Literatur | Nummer 197 - November 1990

Octavio Paz: Großer Poet -großer – Verwandlungskünstler

Jorge Gómez Izquierdo (Übersetzung: Ingrid Lebherd)

Zum Literaturnobelpreis von Octavio Paz

Wird von Octavio Paz gesprochen ist es sehr schwierig, sich der Auseinandersetzung zu entziehen. Eine Persönlichkeit der universellen Kultur und der mexikanischen Politik -und nicht nur deren -,hat er von sich ein so vorteilhaftes Bild geschaffen, das gleichzeitig entgegengesetzt zu seinem wirklichen Ich ist. Octavio Paz kann stolz darauf sein, der am meisten ausgezeichnete Autor der spanischen Sprache zu sein. Zu seinem Unglück kann er aber nicht die höchste Anerkennung bekommen, die es für einen Schriftsteller gibt: die der Leserinnen, die neben seinem Talent die intellektuelle Aufrichtigkeit am meisten schätzen. Paz verkauft sich in der literarischen Welt als marginalisierter Schriftsteller, Rebell, Verteidiger der Freiheit und als unabhängiger Kritiker der Macht und der totalitären Systeme. Eine Gegenüberstellung mit seinem öffentlichen Auftreten, das ihn mit den Mächtigen in Mexiko und der Welt verbindet würde er schwer bestehen. Sag’mir, von wem Du deine Preise bekommst und ich sage Dir, zu welcher Sorte Intellektuellen du gehörst.
Können wir wirklich an die intellektuelle Unabhängigkeit Octavio Paz’ glauben, wenn die mexikanische Regierung ihm alle nur möglichen mexikanischen Preise verliehen hat und sogar noch extra für ihn einen erfunden hat? Wo bleibt da die angebliche Marginalisierung des Poeten, wenn allgemein bekannt ist, daß er mindestens seit den 40-er Jahren dem mexikanischen Staat gedient hat, dessen Kritiker er zu sein behauptet? Paz stand im diplomatischen Dienst und arbeitete in verschiedenen akademischen Institutionen und kulturellen Projekten, die von der Regierung finanziert wurden. So arbeitete er auch an der jüngsten Ausstellung über mexikanische Kunst in New York mit, die das Ansehen der Regierung Salinas de Gortari stärken soll.
Wer kann Octavio Paz bescheinigen, er sei ein kämpferischer und kritischer Intellektueller, wenn er gleichzeitig als Botschafter Mexikos in Indien bis zur allerletzten Minute gewartet hat, um sein Amt seinem Chef Díaz Ordaz zur Verfügung zu stellen, als dieser im Oktober 1968 auf tausende Studierende und BürgerInnen schießen ließ ? In Wirklichkeit war der Rückzug des Botschafters Octavio Paz eine günstige Gelegenheit, um sein internationales Ansehen zu retten. Dieser Rücktritt sollte von da an die Grundlage für die Legende seiner Aufrichtigkeit und Tapferkeit bilden. Dieser Tage erinnern uns die Biographen von O.Paz (siehe auch FAZ, Süddeutsche Zeitung und der Spiegel) mit auffälliger Eindringlichkeit daran, daß Paz aus einer revolutionären und sozial kämpferischen Familie stammt: Sohn eines Kampfgefährten des Bauernhelden Zapatas und Enkel eines Parteigängers Benito Suárez’, der gegen die französische Intervention in den sechziger Jahren des 19.Jahrhunderts gekämpft hat. Ausserdem bereichert eine Tatsache seine besondere Abstammung, die aus der Familie Paz ein Beispiel der geglückten Synthese des Mexikanischen machen: Die Mischung des spanischen.und des indianischen Blutes. Durch diesen Verweis auf seine Abstammung wird der Versuch unternommen, aus Octavio Paz genau die passende Persönlichkeit zumachen und ihn im Namen ganz Mexicos sprechen zu lassen (El laberinto de la soledad). Auch wenn in Wirklichkeit seine Verbindung zu den Armen und der indigenen Bevölkerung Mexikos sich in nichts von der der Mächtigen unterscheidet. Hier kann sehr gut das mexikanische Sprichwort gebraucht werden: Sag’ mir, womit du prahlst und ich sage dir, was dir fehlt.

Paz, ein Mann des Volkes?

