Militär | Nummer 200 - Februar 1991

Sonderbeilage zum Golfkrieg der “Dritte-Welt-Zeitschriften”

LN

Editorial

Angesichts der massiven Streit­macht, mit der die Sieger des Kalten Krieges im Nahen Osten auf­marschiert sind, stellt sich für uns heute die Frage, ob dieser zweite Golfkrieg binnen zehn Jahren nicht der Beweis ist, da? eben keine Weltzivilge­sellschaft im Enstehen ist. Wir vermuten, da? mit dem blutigen Waf­fengang, am Ende des zwanzig­sten Jahrhun­derts der Herrschaftsbe­reich neo-imperialisti­scher Staaten wie die USA und neuer­dings auch wieder Gro?britan­nien und Frankreich, abgesteckt werden soll. Damit hat auch der Nord-Süd Kon­flikt eine andere, militärische Dimen­sion bekommen.

Gleichzeitig hat aber auch die techni­sierte und ra­tionalisierte Kriegsfüh­rung eine neue Qualität er­reicht. Und deswe­gen verlangt sie nach ei­ner noch schärfe­ren und noch perfek­teren Zensur der Me­dien. Ver­schwiegen wer­den soll, da? hinter den zeitgemä?en Aus­drücken “Zerstörung” und “chirurgischer Ein­griff” der Tod vieler tausend Menschen steht. Damit soll erreicht werden, da? die Brutalität und der Wahnsinn des Krieges, fernab an der “Heimatfront” nicht einmal mehr per TV wahr­genommen werden kann. Der Krieg er­scheint dann als Spiel. ?ber den inzwi­schen hinläng­lich be­kannten US-Fern­sehsender können wir heute an diesem Spiel teilnehmen. Oder wir gehen heute, wie zu allen Kriegszei­ten, auf die Stra?e und rufen: “Kampf dem Krieg!”

Diesem ‘Kampf’ ist diese Sonderausgabe ge­widmet, so altmodisch das klingt.
hh

Impressum

HerausgeberInnen:

Informationszentrum Dritte Welt e.V.
Kronenstra?e 16HH, 7800 Freiburg
0761-74003

Lateinamerika-Nachrichten
Gneisenaustr. 2, 1000 Berlin 61
030-6946100

Redaktion des AG 3 WL – Rundbriefes
c/o Infoladen 3.Welt
Thomasstra?e 11-13, 1000 Berlin 44

Auflage: 10.000

Der Krieg ohne Blut

Sage und schreibe fünf Tage nach Aus­bruch des Krieges gab es für uns TV-Kriegsteilneh­merInnen das erste Mal Gelegenheit, zu er­schaudern. Zwei ame­rikanische und ein briti­scher Bomberpi­lot, die der Irak nach Ab­schu? ihrer Ma­schinen in seine Gewalt ge­bracht hat, wurden der Welt vorgeführt. Ge­brochene Menschen, ohne jede ?hnlichkeit mit den Jungs aus den Militärwerbespots, die wir nach den erfolgreichen Lufteinsätzen der er­sten Tage zu sehen bekamen.

Doch gerade die makabere Show, die Hus­sein hier inszenierte, gibt Anla? zu Hoffnung. Womög­lich trägt sie dazu bei, da? die Rech­nung der US- Führung nicht aufgeht. Die will bekanntlich keinen zweiten Krieg “am Bild­schirm verlieren” und unter­sagte es den Kriegsberichter­statterInnen, die schwachen Nerven der US-Bevölkerung mit Schreckens­bildern zu strapazieren.

