Milizenchef Castaño wechselt die Stellung
Umstrukturierungen bei den Paramilitärs lassen auf Flügelkämpfe schließen
Die offizielle Version: In einem Zehn-Punkte-Kommuniqué erklärte das neue Oberkommando der AUC (Vereinigte Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens), dass die Umstrukturierungen mit dem schnellen Anwachsen der Organisation zu tun hätten. Diese umfasst derzeit etwa 8.000 Kämpfer, die in nahezu allen Landesteilen gegen die Guerilla und deren SympathisantInnen vorgehen. Deshalb sei die Spitze auf neun gleichwertige Kommandeure ausgeweitet worden statt auf eine einzige Führungsperson.
Hinter dem Rücktritt Castaños lassen sich jedoch weitere und plausiblere Erklärungen vermuten. Die naheliegendste ist ein Richtungsstreit zwischen ihm und der Nummer Zwei, dem italienisch-stämmigen Salvatore Mancuso alias „Santander Lozada“.
Was ist passiert? Am 24. Mai führten 150 Soldaten eines Spezialkommandos und 40 Agenten der Generalstaatsanwaltschaft eine Untersuchung der Finanzstruktur der AUC durch. In der Hauptstadt der Provinz Córdoba, Montería, wurden Privatgrundstücke und Firmensitze durchsucht und vier Personen festgenommen. Darunter befand sich auch der Sekretär der Organisation mit dem zynischen Namen „Gesellschaft für den Frieden in Córdoba“, der laut Anklage aktiv die Paramilitärs unterstützt haben soll. Des Weiteren wurden zwei Dutzend Computer sowie Gelder beschlagnahmt.
Der Schlag der Justiz wurde nicht wegen daraus resultierender struktureller Probleme zu einer Zerreißprobe innerhalb der AUC, denn er hatte mehr Medienwirksamkeit als Effektivität gezeigt. Eher machen sich einige Kommandeure der AUC Sorgen um ihre Nicht-Identität sowie ihre privaten Geschäfte und Familienangelegenheiten. So soll Mancuso Castaño gedrängt haben, dem Staat künftig seine Grenzen aufzuzeigen, was Aktionen gegen den Paramilitarismus betrifft. Schließlich wurde das Haus seiner Frau durchsucht und ein Chauffeur vor den Augen seiner Söhne erschossen.
Mancuso gilt spätestens seit dem 28. Dezember 2000 als die rechte Hand Castaños. In letzter Minute rettete er seinem Chef das Leben, als etwa 100 FARC-Guerilleros (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) völlig unerwartet die Finca El Diamante angriffen, um Castaño auszuschalten. In einem Black Hawk-Hubschrauber, der vermutlich der Armee gehörte, wurde er unter Gewehrfeuer ausgeflogen. Mancuso gilt aktuell als Para-Kommandant von sieben nördlichen Provinzen.
Krieg dem Staat?
Laut kolumbianischen Medien gehen nun einige AUC-Kommandeure – unter ihnen auch Mancuso – so weit, dem Staat den Krieg erklären zu wollen. Spätestens seit Februar, als FARC-Chef Marulanda den kolumbianischen Präsidenten Andrés Pastrana am Verhandlungstisch dazu bewegen konnte, eine Anti-Paramilitär-Kommission einzurichten, lassen sich solche Forderungen vernehmen.
Castaño dagegen betonte auch nach der Aktion von Montería, weiterhin loyal und respektvoll dem Staat gegenüber aufzutreten. Schließlich hing und hängt seine Existenz und die der Paramilitärs vom guten Willen der Armee ab. Er sieht seine Kämpfer im Dienste von Staatsinteressen. Das hat ihm nun womöglich den Chefposten gekostet.
Wie die zukünftige Linie der AUC nun aussieht, steht noch nicht fest. Eine Kriegserklärung gab es noch nicht, und wird es kurzfristig wohl auch nicht geben. Unklar ist jedoch, wer für die Bomben verantwortlich ist, die Mitte Mai in den größten Städten des Landes detoniert sind. Die fehlenden Bekennerschreiben lassen in diesem Zusammenhang vermuten, dass Flügel der AUC ohne Abstimmung mit Castaño eine Konfrontation gesucht haben könnten. AnalytikerInnen machten bereits den Beginn einer neuen Terrorwelle wie Anfang der neunziger Jahre aus, die diesmal von den Paramilitärs ausgehen könnte, um einem „Flügelstutzen“ bei den Paras seitens des Staates entgegenzutreten.
Flügelstutzen statt ernsthafter Bekämpfung
Die Paramilitärs könnten einem ähnlichen Schicksal entgegen gehen wie die großen Drogenkartelle vor zehn Jahren. Der bedeutendste Kopf, der damals gerollt ist, war der von Pablo Escobar. Der Drogenhandel funktioniert jedoch reibungsloser als je zuvor, nur zersplittert und ohne Galionsfigur. Warum sollte nicht das Gleiche mit den Paramilitärs passieren? Es ist nicht auszuschließen, dass Castaño als Initiator unzähliger Massaker an der Zivilbevölkerung einer solchen Opferfunktion entgehen und rechtzeitig seinen Kopf aus der Schlinge ziehen will. Den will er nämlich zukünftig noch häufiger in Zeitungen und Fernsehen zeigen. Laut dem Kommuniqué wird Castaño für die politischen Aktivitäten der AUC zuständig sein, die seit geraumer Zeit auf einen anerkannten politischen Status drängen. Dieser würde es illegalen Gruppen auf Grund der kolumbianischen Gesetzeslage ermöglichen, mit der Regierung Abkommen auszuhandeln. Castaño hatte schon immer Ambitionen, als politischer Lenker aufzutreten und seine Organisation als unabhängig und sauber zu deklarieren.
