Kolumbien | Nummer 335 - Mai 2002

Rechtspopulist gegen Dinosaurier

Die Stimmung vor den Präsidentschaftswahlen steht auf Konfrontation: Álvaro Uribe Vélez gegen Horacio Serpa

Wieder entscheidet der Umgang mit der Guerilla die Präsidentschaftswahlen in Kolumbien. War vor vier Jahren die Bereitschaft zu Friedensgesprächen ausschlaggebend, so kommt diesmal die harte Linie zum Zug. Beste Aussichten auf einen Wahlsieg hat der smart auftretende Rechtspopulist Álvaro Uribe Velez, der „mit harter Hand und großem Herz” der Guerilla ihr Ende bereiten will. Dass in seinem großen Herzen auch Platz für die Paramilitärs ist, zeigt seine Vergangenheit. Die Kolumbianer schert es bisher wenig.

Tommy Ramm

Dreistigkeit kennt keine Grenzen. Am 11. April fuhr ein Auto mit Sprengstoffexperten der Polizei vor dem zentral gelegenen Regionalparlament in der Millionenstadt Cali vor. Die Hand voll uniformierter Männer drangen in das Gebäude ein, riefen die Abgeordneten während der Sitzung auf, schnellstens durch die Notausgänge den Saal wegen einer Bombe zu verlassen und in einen bereit gestellten Bus zu steigen. Nichts Böses ahnend, folgten zwölf Politiker den Forderungen und wurden abtransportiert. Erst im Bus merkten sie, dass es sich nicht um Polizei, sondern um Rebellen der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC-EP) handelte.
Somit befinden sich seit dem Ende des Friedensprozesses bereits 18 Regional- oder Kongressabgeordnete und eine Präsidentschaftskandidatin in den Händen der Guerilla, die in den letzten Wochen spektakulär entführt wurden. Ingrid Betancourt, die Kandidatin der Grünen Partei Kolumbiens, wurde bereits Ende Februar verschleppt, als sie in einem Jeep nach San Vicente del Caguán fahren wollte, einst Hochburg der FARC in der entmilitarisierten Zone. Seitdem weiß niemand, wo sie steckt oder ob sie noch am Leben ist.
„Seitdem sie entführt wurde, gab es nicht einen einzigen Besuch der Polizei bei uns, um Informationen über die Entführung zu bekommen”, beschwert sich ihr Ehemann Juan Carlos Lecompte, der im Wahlkampfbüro die wenigen Aktivitäten leitet. Die Regierung interessiere sich nicht für den Fall, gesucht werde sie schon gar nicht. Nun müssen er und die Mutter von Ingrid Betancourt den Wahlkampf machen.
Konsequenzen hatte der Fall Betancourt weniger bei ihren Umfragewerten – diese liegen kontinuierlich bei einem Prozent –, als vielmehr für die FARC. Die besonders in Frankreich populäre Halbfranzösin Betancourt kann sich auf eine Kampagne der dortigen Grünen stützen, welche den FARC kürzlich gedroht hatten, sie innerhalb der EU als terroristische Organisation registrieren zu lassen, sollte die Kandidatin nicht bis Ende April freigelassen werden. Nach der Entführung der Abgeordneten in Cali schloss die mexikanische Regierung auf Druck des kolumbianischen Präsidenten Andrés Pastrana das Büro der FARC in Mexiko-Stadt.

“Harte Hand für die Guerilla”

