Jugend | Nummer 303/304 - Sept./Okt. 1999

Sein wie Che Guevara

Männliche Jugendliche, die Linke und der Guerilla-Mythos

Während der Bürgerkriege in El Salvador und Nicaragua wurde Männlichkeit innerhalb der Befreiungsbewegungen großgeschrieben. Dabei folgte der Diskurs vom heldenhaften Guerrillero einer scheinbar schlichten militärischen Notwendigkeit: Es ging darum, den Feind militärisch zu besiegen. In dem folgenden Artikel greift Andreas Goosses die feministische Kritik am Männlichkeitsideal der Guerrillabewegungen auf und setzt sich mit den psychosozialen Folgen von dessen Propagierung auseinander.

Andreas Goosses

Kinder und Jugendliche haben im Krieg kaum eine Chance. Vor allem sie sind die Leidtragenden von Kämpfen, Bombardierungen, Minen, Hunger und Vertreibung. Weltweit sind in den bewaffneten Konflikten der neunziger Jahre mehr als zwei Millionen von ihnen ums Leben gekommen, sechs Millionen wurden verletzt oder verkrüppelt, eine Million zu Waisen und zwölf Millionen zu Flüchtlingen und Vertriebenen. Neben diesen sichtbaren Auswirkungen sind es vor allem die seelischen Folgen, traumatische Erinnerungen und Extremtraumatisierungen, die nachhaltig das weitere Leben der Betroffenen und deren Persönlichkeit prägen. Doch viele Jugendliche sind nicht nur Opfer, sondern Protagonisten des Krieges. Nach UN-Schätzungen sind augenblicklich 300.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in 30 Konfliktzonen als Soldaten, Guerilleros oder militärische Bedienstete aktiv beteiligt.
Dieses Phänomen ist jedoch nicht neu. Gerade in Lateinamerika gab und gibt es stets eine große Anzahl Jugendlicher unter den Beteiligten in bewaffneten Konflikten. Auch linke Befreiungsbewegungen nahmen, zumeist unhinterfragt, Jugendliche in ihre militärischen Organisationen auf und vermittelten Kindern und Jugendlichen früh die Ideale des den „Neuen Menschen“ verkörpernden, vorbildlichen Guerilleros.
Beispielsweise im salvadorianischen Krieg waren 15jährige sowohl bei der Guerilla als auch bei den Regierungstruppen keine Seltenheit. Während die Armee rigoros Zwangsrekrutierungen betrieb, war es für viele Jungendliche die einzig folgerichtige Konsequenz, sich sobald wie möglich der Guerilla anzuschließen: Das salvadorianische Regime, das mit bis zu einer Million US-Dollar täglich von den USA unterstützt wurde, betrieb seine berüchtigte Politik der „verbrannten Erde“, in deren Logik es keine Zivilbevölkerung mehr gab. Die von der FMLN-Guerilla kontrollierten Gebiete lagen unter Dauerbeschuß. Wer dort in Morazán oder am Guazapa geblieben war, mußte sich während der tagelangen Bombardierungen und Invasionen der Luftlandetruppen in Tunneln und Erdlöchern verstecken. Überleben konnte die Bevölkerung diesen Kriegsalltag nur durch gegenseitige Hilfe und eine gut durchorganisierte Gemeinschaft, die Poder Popular Local (PPL). Für die PPL war es selbstverständlich, daß Zehnjährige als Boten Nachrichten von einem Dorf zum anderen brachten und so bereits früh in die Strukturen der Guerilla eingebunden wurden. Nach ihren Vorbildern mußte man diese Kinder und Jugendliche nicht lange fragen. Es waren mit Sicherheit Che Guevara und die Guerilleros der FMLN, die sich mit der Waffe in der Hand gegen die Regierungsarmee zur Wehr setzten.

