Nummer 245 - November 1994 | Ökonomie

Reformismus ohne den Staat

Alternativhandel, Gütesiegel und Political Correctness

Bernd Pickert

PC ist, wenn es einem wenigstens peinlich ist, im Supermarkt den billigen Melitta-Kaffee zu kaufen. Political Correctness – ein Erstweltbegriff par excellence. Und ein dummer noch dazu. Der Begriff setzt verschiedenes voraus: Erstens, daß es Dinge gibt, die definitiv richtig sind – und somit auch solche, die immer falsch sind, und zweitens, daß das auch noch irgend­was mit Politik zu tun hat. Political Cor­rectness also ein Kampfbegriff einer Avantgarde, die die Realität richtig, und zwar einzig richtig, zu interpretieren weiß und daraus politische Handlungsrichtli­nien vorzugeben in der Lage ist? Wohl nicht, denn da ist keine Avantgarde, da sind höchstens viele Avantgärdchen, und so wie sich das Wort anhört, ist es viel­leicht gar nicht so falsch – Gärtchen eben, wohlgehütete Wahrheiten, deren Beach­tung kaum Anerkennung, deren Verlet­zung aber umso mehr Empörung auslöst, bei jeweils denjenigen, die gerade den Überblick haben, was political correct zu tun und vor allem, was zu lassen ist.
Da wird unversehens gemieden, wer im falschen Moment ein Päckchen “Marl-boro” aus der Tasche zieht, da macht sich unmöglich, wer einfach so Urlaub in Guatemala macht. Das nervt natürlich, und so ist in Deutschland Political Cor­rectness auch nie zum identifikationsstif­tenden Begriff einer Bewegung geworden, es sei denn, einer Gegenbewegung. Anti-PC, das ist schon wieder Protest gegen den Mittelstandsliberalismus, gegen die ge­langweilt-aufgeklärte Schulmeisterlich­keit, gegen die Lebensunlust, die den Kon­sum-Einzwängern anzuhängen scheint, gegen das ewige Miesmachen. Ich geb Gas, ich will Spaß – Love-Parade, Lackleder und Techno-Gebumse haben längst gegen Alpaca-Pullover und Ku­schelsex gesiegt. Und trotzdem ist der al­ternative Handel in den letzten Jahren nicht zurückgegangen, sondern angewach­sen, trotzdem haben sich in die Kaufent­scheidungen neben Preis und Qualität an­dere Kriterien eingeschlichen.
Nichtsdestoweniger scheint es in Deutsch-land eine ganz be­sondere Schieflage zu geben. Und wieder, wie schon seit ein paar Jahren, steht der Be­griff der Identität da im Mittelpunkt. Nica­ragua-Kaffee trin­ken und gleichzeitig auf SAT 1 70er-Jahre-Pornos gucken, Nestlé boykottieren und ab und an mal zu Mc­Donalds gehen, oder McDonalds boy­kottieren, aber ein Konto bei der Deut­schen Bank haben, oder nur Neutralreini­ger verwenden aber dreilagiges Klopapier, oder aus Prinzip Fahrrad fahren, aber mit batteriebetriebe­nen Lämpchen… all das hilft nicht weiter bei der Identitätsstiftung. “Sag mir, wo du stehst”, sang in der DDR einst der Ok­toberklub, im Westen hieß das “Alle, die lieber Selbstgedrehte rauchen, sollen auf­stehen”, war noch blödsinniger und kam von den Bots. Lang ist’s her.
Die individuelle Entscheidung über das Lassen und Nichtlassen, das Tun und Nichttun wird in Deutschland immer als Ausdruck einer ganzen Lebenseinstellung verstanden – und eben auch nur so gelten gelassen. Sicher auch deshalb hat in Deutschland zum Beispiel die Boykott-Bewegung gegen bestimmte Produkte oder Hersteller nie so recht Erfolg haben können. Wenn in den USA eine Gewerk­schaft zum Boykott von irgendwas auf­ruft, dann geht es meist um ganz konkrete politische Ziele. Sind die erreicht, wird der Boykott auch wieder aufgehoben – so ist er lebbar und nicht selten erfolgreich, wenngleich er das System nicht aus den Angeln hebt. Wenn man das mit dem deutschen Shell-Boykott in Sachen Süd­afrika vergleicht, wird der Unterschied klar: “Kill a Multi” war das Motto, und das hält lebenslang und bewirkt gar nichts. Es sind diese Übertreibungen, die die Lebbarkeit des politisch Richtigen für so viele unmöglich machen.
