Ecuador | Nummer 378 - Dezember 2005

Politisches Geschacher um neue Verfassung

Präsident Alfredo Palacio scheitert mit Referendum

Die politischen Mächte Ecuadors stehen vor einem neuen Schlagabtausch. Ausgelöst wurde er durch das Scheitern des Präsidenten Alfredo Palacio vor der obersten Wahlbehörde: diese lehnte seinen Antrag auf ein Referendum ab, womit er den Weg für eine neue Verfassung freimachen wollte. Während die sozialen Bewegungen und Linksparteien auf einer neuen Verfassung bestehen, will der Kongress nur Reformen akzeptieren, um nicht entmachtet zu werden.

Tommy Ramm

Das politische Chaos in Ecuador hält an. Um den Forderungen der sozialen Bewegungen nach einer neuen Verfassung für das Land nachzukommen, reichte Präsident Alfredo Palacio Mitte Oktober bei der obersten Wahlbehörde einen Antrag auf ein Referendum ein. Doch die Behörde wies die Initiative des Präsidenten als „unausgewogen und verfassungswidrig“ zurück. Nur in äußerst dringenden Fällen politischer Instabilität sei es dem Präsidenten laut der geltenden Verfassung erlaubt, über den Kongress hinweg eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen. Dies sei aber laut der Wahlbehörde nicht der Fall. Andere VerfassungsexpertInnen erkennen dem Präsidenten generell das Recht ab, ein Referendum für dieses Ziel auszurufen.
Einiges weist somit darauf hin, dass die unausgereifte Initiative von Palacio eher als Versuch zu verstehen ist, die schwache Unterstützung innerhalb der Bevölkerung auszubauen, statt eine tief greifende politische Veränderung des Landes anzugehen. Palacio, unter Ex-Präsident Lucio Gutiérrez Vizepräsident, übernahm nach dessen Sturz im April dieses Jahres das Amt des Präsidenten. Bis Anfang 2007 hat er es weiterzuführen. Bei seinem Amtsantritt verpflichtete er sich, eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen. Zunächst konnte dies die politischen Turbulenzen, die Ecuador seit gut zehn Jahren beherrschen, beenden. Acht Präsidenten hatten erfolglos versucht, das Land aus der Krise zu führen. In der Bevölkerung gilt eine neue Verfassung als Heilmittel, die politische Stabilität wiederzuerlangen.

Angst um die Macht

Die sozialen Bewegungen und linken Parteien setzten den Präsidenten unter Druck, weiter an dem Referendum festzuhalten. Währenddessen bemühten sich die traditionellen Parteien im Kongress, diese Initiative auf eine Reform der Verfassung zu minimieren, über welche der Kongress selbst zu entscheiden hat. Ihre Angst: Eine verfassungsgebende Versammlung hätte die Macht, den Kongress aufzulösen und den Einfluss der Parteien auf die Staatsapparate zu beschneiden.
Mit Erfolg. Palacio legte dem Kongress seinen Entwurf zur Bearbeitung vor, wo dieser nun wahrscheinlich politisch zu Grabe getragen wird, statt wie geplant Ende des Jahres an den Urnen beurteilt zu werden. Die Mehrheit der Abgeordneten des Ein-Kammer-Parlaments kündigte an, die Version des Präsidenten erst gar nicht zu analysieren, sondern stattdessen Reformen für die geltende Verfassung einzuleiten. „Der Vorschlag zu einer verfassungsgebenden Versammlung ist gefährlich für das Land”, verteidigte der Kongress-Präsident Wilfrido Lucero die Haltung des Parlaments. „Dieser rechtfertigt sich nur im Falle einer Diktatur.”
Weit entfernt ist das Land von diesem Szenario nicht. So ist etwa das Justizsystem Ecuadors zutiefst gelähmt. Außerdem konnte seit knapp drei Jahren der oberste Posten der Staatsaufsichtsbehörde nicht besetzt werden. Diese untersucht Unregelmäßigkeiten in den Regierungsstellen. Für die Besetzung ihrer Posten ist eine Zweidrittel-Mehrheit unter den Abgeordneten nötig, die bisher nicht zustande kam. Nun wollen die Abgeordneten durchsetzen, dass eine einfache Mehrheit genügt, um den Stau bei der Postenverteilung abzubauen. Mehr dürfte nicht zu erwarten sein.
Palacio, der keiner Partei angehört und somit kaum Unterstützung im Kongress genießt, könnte zum Bauernopfer im Gerangel um die Verfassungsreform werden. Abgeordnete drohten dem Präsidenten mit politischen Verfahren. Sie warfen ihm vor, anhand der verfassungsgebenden Versammlung eine Verlängerung seiner Amtszeit zu suchen, was dieser umgehend zurückwies. Sollte Palacio nicht das Referendum vorantreiben und sich mit dem Kongress arrangieren, drohen die sozialen Bewegungen mit neuerlichen Protesten auf der Straße. Palacio bekräftigte zunächst, dass der begonnene Prozess für eine neue Verfassung „unumkehrbar” sei. Doch das Einreichen des Referendums im Kongress hat diesem Prozess jegliche Aussicht auf Erfolg genommen.

