Macris Vier-Jahres-Plan
Die Bürgermeisterwahlen von Buenos Aires und die Vorwahlen für das Präsidentenamt bestätigen die Amtsinhaber_innen
„DANKE!“ – das war die knappe Statusmeldung, die Mauricio Macri am vergangenen 1. August kurz nach halb zehn über seinen Twitter-Account an seine gut 250.000 Follower verbreitete. Mit 64 Prozent der Stimmen in der Stichwahl konnte er sein Amt als Bürgermeister von Buenos Aires souverän verteidigen. Deutlich abgeschlagen landete der Kandidat der Linksperonisten, Daniel Filmus, auf dem zweiten Platz. Filmus, der unter der Regierung von Nestor Kirchner Justizminister war, gelang es nicht sich zu profilieren. Er verlor nun bereits zum zweiten Mal das Rennen um den Stadtvorsteher-Posten.
Macris konservatives Parteibündnis PRO bestritt den inhaltsleeren Personenwahlkampf mit einem ebenso sinnentleerten Slogan: „Vamos bien“ – es läuft gut. Dies weckte bei vielen Argentinier_innen Assoziationen an den Spruch „Menem war‘s“, der die neoliberalen Maßnahmen in der Ära unter Präsident Carlos Menem begleitete. Die Begeisterung für den Medienprofi Macri und vor allem dessen Politik, erinnert Kritiker_innen fatal an die Regierung von Menem in den 1990er Jahren, in der der Grundstein für die tiefe Wirtschaftskrise 2001/2002 gelegt wurde. Die Administration des Bürgermeisters zeichnete sich in erster Linie durch die Überantwortung der Sozialleistungen an private Träger, tiefgreifende Kürzungen des öffentlichen Haushalts und populistisch vermarktete Unterstützungsleistungen für die Armen aus. Zugleich steht Macri für eine Politik der harten Hand, im Rahmen derer polizeiliche Befugnisse ausgeweitet werden, öffentlicher Raum privatisiert wird und eine Verdrängung der Armen aus den innerstädtischen Bezirken auf der Tagesordnung steht. Die Basis des Erfolgs war ähnlich wie in den 1990er Jahren auch diesmal die Mittelschicht, die der farblose Filmus nicht zu begeistern vermochte, ganz im Gegensatz zu dem Amtsinhaber.
Mit dem Wahlergebnis hat eine Million der Wahlberechtigten dem millionenschweren Unternehmer Macri ein deutliches „Weiter so!“ ausgesprochen. Seine Popularität ist trotz der andauernden Skandale um seine Person und die Verwicklungen seines Umfelds in kriminelle und korrupte Machenschaften ungebrochen. Dass sich nicht einmal die Hausdurchsuchung bei einem mit Macri befreundeten Unternehmer wegen Wahlbeeinflussung auf das Abstimmungsverhalten auswirkte, zeugt davon, wie unpolitisch der Großteil der Gesellschaft in der Hauptstadt momentan ist.
Mit Macri an der Spitze konnten die Konservativen seit 2003 alle Wahlen in der Hauptstadt für sich entscheiden. Diese Tatsache prädestiniert den 52-jährigen, wenn man seinen Anhänger_innen Glauben schenkt, für höhere Ämter. Am Wahlabend skandierten sie lautstark „Se siente, se siente, Mauricio presidente“ (Man fühlt es, Mauricio Präsident) und richteten damit ihren Blick bereits auf die Präsidentschaftswahlen 2015. In vier Jahren will der Sohn italienischer Einwanderer nämlich seinen langjährigen Wunsch erfüllen und Präsident des südamerikanischen Landes werden. Sein ursprünglicher Plan war, sich schon in diesem Jahr als Präsidentschaftskandidat aufstellen zu lassen. Parteifreund_innen rieten ihm davon ab und er tat wohl gut daran, dem Rat zu folgen: Angesichts der deutlichen Ergebnisse der Präsidentschaft-Vorwahlen zugunsten von Cristina Fernández de Kirchner hätte dieses Unterfangen kaum Erfolgsaussichten gehabt.
