Nummer 584 - Februar 2023 | Politik | Venezuela

OPPOSITION IM ABSEITS

Juan Guaidós Interimspräsidentschaft beendet

Bis zum letzten Moment hatte Juan Guaidó versucht, seine einstigen Mitstreiter*innen umzustimmen. Doch Ende Dezember 2022 votierte die Mehrheit der Ende 2015 gewählten Nationalversammlung dafür, das „Unternehmen Interimspräsidentschaft“ endgültig zu beenden. Von den vier größeren Oppositionsparteien hielt nur Guaidós ursprüngliche Partei Voluntad Popular (VP) daran fest.

Von Tobias Lambert

Dabei hatte die Amtszeit der Abgeordneten offiziell bereits Anfang 2021 geendet. Seitdem verlängerte das Parlament sein Bestehen eigenmächtig Jahr für Jahr und trifft sich weiterhin per Zoom. Tatsächlich wurde Ende 2020 eine neue Nationalversammlung gewählt, in der die regierende Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV) eine klare Mehrheit hat. Die US-Regierung erklärte, das Parlament von 2015 unabhängig von Guaidós „Abwahl“ auch zukünftig als primäre Ansprechpartnerin und „letzte demokratische Institution“ in Venezuela anzusehen.

Guaidó zeigte sich nach seiner Abwahl kämpferisch: „Zählt auf mich. Wir werden als Demokraten weiterhin die Verfassung verteidigen. Heute sage ich euch, dass wir die Diktatur besiegen und uns immer auf der Straße wieder treffen werden.“ Doch diese Plattitüden können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die rechte Opposition vor den Trümmern einer von Beginn an fehlgeleiteten Strategie steht, der ohne Unterstützung der US-Regierung von Beginn an jegliches politisches Fundament gefehlt hätte.

Im Januar 2019 ernannte sich der damals weitgehend unbekannte Abgeordnete Guaidó selbst zum Interimspräsidenten, nachdem die US-Regierung und die rechte Opposition die teilweise boykottierte Präsidentschaftswahl von Mai 2018 nicht anerkannt hatten. Guaidós gebetsmühlenartig wiederholter Slogan „Ende der Usurpation, Übergangsregierung und freie Wahlen“ hatte sich bereits nach wenigen Wochen erledigt. Selbst in der eigenwilligen Verfassungsinterpretation der Opposition, wonach Maduro aufgrund der umstrittenen Präsidentschaftswahl offiziell als „abwesend“ galt, hätte es nach 30 Tagen Neuwahlen geben müssen. Zwischenzeitlich wurde Guaidó von etwa 60 Staaten – darunter auch Deutschland – als Interimspräsident anerkannt. Zuletzt blieben fast nur noch die USA als verlässlicher Partner übrig.

Im Prinzip ist aber seit über drei Jahren klar, dass Guaidó innerhalb Venezuelas keine Macht ausübte und sein Einfluss in der Opposition immer weiter abnahm. Jenseits der internationalen Unterstützung sowie der Kontrolle über milliardenschwere Auslandsbesitztümer des venezolanischen Staates, konnte Guaidó keinerlei Erfolge verbuchen. Nach seiner Selbstproklamation im Januar 2019 waren mehrere dilettantische Umsturzversuche mit Unterstützung rangniedriger Militärs und Söldnern gescheitert.

Guaidó baute derweil eine absurde Parallelstruktur politischer Ämter auf, die für den kurzen Zeitraum erstaunlich viele Korruptionsaffären hervorbrachte. Dies ist vor allem deshalb beachtlich, weil sich die Opposition eigentlich als vermeintlich saubere Alternative zur Regierung präsentieren wollte. Der Umgang mit eingefrorenen Geldern und geraubten Unternehmen wie Monómeros, das in Kolumbien chemische Düngemittel herstellt oder dem Tankstellennetz Citgo in den USA, bestätigt die alte These, wonach die Opposition vor allem zurück an die Erdöltöpfe will. Das Ende der Interimspräsidentschaft schneidet Guaidó nicht zuletzt vom Zugriff auf Gelder ab. Die eingefrorenen venezolanischen Auslandsvermögen soll nun ein dreiköpfiges Gremium aus den Reihen des Parlamentes von 2015 verwalten.

