Kolumbien | Nummer 535 - Januar 2019

PRAXISSEMESTER STRASSENKAMPF

Seit Wochen wehren sich die kolumbianischen Studierenden – und sind mit ihrem Unmut längst nicht mehr allein

Kolumbien erlebt derzeit Tage voller Demonstrationen, Verhandlungen, Gewalt und Repression. Zentrum des Konflikts sind die Studierenden; aber auch Gewerkschaften, Indigene, Landwirt*innen, Professor*innen und Bus- sowie LKW-Fahrer*innen schließen sich den aktuellen Protesten an. So kommt es landesweit wöchentlich zu Demonstrationen, in denen die Bevölkerung ihren Ärger über die neue Regierung unter Präsident Iván Duque ausdrückt.

Von Leonie Männich
Wenn Studierende fordern Hohes Polizeiaufgebot vor den Universitätsgebäuden (Foto: Melisa Ortíz/ Flickr (CC BY 2.0)

Seit dem 4. Dezember 2018 befinden sich die Studierenden der 32 öffentlichen Universitäten des Landes im Streik, um auf die finanzielle Krise, in der sich die Bildungsinstitutionen befinden, hinzuweisen und von der Regierung eine Antwort einzufordern. Aber worum geht es, wenn von der „Krise der Finanzierung“ gesprochen wird? Mit der neuen Regierung, die seit vergangenem August im Amt ist, wurde auch ein neuer Haushaltsplan für 2019 verabschiedet. Im Bildungssektor werden – im Gegensatz zum Verteidigung­ssektor – die Mittel gekürzt und die öffentlichen Bildungsinstitutionen laufen Gefahr, ab dem kommenden Jahr kein Geld mehr für die Instandhaltung und Restauration von Gebäuden, sowie für das Lehrangebot und Lehrpersonal zu haben und in Zukunft eventuell zwangsweise in Teilen privatisiert zu werden. Denn während sich die Zahl der eingeschriebenen Studierenden seit 1993 fast vervierfacht hat, wurden die den Universitäten jährlich zur Verfügung stehenden Gelder nur verdoppelt.

Um das aktuelle Semester erfolgreich beenden zu können, würden die Universitäten umgehend Mittel im Wert von umgerechnet 140 Millionen Euro. benötigen. Diese hätten 2018 bereitgestellt werden sollen, flossen jedoch stattdessen in die Kassen von Icetex, einem staatlichen Organ ähnlich des deutschen BAföG, welches Studienkredite vergibt, sowie dem staatlichen Förderprogramm Ser Pilo Paga (“Schlau sein zahlt sich aus”). Für die laufenden Kosten in den kommenden Jahren sowie für weitere Investitionen in die Infrastruktur fordern die Bildungseinrichtungen zusätzliche Mittel. Insgesamt existiert also ein historisches Defizit von rund 4,5 Milliarden Euro. Geld, das die Regierung nicht zur Verfügung stellen möchte.

Und das sind lediglich die unmittelbaren finanziellen Forderungen. Darüber hinaus fordern die Studierenden eine Neuverhandlung über die bestehenden Schulden mit Icetex. Schulden, die Studierende aufgrund der hohen Zinsen über viele Jahre zurückzahlen müssten. Außerdem soll Ser Pilo Paga durch ein neues Förderprogramm ersetzt werden, was jedoch nur einem Teil der Studierenden, die auf die privaten Universitäten gehen wollen, zugutekommen wird. Laut studentischen Repräsentant*innen fehlt es an politischem Willen, genug Gelder für das Studieren an allen Universitäten bereitzustellen.

Das laufende Semester kann wegen fehlender Gelder nicht beendet werden

Mit den bisherigen neun Demonstrationen und dem anhaltenden Streik sind jedoch auch Fortschritte zu verzeichnen. Nach dem Aufheben des ersten Verhandlungstisches durch die Studierenden wurde nun ein neues Zusammentreffen von Bildungsministerin María Victoria Ángulo und den Studierenden erreicht, welche seit dem 3. Dezember erneut zu Verhandlungen zusammensitzen. Zugeständnisse machte die Regierung den Studierenden in Themen der staatlichen Finanzierung der technischen Institutionen. Im Hauptkonfliktpunkt, der Haushaltsgrundlage der Universitäten, konnte bisher jedoch keine Einigung erreicht werden. Trotz Annäherungen beider Parteien wäre Präsident Iván Duque erst mit Beendigung des Streiks zu einem persönlichen Treffen bereit.

