Nummer 560 - Februar 2021 | Venezuela

SCHWACHE REGIERUNG, SCHWÄCHERE OPPOSITION

Die Parlamentswahl in Venezuela kann die Krise nicht lösen

Bei der Parlamentswahl im Dezember gewann das Regierungslager gut 90 Prozent der Sitze. Doch die Wahl verschafft Präsident Nicolás Maduro nicht die erhoffte Legitimation. Auch der Teilboykott der rechten Opposition ist strategisch fragwürdig. Zaghafte Hoffnungen liegen nun auf dem Regierungswechsel in den USA.

Von Tobias Lambert

Zwei Jahre lang hatte der ehemalige US-Präsident Donald Trump versucht, Juan Guaidó als Staatschef in Venezuela zu installieren. Doch während der venezolanische Präsident Nicolás Maduro weiterhin fest im Sattel sitzt, schied Trump am 20. Januar aus dem Amt. Der Regierungswechsel in den USA wirft auch Fragen zur Zukunft Guaidós auf. Dieser hatte sich im Januar 2019 mit Rückendeckung der USA zum Interimspräsidenten erklärt. Es folgte die Anerkennung durch mehr als 50 Staaten, ohne dass Guaidó innerhalb Venezuelas jemals präsidiale Machtbefugnisse ausgeübt hätte. Den vermeintlichen Anspruch auf die Interimspräsidentschaft leiteten die US-Regierung und die rechte venezolanische Opposition verfassungsrechtlich fragwürdig vom Parlamentsvorsitz ab. Doch seit Anfang dieses Jahres ist Guaidó nicht einmal mehr einfacher Abgeordneter. Sein Boykott der Parlamentswahl vom 6. Dezember sorgte dafür, dass die Regierungsgegner*innen die letzte von ihnen zumindest auf dem Papier kontrollierte Institution eingebüßt haben.

Bei einer niedrigen Wahlbeteiligung von 31 Prozent hatte das Bündnis der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) 69 Prozent der Stimmen geholt. Aufgrund des partiellen Mehrheitswahlrechts fallen ihr sogar mehr als 90 Prozent der Sitze zu. Moderat-rechte Parteien, die sich in den Augen vieler Oppositioneller von der Regierung haben kaufen lassen, konnten nur wenige Mandate erzielen. Guaidó versuchte mit einer selbst organisierten „Volksbefragung“ zu kontern, bei der laut Oppositionsangaben innerhalb und außerhalb Venezuelas knapp 6,5 Millionen Personen für Maduros Abgang und freie Wahlen mit internationaler Unterstützung votierten. Dies wären ein paar hunderttausend mehr, als sich an der Parlamentswahl beteiligt haben. Doch selbst wenn die Zahl stimmen sollte, ist es unwahrscheinlich, dass Guaidó noch einmal als ernsthafter Widersacher von Maduro zurückkommt. 

Das Kapitel Guaidó ist gescheitert

Denn auch innerhalb der rechten Opposition ist er nach mehreren dilettantischen Umsturzversuchen und Korruptionsvorwürfen gegen sein Umfeld umstritten. Hardliner*innen wie María Corina Machado drängen schon seit längerem auf eine US-Militärintervention, während sich der zweimalige Präsidentschaftskandidat Henrique Capriles für die Teilnahme an Wahlen ausspricht. In einem Interview mit der britischen BBC ließ er kurz nach der Parlamentswahl keinen Zweifel daran, dass er das Kapitel Guaidó für gescheitert hält: „Ich habe nichts gegen Guaidó persönlich, aber das hier ist zu Ende.“ Die neue US-Regierung solle sich für faire Wahlbedingungen einsetzen, so Capriles weiter.

Guaidó will erreichen, dass die alte Nationalversammlung mit ihm an der Spitze international weiterhin als legitim betrachtet wird. Anfang Januar hatten er und eine Reihe weiterer Abgeordneter ihr Mandat eigenmächtig verlängert. Zwar erkennen weder die USA noch die EU oder die rechts regierten lateinamerikanischen Länder die Parlamentswahl an. Doch vermied es die EU in einem Statement nach der Wahl, Guaidó wie zuvor noch als Interimspräsidenten zu bezeichnen. Der neue US-Außenminister Antony Blinken bekräftigte bei einer Anhörung vor dem Senat am 19. Januar hingegen, dass die USA weiterhin an Guaidó als Interimspräsidenten festhielten. Vom neuen US-Präsidenten Joe Biden erhoffen sich viele Beobachter*innen zumindest, dass er die Sanktionen gegen Venezuela lockert und sich direkte Gesprächskanäle zwischen Washington und Caracas öffnen.