Im Zuge der „Terrorisierung” der FARC, die mit blutigen Anschlägen in der letzten Zeit nur einer Militärlogik zu folgen scheinen, nutzen fast alle Präsidentschaftskandidaten diese Entwicklung in ihrem Wahlkampf. Besonders hervor getan hat sich der Partei-unabhängige Kandidat Álvaro Uribe Velez. Ende der neunziger Jahre aus der Liberalen Partei desertiert, hat sich der ehemalige Gouverneur der Provinz Antioquia zum Sprachrohr der Hardliner mit smartem Äußeren entwickelt. „Mit harter Hand und großem Herz” – so sein Wahlslogan – wolle er als Präsident das Land umkrempeln.
Seine Versprechen können kaum populistischer sein: Aufstockung der professionellen Soldaten auf 100.000 Mann von derzeit rund 45.000 samt erhöhtem Militärhaushalt und Ausrottung der Guerilla. Für dieses Ziel, das finanzpolitisch wegen der angespannten Haushaltslage nicht realisierbar ist, lädt er offen zu einer internationalen Militärintervention in Kolumbien ein.
Hatte er noch Ende 2001 mit seiner harten Linie gegen Friedensverhandlungen nur jeden zehnten Wähler überzeugen können, schnellten seine Umfragewerte nach Ende des Friedensprozesses mit der FARC in die Höhe. Im März deutete eine 60-prozentige Zustimmung für ihn auf einen Sieg bereits im ersten Wahlgang am 26. Mai hin. So drückt die Bevölkerung ihre Frustration wegen dem auf dem Verhandlungsweg scheinbar nicht lösbaren Konflikt aus.
Die tiefe Ablehnung des 49-jährigen Uribe Velez von Friedensverhandlungen resultiert aus den achtziger Jahren. Sein Vater, ein Landbesitzer, wurde von den FARC erschossen. Der Sohn konnte nie verstehen, wie Pastrana 1998 dieser Guerilla ein Gebiet von der Größe der Schweiz für Friedensverhandlungen ohne Konditionen überlassen konnte. Damals noch Gouverneur von Antioquia, sollte er eine ganz andere Politik verfolgen, die ihm den Ruf eines Paramilitär-Unterstützer einbrachte.

Großes Herz für die Paramilitärs

Während seiner dreijährigen Amtszeit als Gouverneur forcierte Uribe Velez die Gründung von Convivir-Gruppen, eine unter Präsident Samper legalisierte Form von Selbstverteidigungsgruppen, die in den ländlichen Gebieten gegen die Guerilla vorgehen sollte. Laut Menschenrechtsorganisationen hatten diese Gruppen enge Verbindungen zu den Paramilitärs aufgebaut und sollen mitverantwortlich für Massaker gewesen sein, die besonders in der von Uribe Velez regierten Provinz anstiegen. 200.000 Menschen flohen damals wegen dem verschärften Konflikt aus ihrer Heimat. Ihm wurde vorgeworfen, der intellektuelle Urheber für ein Massaker in einem Medelliner Armenviertel gewesen zu sein. 1998 wurden die Convivir-Gruppen wieder für illegal erklärt.
Spricht man Uribe Velez auf diese Punkte an, wird er aggressiv und versucht auszuweichen. Bohrenden Journalisten hält er immer wieder Zahlen vor, wonach er in Teilen Antioquias mit der Guerilla aufgeräumt habe. So sei die Bananenregion Urabá „befriedet” worden. Dort herrschen seit den letzten Jahren jedoch brutal die rechten Paramilitärs.
Der Mann, der als Oberschichtsjunge nach einem Studium in Oxford und Harvard eine typische Beamtenlaufbahn in der Medelliner Verwaltung begann, hat dunkle Flecken in seiner Biografie. Anfang der neunziger Jahre soll er enge Kontakte zum Ochoa-Clan unterhalten haben, der zum Drogenkartell von Pablo Escobar gehörte. Dem britischen Journalisten Simon Strong, der für sein Buch „Whitewash” 1994 zu den Drogenkartellen recherchierte, drohte Uribe Velez vor einer Veröffentlichung eines Interviews, das er mit ihm geführt hatte. Als der Journalist in einem Medelliner Restaurant Fragen an den damaligen Abgeordneten Uribe Velez zu einem seiner politischen Unterstützer stellte, der Jahre zuvor enge Kontakte zu Pablo Escobar gepflegt haben soll, rannte Uribe Velez wutschnaubend aus dem Restaurant heraus. Vor der Tür erwartete den Journalisten der jetzige Präsidentschaftskandidat, Drohungen speiend, mit erhobener Faust und umringt von Bodyguards.
Seinen Willen zur Präsidentschaftskandidatur äußerte Uribe Velez 1999 auf einer Galaveranstaltung, auf der er zeitgleich zwei anwesende Armeegeneräle hochleben ließ. Fernando Millan und Rito Alejo del Rio sollten später vom Militärdienst ausgeschlossen werden, nachdem ihnen enge Verbindungen zu paramilitärischen Gruppen und eine Mitverantwortung für Massaker nachgewiesen wurde. Dies hielt Uribe Velez aber in der Folgezeit nicht davon ab, die beiden Militärs bei mehreren Gelegenheiten für ihr „ehrenhaftes Verhalten” hochleben zu lassen und ihnen jede Verletzung von Menschenrechten abzusprechen.
Neben früheren Kontakten zum jetzigen Chef der paramilitärischen Selbstverteidigungsgruppen AUC, Salvatore Mancuso, ließe sich die Liste von dunklen Verbindungen Uribe Velez auf seiner Karriereleiter fortsetzen. Derzeit präsentiert sich der Kandidat für die Präsidentschaft als Saubermann, den offenbar niemand in den kolumbianischen Medien antasten will. „Viele von Uribes Anhängern unterstützen ihn, weil sie von ihm ein autoritäres Regieren erwarten“, meint der Analyst Marco Romero von der Nationaluniversität. „Das lässt viele Menschen befürchten, dass seine extrem rechte Auffassung von öffentlicher Ordnung nicht mit demokratischen Spielregeln in Einklang zu bringen sein werde.” Ob das Nicht-Antasten der Vergangenheit von Uribe Velez ein Produkt der Angst oder gewollte Unterstützung der Medien bedeutet, weiß nur der Kandidat selber.

