Kolumbien | Nummer 196 - September 1990

Ministrabler Ex-Guerillero

Ein Guerillaführer als Minister: Antonio Navarro Wolff, Präsidentschaftskandi­dat der M-19 bei den letzten Wahlen, wird Gesundheitsminister. Kolumbiens neuer Präsident Cesar Gaviria macht’s möglich. Für sein Befriedungskonzept kann er die legale Linke nicht ganz ausschließen. Die M-19 sucht Spielräume, um das erstarrte politische System zu öffnen, während das Establishment einen Alibi-Linken in der Regierung brauchen kann. Kann Navarro Wolff mehr sein als die Alibifigur?

Ulrich Goedeking

Noch vor gut einem halben Jahr war Antonio Navarro Wolff eine der Führungs­persönlichkeiten der Guerilla M-19. Unter der Führung von Carlos Pizarro ging die M-19 den Weg in die politische Legalität und konstitutierte sich als Partei. Der Mord an Pizarro im Mai diesen Jahres vor den Präsidentschaftswahlen schien die Aussichtslosigkeit einer legalen linken politischen Aktivität zu bewei­sen. Trotzdem hat sich in Kolumbiens politischem System durch die Einbezie­hung eines Ex-Guerilleros als Minister in die Regierung etwas geändert. Noch vor kurzer Zeit wäre dieses völlig undenkbar gewesen.
Der neugewählte Präsident Cesar Gaviria steht wie seine Vorgänger vor dem Problem, daß das formal-demokratische System Kolumbiens das Vertrauen der Mehrheit der Bevölkerung verloren hat. Nicht einmal die Hälfte der Wahl­berechtigten geht wählen. Der Staat ist über hochrangige Militärs zu offensicht­lich und zu eng mit der Aktivität der Todesschwadronen und den Interessen der Oberschicht kompromittiert. Gaviria ist Teil des Establishments – die Präsident­schaftskandidatur der dominierenden Liberalen Partei ist ohne viele Kompro­misse mit Lobbyisten und Geldgebern kaum zu erreichen. Aber er scheint erkannt zu haben, daß es mit der Verwaltung der Macht bzw. der Verwaltung des Krieges nicht so weitergehen kann, ohne daß sich die kolumbianische Gesell­schaft noch weiter polarisiert. Die Einbeziehung der M-19 in die Regierung ist im Zusammenhang mit dem Projekt einer Verfassungsreform zu sehen, die das Vertrauen der Bevölkerung in die formal-demokratischen Institutionen wieder­herstellen soll. Am 25.November soll eine 80-köpfige verfassungsreformierende Versammlung gewählt werden. Ihr sind jetzt schon enge Grenzen gesetzt. Ein Themenkatalog ist bereits definiert ebenso wie die Vorgabe, daß die bestehende Verfassung in jedem Fall Grundlage der Reformen sein muß. Für eine wirkliche Verfassungsreform bleibt dort wenig Platz. Außerdem müssen alle Vorschläge vom Obersten Gerichtshof ironischerweise auf ihre Verfassungsmäßigkeit, (gemessen an der Verfassung, die sie gerade reformieren sollen) überprüft wer­den. Eine Vetoinstanz gegen allzu große Selbständigkeit der Versammlung ist also eingebaut.
Ein Blick auf die ersten Personalentscheidungen des neuen Präsidenten zeigt, wie eng offenbar auch seine politischen Spielräume und wie begrenzt sein politischer Wille für Reformen sind. Im Kabinett sitzen neben Navarro Wolff nur Vertre­terInnen der traditionellen Parteien. Das Bündnis der beiden großen Parteien, der Liberalen und Konservativen, hat in Kolumbien eine fatale Tradition. Jahrzehn­telang hatten sie qua Absprache die Macht unter sich aufgeteilt und damit den in der Theorie demokratischen Charakter des Systems so pervertiert, daß das Miß­trauen der KolumbianerInnen nur konsequent ist. Auch an das Militär hat Gavi­ria Konzessionen machen müssen. Zwar gab es ein größeres Stühlerücken in den höchsten Positionen, jedoch kamen außerordentlich zweifelhafte Figuren an die Spitze der Streitkräfte. Der neue Oberbefehlshaber Roca Maichel wurde von ehemaligen Mitgliedern seiner Einheit beschuldigt, der Mafia beim Transport eines Kokainlabors geholfen zu haben. Ein Militärgericht sprach ihn frei. Der nach Dienstalter Zweite, General Farouk Yanine, ist in die Bildung von para­militärischen Gruppen im Tal des Magdalena Medio (nördlich von Bogotá) verwickelt.
Was kann ein einzelner linker Minister in solch erlauchtem Kreise tun? Vom kollektiven Marsch durch die Institutionen ist die kolumbianische Linke weit ent­fernt. Trotzdem ist die Flucht nach vorn der M-19 verständlich. Mit ihrem bewaffneten Kampf war die Guerilla in eine Sackgasse geraten. Die Ernennung eines Ex-Guerilleros zum Minister hat nicht viel mehr als Symbolwert, aber die­ser ist nicht zu unterschätzen. Nicht, daß der bewaffnete Kampf in Kolumbien sich erübrigt hätte, die Gründe für ihn bestehen weiter und können unter bestimmten Bedingungen auch wieder zu einem Weg des jetzt legalen Teils der Linken zurück in den Untergrund führen, sei es zum bewaffneten Kampf oder zu anderen Formen der politischen Arbeit. Die bitteren Erfahrungen der Unión Patriótica und des M-19 selbst mit der Ermordung ihrer KandidatInnen sprechen für sich. Was bleibt, ist die Hoffnung, vielleicht einen winzig kleinen politischen Spielraum für progressive Politik nutzen zu können.

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