Wenngleich viele Chavist*innen betonten, dass das EU-Land Rumänien auch ohne Boykott keine höhere Wahlbeteiligung aufweise, gibt es an der Parlamentswahl in Venezuela durchaus berechtigte Kritik. Im Vorfeld hatte das regierungsnah besetzte Oberste Gericht (TSJ) etwa intransparent die Führung mehrerer rechter wie linker Parteien gegen moderate und regierungsnahe Politiker*innen ausgetauscht. Somit traten mehrere große Oppositionsparteien aus dem Guaidó-Lager sowie kleinere linke Parteien lediglich als Abspaltung einer Minderheit an, verwendeten dafür aber die altbekannten Namen und Symbole. Von den Eingriffen waren auch Mitglieder des alternativen linken Wahlbündnisses Revolutionär-Populare Alternative (APR) um die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) betroffen. Die APR-Kandidat*innen sammelten sich daraufhin allesamt auf der Liste der PCV, die als einzige Partei des Linksbündnisses auf den Wahlzetteln stand. Bei mehreren öffentlichen Debatten im privaten wie staatlichen Fernsehen waren zwar Kandidat*innen der rechten Opposition, nicht aber der neuen linken Alternative eingeladen. PCV-Kandidat Pedro Eusse erklärte in einem Radiointerview kurz vor der Wahl, einen derartigen Ausschluss aus den Medien habe die Kommunistische Partei zuletzt „in den 1970er Jahren“ erlebt. Am Ende holte die PCV lediglich 2,7 Prozent der Stimmen und stellt mit ihrem Generalsekretär Oscar Figuera im neuen Parlament nur einen Abgeordneten.

Diskrete Privatisierungen von Staatsunternehmen gehen weiter

Zwar kontrolliert die venezolanische Regierung nun offiziell alle politischen Gewalten im Land. De facto ändert sich aber nicht viel, denn die bislang oppositionell dominierte Nationalversammlung war in den letzten Jahren ohnehin juristisch kaltgestellt. Die seit August 2017 als Parallelparlament fungierende Verfassunggebende Versammlung beendete im Dezember ihre Arbeit, ohne auch nur über einen Verfassungsentwurf debattiert zu haben. In den Augen der regierenden Chavist*innen kommt dies einer Re-institutionalisierung gleich. Doch in breiten Teilen der Bevölkerung und auf internationaler Ebene genießen weder Maduro noch das neue Parlament Legitimität. Zudem verfügt die Regierung nicht über ausreichend politische und finanzielle Mittel, um die Dauerkrise im Land zu beenden. Beobachter*innen rechnen daher in den kommenden Jahren mit weiteren Privatisierungen von Staatsunternehmen. Diese führt die Regierung bereits hin und wieder diskret durch, um ihren sozialistischen Diskurs nicht zu untergraben. Nutznießer sind dabei meist regierungsnahe Geschäftsleute oder Kapital aus „befreundeten“ Ländern wie China, Russland, Iran oder der Türkei. 

Venezuelas Regierung hofft auf Ende der US-Sanktionen“

Dass die Parlamentswahl die Krise nicht lösen kann, ist offensichtlich. Nötig wäre ein breiter gesellschaftlicher Dialog, der sowohl rechte wie auch linke Oppositionsparteien und zivilgesellschaftliche Gruppen mit einbeziehen müsste. Aufgrund der verhärteten Positionen scheint dies kurzfristig jedoch unrealistisch. Der neue chavistische Parlamentspräsident, Jorge Rodríguez, kündigte in seiner Antrittsrede am 5. Januar zwar eine große Dialoginitiative mit allen Sektoren an. Gleichzeitig sagte er aber, es gebe „Verbrechen, die geahndet werden müssen“. Damit eröffnete Rodríguez diskursiv sowohl die Möglichkeit für Verhandlungen als auch eine strafrechtliche Verfolgung der Ex-Abgeordneten um Juan Guaidó, die im chavistischen Lager teilweise offensiv eingefordert wird. Am Ende könnte es also doch darauf ankommen, ob die neue US-Regierung mehr Interesse an Verhandlungen oder einer weiteren Eskalation hat. Denn für die Regierung Maduro ist die Aufhebung der US-Sanktionen das wichtigste Thema bei möglichen Gesprächen. Und dies liegt nicht im Ermessen der venezolanischen Opposition.

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