Die Folgen dieser Zensur sind uns allen be­kannt: Weltweit gelangte ein kastrier­ter Krieg auf die Bildschirme, ein Krieg ohne Blut und Verstümme­lung, wie aus der Perspektive des Bomberpiloten ge­filmt, der sein auf Punkt­grö?e ge­schrumpftes Ziel ins Visier nimmt, einen Knopf drückt und wie­der abdreht.
Nennenswerte Proteste gegen diese Art von Volksverdummung sind hierzulande am sech­sten Kriegstag nicht auszuma­chen. Nur bei den Frau- und Mann­schaften in ARD und ZDF, die den Krieg mit ihren Sondersendun­gen begleiten, macht sich langsam ein gewis­ses Unbe­hagen breit. Sie be­klagen immer häufiger die Mängel des Materials, das ihnen ihre KorrespondentInnen vom Ort des Ge­schehens ins Haus schicken.
Aber die Schuld an der verzerrten Berichter­stattung über den Krieg trägt nur zum Teil die of­fene Zensur. Es wird auch dort, wo mehr Objekti­vität möglich wäre, verzerrt, beschö­nigt und ver­schwiegen – die Wirkung tiefsit­zender Vorurteile und Feindbilder. So kom­
men in etli­chen Kom­mentaren und Berichten die Streit­kräfte der USA auch noch Tage nach Kriegs­beginn nur in der Rolle der ver­nünftigen, beinahe humanen Kriegs­partei vor, die ihre Angriffe mit “chirurgischer” Prä­zision auf strategische Ziele konzentriert. Saddam Hussein hingegen trägt weiterhin die Maske des finsteren Aggressors und die Bevölke­rung seines Landes, wenn sie denn über­haupt einmal in den Berichten auftaucht, wird prä­sentiert als ein unver­besserlicher Haufen von Fanatikern.

Wieviele Aspekte dieses Krieges im Fil­ter der Zensur hängengeblieben sind und was an Falschinformation in die Welt gelangte, wird die Zeit ans Licht bringen. Man mu? jeden­falls auf herbe ?berra­schungen gefasst sein.
isar

CNN-Live –
Dabeisein ist alles

Die deutschen TV-Konsumenten, die die er­ste Kriegsnacht am Bildschirm mitver­folgten, werden sich noch gut an Bernie Shaw erin­nern, an den Mann des ameri­kanischen Nach­richtensenders CNN, der der Auforde­rung seines Arbeitgebers zum Verlassen Bagdads nicht folgte und stattdes­sen die Welt mit sei­nen Impres­sionen vom Bom­bardement der iraki­schen Hauptstadt ver­sorgte. Mit 46 ande­ren Journalisten harrte er im Rashid- Hotel in der Bagdader Innenstadt aus, nicht etwa im Luftschutzkeller, sondern im 14. Stockwerk , und beobachtete, wie sich der Himmel über Bag­dad rot färbte und von ei­nem riesigen Feuerwerk über­zogen wurde. So viel “Berufsethos” bringt nicht jeder ra­sende Re­porter auf.

Die CNN Leute haben noch andere Qualitä­ten. Sie besitzen Ellbogen und haben unter der Ge­meinschaft der Auslandskorrespon­denten in den ver­schiedenen Ländern meist die besten Connec­tions , zu Staatsmännern und an­deren wichtigen Leuten. Bei der Kon­kurrenz sind sie nicht gerade beliebt. Aber beliebt oder nicht : Die Berichte der allge­genwärtigen Frauen und Männer von CNN sind für viele andere Sendean­stalten inzwi­schen zu einer unverzichtba­ren Informati­onsquelle ge­worden.
Dem aufmerksamen TV-Kriegsteilneh­mer in der Bundesrepublik dürfte nicht entgangen sein: der Gro?teil der Be­richte, die ARD und ZDF in ihren Sen­dungen verarbeiten, stam­men von CNN.

CNN (Cable News Network) existiert erst seit 1980. Die 10 Jahre seines Beste­hens hat Be­sitzer Ted Turner genutzt, um aus CNN ein weltweit füh­rendes und in­zwischen auch sehr gewinnträchti­ges Nachrichtenunternehmen aufzubauen. Der Sender aus Alabama wird von 55 Mio US-Haus­halten empfangen und von weiteren 7 Mio Haus­halten in insgesamt 91 anderen Ländern. 120 Nicht-amerikani­sche Fernsehstationen überneh­men Beiträge von CNN und in 250000 Hotelzim­mern in der Welt kön­nen Reisende zu jeder belie­bigen Tages- und Nachtzeit CNN-Nachrichten emp­fangen.
CNN schüttet seine Nachrichtensendun­gen mit Hilfe von fünf Satelliten über der Welt aus, zu denen auch ein sowjetischer Satellit ge­hört, des­sen Ausstrahlungsra­dius über die halbe Welt reicht.