Bei den Vorwahlen vom 14. August, die nach einer Wahlrechtsreform neu eingeführt wurden und für alle Bürger_innen des Landes verbindlich sind, holte die amtierende Präsidentin überraschend knapp über 50 Prozent der Stimmen und verwies damit die Konkurrenz deutlich auf die Plätze: Ihre aussichtsreichsten Konkurrenten, der rechtsperonistische Expräsident Eduardo Duhalde und Ricardo Alfonsín von der Radikalen Bürgerunion (UCR), erreichten jeweils nur gut 12 Prozent der Stimmanteile. Diese Eindeutigkeit verschleiert, dass der Kirchnerismus den anderen politischen Strömungen im Land nicht immer derart überlegen war.
De facto als Minderheitsregierung nach dem überraschenden Rückzug von Carlos Menem vor der Stichwahl 2003 an die Macht gekommen, hatte Fernández‘ Ehemann und Vorgänger als Staatsoberhaupt Nestór Kirchner keinen leichten Stand (siehe LN Nr. 438). Nach dem Ende seiner Amtszeit 2007 gewann CFK, so das vielfach benutzte Kürzel Cristina Fernández de Kirchners, die Wahlen und führte die Präsidentengeschäfte in enger Absprache mit ihrem Mann fort. Die erste Hälfte ihrer Regierungszeit war vor allem vom Agrarkonflikt geprägt, der durch die Erhöhung der Exportzölle ausgelöst wurde und der sie in der Konsequenz fast zum Rücktritt zwang. Durch diesen Schritt sollten die durch die Monokultivierung und Exportorientierung gestiegenen Lebensmittelpreise abgefedert werden. Ihre Rechnung hatte sie aber ohne die Oligarchie des Landes gemacht: Als Reaktion formierte sich eine althergebrachte Allianz aus Diktaturzeiten, die sich aus Großgrundbesitz, Kirche und Kapital zusammensetzte und die vom Medienimperium um die Tageszeitung Clarín unterstützt wurde. Dieser Zusammenschluss versuchte unter Federführung der Sociedad Rural, der Interessenvertretung von Großgrundbesitz und landwirtschaftlicher Produktion, sich durch Massendemonstrationen und einen Generalstreik des Kirchnerismus zu entledigen. Nur durch die Rücknahme der Pläne gelang es CFK die Situation zu beruhigen und ihre Präsidentschaft zu retten.
Nach dem Tod ihres Ehemanns im vergangenen Oktober war unklar, wie die politische Zukunft des Landes aussehen würde. Einerseits bedeutete Kirchners früher Tod das Ende seiner Nachfolgepläne, andererseits intensivierten die politischen Gegner_innen ihre Angriffe auf das Staatsoberhaupt. Doch die aktuellen hohen Zustimmungswerte zeugen davon, dass die 58-jährige nach dem plötzlichen und tragischen Tod die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Seit einem Jahr trägt sie ununterbrochen Trauer und stilisiert sich so zur tapferen Witwe, die die Politik in der Kontinuität des Verstorbenen weiterführt. Sie rückt sich dadurch in die Nähe der letzten Ehefrau des legendären Präsidenten Juan Perón, Isabela, die die Staatsgeschäfte nach dem Ableben des Generals übernahm. Gleichzeitig stellt sie sich mit einer Sozialpolitik zugunsten der armen Schichten in die Tradition des Wirkens von Eva „Evita“ Perón – nicht ohne dies entsprechend zu vermarkten, zum Beispiel durch die medienwirksame Enthüllung eines zehn Stockwerke hohen Stahlportraits der wohl populärsten Argentinierin. Die Popularität ihres gewandelten Images unterstreicht die Aussage einer dreifachen Mutter aus Buenos Aires gegenüber der argentinischen Tageszeitung Página/12. Auf die Frage, warum sie linksperonistisch wählen werde, gab die 36-jährige an: „Mir gefällt Cristina, weil sie eine Frau ist und weil ich sehe, dass sie trotz des Verlusts des Ehemanns weitermacht. Sie gibt nicht auf. Als er gestorben ist, hat sie nicht das Handtuch geworfen – trotz des Schmerzes und obwohl alle glaubten, sie könnten ihren Moment der Schwäche wie Aasgeier ausnutzen.“
