Chile | Nummer 377 - November 2005

Rocks on the Gold

Weil unter dem Eis Gold vermutet wird, will eine kanadische Bergbaufirma einen Gletscher versetzen

Die Minengesellschaft Barrick Gold Corporation will in den Anden zwischen Chile und Argentinien einen Gletscher versetzen. Dabei werden irreversible Umweltschäden in Kauf genommen und die Lebensgrundlage der Huascoaltino-Indigenen bedroht.

Reinhard Babel

Es ist die Legende überliefert, dass Pedro de Valdívia, den spanischen Eroberer Chiles und Stadtgründer von Santiago, ein grausamer Tod ereilte. Als seine Truppen eine empfindliche Niederlage gegen die Mapuche erlitten, wurde er gefangen genommen und zu einem symbolträchtigen Tod verurteilt: Man goss ihm flüssiges Gold in den Rachen. Die Konquistadoren stießen nie auf größere Goldvorkommen.
Fast 500 Jahre nach dem Eintreffen der Spanier glaubt die kanadische Firma Barrick Gold nun doch das mythische El Dorado gefunden zu haben. Ihre Suche gestaltete sich vergleichsweise einfach. Durch moderne Satellitentechnik wurden die größten Goldkonzentrationen im Gestein an einem Ort ermittelt, der für die spanischen Reiter nur schwer zu erreichen war: auf über 5000 Meter Höhe, mitten in den Anden, auf der heutigen Grenze zwischen Chile und Argentinien. Die Fundorte heißen Pascua und Lama. Barrick gibt die Menge des Goldes mit insgesamt 17,6 Millionen Unzen (knapp 500 Tonnen) an. Außerdem sollen jährlich ca. 30 Millionen Unzen Silber und 5000 Tonnen konzentriertes Kupfer abgebaut werden. Das Unternehmen will ca. 1,6 Milliarden Dollar in das Projekt investieren. Die Bodenschätze befinden sich in einer Region, die eine der höchsten Arbeitslosenzahlen im Land aufweist und bisher fast ausschließlich von Landwirtschaft und Tourismus lebt.

Das Versetzen der Gletscher
Doch genau das ist einer der Hauptkritikpunkte von Lucio Cuenca, dem nationalen Koordinator des Observatoriums für Umweltkonflikte in Lateinamerika (OLCA). „Das Projekt soll insgesamt nur 17 Jahre laufen, und was ist danach?“ OLCA befürchtet, dass das ökologische Gleichgewicht für immer zerstört und der Region damit auch die Grundlage für Landwirtschaft und Tourismus entzogen wird. Den stärksten Widerspruch erfährt der Plan der Minengesellschaft, größere Teile dreier Gletscher zu verlegen, um die Bodenschätze im Übertagebau ausbeuten zu können. Insgesamt sollen 20 Hektar entfernt und an einem anderen Ort wieder „artgerecht“ platziert werden.
Cuenca versucht seinen Ärger hinter einer Reihe von Argumenten zu verbergen. Nüchtern und sachlich widerlegt er alle Behauptungen von Barrick. „Das Unternehmen gibt an, Erfahrung im Versetzen von Gletschern zu haben. Doch es gibt weltweit kein einziges Beispiel, in dem ein Gletscher ohne größere Verluste oder sogar dessen Verschwinden erfolgreich versetzt wurde.“ Außerdem arbeite Barrick mit gefährlichen Techniken, die höchst giftige Substanzen wie Zyankali oder Arsen freisetzten. Früher oder später verseuchten diese das Grundwasser. Dieselben Techniken sind in Europa verboten.
Auch das 1,6 Milliarden-Dollar-Argument will Cuenca nicht gelten lassen. „Barrick arbeitet seit fast 20 Jahren in Chile und hat bisher noch nicht einen Dollar Steuern gezahlt!“, erläutert er. Die chilenischen Gesetze ermöglichen Buchhaltungstricks, die vor allem ausländische Investoren begünstigen.
Ein weiteres Produkt der neoliberalen Gesetzgebung ist die De-Facto-Privatisierung des Wassers. Offiziell gilt das Wasser als nationales Gut, das geschützt werden muss. Doch die Kontrolle über das Wasser hat im Huascotal die Junta de Vigilancia, die Vereinigung zur Überwachung des Wassers. Die Junta funktioniert wie eine Aktiengesellschaft, in der regionale Unternehmer und Großgrundbesitzer die größten Anteile halten. Im Juli hat Barrick mit Vertretern der Junta ein Protokoll unterschrieben, das dieser eine Zahlung von 60 Millionen Dollar garantiert und im Gegenzug die Verantwortung für die Kontrolle und die Qualität des Wassers auf die Junta überträgt.
Barrick entschloss sich zu diesem Schritt erst, als die chilenische Umweltkommission CONAMA die Realisierung des Projekts Pascua-Lama an die Bedingung der Umweltverträglichkeit knüpfte. Allerdings geschah dies erst nach dem Protest der Talbewohner. Landwirte hatten die Behörde darauf aufmerksam gemacht, dass in dem Abbaugebiet der Mine Gletscher in Gefahr seien.
In Vallenar, der mit 44.000 Einwohnern größten Stadt des Huascotals, organisieren sich Menschen, die vorher nie etwas mit Politik zu tun hatten, im Rat zur Verteidigung des Tals – dem Consejo de Defensa. Astrid Llanos ist Hausfrau und aktives Mitglied des Consejo. Sie klagt an: „Barrick kommt, zahlt und hinterlässt ein zerstörtes Umweltsystem.“ Mirna Inostroza, eine junge energische Frau, ist Vorsitzende des Rats. Hauptberuflich arbeitet sie als Fremdenführerin für Ökotourismus. Sie sieht das zentrale Problem in der Desinformation der Talbewohner. Niemand wisse, was das Projekt wirklich für Konsequenzen habe, und alle wollten der Verheißung Glauben schenken, dass Barrick Arbeitsplätze und Wohlstand in die Region bringe.