Guaidós Hoffnung bestand stets darin, dass die US-Regierung das „Problem Maduro“ schon irgendwie lösen würde – militärisch, durch eine verdeckte Operation oder die Wirtschaftssanktionen. Diese verfolgten ursprünglich das Ziel, einen Aufstand der Bevölkerung und eine Militärrebellion anzuzetteln, um Maduro zu stürzen. Stattdessen brachten sie die venezolanische Regierung dazu, eine Wirtschaftspolitik umzusetzen, die sie früher vehement abgelehnt hatte und die auf intransparenten Privatisierungen, steuerfreien Importen und der Nutzung des US-Dollar als Zahlungsmittel basiert. Die Regierung erklärt dies als „taktischen Richtungswechsel“, der angesichts der Sanktionen notwendig sei. Diese wurden ab 2015 zunächst gegen Einzelpersonen verhängt und im Zuge einer „regime change-Politik“ unter US-Präsident Donald Trump ab 2017 schrittweise auf den Finanz- und Erdölsektor ausgeweitet.

Der neue wirtschaftliche Kurs führte im vergangenen Jahr vorübergehend zu einer leichten Erholung der Wirtschaft. Im Februar 2022 hatte das Land die mehrjährige Hyperinflation hinter sich gelassen. Doch im Jahresverlauf zog die Teuerungsrate wieder an und lag im Jahresdurchschnitt laut offiziellen Zahlen bei 234 Prozent. Nachdem die Regierung Ende September 2021 sechs Nullen der Landeswährung Bolívar gestrichen hatte, war es ihr gelungen, den Wechselkurs zwischen dem Bolívar und US-Dollar durch Interventionen am Devisenmarkt bis Mitte August 2022 stabil zu halten. Seitdem fiel er allerdings von gut sechs auf 22 Bolívar Ende Januar dieses Jahres. Der Mindestlohn liegt trotz enormer 1.700-prozentiger Erhöhung im März vergangenen Jahres bei nicht einmal zehn US-Dollar monatlich, wovon niemand leben kann. Öffentlich Angestellte wie Lehrer*innen und Universitätsmitarbeiterinnen, aber auch Stahlarbeiterinnen, gehen seit Anfang Januar verstärkt für höhere Löhne auf die Straße.

Die Opposition muss nun schnell klären, wie es weitergeht. Mittels Vorwahlen will sie eine gemeinsame Kandidatur für die Präsidentschaftswahl Ende 2024 festlegen, kann sich aber bisher nicht einmal auf das genaue Procedere einigen. Zahlreiche Politiker*innen erheben Anspruch auf die Präsidentschaftskandidatur, darunter auch Juan Guaidó selbst. Parallel zu den internen Aushandlungsprozessen strebt die entlang moderat-pragmatischer und radikaler Positionen gespaltene Opposition weiterhin an, durch Verhandlungen mit der Regierung möglichst transparente Bedingungen für die Präsidentschaftswahl zu erreichen. Im vergangenen November begann ein neuer Dialog in Mexiko. Anders als bei den letzten gescheiterten Versuchen haben die USA heute ein Interesse daran, dass konstruktive Ergebnisse erzielt werden, anstatt weiterhin auf einem unrealistischen Regierungswechsel zu pochen. Denn seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine würde die US-Regierung gerne wieder Öl aus Venezuela importieren. 2019 hatte sie dies im Zuge des Machtkampfes zwischen Maduro und Guaidó gestoppt. So waren seit März bereits zwei hochrangige US-Delegationen in Caracas zu Gast, mehrere in Venezuela inhaftierte US-Bürger*innen wurden anschließend freigelassen.

Die Zukunft des Dialogs mit den USA steht jedoch jetzt schon wieder auf der Kippe

Im November nun lockerte die US-Regierung im Zuge der Wiederaufnahme des Dialogs die Sanktionen im Erdölbereich leicht. Der Energiekonzern Chevron darf über seine vier Joint Ventures mit dem venezolanischen Staatsunternehmen PDVSA vorerst wieder venezolanisches Erdöl in die USA exportieren. Die Einnahmen werden allerdings mit bestehenden Schulden verrechnet. Eine weitere Einigung sieht vor, dass drei Milliarden US-Dollar aus eingefrorenen Geldern Venezuelas unter UN-Verwaltung für soziale Belange verwendet werden sollen.