Der dressierte Weltdörfler

Was ist das Markenzeichen von CNN ? Der ame­rikanische Nachrichtensender ist zum einen allge­genwärtig, zum anderen sendet er ausschlie?lich live. Er folgt der Maxime, da? die Information oder das Bild, das den Zu­schauer mit zeitlicher Verzögerung erreicht, schon nichts mehr wert ist. Der Zuschauer soll nicht mit In­formationen ver­sorgt werden, die er ak­kumulieren kann, sondern er soll di­rekt angeschlossen werden an das Welt-ge­schehen, an eine weltumspannende Kommu­nikation.
Der Medientheoretiker Marshall Mc Lu­han soll einmal zum Besitzer von CNN, Ted Tur­ner gesagt haben :”Turner, you are creating the global vil­lage”.
Einen entscheidenden Schritt in diese Rich­tung hat “Weltdörfler” Turner da­durch getan, da? er seinem Team die Anweisung gab, künftig auf das Wort “foreign” zu verzichten. Jeder, der dieses Verbot übertritt, mu? mit ei­ner Strafe von 50 Dollar rechnen. Dieses Wortver­bot ist nur Kosmetik. Ausschlagge­bend ist die Ex-und Hopp- Berichter­stattung von CNN. Und die ist nicht gerade ge­eignet, das Verständnis anderer Gesell­schaften zu fördern.

?ber die rasende Geschwindigkeit der Nach­richtenübermittlung und den hekti­schen Sze­nenwechsel hat sich der Fran­zose Paul Viri­lio, seines Zeichens Geschwindigkeitsfor­scher, Ge­danken gemacht. Ihm zufolge för­dert eine solche Berichterstattung durch ein ?berma? an Informa­tionen beim Empfänger Desin­formation . Vor allem zerstört sie die Fä­higkeit zur Anordnung der Fak­ten auf der Zeitachse. Auf den Krieg bezogen hei?t das: Der Zuschauer wird in so schneller Ab­folge mit Informationen und Bildern versorgt, da? er `vorher` und `nachher` nicht mehr unterschei­den kann. Und damit Angriff nicht mehr von Ver­teidigung.

In diesem hektischen Bombardement mit zum Teil widersprüchlichen Informatio­nen findet der Zu­schauer nicht mehr die Gele­genheit, innezuhalten und sich eine eigene Meinung zu bilden, “sondern nur noch die Zeit, von ei­nem Reflex zum an­deren überzu­wechseln”.
Das Resultat dieser “Mediendressur”, wie Vi­rilio sie nennt, ist der denkunfä­hige Mensch ohne Ge­schichtsbewu?tsein, der wie ein “Opiomane” da­hindöst.

CNN, Feind der Diplomatie?

Kaum ein Staatsmann verzichtet heute auf die Live-Information durch CNN. Ein beson­ders treuer CNN-Kunde ist Bush, aber auch der saudische König Fahd, Hussein von Jorda­nien, Mitterand und selbst Ghaddafi emp­fangen oft CNN (Newsweek,18.6.90). In Kri­senzeiten wird der Kreis der Empfänger noch grö?er.

In vielen Fällen ersetzt die Sofort-Kommuni­kation über den CNN-Draht sogar die auf­wendigeren di­plomatischen Kontakte. So hat Gorbatschow im De­zember 1989, nachdem er von der US-Invasion in Panama erfahren hatte, sofort den Maoskauer CNN-Korrespon­denten zu sich in den Kreml ge­rufen. Dort ver­las Gorbatschows Pressesprecher eine Verurteilung der Invasion vor der Ka­mera. Erst Stunden später ging die Note dem Bot­schafter zu. Auf Nachfrage ant­wortete Gor­batschow, er sei davon aus­gegengen, da? Bush ohnehin CNN sehe (ZEIT, 21.9.90).