Nachsehen für den Dinosaurier

„Ich wähle Uribe Velez”, sagt eine Ladenbesitzerin in einem kleinen Dorf nahe Bogotá. Ob sie denn nicht dessen offensichtliche Verbindungen zum Paramilitarismus beunruhige? „Das interessiert mich nicht, der Mann greift durch.“ So denken die meisten KolumbianerInnen vor den Wahlen, die in Uribe Velez nun den neuen Messias sehen, der nach der „Schande Pastrana” – so die Besitzerin, nun mit der Guerilla aufräumen wird.
Bomben, die in den ersten Apriltagen in Bogotá und Villavicencio explodiert waren, geben der Wahlkampfmaschinerie von Uribe Velez noch Nachschub. Am 14. April explodierte in der Karibikstadt Barranquilla eine Bombe auf einer Straße, kurz nachdem die Wahlkampfkolonne von Uribe Vélez daran vorbei fuhr. Sechs Menschen starben, darunter drei Bodyguards von Uribe Velez, dessen Auto stark beschädigt wurde. Unbeeindruckt rief er in die Kameras, dass nur eine „autoritäre Regierung” diesem Terror ein Ende setzen könne.
Das Nachsehen im Wahlkampf hat wieder einmal der selbst ernannte Dinosaurier der Liberalen Partei, Horacio Serpa. Nachdem er bereits 1998 wie der sichere Sieger vor den Wahlen aussah, stahl ihm Andrés Pastrana mit einem Treffen bei den FARC die Show. Dieses Mal ist es Uribe Velez, der ihn von anfangs Platz Eins in den letzten Umfragen abstürzen ließ. „Ich bin ein linker Demokrat aus Barrancabermeja”, stellte sich der schnauzbärtige Serpa Ende April bei einem inoffiziellen Treffen mit internationalen Journalisten vor. Er komme aus einer armen Familie und wisse genau, was die Leute brauchen und warum der Konflikt nicht á la Uribe beizulegen sei. Sein Credo: „Bekämpfung der Armut, soziale Gerechtigkeit”. Abgelutschte Schlagwörter, die jeder sozialdemokratische Kandidat auf der Welt formhalber auflistet und denen die Leute auf den kolumbianischen Straßen keinen Glauben mehr schenken.
Seinem ärgsten Widersacher Uribe Velez wirft Serpa eine „Pastranisierung” vor, bezogen auf den Publicity-Wahlkampf des noch amtierenden Präsidenten von 1998. Dass er im Falle Uribe nun das Gleiche tut, zeigen seine Erfahrungen aus der Vergangenheit. In seiner 32-jährigen Laufbahn bei den Liberalen führte er 1994 den Wahlkampf des späteren Präsidenten Ernesto Samper. Nach wenigen Monaten im Amt wurden Samper und der Liberalen Partei nachgewiesen, Gelder von Drogenhändlern entgegen genommen zu haben. (siehe LN 333) Den Umstand nutzte Pastrana 1998 gründlich aus, um auf Stimmenfang zu gehen.
Serpa ist anzumerken, dass er sich nicht wieder die Butter vom Brot nehmen lassen will und gibt sich weiterhin siegessicher. Uribe Velez, den er offen als Kandidaten der Paramilitärs markierte, will er die nächsten Wochen mit einer Klage konfrontieren lassen, die er bereits Ende März einreichte, und welche „die Unterstützung eines Kandidaten durch illegale Gruppen” nachweisen soll. So lässt sich ein schmutziger Wahlkampf im Mai voraussagen, der tatsächlich auf schmutzigen Grundlagen beruht. Dass dabei das kleinere Übel gegen das Große agiert, ist typisch kolumbianisch.
Jedoch einen wichtigen Effekt zeigt diese Entwicklung: Serpa, mit dem Rücken an der Wand, könnte in seinem Ehrgeiz die letzten Wochen vor der Wahl versuchen, die paramilitärischen Verbindungen von Uribe Velez ans Licht zu bringen, um so Unsicherheit bei den Wählern zu verbreiten. Der Wahlkampf würde sich somit nicht nur auf die Guerilla versteifen, sondern auch den Paramilitarismus thematisieren. Bereits jetzt findet Serpa klarere Worte gegen diese Gruppen, ob es sich im Falle eines Wahlsieges aber auch in Aktionen äußern wird, ist bisher zu bezweifeln. Schließlich hatten liberale Regierungen zuvor auch die Paramilitärs schalten und walten lassen oder sie regional unterstützt.

