Lateinamerika | Nummer 246 - Dezember 1994 | USA

Mit dem Freundbild war es nichts

Präsident Bill Clinton hat eine vernichtende Wahlniederlage ein­stecken müs­sen. Die Wählerinnen und Wähler ließen ihren antipoli­tischen Ressentiments freie Fahrt und schenkten der von reaktio­nären Fundamentalisten immer stär­ker beherrschten Republikani­schen Partei die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses. Die in letzter Zeit fast sprachlos gewordenen Anhänger eines kon­sequenten Antiimperialismus können sich freuen: Sie bekommen ihr Feindbild zurück. Für Lateinamerika sieht die künftige Entwick­lung dagegen eher düster aus.

Urs Müller-Plantenberg

Kaum jemand hat vor zwei Jahren nach der Wahl Bill Clintons zum Präsidenten der USA vorauszusagen gewagt, daß er in so vielen Punkten seiner Politik erfolg­reich sein würde. Die USA haben in diesen beiden Jahren ein Wirtschafts­wachstum gehabt, um die sie alle anderen Industrienationen beneidet haben. Dabei ist die Inflation gesunken, die Zahl der Arbeitslosen ziemlich rapide zurückge­gangen. Vor allem konnte Clinton durch eine Haushaltsführung des rigorosen Spa­rens das unter seinen Vor­gängern Bush und Reagan gewaltig angestiegene Defizit erheb­lich reduzieren, und das, obwohl nur die reichsten 1,2 Prozent der Bevölkerung höhere Steuern zahlen mußten. Der stän­digen Aufrüstung nach innen und nach außen wurde die Spitze ab­gebrochen; stattdessen wurde der Akzent auf natio­nale Schul­reform und Studienförderung gelegt.
Erfolge über Erfolge
Selbst wenn die von Hillary Clinton koor­dinierten Bemühungen um die geplante Gesundheitsreform nicht richtig vom Fleck ge­kommen sind, gibt es in der jün­geren Geschichte der USA kaum einen Präsidenten, der mit seinen gesetzgebe­rischen Be­mühungen gegenüber einem zwar demokratisch beherrschten, aber doch widerspenstigen Kongreß so erfolg­reich gewesen ist. Haushaltsreform, Steuerreform, Verwaltungsreform, Ver­brechensbekämpfungsgesetz, Ratifizie­rung des Nordamerikani­schen Freihan­delsabkommens und manches wichtige Gesetz mehr hat er mit äußerster Mühe und viel Hängen und Würgen eben doch durchgekriegt.
Und wer hätte schon vor zwei Jahren er­wartet, daß schwerbe­waffnete und schwerbepackte US-Marine-Infanteristen auf einer vom Imperialismus schwer ge­plagten Karibik-Insel wie Haiti von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung umjubelt werden, weil sie – auch noch ohne Invasion und den üblichen Blutzoll – einen Präsidenten ins Land und in sein Amt zurückbringen, der vorher von der CIA nach allen Kräften als gefährlicher Feind der USA diffamiert worden war? Wer hätte noch vor we­nigen Jahren pro­phezeien wollen, daß sich im Weißen Haus Aristide und Nelson Mandela und Yassir Arafat und mancher andere aus der Reihe der Weltrevolutionäre praktisch die Klinke in die Hand geben, sodaß am Ende nur noch Fidel Castro fehlt? Wer hätte dem jungen Präsidenten zugetraut, daß er die Verhandlungen über einen GATT-Kompromiß über die Runden kriegt, sich aus Somalia ohne schweren Gesichtsver­lust zurückziehen kann, mit Nordkorea und Kuba Regelungen findet, die einen Zusammenstoß vermeiden, als Friedens­garant zwischen Israel, Palästina, Jorda­nien, Syrien und sogar dem Irak auf­treten kann?