Die Direktkommunikation über den CNN-Ka­nal hat ihre Haken. Sie kann zu einer gefährli­chen Aufhei­zung der At­mosphäre führen und den Raum nehmen, nach diplo­matischen Lö­sungen zu su­chen. “Es ist unser Ziel”, so der Chefre­dakteur und – manager des Senders, Tom Johnson, “fair und ausge­wogen alle re­levanten Meinungen zu den Er­eignissen des Tages zu bringen.” CNN “schütze” die Zu­schauer vor nichts und nieman­dem. Da? die UN so schnell und ent­schlossen auf den ?berfall Kuwaits durch den Irak reagierten, über den CNN “sofort ” be­richtet habe, könne al­lerdings kein “Zufall” sein. Da? die politi­schen Kontrahenten über das Fernsehen mit­einander re­deten, da? nichts Entschei­dendes hinter dem Rücken des Publi­kums verabredet werden könne, das habe zur Verhinderung von Krieg beigetra­gen, so triumphierte John­son noch im Sep­tember in der ZEIT. So sei CNN mehr “Freund als Feind” des diplomati­schen Pro­zesses. Der Ausbruch des Krieges hat seine Aussage nun ins Gegenteil ver­kehrt.
dh, sw, isar

Deutsche Waffen, deutsches Geld – morden mit in aller Welt!

Kurze Geschichte des Konflikts bis zum Ein­marsch in Kuwait

Zur Entstehung der beiden Staaten bis zu ih­rer Unabhän-gigkeit

Kuwait: Das Gebiet des heutigen Kuwait war im 17. Jhd. Teil des osmanischen Reiches und wurde von der Provinz Basra verwaltet. Es begann da­mals aller­dings eine von der Osma­nenherrschaft relativ unabhänge Besie­delung durch Araber; sie ernannten einen “Shaij” (Scheich), um Verhand­lungen mit den Türken durchzuführen. Ende des 18. Jhds. bat der Scheich von Kuwait Eng­land um Un­terstützung gegen eine be­fürchtete Okkupa­tion durch die Waha­biten, die sich später mit der Dy­nastie der Saudis zusammenschlos­sen. Auch in den folgenden Jahren traten die Englän­der als die Garanten der Unabhängig­keit Kuwaits auf. Sie vereitelten 1899 den Versuch der Türken, die Ei­senbahnlinie Ber­lin- Bagdad durch kuwaitisches Ge­biet bis an den Golf zu verlängern.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Ku­wait ein au­tonomer Staat unter briti­schem Protek­torat. Als 1938 das erste ?l zu flie?en be­gann, überzeugten die “Kuwait Oil Com­pany”, be­stehend aus “British Petrol” (“BP”) und “Gulf Oil” (USA) den Emir, ?l­bohrungen zuzulas­sen. Daraufhin unterzeich­nete das Par­lament die ?lkonzessionen. Ku­wait blieb bis 1961 britisches Protektorat.

Irak: Unter den Abbasiden, die 750 von in Damas­kus residierenden Ommayaden das Kalifat über­nommen hatten, wurde Bagdad zur Hauptstadt des arabischen Gro?reichs. Drei Jahrhunderte lang war die “Stadt von tausend und einer Nacht” das kulturelle Zen­trum in der Region. Dem Zerfall des arabi­schen Reiches folgte abwechselnd eine Herr­schaft der osmanischen Türken, Mongolen, Tur­komanen und Kurden. Die Region wurde im 16. Jhd. schlie?lich unter osmanischer Herrschaft geeinigt.

