aber auch die Drohung der Ex-Kommunizierung konnte viele Frauen und Männer nicht einschüchtern, für die Legalisierung der Abtreibung einzustehen. Angesichts der immensen Folgen des Abtreibungsverbots und der permanenten Demütigungen von Frauen, die, wohlwissend um die Risiken, sich trotzdem für einen Abbruch entscheiden, kümmert die Jammerei des Erzbischofs wenig, der die Legalisierung der Abtreibung als “Machtmißbrauch” an¬prangert und ohne die politische Autonomie des Staates Chiapas anzuerkennen, vom Präsidenten der Republik fordert, die “Schlechten” aus “seinem” Kongreß auszusortieren.

Aufgeschoben ist gleich aufgehoben!

Trotz der offensichtlich weitgehenden Sympathisierung der chiapenischen Bevölkerung mit der Legalisierung der Abtreibung hat die Debatte um die Veränderung des Abtreibungsparagraphen solche Dimensionen angenommen, daß die Parlamentarier letztlich entschieden, die Rechtskräftigkeit auszusetzen bis sich die Nationale Kommission für Menschenrechte (CNDH) eine definitive Meinung zu der Frage gebildet hat: Gelten die Menschenrechte für den Embryo oder nicht?
Diese Aktion der Regierenden in Chiapas ist nach der forschen Entscheidung im Dezember ein kläglicher Rückschritt. Die Diskussion um diesen Punkt ist müßig und aufgesetzt, denn letztendlich kann es nicht um die Frage gehen, “wann beginnt Leben” oder “ab wann gelten die Menschenrechte für den Embryo”, “wann ist der Embryo eine eigenständige Rechtsperson?”, solange das Leben und die Menschenrechte der Frau negiert werden, und sie stattdessen polizeilicher Ver¬folgung, Schande, schlechter medizinischer Behandlung, Diskriminierung und Tod ausgesetzt ist.
Im Moment hat die Nationale Kommission der Menschenrechte das Wort. Doch egal wie sie entscheiden wird, es wird weiterhin so sein, daß jeglichem Gesetz zum Trotz die Frauen, die sich entschieden haben abzutreiben, weiterhin abtrei¬ben werden, genauso wie sie es heute machen. Die Bestrafung der Abtreibung beizubehalten heißt im Endeffekt: tausende von Frauen zusätzlich mit lebenslan¬gen gesundheitlichen Folgen oder dem Tod zu bestrafen. Und darin liegt die Menschenverachtung, denn hier werden die viel proklamierten ständig rezitier¬ten Menschenrechte nicht angewandt.
Quellen: El dia latinoamericano, 21.1.91 und 3.2.91
doble jornada, 3.2.91
Mujer Fempress, Febr./März 91

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