Unternehmen im staatlichen Niemandsland
Um der Desinformation zu begegnen, haben sich die Kritiker in die Einzelheiten des Projektes eingearbeitet. Sie erfuhren zum Beispiel, dass das Projekt auf einem bilateralen Vertrag zwischen Chile und Argentinien beruht, der auf das Betreiben von Barrick hin entstanden ist. Dieses Abkommen soll es ermöglichen, Bodenschätze, die im Grenzgebiet liegen, ohne Schwierigkeiten abzubauen. Für Mirna Inostroza ist klar: „Das Gebiet Pascua-Lama ist jetzt ein virtuelles Land, das dem Unternehmen erlaubt, dort seine eigenen Rechte durchzusetzen! Es ist nicht mehr unser Land!“ Tatsächlich kann sich Pascua-Lama zu einem Präzedenzfall entwickeln. Denn es ist zu erwarten, dass entlang der Grenzlinie der Kordilleren zahlreiche weitere Bodenschätze entdeckt werden. Nationale und internationale Unternehmen beobachten den Fall daher mit großem Interesse.
Doch nicht überall im Tal sind die Aktivisten mit ihren Informationen willkommen. Arbeitslose erhoffen sich eine Anstellung, Kleinunternehmer einen generellen Anstieg der Nachfrage. Der Besitzer eines Restaurants in Alto de Carmen, einem verschlafenen Dorf, das an einer wichtigen Weggabelung im Tal liegt, meint, es sei „sowieso egal. Das Tal ist schon längst verschmutzt!“