Früher galt in den USA, daß nichts so er­folgreich ist wie der Erfolg. Danach müßten Clintons Gefolgsleute die Wahlen 1994 haushoch gewonnen haben. Tat­säch­lich ist das Gegenteil einge­treten. Der Republikanischen Partei ist es gelungen, wahrheits­widrig den Zustand der Wirtschaft als fortwährende Rezession darzustellen, die der unerfahrene Präsident als unermüdlicher Steuereintreiber und Verschwender auch noch tatkräftig för­dere. Und die Massen glaubten das. Kleine Affairen, über die man bei Ronald Reagan die Achseln gezuckt hätte und die sich neben dem systematischen Betrug durch den Bankrott der Sparkassen unter Reagan oder dem Iran-Contra-Skandal von Reagan-Bush wie ein Mäusefurz aus­nehmen müßten, wurden ge­waltig aufge­bauscht und nahmen die Regierung ziem­lich in An­spruch.
Das müde Wahlvolk und die wache Grand Old Party
Erstaunlich ist nicht, daß die Kandidat­innen und Kandidaten der Republikani­schen Partei in dem schmutzigsten und eklig­sten Wahlkampf, an den man sich erinnert und in dem das Ver­sprechen möglichst häufiger Vollstreckung der To­desstrafe zu den stärksten Argumenten zählte, so oft die relative Mehrheit der Stimmen erhalten haben. Erstaunlich ist vielmehr, daß die große Masse der Leute, zu deren Gunsten die geplanten und durchgeführten Reformen sich auswirken sollten und auswirken werden, den Präsi­denten in keiner Weise unterstützt hat, son­dern sich dem Ressentiment gegen Politik im allgemeinen und gegen Kon­greß und Regierung im besonderen voll hingegeben hat und entweder gar nicht oder bewußt gegen Clinton wählte.
Die Grand Old Party (Republikaner) bringt es fertig, den Mas­sen die Zeiten ihrer Präsidenten Reagan und Bush, in denen die Steuern der Reichen gesenkt wurden und wahnsinnige Rüstungspro­jekte aus immer höheren Schulden finan­ziert wur­den, als Glanzzeiten des Imperi­ums zu verkaufen, in denen die Marine-Infanteristen der Welt noch – wie in Gre­nada oder Panama oder im Golfkrieg – klarmachten, wo der Feind steht.
Und alle sozialen Bewegungen sehen zu, nicht einmal voller Mitleid, eher hämisch. Von einer machtvollen Umweltbewegung, die den Vizepräsidenten Al Gore stützt, ist kaum etwas zu spü­ren. Die Frauenbewe­gung ist in der Abtreibungsfrage in der Defensive und identifiziert sich möglichst nicht zu sehr mit Hillary Clinton. Die Friedensbewegung scheint sich überhaupt aufgelöst zu haben. Und die internationale Solidaritätsbewegung ist ganz damit be­schäftigt, nachzuweisen, daß es sich in Haiti doch um eine Invasion mit imperia­listischen Hintergedanken handelt.
Erst wenn die führenden republikanischen Senatoren die Schlüsselstellungen im Kongreß besetzt haben und die Innen- und Außenpolitik maßgeblich mitbestimmen, wird das alte Feindbild wieder stimmen. Lateinamerika kann dabei nur verlie­ren: Ein neuer Aufrüstungs- und Verschul­dungsschub würde das internationale Zinsniveau wieder kräftig anheben und die zeitweilig fast vergessene Verschul­dungskrise der lateinameri­kanischen Län­der neu ankurbeln. Die in Kalifornien in einer Volksabstimmung angenommene sogenannte Proposition 187 zeigt, wohin die Reise im Verhältnis zu den Latinos geht, die – großenteils illegal – in den USA leben: Sie sollen benachteiligt, ausge­grenzt und vertrieben werden.
Mit Jesse Helms wird jetzt der reaktionär­ste Mann, den es überhaupt in den letzten 20 Jahren im Kongreß gegeben hat, zum einflußreichsten Außenpolitiker des Se­nats werden. Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, daß nach seiner Meinung an­ständige US-amerikanische Soldaten Leute wie Allende oder Castro oder Aristide zum Teufel jagen sollten. Mittel­amerika und die Karibik sollen wieder wie der Hinterhof der USA be­handelt werden. Mit Leuten wie Jesse Helms wird Clinton in Zu­kunft gelegentlich einen Deal machen müssen, um andere Pro­jekte durchsetzen zu können. Dann wird er endlich entlarvt sein, werden manche denken. God bless Latin America!

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