Ablenken mit Außenpolitik

Vorübergehende Abhilfe bekam Palacio durch außenpolitische Themen, die ins Sichtfeld der Öffentlichkeit rückten und ihm so den politischen Druck durch das Referendum von den Schultern nahmen. Zwischenfälle an der Grenze zu Kolumbien und mögliche Änderungen der peruanischen Grenzpolitik ließen Palacio außenpolitisch agieren, statt die innenpolitische Krise zu meistern. Kampfhubschrauber und Militäreinheiten der kolumbianischen Armee sollen in der zweiten Novemberwoche bei einer Militäroperation gegen Guerillagruppen das Grenzgebiet überschritten haben. Palacio setzte nicht auf stille Diplomatie, sondern ließ den Zwischenfall öffentlich austragen und kündigte eine umgehende Stippvisite in der Zone an. Quito reichte eine Protestnote bei der kolumbianischen Regierung ein und forderte eine öffentliche Entschuldigung. Bogotá verweigerte diese jedoch, da es nie zu einer Grenzüberschreitung gekommen sei.
Die ecuadorianische Regierung rief das Nachbarland ebenfalls auf, eine Lösung für die rund 300.000 kolumbianischen Kriegsflüchtlinge zu finden, die in den letzten Jahren in Ecuador Zuflucht suchten. So sollen allein mehr als 1.000 Bauern und Bäuerinnen auf Grund der jetzigen Militäraktion in ecuadorianische Provinzen geflüchtet sein.
Für weitere Unruhe sorgte der ehemalige Erzfeind Peru. Der peruanische Kongress kündigte Ende Oktober eine Änderung der Meeresgrenzen zu Chile an, was in Ecuador mit Sorge betrachtet wird. Bis zu einem Friedensvertrag 1998 hatten Peru und Ecuador militärisch Grenzstreitigkeiten ausgetragen. Nun wird in Quito befürchtet, das damals abgeschlossene Abkommen über die Anerkennung des Grenzverlaufs beider Länder könnte von Peru annulliert werden. „Ecuador muss sich militärisch für diesen Fall rüsten”, forderte der ecuadorianische Ex-Präsident León Febres Cordero. Der Kongress beschloss, dass es keine offenen Fragen über den Grenzverlauf gebe und Peru somit keine Änderungen vornehmen dürfe. Vorsorglich wurde schon mal mit dem Säbel gerasselt: der Kongress bestellte die obersten Militärchefs für den 22. November ein, um über militärische Reaktionen unterrichtet zu werden, sollte das Nachbarland Schritte zur Veränderung seiner Grenzen unternehmen. Palacio stellte zwar klar, dass sein peruanischer Kollege Alejandro Toledo ihm gegenüber versichert habe, dass die gemeinsamen Grenzen nicht zur Debatte stünden. Ein Zügeln der eifernden ParlamentarierInnen war vom Präsidenten jedoch nicht zu hören.

Ab in den Knast

Ein anderes Manöver, das fehlschlug, leistete sich unterdessen der Ex-Oberst und Ex-Präsident Lucio Gutiérrez, der am 14. Oktober nach monatelangem Asyl im Ausland nach Quito zurückkehrte. Bei seiner Landung in der ecuadorianischen Hauptstadt wurde er umgehend verhaftet. Gutierréz, der sich nach wie vor als legitimer Präsident proklamiert, wollte das politische Chaos in Ecuador nutzen, um mit Hilfe seiner AnhängerInnen eine Rückkehr an die Macht zu erreichen. Sein Versuch endete hinter Gittern.


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