Kampf um Wasser
Im Tal herrscht ein vielschichtiges Mikroklima. An den Ausläufen der Flüsse im mittleren Norden Chiles baden sich Pinguine und auf Plantagen werden hauptsächlich Weintrauben für den Export angebaut. Die kleineren Bauern in den wärmeren Gegenden des Tals produzieren Bananen, Avocados, Mangos oder Passionsfrüchte. Die Kritiker des Projekts sehen dieses Mikroklima bedroht und fühlen sich von den Politikern im Stich gelassen. Besonders schmerzlich erfährt das Sergio Campusano. Er ist Sprecher der Huascoaltino-Indígenas. Die Huascoaltinos sind – anders als etwa die Mapuche oder die Aymara – bisher nicht offiziell von der Regierung als Ethnie anerkannt worden.
Während zahlreiche Küken zwischen seinen Beinen umherirren, malt Sergio Campusano mit einem Stock Linien in den sandigen Boden, die die Besiedelung des Tals durch seine Vorfahren veranschaulichen sollen. Er kennt die Paragraphen der Verfassung auswendig, die seinem Volk diesen Boden zusprechen. Dennoch werden nun – ohne dass das Projekt endgültig genehmigt ist – bereits Straßen mitten durch das Territorium der Huascoaltinos gezogen, die den schweren Lastwagen den Zugang zu Pascua-Lama erleichtern. Angeblich wurde sogar bereits eine Landepiste für Privatflugzeuge über einem archäologischen Friedhof der Huascaltinos errichtet. Campusano klingt verbittert: „Valle de Huasco ist das einzige Tal im Norden Chiles, das noch nicht von den Minengesellschaften verseucht wurde. Es gibt hier einmalige Bedingungen, da der Grundwasserspiegel sehr hoch ist. Wenn die Mine erst in Betrieb ist, dann wird der Wasserspiegel sinken und wir können nichts mehr anbauen.“ Tatsächlich gibt Barrick an, 42 Liter Wasser pro Sekunde zu benötigen. Auf der argentinischen Seite werden es sogar 370 Liter pro Sekunde sein. „Mit dem Projekt Pascua-Lama sterben wir. Wir werden verschwinden wie die Azteken“, befürchtet Campusano.
Bereits im Jahr 2001 haben die Huascoaltinos Barrick wegen illegaler Besetzung ihres Territoriums verklagt. Im Moment können die Anwälte die Klage jedoch aus Geldmangel nicht weiter verfolgen. Sollten die Indígenas Recht bekommen, und man erklärte das Territorium offiziell zu schützenswertem Eigentum der Huascoaltinos, wäre das Projekt der
Minengesellschaft gescheitert.

Widerstand gegen das Projekt
So gibt es noch zwei Hoffnungsfunken für die Gegner des Projekts: Sollte es Barrick nicht gelingen, schlüssig zu erklären, wie es die Teile der drei Gletscher umweltverträglich versetzen will, könnte man dem Unternehmen die bereits erteilte Erlaubnis zum Abbau der Bodenschätze wieder entziehen. Allerdings weist Barrick schon jetzt auf die Möglichkeit hin, in diesem Fall eine milliardenschwere Klage gegen den chilenischen Staat anzustrengen. Zunächst jedoch hat Barrick sich eine weitere Frist erbeten: Die Antwort an das Umweltministerium – ursprünglich fällig bis zum 1. September – will das Unternehmen jetzt bis zum 11. November vorlegen. Bis dahin geben weder Barrick noch CONAMA öffentliche Stellungnahmen zu diesem Projekt ab.
Auf der anderen Seite könnte das transnationale Unternehmen über den Widerstand der 260 verbliebenen Huascoaltinofamilien stolpern. Sergio Campusano weiß, dass er damit fundamentalen Wirtschaftsinteressen in die Quere kommt. Trotzdem ist er bereit zu kämpfen und sucht dafür nach Bündnissen, die über die lose Vernetzung mit den anderen Talbewohnern hinausgehen: „Wir brauchen internationale Aufmerksamkeit, damit Druck auf die chilenische Regierung ausgeübt wird. Man soll wissen: Geld ist in Chile immer willkommen, auch wenn es auf Kosten der Indigenen geht!“ Bisher jedoch wird das Schicksal des Huascotals und seiner Einwohner kaum öffentlich diskutiert und aufgrund des Präsidentschaftswahlkampfes – im Dezember wird gewählt – stehen andere Themen auf der politischen Agenda.
Sollte den Indigenen Chiles dennoch eine späte Gerechtigkeit zuteil werden? Werden die Huascoaltinos an den Widerstand der Mapuche gegen die Spanier anknüpfen? Sergio Campusano muss über den Vergleich lächeln. Sicher wird diesmal niemandem flüssiges Gold in den Rachen gegossen.

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