Zu Beginn des 20. Jhds. entwickelte sich ein “arabischer Widerstand”, der auch im Irak sehr stark wurde und während des Ersten Weltkriegs die osmanische Herr­schaft ab­schüttelte. Nachdem die Türken besiegt wa­ren, gab es erste Hoffnun­gen auf Unabhän­gigkeit. Die allerdings machte England zu­nichte, das in Persien seine ?linteres­sen zu wahren versuchte und die arabischen Ge­biete nach dem Er­sten Weltkriegs unter sich und Frankreich aufteilte. Syrien fiel Frankreich zu, Me­sopotamien (das heu­tige Gebiet des Irak) Eng­land. 1920 er­klärte Win­ston Chur­chill die Grün­dung des Königreichs Irak. Erst 1955 wurde je­doch dessen endgül­tige Unabhän­gigkeit erreicht. Ein Militär­putsch im Juli 1958, angeführt von Ge­neral Kas­sem, führte zum Sturz des Königs und zur Hin­richtung der kö­niglichen Familie.

Erste Auseinandersetzungen
zwischen Irak und Kuwait

Sofort nachdem Kuwait 1961 aus dem engli­schen Protektorat entlassen wurde, meldete Irak Ansprü­che auf dessen Staatsgebiet an mit dem Argu­ment, Ku­wait wäre Teil der os­manischen Provinz Basra gewesen und damit ein Teil Iraks. Der iraki­sche Premierminister Kassem erklärte Kuwait zum integralen Be­standteil des Irak und drohte mit ei­ner gewalt­samen “Befreiung” des Gebiets. Zunächst wurden britische und saudiara­bische Truppen in Kuwait stationiert, danach übernahm die Arabische Liga die Verteidigung Kuwaits. Ku­wait wurde gegen den Widerstand Iraks in die Ara­bische Liga aufgenommen. Kassem er­neuerte seine Gebietsansprüche nicht, wo­rauf die Präsenz arabischer Truppen auf ein Mini­malma? reduziert wurde.

Zwei Jahre später wurde Kassem von Anhän­gern der Baath-Partei gestürzt und erschos­sen. Die Baath-Partei konnte je­doch erst 1968 unter der Führung von General Hassan Al-Bakr endgültig die Macht übernehmen. Sie führte eine Landre­form durch und nationali­sierte 1972 den Erdöl­sektor. Am 4. Oktober 1972 wurde die Unabhän­gigkeit Kuwaits an­erkannt. 1973 gab es jedoch weitere Konflikte zwischen beiden Ländern. Die Grenzfrage blieb weiter umstritten.

1979 trat Al-Bakr aus gesundheitlichen Grün­den zurück, Saddam Hussein, bis dahin Vize­präsident, übernahm sein Amt. Ein Putsch­versuch gegen ihn scheiterte; Hussein ver­sprach, die bishe­rige Politik seines Vorgän­ders fortzuset­zen. 1980 fanden di­rekte Wah­len zur er­sten Nationalversammlung statt.

Der irakisch-iranische Krieg

Ende 1980 startete der Irak eine Blitzoffen­sive ge­gen Iran mit dem Ziel, die seit 1823 um­strittene Grenzfrage am Schatt el-Arab für sich zu ent­scheiden. Nach der iranischen Re­volution 1979 be­anspruchte der Irak die An­erkennung seiner Souveränität über den Schatt el-Arab; offensicht­lich versuchte der Irak eine vermeintliche Schwä­che des Iran nach der Revolution auszunutzen. Im Verlauf dieses Krieges starben minde­stens 500.000, über eine Million wurden verletzt. Die Waf­fen für die Kriegsfüh­rung kamen hauptsäch­lich aus dem Ausland, da zu dem Zeitpunkt kei­nes der beiden Länder über eine eigene Rü­stungsproduktion verfügte. Hauptlie­ferant des Irak war Frankreich, gefolgt von der So­wjetunion. Mit der Annahme einer Resolution des UN-Sicher­heitsrats im Juli 1987 (Iran) bzw. Juli 1988 (Irak) endete dieser Krieg.