Trotz aller Unwägbarkeiten und kurzfristigen Stimmungsumschwüngen, für die die argentinische Politik bekannt ist, scheint bereits jetzt ausgemacht, dass Fernández de Kirchner die Wahlen im Oktober für sich entscheiden und so eine zweite Amtszeit im Präsidentenpalast Casa Rosada verbringen wird. Zur Debatte steht momentan lediglich, ob CFK bereits im ersten Wahldurchgang die erforderliche absolute Mehrheit erreicht oder wer ihr Konkurrent in einer Stichwahl wäre, falls diese notwendig wird. Die einzige Chance gegen Fernández wäre ein geschlossenes Auftreten der Opposition, die bei einer Stichwahl einen gemeinsamen Wahlaufruf für den Zweitplatzierten formulieren müsste. Dies ist aber kaum absehbar.
Aussichtsreichster Kompromisskandidat wäre Duhalde, der bereits 2002 und 2003 Präsident war. Bei den Vorwahlen schaffte er es allerdings nur auf den dritten Platz. Als Vertreter des konservativen Peronismus, der den Linksperonismus um die Kirchners ablehnt, besitzt er einerseits die Fähigkeit, Massen zu mobilisieren. Andererseits verfügt Duhalde über die landläufig „Apparat“ genannten Kontakte zu gewerkschaftlichen Funktionären und den klientelistischen „Punteros“, die gerade bei Wahlen durch ihre Mittlerfunktion und Wahlempfehlung eine wichtige Rolle spielen. Weniger aussichtsreich sieht es für Ricardo Alfonsín, Spitzenkandidat der bürgerlichen UCR, aus. Zwar wurde der Sohn des ersten demokratischen Präsidenten nach der Militärdiktatur bei den Vorwahlen Zweiter, doch seinen „Radikalen“ gelang es zuletzt nur in historischen Ausnahmesituationen Mehrheiten zu erlangen. So ist es unwahrscheinlich, dass ein Nicht-Peronist im Land des Peronismus die Opposition hinter sich vereinen kann.
Die Ergebnisse der Vorwahlen wie auch die Schwäche der Opposition verleiteten selbst Macri, eigentlich ein erbitterter Gegner der Präsidentin und des Linksperonismus, die Wahl für verloren zu erklären. „Es ist fast unmöglich, die Verhältnisse im Oktober umzukehren,“ kommentierte er den Ausgang der Vorwahlen. Somit bleibt der Dualismus zwischen rechter Hauptstadt und linker Präsidentschaft weiterhin gewahrt. Mauricio Macri bleiben weitere vier Jahre, um sich auf seine Kandidatur für das höchste Staatsamt vorzubereiten. In dieser Zeit wird er ein Bündnis schmieden müssen, um bundesweite Bedeutung zu erlangen, denn sein Parteienbündnis PRO hat – das haben die letzten Provinzwahlen gezeigt – jenseits von Buenos Aires keine Bedeutung. Lediglich in einer der 23 Provinzen stellt PRO den Gouverneur. Im Hinblick auf die Wahlen 2015 muss sich Macri also fragen, wer ihm ein besserer Steigbügelhalter für den Griff nach der Macht sein kann: Die Bürgerlichen von der UCR oder der rechte Peronismus um Duhalde? Ein Gradmesser dafür ist sicherlich, welches Lager bei den Wahlen am 23. Oktober den zweiten Platz belegt.