Lieblingskind Export unterdrückt Recht auf Nahrung
Die schwierige Situation der Landlosen und Indigenen Paraguays bei der Durchsetzung des Rechts auf Nahrung
Fünf Hektar reichen nicht. Nicht für den Lebensunterhalt einer Familie. Vierzig Prozent des Landbesitzes liegen in Paraguay unterhalb dieser fünf Hektar und machen damit nur ein Prozent der Fläche des sich zwischen Bolivien, Argentinien und Brasilien erstreckenden Landes aus. Stattdessen sind es Großgrundbesitze, die die Besitzstrukturen dominieren und Auskunft geben über eine der ungerechtesten Landverteilungen in Lateinamerika: Über 77 Prozent des Landes befinden sich in den Händen von nur einem Prozent der Landbesitzenden – Frauen stellen nicht einmal den zehnten Teil von ihnen, ein Ausdruck der bestehenden patriarchalischen Strukturen in der Titelvergabe für Land. Um die 120.000 Familien besitzen überhaupt kein Land. Landlose Bauernfamilien warten in provisorischen Lagern unter unwürdigen Bedingungen auf die Überschreibung von Land durch die Regierung. Indigene Gemeinschaften wie die Yakye Axa im paraguayischen Chaco-Gebiet, deren Überleben von der Nutzung ihrer weitläufigen traditionellen Siedlungsgebiete abhängt, sind ebenso von den Versäumnissen des Staates betroffen. Seit nunmehr zehn Jahren kämpfen sie um ihr Land, das ihnen gegen Ende des 19. Jahrhunderts genommen wurde.
Alle Macht dem Export
Während seiner 35 Jahre andauernden Herrschaft, die 1989 endete, legte der im letzten Jahr verstorbene Diktator Alfredo Stroessner den Grundstein für die heutige auf Massenproduktion und Export ausgerichtete Landwirtschaft. Er verteilte mit elf Millionen Hektar Staatseigentum nicht weniger als ein Viertel der Landesfläche an nur wenige Begünstigte. Paraguay ist heute der viertgrößte Sojaexporteur der Welt. Die Sojapflanzungen, von denen 80 Prozent genetisch manipuliert sind, nehmen allein zwei Drittel der landwirtschaftlichen Anbaufläche ein. Dieses Produktionsmodell und die extreme Konzentration des Landes in den Händen Weniger führen dazu, dass Armut und Hunger traditionell ländliche Phänomene sind. Ein Grund dafür sind die von den GroßgrundbesitzerInnen eingesetzten Pestizide, die häufig Nahrung und Trinkwasserressourcen der benachbarten Siedlungen der Kleinbauern und -bäuerinnen und Indigenen vergiften, was zusätzlich zu Hunger und Krankheiten, in einigen Fällen gar zum Tod führt. Bäuerliche und indigene Gemeinschaften leiden besonders unter der Krise ihrer wichtigsten Ertragsgüter, der Einschränkung staatlicher Ressourcen für Gesundheit, Bildung und Infrastruktur, unter Umweltzerstörung sowie der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Ausgrenzung. Die Armutsquote von 35 Prozent auf dem Land wird seit 1997 von der Armut in städtischen Zonen übertroffen. Dies ist eine Folge der Abwanderung in die Städte, wo sich die Hoffnung auf einen besseren Lebensstandard jedoch oft nicht erfüllt.
Ohne Alternativen der Ernährungssicherung bleibt den Landlosen häufig kein anderer Ausweg als die Besetzung von ungenutztem Land. Immer mehr gewaltsame Konflikte mit den GroßgrundbesitzerInnen sind die Folge, die mit ihren so genannten „Sicherheitskräften“ (private Milizen) am längeren Hebel sitzen. Vor allem dort, wo sich die verarmte Landbevölkerung organisiert und intensiv für ihren Zugang zu Land kämpft, werden AnführerInnen sozialer Bewegungen und deren Familien mittels Einschüchterung oder Verschleppung bis hin zu Morddrohungen terrorisiert. Den privaten Milizen werden zahlreiche Verstöße gegen die Menschenrechte zur Last gelegt. Eine Strafverfolgung ist jedoch meist unzureichend oder wird erst gar nicht aufgenommen. Selbst die Polizei geht bei Räumungen friedlicher Landbesetzungen oder Straßensperren mit unangemessener Gewalt gegen die Landlosen vor und verstößt damit massiv gegen die Menschenrechte.