Nach Ende des Krieges begann der Irak seine Vormachtstellung in der Region mit ei­nem weite­ren Ausbau seines mili­tärischen Potenti­als und ei­gener Rü­stungsproduktion zu stär­ken, in der Ab­sicht, so zur arabischen Füh­rungsmacht aufzu­steigen. Unter den Waffen­lieferanten aus dem Ausland standen wieder Sowjetunion und Frankreich an erster Stelle. Aus der BRD kam vor al­lem Techno­logie für die Produktion chemischer Kampf­stoffe.

Irakische Rakete: Entwicklungshelfer MBB

Im Frühjahr 1990 bot der kuwaitische Scheich Dschaber as-Sabah dem Irak die umstritte­nen In­seln Bubijan und Warba für einen unbefri­steten Zeitraum zur Pacht an. Er for­derte als Gegenlei­stung die erneute Aner­kennung der Unabhängig­keit Kuwaits von Saddam Hus­sein, was dieser ablehnte. Unter Vermittlung Arafats und König Husseins von Jordanien fanden Verhandlungen statt, die im März 1990 scheiterten. Im Juni warf der Irak Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emi­raten vor, die von der OPEC festgesetzte För­dermenge für Rohöl zu überschreiten und den Welt­marktpreis zu drücken. Der Irak be­hauptete, durch die ?berproduk­tion beider Länder sei ihm ein Schaden von 14 Mrd. Dollar entstan­den und ver­langte den Erla? der Schulden aus dem Golf­krieg. Am 1. Au­gust scheiterten die Versöhnungs­gespräche zwi­schen Irak und Kuwait, ohne da? neue Verhandlun­gen ver­einbart wurden. Am 2. Au­gust marschierten irakische Truppen in Ku­wait ein, besetzten den Palast des Emirs, den Flugha­fen sowie in der Folge das ge­samte Territorium des Scheichtums. Der Emir flüchtete mit seiner Familie nach Saudiara­bien.
tl

“Ich werde mich nicht dazu hergeben, Lei­chen zu zählen”
General Schwarzkopf

Wir aber Herr General!

Es ist Krieg. Fassungslos sind wir einer bei­spiellosen Mediensimulation, Zensur und Propa­ganda ausgeliefert. Ohnmäch­tige Wut wechselt sich mit Resignation und Zynismus ab. Es ist in diesen Tagen schwierig gewor­den, einen klaren Kopf zu behalten. Trotz­dem, der Versuch sei ge­wagt, einige erste Thesen aufzustellen.

Die Diktatur im Irak bot den idealen Vor­wand für die USA und ihre Verbün­deten, in einer neuen weltpolitischen Si­tuation ihre Bedin­gungen für die Zukunft zu diktieren.
Der Krieg im Nahen Osten ist in dieser Form die erste echte militärische Nord-Süd Kon­frontation nach dem Auseinan­derbrechen der Ost-West- Weltordnung. Saddam Hussein konnte sich gegen die USA auflehnen, da da­von auszugehen war, da? die Sowjetunion sich nicht ein­mischen würde und ihn zu ei­nem Frieden zwingen könnte. Aller­dings ha­ben die USA und GB schon 1982 ange­deutet, was es hei?t, wenn staatliche Diplomatie am Ende zu sein scheint und die militäri­sche Lo­gik am Ende des 20. Jahrhun­derts das Ge­setz des Handelns über­nimmt. Der Falkland-Kon­flikt war ge­wisserma?en die militärische “Generalprobe” für den Angriff auf den Irak. Er wurde fälschlicher­weise als letzter Krieg der imperialistischen Kano­nenbootpolitik des 19. Jahrhunderts be­zeichnet. Heute sprechen viele Anzei­chen dafür, da? dieser Konflikt zwischen GB und Argentinien nicht die letzte ko­lonialistische, sondern die erste spezifi­sche Form einer neuen postkolonialen Auseinan­dersetzung war.