Und außerhalb Mexikos? Wissen Sie, wer den Poeten prämiert hat?. Einige nordamerikanische Universitäten, an denen die neuen Eliten Mexikos ausgebildet werden. Die “neuen Mexikaner” von Harvard, Oxford, Yale und Stanford. Sie “modernisieren” Mexiko, in dem sie es verschulden und zu einem Netto-Kapital-exporteur machen. Auch unterstützen sie die “Modernität” und unterzeichen einen Freihandelsvertrag mit den USA, um Mexiko in ein riesiges touristisches Territorium mit genügend billigen und kontrollierbaren Arbeitskräften zu verwandeln.
Eigentümlicherweise haben die Reise von Paz immer offiziellen oder halboffiziellen Charakter und kamen von Regierungen oder Institutionen, konservativen oder offen rechten Gruppen. Dies spricht für sich …. Mit der Rede, die er beim Erhalt des deutschen Buchhandelspreises gehalten hat, stellte sich Paz als Vorkämpfer der Demokratien auf dieser Welt dar und fiel über das “totalitäre” sandinistische Regime her, von dem er sofortige “freie Wahlen” verlangte. Und von da aus ging es weiter gegen Kuba. Um 1987 herum befand sich Paz an der Spitze einer internationalen Gruppe von Intellektuellen, die von dem “Diktator” Fidel Castro ein Plebiszit verlangte, gleich demjenigen von Pinochet in Chile, indem das kubanische Volk seinen “freien” Willen gegenüber dem kommunistischen Regime hätte äußern sollen. Zufall oder nicht, Paz wurde zu einer wichtigen Stimme der nordamerikanischen Politik in Lateinamerika, deren Ziel es ist, mit den von den USA nicht geschätzten Systemen aufzuräumen
Den Eifer, den Octavio Paz an den Tag legt, wenn er saubere, authentische und demokratische Wahlen in Nicaragua, Kuba und in den Ländern des sozialistischen Ostens verlangt, verschwindet sofort, und er wird zum wahren Verwandlungskünstler, wenn es um die gleiche Sache in seinem eigenen Land geht. Logisch: es ist einfacher, den Splitter in seines Mitmenschens Auge zu sehen, als den Balken vor seinem eigenen Auge.
Wie rechtfertigt man jemanden, der das politische System Mexikos einmal als Diktatur bezeichnete, das politische Monopol der P.RI.,den Mangel an Demokratie kritisierte und gleichzeitig, wie durch einen Taschenspielertrick sich über die politischen Rechte des mexikanischen Volkes lustig macht (Posdata). Jetzt ist er Fürsprecher des Modernisierungsprojekts der P.R.I.. Er verteidigt die Legitimität des Regimes von Salinas de Gortari, das durch Wahlbetrug an die Macht gekommen ist,und seine zentrale Stütze während des sich daraus ergebenden Wahlkonflikts in dem Einsatz der Armee und in der Effizienz der polizeilichen Unterdrückung von Dissidenten findet. Das Talent und die Feder Octavio Paz dienen nun dazu, daß das salinistische Regime die Glaubwürdigkeit erhält, die es so nötig braucht.
Können wir uns wirklich einen so “naiven” Paz vorstellen …?O.Paz von einem System verführt dessen Mechanismen der Kooptation (Integration von Oppositionellen) und Korruption -die auch Teil der Preise für Intellektuelle ausmachen -wie er selber ganz klar beschrieben hat (El Ogro Filantripico). Wie funktioniert das mentale Labyrinth dieses Menschen mit den vielen Masken, Gewinner des Nobelpreises durch Täuschung?
Endlich waren die Bemühungen von Octavio Paz nicht umsonst: er genießt Privelegien und Konzessionen. Er verfügt über die Zeitschrift “Vuelta”, die von der Regierung finanziert wird; das Fernsehmonopol (‘Televisa”) stellt ihm eine gute Anzahl an Stunden zur Verfügung und organisiert für ihn Ehrungen. O.Paz hat sich in das unbestrittene Haupt der mexikanischen Kulturbürokratie verwandelt. Viele Privilegien, die er selbst in seiner Kritik an der mexikanischen Bürokratie beschrieben und kritisiert hat,gibt er selbst nicht auf.(El Ogro Filantripico)
Noch eine Täuschung und ich beende diesen Kommentar: Paz hat die Modernität und die Modernisierungsprojekte der mexikanischen Eliten kritisiert. Er hat geschrieben, daß diese Projekte Mexiko die Unabhängigkeit gekostet haben und den Verlust der nationalen Identität (E1 Ogro Filantípico, Corriente Alterna); aber heute tritt er mit einer anderen Maske auf die politische Bühne. Vielleicht seine wirkliche und authentische Maske -die des Legitimators und Ideologen der Modernisierung durch Salinas. Der Poet hat mit seiner Musik den Ohren der Mächtigen Mexikos und der Welt geschmeichelt. Seine Dienste wurden belohnt. Der einzige Preis, der ihm fehlte, der am meisten gewünschte von allen, schmückt jetzt sein gekröntes Haupt. Mit seinen 76 Jahren kann sich Octavio nun in Paz (Frieden) zurücklehnen.

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