Papiertiger Agrarreform
Die Instrumente für eine Agrarreform sind da. 1992 ratifizierte Paraguay den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (WSK-Pakt) und verpflichtete sich dadurch, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um das Recht auf Nahrung durch den direkten Zugang zu Land umzusetzen. Auch der paraguayischen Verfassung zufolge muss kleinen und mittelgroßen landwirtschaftlichen Betrieben der Zugang zu ungenutztem Land ermöglicht werden. Durch die Vergabe von Krediten und die Bereitstellung der nötigen Infrastruktur müssen diese zudem bei der Nutzung des Landes unterstützt werden.
Statt sich jedoch um die Sicherung der Lebensgrundlage für die Landbevölkerung zu kümmern, setzt die Regierung im Nationalen Plan für landwirtschaftliche und ländliche Entwicklung (2004 bis 2008) die oberste Priorität auf die Steigerung der Agrarexporte. Die Förderung der Kleinbauern und -bäuerinnen sowie der Landlosen wird erst an zweiter Stelle erwähnt. Vorgesehen ist demnach die Vergabe von 8.000 Landtiteln pro Jahr an begünstigte landlose Familien. Für die zuständige Behörde INDERT ist das Privateigentum jedoch „heilig“. Das Instrument der Enteignung von GroßgrundbesitzerInnen wird nur zurückhaltend eingesetzt. Für den Kauf von hochwertigem Land für die Bauernfamilien reicht das Budget des INDERT wiederum nicht aus.
Staatliches Desinteresse
Die indigene Bevölkerung Paraguays repräsentiert mit rund 90.000 Menschen zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. Die kollektiven Landrechte sollten durch die Verfassung und das so genannte „Indianerstatut“ von 1981 rechtlich abgesichert sein. Paraguay ist zudem seit 1993 der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verpflichtet, die ethnischen Gruppen das traditionell bewohnte Territorium garantieren soll. Aufgabe der Regierung wäre es, dieses Territorium anzuerkennen und über das paraguayische Indigenen-Institut (INDI) zu übertragen. Heute leben zwar 80 Prozent der Indigenen auf Territorien, die ihnen zur exklusiven Nutzung überlassen sind, doch nur die Hälfte von ihnen verfügt auch über die offiziellen Besitzurkunden. Die rechtliche Absicherung ist damit meist ungeklärt. Die Gefahr, das Land wieder zu verlieren, ist ständig präsent. Selbst in den von ihnen bewohnten Gebieten leiden sie häufig unter schlechten Lebensbedingungen, illegalen Besetzungen durch landlose Bauernfamilien und Diskriminierung von Seiten staatlicher Behörden.
Extremfälle zeigen Auswirkungen staatlichen Desinteresses. Die der Ethnie der Enxet zugehörigen Yakye Axa haben einen jahrelangen Kampf und die ergebnislose Bearbeitung ihrer Klagen durch Behörden bereits erfahren. Sie erreichten schließlich, dass Paraguay am 17. Juni 2005 vom Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt wurde, ihr Recht auf Eigentum und Leben missachtet zu haben. Als Entschädigung muss der Staat ihnen das geforderte Land überschreiben und Entschädigungszahlungen tätigen. Bis dies geschehen ist, steht ihnen eine grundlegende Versorgung mit den nötigsten Gütern und Dienstleistungen zur Sicherung ihres Überlebens zu.
Doch selbst ein solcher Erfolg hat keine direkte Verbesserung ihrer Situation bewirkt. Bis auf eine offizielle Entschuldigung von Vertretern des Staates ist bis jetzt noch nicht viel passiert. Und so kampieren die 319 Menschen noch immer unter extrem schlechten Bedingungen und ohne Lebensgrundlage an einer Straße vor der Abzäunung, die sie von ihrem rechtmäßigen Land trennt, während sie darauf warten, dass der Staat dem Urteil endlich Folge leistet.
Zum Weltgebetstag der Frauen organisiert FIAN International eine Postkartenaktion, die den Prozess der Landübergabe und die Überbrückungsmaßnahmen für die Yakye Axa vorantreiben soll. Die Aktion läuft vom 15. Februar bis 15. Mai 2007. FIAN International nahm an einer Fact-Finding-Mission in Paraguay mit La Via Campesina und in Zusammenarbeit mit Misereor teil.