Reformismus ohne den Staat
Alternativhandel, Gütesiegel und Political Correctness
PC ist, wenn es einem wenigstens peinlich ist, im Supermarkt den billigen Melitta-Kaffee zu kaufen. Political Correctness – ein Erstweltbegriff par excellence. Und ein dummer noch dazu. Der Begriff setzt verschiedenes voraus: Erstens, daß es Dinge gibt, die definitiv richtig sind – und somit auch solche, die immer falsch sind, und zweitens, daß das auch noch irgendwas mit Politik zu tun hat. Political Correctness also ein Kampfbegriff einer Avantgarde, die die Realität richtig, und zwar einzig richtig, zu interpretieren weiß und daraus politische Handlungsrichtlinien vorzugeben in der Lage ist? Wohl nicht, denn da ist keine Avantgarde, da sind höchstens viele Avantgärdchen, und so wie sich das Wort anhört, ist es vielleicht gar nicht so falsch – Gärtchen eben, wohlgehütete Wahrheiten, deren Beachtung kaum Anerkennung, deren Verletzung aber umso mehr Empörung auslöst, bei jeweils denjenigen, die gerade den Überblick haben, was political correct zu tun und vor allem, was zu lassen ist.
Da wird unversehens gemieden, wer im falschen Moment ein Päckchen “Marl-boro” aus der Tasche zieht, da macht sich unmöglich, wer einfach so Urlaub in Guatemala macht. Das nervt natürlich, und so ist in Deutschland Political Correctness auch nie zum identifikationsstiftenden Begriff einer Bewegung geworden, es sei denn, einer Gegenbewegung. Anti-PC, das ist schon wieder Protest gegen den Mittelstandsliberalismus, gegen die gelangweilt-aufgeklärte Schulmeisterlichkeit, gegen die Lebensunlust, die den Konsum-Einzwängern anzuhängen scheint, gegen das ewige Miesmachen. Ich geb Gas, ich will Spaß – Love-Parade, Lackleder und Techno-Gebumse haben längst gegen Alpaca-Pullover und Kuschelsex gesiegt. Und trotzdem ist der alternative Handel in den letzten Jahren nicht zurückgegangen, sondern angewachsen, trotzdem haben sich in die Kaufentscheidungen neben Preis und Qualität andere Kriterien eingeschlichen.
Nichtsdestoweniger scheint es in Deutsch-land eine ganz besondere Schieflage zu geben. Und wieder, wie schon seit ein paar Jahren, steht der Begriff der Identität da im Mittelpunkt. Nicaragua-Kaffee trinken und gleichzeitig auf SAT 1 70er-Jahre-Pornos gucken, Nestlé boykottieren und ab und an mal zu McDonalds gehen, oder McDonalds boykottieren, aber ein Konto bei der Deutschen Bank haben, oder nur Neutralreiniger verwenden aber dreilagiges Klopapier, oder aus Prinzip Fahrrad fahren, aber mit batteriebetriebenen Lämpchen… all das hilft nicht weiter bei der Identitätsstiftung. “Sag mir, wo du stehst”, sang in der DDR einst der Oktoberklub, im Westen hieß das “Alle, die lieber Selbstgedrehte rauchen, sollen aufstehen”, war noch blödsinniger und kam von den Bots. Lang ist’s her.
Die individuelle Entscheidung über das Lassen und Nichtlassen, das Tun und Nichttun wird in Deutschland immer als Ausdruck einer ganzen Lebenseinstellung verstanden – und eben auch nur so gelten gelassen. Sicher auch deshalb hat in Deutschland zum Beispiel die Boykott-Bewegung gegen bestimmte Produkte oder Hersteller nie so recht Erfolg haben können. Wenn in den USA eine Gewerkschaft zum Boykott von irgendwas aufruft, dann geht es meist um ganz konkrete politische Ziele. Sind die erreicht, wird der Boykott auch wieder aufgehoben – so ist er lebbar und nicht selten erfolgreich, wenngleich er das System nicht aus den Angeln hebt. Wenn man das mit dem deutschen Shell-Boykott in Sachen Südafrika vergleicht, wird der Unterschied klar: “Kill a Multi” war das Motto, und das hält lebenslang und bewirkt gar nichts. Es sind diese Übertreibungen, die die Lebbarkeit des politisch Richtigen für so viele unmöglich machen.
