Rückschlag für Bergbaukonzerne
In Argentinien ist ein Gletscherschutzgesetz in Kraft getreten
„Wasser ist mehr wert als Gold“. Der griffige Slogan zieht sich durch ganz Argentinien. Ob als Graffiti an einer bröckelnden Häuserwand, auf einem Pappschild an einer Tür, als Aufkleber am Auto oder als kunstvoll gestaltetes Protestgemälde, der Satz wird viel zitiert von der Bevölkerung. Nicht aber öffentlich in Werbung, Zeitschriften oder auf Plakaten. Dennoch hat er gerade prominenteste Unterstützung erhalten. Argentiniens Oberster Gerichtshof machte im Juli 2012 unerwartet den Weg frei für die Umsetzung eines lang ausgehandelten und doch fast gescheiterten Gesetzes zum Schutz der argentinischen Gletscher, in denen gut 75 Prozent der Trinkwasserreserven des Landes eingefroren sind. Die höchste gerichtliche Instanz hat sich damit gegen den Bergbau gestellt, der mit einer einstweiligen Verfügung die Oberhand im Machtkampf um Gold und Wasser hatte. Ein Machtkampf zwischen ungleichen Gegner_innen. Denn dort wo riesige Bergbauprojekte Löcher in die Landschaft reißen und Wasserreserven zerstören wohnen zumeist arme, oft indigene und kaum an Bildung und moderne Medien angeschlossene Menschen. Die Firmen, die anrücken um die Bodenschätze zu heben haben internationales Kapital und dessen gesamte Lobby auf ihrer Seite. Ihre Politik hat eine klare Linie: „Internationale Bergbauunternehmen fokussieren sich auf die sogenannte Dritte Welt. Unzureichende Gesetzeslagen im Umweltbereich, häufig Korruption und dünn besiedelte Gebiete ohne Gegenwehr machen Investitionen hier im Gegensatz zu aufgeklärten Industriestaaten lukrativ und unkompliziert“, sagt Ricardo Vargas vom Umweltbüro San Guillermo.
Ebenso abgelegen wie die Bodenschatzfundstellen liegt ein anderer Schatz – das in Eis gefrorene Wasser. Anders als die möglichst fernab der Öffentlichkeit betriebenen Minen, standen die Gletscher mehrere Jahre lang im Mittelpunkt der politischen Diskussion in Argentinien. Dorthin vorgerückt waren sie erstmalig durch eine Gesetzesvorlage der Abgeordneten Marta Maffei im Oktober 2008. Diese wollte die Süßwasserreserven des Landes sowie ihr Umfeld unter Schutz stellen. Dabei ging es gar nicht in erster Linie um den Bergbau, sondern um jede Aktivität bei der Gletscher beschädigt werden könnten. „Wenn eine Schicht von einem Millimeter Staub auf einem Gletscher liegt, kann dieser die Sonne nicht mehr richtig reflektieren und schmilzt um 15 Prozent schneller“, so Ricardo Vargas. Ob Tourismus mit Eiswanderungen, Jeeptouren, Hotels in Gletschernähe oder Bergbau mit Sprengungen ganzer Felslandschaften auf über 4.000 Metern Höhe – die Süßwasserreserven sollten vor jedem Einfluss geschützt werden. Maffeis Vorschlag war so überzeugend, dass er in Abgeordnetenhaus und Senat sofort einstimmig angenommen wurde. Nicht aber von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner. Sie wischte das Gesetz mit einem Veto vom Tisch, das schnell den Spitznamen „Veto Barrick“ erhielt, benannt nach einem der mächtigsten Bergbaukonzerne der Welt, der kanadischen Barrick Gold Corporation. Denn die Barrick Gold betreibt mit zwei Megaprojekten die größten Investitionen im Bergbau in Argentinien. Die Mine Veladero mitten im Biosphärenreservat San Guillermo ist schon in Betrieb und im binationalen Projekt Pascua Lama auf der Grenze zu Chile, dessentwillen im chilenischen Teil Gletscher sogar versetzt werden sollten, soll im kommenden Jahr mit dem Schürfen begonnen werden.
Spätestens das Veto schuf Fronten zwischen Gletscherschutz und Bergbau in Argentinien. Und es brachte die Problematik in die Öffentlichkeit, wo sie sonst nie in diesem Umfang hingekommen wäre. Zwei Jahre lang suchten nun argentinische Politiker_innen weitere Wege, das Gletscherschutzgesetz doch noch durchzubringen. Und zwei Jahre lang arbeitete die Bergbaulobby dagegen. Der Leitspruch „Wasser ist mehr wert als Gold“ verbreitete sich immer weiter. Somit erlangte der Bergbau einen Platz in den Medien und Aufmerksamkeit in jeder Hinsicht mit ganzseitigen Werbekampagnen diverser Bergbauunternehmen oder mit Berichten von Betroffenen vor Ort.
Argentinien hat das sechstgrößte Bergbaupotential der Erde. Seit Methoden gefunden wurden, auch weit verstreute Edelmetallpartikel abzubauen und mit Chile ein binationales Bergbauabkommen geschlossen wurde, sind die argentinischen Anden begehrtes Gebiet für internationale Bergbauunternehmen. Denn die Zusammenarbeit mit Chile löst das Transportproblem für die geschürften Metalle. In Chile ist das Meer nah, in Argentinien machten lange Wege das Schürfen bislang unattraktiv. Nun ist in den letzten sieben Jahren die Zahl der Probebohrungen in Argentinien um 700 Prozent gestiegen. Allein in der Provinz San Juan, welche am stärksten den Bergbau in Argentinien fördert und in der auch die beiden Minen Pascua Lama und Veladero liegen, sind über 150 Bergbauprojekte geplant.