Che Guevara – Vorbild für den Neuen Menschen

Die salvadorianische FMLN präsentierte den Jugendlichen, genauso wie die Kubaner, die nicaraguanischen Sandinisten und viele andere linke Organisationen, Che Guevara als Vorbild und berief sich auf dessen Erziehung zum „Neuen Menschen“. Der Mythos des Guerillakämpfers, der, allen Widrigkeiten und Entbehrungen zum Trotz, unermüdlich und unter Einsatz seines Lebens für „die gerechte ehrenhafte Sache“ kämpft, hatte und hat für viele Generationen der Linken eine große Bedeutung und Anziehungskraft. Der Traum vieler Jugendlicher, es Che Guevara gleichzutun und zum Guerillahelden zu werden, ihre Abenteuerlust und ihr Wunsch nach Stärke, wurde so propagandistisch ausgenutzt und bekam pädagogische Funktion. Wie sehr dieser Guerillero-Mythos mit herkömmlich-patriarchalischen Männlichkeitsbildern sowie dem Ideal vom vorbildlichen, ehrenhaften Held und angstfreien, pflichtbewußten Kämpfer übereinstimmt, wird und wurde nur selten hinterfragt.
In Nicaragua, um ein anderes Beispiel zu nennen, galt es nach dem Sieg der Sandinisten über Somoza, den Kampf gegen die Konterrevolution und den Krieg gegen die Contras zu gewinnen. Dazu war nach Ansicht der FSLN-Regierung auch eine solch unpopuläre Maßnahme wie die allgemeine Wehrpflicht notwendig. Die Sandinisten hatten ja aufgezeigt, wie eine Revolution siegreich sein kann. Nun blieb die „Avantgarde für eine neue Gesellschaft“ der Logik des Krieges und der Ethik des Kampfes verhaftet. Also versuchte sie, den heranwachsenden Jugendlichen ihre Erfahrungen als Guerilleros zu vermitteln und sie für einen ebenso aufopfernden Einsatz zu motivieren. Bestes Beispiel für einen solchen Versuch ist das Buch La montaña es algo más que una inmensa estepa verde von Omar Cabezas, was auch in Deutschland unter dem Titel Die Erde dreht sich zärtlich, Compañera ein Bestseller in der Solidaritätsbewegung wurde. Cabezas erinnert sich darin an die Zeit, in der er zur Guerilla kam und in den unzugänglichen nicaraguanischen Bergen zum Revolutionär, zum Guerillero, zum „richtigen Mann“ wurde. Cabezas will die Fehler der Gesellschaft hinter sich lassen, doch in seiner Literarisierung der Guerillazeit greift er das alte Ideal des heldenhaften Kämpfers und Kriegers wieder auf und tradiert es: Der ehrenhafte, treue und pflichtbewußte Guerillero weiß seine Ängste zu unterdrücken und sich selbst zu beherrschen. Cabezas stellt programmatisch den Guerillero – und damit sich selbst – als vorbildlichen sandinistischen Staatsbürger im Sinne der FSLN dar. Der Machismo ist allerdings bei Cabezas eine mindestens ebenso stark präsente Ideologie wie der Sandinismus. Und so hält Cabezas, wie auch Che Guevara, an patriarchalischen Vorstellungen fest, selbst wenn er den „Neuen Menschen“ propagiert.
Auch Daniel Ortega knüpfte an diese Inszenierung von Männlichkeit und Guerillero-Mythos an, als er sich 1990 vor den verlorenen Wahlen durch eine Betonung seiner Männlichkeit und seines machistischen Selbstverständnisses erneut zum Erfolg verhelfen wollte. Der Ex-Guerillero und nicaraguanische Präsident präsentierte sich den Wählerinnen und Wählern unter dem Slogan “Daniel mi gallo” als Kampfhahn. Doch der Versuch, sich den Machismo in der nicaraguanischen Gesellschaft zunutze zu machen, brachte nicht mehr den gewünschten Erfolg.
Sofia Montenegro, Feministin und ehemalige Stadt-Guerillera der FSLN, resümierte im September 1990, also nach der Wahlniederlage der Sandinisten: „Die Revolution hat eine Ethik für den Kampf hervorgebracht, aber keine Ethik für das Alltagsleben. Es ist dies eine Beschränktheit der Linken, die man weltweit vorfindet. […] Da wir alle mehr oder weniger stalinisiert waren, wurde der ganze Komplex der Frage der Entfremdung, der Subjektivität und der Frauenfrage nie wirklich diskutiert“. Montenegro war eine derjenigen, die versucht hatten, diese Fragen zu stellen. Als Studentin in den USA war sie schon früh mit dem Feminismus in Berührung gekommen. Doch die Bemühungen, feministische Themen in Nicaragua zu diskutieren, scheiterten sowohl an den Männern als auch an Frauen: „Das Ganze nahm sich dann wie ein Dialog unter Taubstummen aus“. Mit diesen Erfahrungen läßt sich wohl der Zynismus erklären, welcher in ihrer wenig schmeichelhaften Stellungnahme über die Guerilleros der Berge zum Ausdruck kommt: „In Nicaragua sagt man ja, daß außer Sandino niemand intelligent aus den Bergen zurückgekommen ist, brutalisiert und verdummt aber durchaus“.

Machismo ein Nebenwiderspruch?

Montenegros deutliche Worte zeigen, daß es auch innerhalb der FSLN andere Stimmen als solche wie die von Cabezas gab. Um so bemerkenswerter, wie selten hierzulande kritisch nachgefragt wurde. Als Linke haben wir uns ausgiebig mit den unterschiedlichsten Revolutionskonzepten und Guerillatheorien auseinandergesetzt. Es galt den Imperialismus zu besiegen, den „Hauptwiderspruch“ aufzulösen, die „Machtfrage“ zu stellen, die Revolution voranzutreiben. Eine weitergehende Problematisierung „revolutionärer“ Erziehungsideale und des „Nebenwiderspruchs“ (so wurde beispielsweise die Geschlechterfrage oft von Männern abqualifiziert) fand nicht statt. Als Folge blieb in linken Kreisen das männlich-militärische Kämpferideal weitestgehend unbehelligt. War es nur die aus einem fragwürdigen Solidaritätsverständnis mit der Revolution heraus entstandene Selbstzensur, die allzu unliebsame Fragen im Keim erstickte? Oder war der Gedanke an eine neue Gesellschaft, in der all das möglich erschien, was man sich erträumte, zu bestechend?
Der Alltag der Bevölkerungsmehrheit Lateinamerikas, also auch der lateinamerikanischen Jugendlichen, ist nach wie vor von Gewalt geprägt, selbst wenn über einen Strukturwandel von der politischen zur sozialen Gewalt gesprochen wird. Männliche Jugendliche sind als Täter und Opfer von Gewalt in hohem Maße daran beteiligt. Diese täglichen Erfahrungen scheinen wiederum herkömmliche Männlichkeitsideale zu bestätigen: Gewalt und das Recht des Stärkeren setzen sich durch. Auch die linken Gesellschaftsentwürfe haben offensichtlich nicht vermocht, dem etwas entgegenzusetzen.

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