Und die Linke?

Nutznießer diese Hahnenkampfs könnte neben der unabhängigen und farblosen Kandidatin Noemí Sanin, die zeitweilig an zweiter Stelle lag, auch der linke Kandidat Eduardo „Lucho” Garzón werden. Der ehemalige Präsident des Gewerkschaftsdachverbandes CUT ist der Kandidat der vor knapp zwei Jahren gegründeten Frente Social y Político, einem Bündnis linker Parteien, sozialer Organisationen und unabhängiger Personen. Nach den Massenmorden an Mitgliedern und Kandidaten der linken Unión Patriótica UP Ende der achtziger Jahre sollte es nie zu gemeinsamen Bündnissen dieser zerstrittenen Gruppen kommen. Erstmals einigten sich diese nun auf Garzón, der kritisch, aber mit kühlem Kopf, die aktuelle Entwicklung in Bezug auf die Guerilla beurteilt.
Während alle weiteren Kandidaten die Kriegstrommel mehr oder weniger heftig schlagen, spricht er sich weiter für eine Verhandlungslösung im innerkolumbianischen Konflikt aus, da „nach Tausenden Toten sowieso wieder verhandelt werden wird.” Nach seiner Ansicht lässt sich die Guerilla nicht militärisch besiegen, dies koste Zehntausende Tote.
Einen großen Erfolg konnte er bei den Parlamentswahlen Ende März verbuchen. 17 unabhängige Parlamentarier gaben bekannt, ihn im Wahlkampf zu unterstützen. Seine Umfragewerte liegen bei nur etwa drei Prozent. Aber bei den schwierigen Bedingungen für legale Linke auf Grund der permanenten Mordanschläge ist dies ein Achtungserfolg, der sich bis zu den Wahlen 2006 ausbauen liesse.

Konservative Partei am Ende

Den vielleicht letzten Todesstoß musste die Konservative Partei von Präsident Andrés Pastrana bei den Wahlen Ende März hinnehmen. Nachdem Pastrana seit dem Ende der Verhandlungen am 20. Februar in den Köpfen der KolumbianerInnen weiterhin abgeschrieben ist, konnten sich die Wähler offenbar auch nicht mehr an seine Partei erinnern. Ganze 10 Prozent fuhren die Konservativen ein, ihr Präsidentschaftskandidat wurde umgehend zurück gezogen. Die Partei spaltete sich in Unterstützer für Uribe Velez, der andere Teil für Serpa. Damit geht letztendlich eine Zwei-Parteien-Dynastie in Kolumbien zu Ende, in der Liberale und Konservative jahrzehntelang den Präsidenten stellten.
Der Umbruch in der Parteienlandschaft sagt allerdings nichts über die Machtverteilung in Kolumbien aus. Wurden diese beiden Parteien dauerhaft von den Eliten des Landes beherrscht, gibt es nun flexiblere Einzelkandidaten, hinter die man sich stellen kann, ohne politische Altlasten mit sich herumzuschleppen. In einer Zeit, in der Krieg gegen die Guerilla angesagt und der Paramilitarismus immer hoffähiger wird, kommt Uribe Velez wie gerufen.

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