Die Zukunft des Dialogs steht jedoch bereits wieder auf der Kippe. Wie der chavistische Verhandlungsführer Jorge Rodríguez erklärte, seien bei der Freigabe der drei Milliarden US-Dollar bisher keine Fortschritte erzielt worden. Eine Fortführung der Gespräche stellte er unter diesen Bedingungen offen in Frage. Weitere Probleme könnte eine aktuelle Gesetzesinitiative aus Caracas bereiten. Am 24. Januar verabschiedete das venezolanische Parlament in erster Lesung das „Gesetz über die Kontrolle, Regulierung, Tätigkeit und Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen und verwandter Organisationen“. Hinter dem kryptischen Namen verbirgt sich das Vorhaben, die Arbeit von NGOs künftig schärfer zu regulieren. Kritiker*innen sehen darin einen Versuch, die kritische Zivilgesellschaft zu gängeln wie dies durch ein ähnliches Gesetz bereits in Nicaragua geschieht.

Der Abgeordnete Diosdado Cabello begründete den Vorstoß damit, dass zahlreiche NGOs mit der finanziellen Unterstützung fremder Regierungen, vor allem der USA, rein politische Ziele verfolgten. „Mir liegt eine Liste von 62 NGOs vor, die im Land zu politischen Zwecken tätig sind und von Einrichtungen anderer Länder finanziert werden. Das Ziel ist nicht humanitär oder sozial, sondern die Durchsetzung dessen, was sie als Demokratie verstehen.“

Laut dem offiziell nicht öffentlichen, aber bekannten Entwurf, müssen sich NGOs künftig beim Rechnungshof oder dem Außenministerium registrieren und ihre Finanzierung offenlegen. Sie dürfen demnach keinen „politischen Tätigkeiten nachgehen“ oder Handlungen fördern, die sich „gegen die nationale Stabilität und die Institutionen der Republik richten.“ Zudem soll ihnen untersagt werden, Gelder anzunehmen, die diesen Zwecken dienen. Bei Nichtbefolgung der neuen Regularien sind Geldstrafen von bis zu umgerechnet 12.000 US-Dollar möglich. Das Gesetz eröffnet aber auch die Möglichkeit, NGOs aufzulösen.

Tatsächlich ist es kein Geheimnis, dass in Venezuela einzelne NGOs als Deckmantel für Umsturzpläne oder Korruption benutzt werden, was allerdings ohnehin verboten ist. Das Gesetz würde jedoch viele NGOs treffen, die nicht auf Regierungslinie und auf internationale Gelder angewiesen sind. Klar definiert ist „politische Tätigkeit“ nicht, was der Regierung einen Spielraum gibt, der immer wieder neu interpretiert beziehungsweise erweitert werden kann, so wie dies mit anderen Normen auch nach politischem Kalkül geschieht. Bestimmte Themen, wie zum Beispiel Polizeigewalt in Armenvierteln, bearbeiten nur wenige Menschenrechts-NGOs. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorstellen, dass so etwas bald als „politische Tätigkeit“ gilt.

Das Hauptziel der venezolanischen Regierung ist die Aufhebung der US-Sanktionen

Das Gesetzesvorhaben könnte die in Mexiko begonnenen Gespräche zusätzlich torpedieren. Das Hauptziel der venezolanischen Regierung ist die Aufhebung der US-Sanktionen. Dies kann die rechte Opposition, die im Gegensatz zur US-Regierung mit am Tisch sitzt, allerdings nicht anbieten. Die USA pochen darauf, vor einer weiteren Lockerung der Sanktionen konkrete Ergebnisse im Sinn von Zugeständnissen für transparente Wahlen zu sehen. Doch die Regierung Maduro sitzt mittlerweile fest im Sattel und ist innerhalb Lateinamerikas schon lange nicht mehr isoliert. Sie kalkuliert offensichtlich, dass sich die Opposition weiter selbst zerlegt und sieht sich gegenüber den USA, die auf das venezolanische Erdöl schielen, in einer deutlich stärkeren Position als noch vor einem Jahr. Ein politischer Durchbruch ist also auch im jüngsten Dialogversuch bisher unwahrscheinlich.

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