Im Konsumbereich kommt dazu der Idiotismus so manchen alternativen Verkaufsschlagers: Honig aus Südmexiko, ganz ökologisch hergestellt, soll hier gekauft werden. Als ob es nicht tausendfach ökologisch sinnvoller wäre, den allüberall etwa im Berliner Umland von Klein-ImkerInnen produzierten Honig zu kaufen, der nicht energieverzehrend tausende von Kilometern transportiert werden muß. Aber: Was schick ist, bestimmt das Bewußtsein.
Die Liste des Unsinnigen ließe sich endlos fortsetzen. Was fehlt, ist eine Debatte darüber, was womit eigentlich erreicht werden soll. Das ist umso schlimmer, weil so die Niederlage ewig ist. Denn wo kein Ziel ist, kann auch nie ein Erfolg erreicht werden.
Nehmen wir die Debatte um den “fair gehandelten” Kaffee. Jeder weiß, daß der Kaffee nicht wirklich fair gehandelt ist, daß mit ein paar Mark Aufschlag nicht die Ausbeutung aus der Welt geschafft wird. Jeder kriegt Bauchschmerzen, wenn Riesenröstereien in der Bundesrepublik für eines ihrer Produkte plötzlich das TransFair-Siegel verpaßt bekommen. Warum? Weil wir immer alles wollen, und unterhalb dessen nur Mißerfolge, faule Kompromisse, Betrugs- und Vereinnahmungsversuche sehen. Daß der TransFair-Verein zunächst einmal den Beweis erbracht hat, daß sich ein mit politischen und sozialen Kriterien vermarktetes Produkt verkaufen läßt, fällt in der Bewertung unter den Tisch. Immerhin 37 Prozent der BundesbürgerInnen, so sagens die Marktumfragen, sind bereit, aus derartigen Gründen Aufpreise zu bezahlen. Und das ist ein gutes Zeichen, auch wenn die Revolution damit nicht näher gerückt ist. Hier ist doch ein Ansatzpunkt zum Weiterarbeiten – das einfache Distanzieren hilft niemandem.
Und grundsätzlich sei einmal konstatiert: Mit politisch korrektem Individualverhalten ist kein System auszuhebeln, bewußtes Einkaufen ist nicht revolutionär. Die Überlegung freilich, wen oder was ich mit meinem Geld finanzieren will, wovon ich mich ernähren will und ob ich meinen Spaß unbedingt auf Kosten anderer erleben muß, ist damit längst nicht vom Tisch. Jede Entscheidung aber bleibt systemimmanent, will von der Nachfrageseite aus das Angebot beeinflussen und tut dies auch nicht gänzlich ohne Erfolg. Die Art des Wirtschaftens wird genau da zu verändern versucht, wo sie verwundbar ist: Nicht an der Moral, sondern an der Vermarktung; Reformismus ohne staatlichen Eingriff.
Aber zurück zum Begriff des “Politically correct”. Der entstand in den USA als etwas ganz anderes denn als Liste von Einkaufstips und Verhaltensmaßregeln. Zunächst einmal war die Ebene der Sprache, der Kommunikation gemeint. Unter dem Einfluß solcher Leute wie dem Sprachwissenschaftler und Gesellschaftskritiker Noam Chomsky sollten Worte und Sprachgebrauch auf diskriminierende Inhalte untersucht und dementsprechend verändert werden. Hier erst hat auch das “correct” wirklich seinen Sinn: Denn von “Amerika” zu sprechen und die USA zu meinen, ist schlicht falsch, genauso wie “Bürger” zu sagen und damit nicht nur Männer zu meinen. Wer Guatemalas Militärs als “Sicherheitskräfte” bezeichnet, unterliegt einem Irrtum genau wie diejenigen, die von “Familienplanung” schreiben und “Bevölkerungspolitik” meinen. Auf dieser Ebene bekommt “PC” einen Sinn, und der ist auch nicht überholt, modeabhängig oder szenebegrenzt. Denn wenn es so ist, daß Sprache unser Denken erst möglich macht, dann ist die Art der Sprache auch für die Art des Denkens entscheidend – gerade hier aber scheint der Einfluß der Kritik in Deutschland verschwindend gering geblieben zu sein. Selbst in der taz ist das große “I” als nicht-diskriminierende Sprachform schon fast wieder verschwunden, und in die meisten Medien hat dieses Bemühen um sprachliche Präzision überhaupt nie Eingang gefunden. Hier haben wir – und gemeint sind Menschen, die mit Medien zu tun haben – noch einiges zu leisten.
Kurz: Vergessen wir PC als Individualkategorie für das Konsumverhalten. Dabei hilft nur Nachdenken – ohne Dogmen und modischen Schick.