Daher setzten sich die Demonstrationen auch im Dezember fort. Zuletzt erlebten die Studierenden bei einer größtenteils friedlichen und bunten Demonstration in Bogotá starke Repression und Gewalt seitens der Polizei – es kam zu insgesamt 108 Festnahmen. Eine Spezialeinheit der Polizei zur Aufstandsbekämpfung (ESMAD), setzte Tränen- und Pfeffergas, Schlagstöcke sowie ohrenbetäubende Explosivstoffe ein, um die Masse zu zerstreuen. Es kam zu willkürlichen Festnahmen, Drohungen und auf Seiten der Studierenden zu vielen Verletzten. Derzeit sind vom einem studentischen Netzwerk der Menschenrechtsverteidiger 68 Menschenrechts­­verletzungen registriert und in einem Dokument gesammelt worden – der Großteil in den Kategorien Drohung und illegaler Druck, Überwachung und übermäßiger Einsatz von Gewalt.

Für das Recht auf Bildung Seit Monaten tun Studierende ihren Unmut kund (Foto: Juan Santacruz/ Flickr (CC BY 2.0)

Als Reaktion auf die Gewalt schalteten sich vor kurzem die Vereinten Nationen ein und forderten in einem Kommuniqué die Behörden auf, die Ausübung der Rechte im Rahmen von Demonstrationen zu respektieren und kündigten an, die Ereignisse zu untersuchen. In einer Demonstration Ende November waren sie zudem mit mehreren Mitarbeiter*innen und Fahrzeugen im Feld präsent, welches das Niveau der Gewalt merklich senkte.

Präsident Duque stellt sich den Studierenden immer noch nicht

Duque steht jedoch nicht nur aufgrund der Studierendenproteste unter Druck: Auch über seine Pläne zur Steuerreform, um das bestehende Haushaltsdefizit auszugleichen, wächst der Unmut. Geplant ist unter anderem eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, welche auch schwere Auswirkungen auf die Preise von Grundnahrungsmitteln und Gütern, die eine Familie zum gesunden Leben benötigt, hat. Zugleich sieht sie eine steuerliche Entlastung von Großunternehmen vor. Die Reform bringt weitere Teile der Zivilbevölkerung auf die Straßen, welche die Verschärfung sozialer Ungleichheiten im Land anprangern. Gewerkschaften, Landwirt*innen, indigene Organisationen und LKW-Fahrer*innen schlossen sich den Protesten an und legten am 28. November mit einem Generalstreik viele Teile des Landes lahm.

Die Frage um die Zukunft der Bewegung bleibt in Teilen ungewiss, denn der Dezember bringt auch die Weihnachtsferien mit sich, und damit leert sich der Campus und viele Studierende kehren in ihre Heimatstädte zurück. Für einen erfolgreichen Abschluss des Semesters ist es nötig, im Januar in die Klassenräume zurückzukehren, denn den Studierenden fehlen acht Wochen Vorlesungszeit.

Die Regierung ist sich dessen bewusst und scheint auf Zeit zu spielen: Sie hofft auf die Schwächung der Studierendenbewegung und des Verhandlungstisches. Mit dem dreitägigen Nationalen Treffen der Hochschulstudierenden (ENEES) in der Nationaluniversität in Bogotá im Dezember sendeten die Studierenden jedoch ein starken Zeichen an den Präsidenten, welches alles andere als Müdigkeit ausstrahlt. Dort kamen mehr als 2500 Studierende aus 57 öffentlichen und privaten Universitäten des Landes zusammen, um den Streik und andere Druckmittel zu diskutieren.

 

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