Nummer 527 - Mai 2018 | Paraguay | Wahlen

RÜCKKEHR DES AUTORITARISMUS

Eine Einschätzung zu den Präsidentschaftswahlen in Paraguay von dem paraguayischen Soziologen Diego Segovia

Am 22. April wurden in Paraguay der Präsident und der Vizepräsident sowie Senator*innen und nationale Parlamentsabgeordnete, Gouverneur*innen, Regionalpolitikerinnen und Mercosur-Abgeordnete gewählt. Die Ergebnisse zeigen, dass an den prekären Verhältnissen im Land wohl kaum gerüttelt werden wird. Ursachen für die Stagnation sind vor allem in der Geschichte Paraguays, den Wahlprogrammen, dem Wahlsystem und nicht zuletzt in dem regionalen Kontext zu suchen.

Von Diego Segovia (Übersetzung: Laura Haber)

Seit Beginn der Diktatur Alfredo Stroessners im Jahr 1954 hat die Colorado-Partei beinahe ununterbrochen regiert. Nur zwischen 2008 und 2012 schaffte es die von Fernando Lugo angeführte Allianz, für eine der ungleichsten Gesellschaften des Planeten zaghafte Umverteilungsprogramme zu entwerfen. Diese Regierungszeit wurde jedoch durch einen parlamentarischen Putsch vorzeitig beendet.

Sowohl die sogenannte Colorado-Partei (ANR) als auch die Liberale Partei (PLRA) – die zweitwichtigste des Landes – sind ideologisch dem rechtskonservativen Lager zuzuordnen und stellen gemeinsam schon lange eine unerschütterliche parlamentarische Mehrheit.

Die Kandidaten Mario Abdo Benítez und Hugo Velazquez von der rechtskonservativen Partei ANR wurden bei den Wahlen jeweils als Präsident und Vizepräsident mit 46,44 Prozent der Stimmen bestätigt. Nur knapp dahinter lagen die Kandidaten der liberalen Partei PLRA mit 42,74 Prozent. Bei den Parlamentswahlen gewann die Colorado-Partei ebenfalls mit 29,64 Prozent die Mehrheit, gefolgt von der PLRA mit 22,1 Prozent und der progressiven Frente Guasú mit 10,68 Prozent.

Bereits die Vorwahldebatten im Land standen im Zeichen der etablierten Parteien. Sie haben traditionell nur wenig Substanz und richten sich nach den Interessen von Privatleuten, die meistens mit Medienunternehmen und den traditionalistischen Diskursen der politischen Parteien in Verbindung stehen. Starke öffentliche Medien gibt es nicht, und bereichernde Inhalte auf alternativen Wegen in die Debatten einzubringen, ist bislang niemandem gelungen.

Bei diesen Wahlen gab es zwei starke Präsidentschaftskandidaten. Für die ANR trat Mario Abdo Benítez an, der Enkel des Privatsekretärs von Diktator Stroessner; für die Liberale Partei kandidierte zum zweiten Mal in Folge Efraín Alegre, der von seinem Parlamentssitz aus den parlamentarischen Putsch befördert hatte und so 2012 Lugos Regierung stürzte, sodass die ANR 2013 erneut an die Macht kam. Für diese Wahlen nun versöhnte sich Alegre mit der Parteienallianz Frente Guasú, die von Lugo geführt wird und ein weites politisches Spektrum von Links und Mitte-Links abdeckt. Vereinzelte Stimmen aus der Allianz riefen jedoch dazu auf, ungültig zu wählen.

Die Colorado-Partei knüpft erneut an Diskurse und Praktiken der Stroessner-Diktatur an, und der Sieg ihres Kandidaten scheint vor diesem Hintergrund kein Zufall. Zu ihren auffälligsten Forderungen zählt etwa die Wiedereinführung des verpflichtenden Wehrdienstes oder auch die Einrichtung von Häusern zur Aufnahme minderjähriger Mütter, was als Antwort auf wichtige Sozialdebatten über Sicherheit und Sexualität (Sexualkunde, Abtreibung etc.) zu sehen ist. Den sozialen Netzwerken bot das Argumentationsniveau des Kandidaten einen ständigen Anlass zum Spott.
Die Liberale Partei büßte durch ihre Mitwirkung beim Parlamentsputsch 2012 viel Macht ein. Trotz ihrer liberalkonservativen Haltung, wie sie zu Zeiten der Diktatur als einzige zugelassen war, konnten sich unter ihrem Schutz wichtige progressive Persönlichkeiten und Gruppen herausbilden. Bei diesen Wahlen sollten ihre Vorschläge direkte Antworten auf die drängendsten Bedürfnisse der Menschen geben. Dies war eher politisches Marketing und verlieh strukturellen Fragen keine Tiefe, um im Fall eines Sieges Konflikte zu vermeiden.