Die Folgen wären fatal: Die KolumbianerInnen gewöhnten sich mit Unterstützung aus Medien- und PolitikerInnenkreisen schnell an einen politischen Charakter der Todesschwadronen, und die Manager und Urheber weiterer Massaker blieben bis auf einige wie Mancuso ohne Gesicht. Saubermann Castaño kümmert sich schließlich nur um die Politik.
Die konservative Zeitung El Tiempo interpretiert die Polizeiaktion von Montería als einen strategischen Schachzug, der am Verhandlungstisch mit der FARC-Guerilla geplant wurde. Für einen Austausch von Geiseln, der am 5. Juni begonnen hat (siehe Kasten), soll die Guerilla die Pastrana-Administration verpflichtet haben, verschärft die paramilitärischen Strukturen in Córdoba anzugreifen. Laut dem Artikel glaube die dortige Bevölkerung, diese Politik sei die „erste Anzahlung“ der Regierung für einen erfolgreichen Friedensprozess mit der Guerilla.
In der Zeitung ist außerdem die Rede von einer Rückeroberung der vor sechs Jahren an die Paramilitärs verlorenen Gebiete. Seit Anfang des Jahres gehen FARC-Einheiten mit ungewohnter Härte gegen paramilitärische Hochburgen vor. Viehzüchter beklagen sich über Ausreden der ansässigen Armee-Bataillone, dass sie während der Guerilla-Offensiven nicht verfügbar seien, was den Rebellen große Geländegewinne im Süden der Provinz ermöglicht habe.
Wie weit diese Berichte von El Tiempo konstruiert sind, lässt sich schwer abschätzen. Im Rahmen des Möglichen ist das Gemeldete jedenfalls, da Pastrana auf einen Verhandlungserfolg mit der Guerilla angewiesen ist.
Reine Imagepflege
Gemeinsam mit der Guerilla gegen die Paramilitärs. Kann das eine neue Regierungsstrategie sein? Wohl kaum, auch wenn Pastrana für den laufenden Friedensprozess nun eine neue Richtung gegen die AUC einschlagen sollte. Auf alle Fälle sind seine Verbindungen zur Militärspitze, die in Sachen Paramilitarismus die Fäden in der Hand hält, frostiger geworden; spätestens seit er Vizepräsident Gustavo Bell Ende Mai auf den Sessel des Verteidigungsministers gehievt hat.
Dieser hatte drei Jahre die Funktion des Menschenrechtsbeauftragten der Regierung inne und gilt als enger Vertrauter Pastranas. Mit der überraschenden Ernennung will Pastrana sicherstellen, dass ein Vertrauensmann auf dieser Position ist, und zugleich ein Zivilist, der das neue Image der Regierung in die Welt tragen soll. Damit versucht der Präsident dem stetigen Druck nachzukommen, der von der internationalen Gemeinschaft ausgeübt wird. Der Neue soll nun die Reihen in der Armee sauberfegen.
Nur kann er das nicht. Laut dem amnesty-Jahresbericht zur Menschenrechtslage „präsentiert Bell nicht die geringste Hoffnung, dass sich die Situation ändern wird“. Dabei bezieht sich die NRO auf die Daten während Bells Zeit als Menschenrechtsbeauftragter. Die Zahl der Massaker und Folterungen ist gestiegen und die Verbindungen zwischen Armee und Paramilitärs sind weiter gewachsen.
KASTEN:
FARC lässt im Rahmen des Friedensprozesses die ersten Geiseln frei
Fast zweieinhalb Jahre kränkelnder Friedensprozess zwischen FARC und Regierung waren nötig, um das erste ausgehandelte Abkommen am 2. Juni unterschriftsreif vorzulegen. Beide Seiten haben an diesem Tag zum ersten Mal ein verbindliches Dokument unterschrieben, das zunächst einen Gefangenenaustausch vorsieht. Darin verpflichten sich die FARC, 42 erkrankte Soldaten und Polizisten, die seit 1997 bei Gefechten gefangen genommen wurden, freizulassen. Die Regierung hat sich in dem Abkommen im Gegenzug auf die Entlassung von 15 Guerilleros verpflichtet.
Am 5. Juni wurden der Polizeioberst Alvaro León Acosta, der sich in einem kritischen Gesundheitszustand befand, sowie drei weitere Polizisten auf freien Fuß gesetzt. Vom Internationalen Roten Kreuz wurde eine Liste von Guerilleros erstellt, die demnächst die Gefängnisse verlassen dürfen. Dabei handelt es sich allerdings um Rebellen, die wegen weniger schwerer Delikte wie illegalem Waffenhandel und „Rebellion“ eingesperrt wurden und bereits fast ihre komplette Haftzeit abgesessen haben. Eine Ausnahme bildet der Comandante des 22. FARC-Blocks, der bereits seit elf Jahren mit Diabetes einsitzt. Laut dem Abkommen soll den befreiten Guerilleros verboten werden, an zukünftigen Kampfhandlungen teilzunehmen. Über einen Kontrollmechanismus verfügt man allerdings nicht. Insgesamt befinden sich noch über 400 Soldaten und Polizisten in Gefangenschaft der FARC. Diese stellten aber klar, dass an der Entführungspolitik weiter festgehalten wird.
Nach der Unterschrift betonten beide Seiten, dass man dieses Abkommen nur als einen Anfang betrachte. Als möglicher nächster Verhandlungspunkt wird ein Waffenstillstand in Betracht gezogen.