Hintergründe der Alliierten

Auf der einen Seite stehen in erster Linie die USA und GB und nicht die zivile Weltgesell­schaft, die in jeder “Kriegs- Talk Show” be­schworen wird. Auf­fallend ist die Strategie beider Länder, andere di­plomatische Aktivi­täten seit dem zweiten August zu negieren, unab­hängig davon, ob der Irak auf sie anders reagiert hätte: innerarabische Lösungsversu­che, z.B. Algeriens und der Arabi­schen Liga wurden durch den schnellen und mas­siven militärischen Aufmarsch in Saudi Arabien im Ansatz erstickt. Die französische Diplomatie wurde von den USA und GB hart kriti­siert, da sie die vom Irak geforderte Ein­beziehung der palästinensi­schen Seite in ihre ?berlegungen mit aufnahm. Die UNO-Missionen dienten in erster Linie dazu, in der ?ffentlichkeit Ver­handlungswillen zu demonstrieren. Im Grunde nahm sie keiner ernst, was sich an den ein­geschränkten Möglichkeiten des UN- Generalsekretär zeigte. Die EG wurde an der kurzen Leine gehalten, und die einzelnen Mit­gliedsländer zogen sich in ihr nationalstaatli­ches Schneckenhaus zurück. Die Diplomatie steuerte so zwangsläufig auf einen Krieg zu. Warum gab es keinen Versuch von Sei­ten der USA, mit Sad­dam selbst ins Ge­spräch zu kommen? Bei einem Kom­promi?vorschlag hätte sein eigener innenpoli­tischer Hinter­grund mit berück­sichtigt werden müssen.Er selbst brachte sein Dilemma auf den Punkt: “Wenn ich mich aus Kuwait ohne Ergebnis zu­rückziehe, werde ich von meinen Offi­zieren als Verräter erschossen. Kommt es zu Krieg, ende ich schlimmstenfalls als Märty­rer.” Das Verhindern anderer Möglichkeiten, aus der Krise zu kom­men, spiegelt die Unfä­higkeit wi­der, ara­bisches Selbst­verständnis zu verste­hen. Ein anderes Umgehen mit dem Irak hat nicht automatisch etwas mit Nachgiebig­keit oder dem Münchner Ab­kommen von 1938 zu tun. (sog. Appease­ment- Politik)

Das Versagen der Diplomatie kann aber auch an­ders interpretiert werden. Die USA lie?en den Irak in eine Falle laufen und wollen kei­neswegs die weltweite Staatengemeinschaft schützen, sondern verfolgen schlicht eigene Interessen in diesem Krieg.
Erinnern wir uns! Die konkrete Idee, sich der ?l­quellen zu bemächtigen, um an den wichti­gen Rohstoff billig heranzu­kommen, existiert seit 1974. Die Stäbe von Henry Kissinger er­stellten Pläne für die Besetzung der wichtig­sten ?lquellen auf der arabischen Halbinsel. Diese ?berlegungen führten zu verschie­denen Doktrinen, die die Region als lebens­wichtig für die USA darstellten. Schnelle Ein­greiftruppen, die in der ägyptischen Wüste Ma­növer abhielten, wurden auf­gestellt und stehen heute wie die 82. Luftlandedivision als Kerntrup­pen im Krieg gegen den Irak. So­lange sich ent­scheidende Länder der OPEC den Inter­essen der USA und Europas beug­ten, konnte auf eine Inter­vention verzichtet wer­den. Mit der Revolution 1979 im Iran er­höhte sich die Gefahr für die Regierun­gen der USA schlagartig. Für die Herr­schenden ent­wickelte sich nach der kommunistischen eine zweite Domi­noSituation: die islamische. Alles, was sich dem islamischen Fundamen­talismus wider­setzte, wurde daraufhin mit Waffen aus der halben Staatenwelt über­häuft. Die fürch­terlichen Folgen werden mit je­dem Kriegstag deutlicher.