In den Nachbarprovinzen Mendoza, La Rioja und San Luis dagegen wurde der offene Tagebau zeitweilig untersagt und dem Wasser die Priorität eingeräumt. Ein Beschluss, der angesichts neuer Projekte jedoch wieder kippte. Nichts verdeutlicht stärker den Zwiespalt um das Bergbaugeschäft, denn die internationalen Firmen investieren nicht nur in die Minen. Unter dem Motto „Verantwortungsvoller Bergbau“ kauft die Barrick Gold Krankenwagen, renoviert Schulen, schickt Mädchen in Trainingsanzügen für Gymnastikkurse in abgelegene Dörfer und bringt Internet an Orte, die nicht einmal Telefon hatten. „Ich weiß, dass mein Hotel in den nächsten Jahren ausgesorgt hat, denn irgendwo müssen die Ingenieure ja leben. Ich habe Verträge mit der Barrick geschlossen, auch wenn mir klar ist, dass der Bergbau die Gegend hier zerstört und dann Touristen ohnehin nicht mehr kommen. Ich hoffe auf Gesetze wie den Gletscherschutz, denn wir als Einzelpersonen haben nicht die Macht, diese Konzerne fernzuhalten und ich selbst muss heute überleben“, bekennt sich ein Hotelier aus der Provinz San Juan, der namentlich nicht genannt werden möchte.
Lokaler Widerstand verpufft zumeist auf wenig gehörten Demonstrationen und bei hilflosen Versuchen, Öffentlichkeit und Verständnis zu gewinnen. Was für die Barrick Gold „Verantwortungsvoller Bergbau“ ist, wird von einigen anders eingeschätzt. „Sie versuchen, die Einwohner zu kaufen und sind leider erfolgreich. Selbst Flyer des San Guillermo Nationalparks, der unmittelbar von der Mine Veladero betroffen ist, finanziert die Barrick Gold. Ein Widerspruch in sich, aber die Nationalparkleitung hält somit den Mund“, sagt Ricardo Vargas.
Trotz des präsidialen Vetos ging der Kampf für ein Gletscherschutzgesetz weiter. Im Oktober 2010, als lokale Aktivist_innen sich schon als Einzelkämpfer_innen verstanden, schlugen die Abgeordneten Daniel Filmus und Miguel Bonasso ein entsprechendes Gesetz mit fast identischem Text erneut vor. Beide Kammern des argentinischen Kongresses stimmten zu, Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner akzeptierte dieses Mal das Votum. Ein Sieg, der quer durch alle Parteien und gegen eine internationale Lobby ging. Doch sofort stoppte die Provinz San Juan gemeinsam mit der Barrick Gold Corporation, zwei weiteren Bergbauunternehmen sowie der Bergbaugewerkschaft die Umsetzung des Gesetzes durch eine einstweilige Verfügung. „Die Aktivitäten der Firma werden nicht auf Gletschern ausgeführt“, erklärte hierzu der Vizepräsident der Barrick Gold in Südamerika, Rodrigo Jiménez. Dementsprechend wehren sie sich auch gegen die vorgesehene Katalogisierung und Evaluierung sämtlicher Gletscher und anliegender Projekte, die als erster Schritt zur Umsetzung des Gletscherschutzgesetzes vorgesehen ist. „Wenn die Barrick Gold wirklich keine Gletscher gefährdet, hat sie auch keinen Grund, sich der Untersuchung derselbigen zu widersetzen“, so der Abgeordnete Filmus.
Dieser Widerspruch wurde zum Hauptargument des Obersten Gerichtshofes, der nun im Juli die einstweilige Verfügung zurückwies und damit offiziell den Weg für die Anwendung des Gletscherschutzgesetzes frei machte. Damit könnte sich die Waagschale von Bergbau und Umweltschutz möglicherweise zugunsten der Natur neigen. Es scheint, als täte sie dies an oberster Stelle in Argentinien, da sich zudem auch in anderer Sache Verhandlungen vor der höchsten Instanz anbahnen: Fast zeitgleich mit der Aufhebung der einstweiligen Verfügung gegen den Gletscherschutz unternahm der Oberste Gerichtshof erste Schritte in der Klage von Ricardo Vargas gegen Barrick Gold. Das argentinische Gesetz sieht die Zahlung einer obligatorischen Umweltversicherung vor, die sämtliche Unternehmen zu entrichten haben, deren Tätigkeiten die Umwelt gefährden und beeinflussen. Diese Zahlung wurde für die Minen Veladero und Pascua Lama nicht geleistet. Das Oberste Gericht prüft nun eine 43.690 Seiten umfassende Erklärung zur Auswirkung des Bergbaus auf die Umwelt, die von der Provinz San Juan in Zusammenarbeit mit Barrick Gold eingereicht werden musste. Weder das Gletscherschutzgesetz noch die Umweltschutzversicherung stellen sich per se gegen den Bergbau. Sie sind jedoch Mittel, die einen Rahmen schaffen könnten, möglichst viele Interessen im Sinne der Wahrung natürlicher Ressourcen in Einklang zu bringen. Für den Umweltaktivisten Ricardo Vargas ein unerwarteter Teilerfolg: „Es ist für mich noch immer unfassbar, dass bei einem der größten Bergbaukonzerne der Welt Verdachtsmomente einer solchen Größenordnung vorliegen, dass ein einzelner Bürger es schafft, den Konzern vor den Obersten Gerichtshof zu bringen. Das dies in einem Land wie Argentinien möglich sein könnte, habe ich nie zu glauben gewagt“.