Angesichts der heftigen Konfrontation der feministischen Bewegung mit ihren ärgsten, in religiösen Sekten konzentrierten Gegner*innen, wurde die Debatte zu weiten Teilen über Themen wie Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehe geführt. Doch keiner der Kandidaten wagte es, sich offen für diese progressiven Forderungen auszusprechen.

Die Einigung über eine gemeinsame Präsidentschaftskandidatur der Opposition ermöglichte es, dass alle Parteien ihre Kandidaturen für das Parlament unabhängig voneinander vorstellten. Es konnte jedoch ein Dutzend dieser Parteien keinen einzigen Sitz für sich gewinnen. Nur die Frente Guasú unter Ex-Präsident Lugo darf künftig sechs Senator*innen stellen. Bemerkenswert ist, dass die von einer bekannten Komiker*innen-Gruppe geführte Partei Hagamos Stimmenzuwächse für sich verbuchen konnte, und außerdem die Partei Patria Querida wiederauferstanden ist, die Unternehmer-„Freunde“ 2001 gegründet hatten und die sich als Hauptziel die Korruptionsbekämpfung auf die Fahnen schrieb.

Die Colorado-Partei hat mit keinem großen Abstand zum Zweitplatzierten gesiegt, und wenn man sich die gravierenden Mängel des Wahlsystems vor Augen führt, könnte man sogar sagen, dass sie in der Praxis eine symbolische Niederlage hat einstecken müssen.
Am Wahltag fahren in Paraguay fast keine öffentlichen Verkehrsmittel, was fährt, wird durch politische Parteien privatisiert, die ihre Anhänger zu den Wahllokalen befördern lassen. Während des Wahlkampfs kam es zu Anzeigen gegen Kandidat*innen, die Geld verteilten, Ausweisdokumente kauften und andere althergebrachte Praktiken nutzten, um die Wahlen zu manipulieren.

Wer mehr bezahlen kann und über die besser ausgebildeten Leute zur „Überwachung der eigenen Stimmen“ am Wahltag verfügt, streicht in punkto Ergebnisse an den Urnen Gewinne ein. In den Tagen nach der Wahl wurde deswegen von Seiten der Liberalen Partei heftige Kritik laut.
Die Debatte um elektronische Wahlurnen oder ein effizienteres Auszählsystem wurde vor einer Weile unter der Prämisse aufgegeben, dass diejenigen, die über die größte Parteienstruktur verfügen, von diesem Chaos profitieren. Denn so können quasi während des gesamten Wahlvorgangs kleine Betrügereien verübt werden, die in der Summe den allgemeinen Wahlverlauf beeinflussen.

Der Sieg eines Enkels der längsten Diktatur Amerikas, der auf den Werken seiner Großväter aufbaut, steht als klares Zeichen für den Diskurs und die Praktiken, die eingesetzt werden sollen – nicht nur in Paraguay, sondern auch in den Nachbarländern. Nach einem Jahrzehnt lateinamerikanistischer Regierungen, die vor allem auf regionale Integration setzten, um ihre gemeinsamen Interessen auf der globalen Bühne vorzutragen, reiht sich ein parlamentarischer Staatsstreich an den anderen, kommt es zu Wahlbetrügereien und Operationen von Medienunternehmen, die allesamt in die Machtübernahme zwielichtiger Persönlichkeiten münden, die mit transnationalen Mafias in Verbindung stehen: Da wären der Fall Temer gegen Dilma und die Festnahme Lulas in Brasilien, die Verstrickung Macris mit den Panama Papers und seine herabwürdigende Haltung gegenüber den Müttern der Plaza de Mayo in Argentinien, die Verbindung von Präsident Cartes mit dem globalen Zigarettenhandel in Paraguay. All das weckt zumindest den Verdacht, dass in Zeiten von Facebook und transnationalen Machtstrukturen ein Plan Cóndor reloaded besteht.

Mit seinen knapp 400 Quadratkilometern besitzt Paraguay pro Kopf die achtgrößte kultivierbare Fläche weltweit. Das sind die wahren Interessen hinter einer Neuordnung der lateinamerikanischen Regierungen.

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