Im Konsumbereich kommt dazu der Idio­tismus so manchen alternativen Verkaufs­schlagers: Honig aus Südmexiko, ganz ökologisch hergestellt, soll hier gekauft werden. Als ob es nicht tausendfach öko­logisch sinnvoller wäre, den allüberall et­wa im Berliner Umland von Klein-Imker­­­Innen produzierten Honig zu kaufen, der nicht energieverzehrend tausende von Kilo­­metern transportiert werden muß. Aber: Was schick ist, bestimmt das Be­wußtsein.
Die Liste des Unsinnigen ließe sich endlos fortsetzen. Was fehlt, ist eine Debatte dar­über, was womit eigentlich erreicht wer­den soll. Das ist umso schlimmer, weil so die Niederlage ewig ist. Denn wo kein Ziel ist, kann auch nie ein Erfolg erreicht werden.
Nehmen wir die Debatte um den “fair ge­handelten” Kaffee. Jeder weiß, daß der Kaffee nicht wirklich fair gehandelt ist, daß mit ein paar Mark Aufschlag nicht die Ausbeutung aus der Welt geschafft wird. Jeder kriegt Bauchschmerzen, wenn Rie­senröstereien in der Bundesrepublik für eines ihrer Produkte plötzlich das Trans­Fair-Siegel verpaßt bekommen. Warum? Weil wir immer alles wollen, und unter­halb dessen nur Mißerfolge, faule Kom­promisse, Betrugs- und Vereinnahmungs­versuche sehen. Daß der TransFair-Verein zunächst einmal den Beweis erbracht hat, daß sich ein mit politischen und sozialen Kriterien vermarktetes Produkt verkaufen läßt, fällt in der Bewertung unter den Tisch. Immer­hin 37 Prozent der Bundes­bürgerInnen, so sagens die Marktumfra­gen, sind bereit, aus derartigen Gründen Aufpreise zu be­zahlen. Und das ist ein gutes Zeichen, auch wenn die Revolution damit nicht näher gerückt ist. Hier ist doch ein Ansatzpunkt zum Weiterarbeiten – das einfache Distanzieren hilft niemandem.
Und grundsätzlich sei einmal konstatiert: Mit politisch korrektem Individualverhal­ten ist kein Sy­stem auszuhebeln, bewußtes Einkaufen ist nicht revolutionär. Die Überlegung frei­lich, wen oder was ich mit meinem Geld finanzieren will, wovon ich mich ernähren will und ob ich meinen Spaß unbedingt auf Kosten anderer erle­ben muß, ist damit längst nicht vom Tisch. Jede Entscheidung aber bleibt systemim­manent, will von der Nachfrageseite aus das Angebot beeinflussen und tut dies auch nicht gänzlich ohne Erfolg. Die Art des Wirtschaftens wird genau da zu ver­ändern versucht, wo sie verwundbar ist: Nicht an der Moral, sondern an der Ver­marktung; Reformismus ohne staatlichen Eingriff.
Aber zurück zum Begriff des “Politically correct”. Der ent­stand in den USA als et­was ganz anderes denn als Liste von Ein­kaufstips und Verhaltensmaßregeln. Zu­nächst einmal war die Ebene der Spra­che, der Kommunikation gemeint. Unter dem Ein­fluß solcher Leute wie dem Sprach­wissenschaftler und Gesellschaftskritiker Noam Chomsky sollten Worte und Sprachgebrauch auf diskriminierende In­halte untersucht und dementsprechend verändert werden. Hier erst hat auch das “correct” wirklich seinen Sinn: Denn von “Amerika” zu sprechen und die USA zu meinen, ist schlicht falsch, genauso wie “Bürger” zu sagen und damit nicht nur Männer zu meinen. Wer Guatemalas Mi­litärs als “Sicherheitskräfte” bezeichnet, unterliegt einem Irrtum genau wie diejeni­gen, die von “Familienplanung” schreiben und “Bevölkerungspolitik” meinen. Auf dieser Ebene bekommt “PC” einen Sinn, und der ist auch nicht überholt, modeab­hängig oder szenebegrenzt. Denn wenn es so ist, daß Sprache unser Denken erst möglich macht, dann ist die Art der Spra­che auch für die Art des Denkens ent­scheidend – gerade hier aber scheint der Einfluß der Kritik in Deutschland ver­schwindend ge­ring geblieben zu sein. Selbst in der taz ist das große “I” als nicht-diskriminierende Sprachform schon fast wieder verschwun­den, und in die meisten Medien hat dieses Bemühen um sprachli­che Präzision über­haupt nie Eingang ge­funden. Hier haben wir – und gemeint sind Menschen, die mit Medien zu tun haben – noch einiges zu lei­sten.
Kurz: Vergessen wir PC als Individual­kategorie für das Konsumverhalten. Dabei hilft nur Nachdenken – ohne Dogmen und modischen Schick.

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