Seit Anfang der 70er Jahre schwindet die He­gemonie der USA im globalen Kapi­talismus, da ihre ?konomie in produkti­ven Bereichen von ande­ren kapitalisti­schen Staaten über­rundet wurde. Sie ha­ben seit dieser Zeit ihre Macht immer mehr zugunsten ihrer jewei­ligen internen Interessen eingesetzt. Vermut­lich diente dazu auch der “Kriegskeynesianismus” der 80er Jahre. Rie­sige staatliche Sum­men wurden in die Kriegstechnolo­gie in­vestiert. Die Ergebnisse werden heute vorgeführt, um einen Teil die­ser verlore­nen He­gemonie zu­rückzuerobern.

Die Hintergründe im Irak

Im Gegensatz zur CDU, die das diktato­rische Re­gime im Irak erst seit August letzten Jah­res kennt (kein Wunder, ei­nige ihrer Bundestags­abgeordneten fun­gieren als Lob­byisten wich­tiger Rü­stungslieferanten), haben wir die Ver­nichtungspolitik des Irak gegen­über der eige­nen Opposition und der kurdi­schen Bevölke­rung schon immer kritisiert – lei­der mit wenig Resonanz.

Neben der moralischen Empörung müs­sen wir aber auch die strukturellen Zwänge analy­sieren, denen nicht nur der Irak in den letzten Jahren zu­nehmend ausgesetzt ist. Die Herr­schenden und die Bevölkerung in fast allen Staaten der “Dritten Welt” sehen sich einer konstant sich verschlech­ternden nationalöko­nomischen Situation gegen­über. Tradi­tionelle Wege nationaler Entwicklung, ob in der alge­rischen, vietnamesischen oder brasi­lianischen Variante wurden, trotz aller miteinbezo­genen internen Schwierigkeiten, durch die Schul­denkrise (Nettokapitaltransfer in den Nor­den), der Abschottung der Märkte der Industrielän­der und der Auflagenpo­litik des IWF er­schwert bis verun­möglicht. Für die Mehrheit der arabi­schen Bevöl­kerung kommt zu der zu­nehmenden ökonomi­schen Misere eine psychologische. Die letzten vierzig Jahre werden als eine Aneinanderkettung von Nie­derlagen wahrgenommen. Das Ende des Kalten Krieges verstärkt diesen Ein­druck noch: “Das Gefühl, nur noch als ?llieferant wahrgenom­men zu werden, trotz des Reich­tums, arm und ohnmäch­tig zu sein, bestimmt die politische und psychische Befindlichkeit der Araber” (Ahmed Ta­heri). Da kam Sad­dam gerade recht. Er stand ge­gen den Imperialis­mus und die Israelis auf. Der selt­sam befrei­end anmutende Jubel nach dem er­sten Ein­schlag der Scud-Raketen erklärt sich vor die­sem Hintergrund.

Der Irak ist nicht die einzige Diktatur, die jah­relang unterstützt wurde. Die erste Forde­rung aus der BRD kann daher nur lauten: Stop den Waffenex­porten! Zweitens können die Kon­flikte in der Re­gion nur von den Men­schen längerfri­stig und fried­lich beigelegt werden, die dort leben und nicht durch eine Einmi­schung von au?en.

Das Militär

Den Militärs – und wir lassen uns in die­sen Tagen und Nächten von ihnen, wenn auch nur optisch, unsere Köpfe verne­beln – ist ihr “Job” klar. Die Kampfma­schinen der White Anglo Saxon Allies haben in den Nord/Süd – Kriegen meh­rere militär­technologische Vor­teile. Sie werden uns von kal­ten Technokra­ten er­läutert. Wir bekommen z.B. die Auf­nahmen von in Marschflugkörpern eingebau­ten Kamaras vorgeführt. Mit diabolischem Grinsen zeigt man uns die “chirurgischen Schnitte”, mit denen das gegneri­sche Haupt­quartier zerstört wird.

Wir müssen uns lösen aus der militäri­schen Logik, so hart die Propaganda der Bilder aus diesem “High Tech – Krieg” auch auf uns ein­stürzt. Vom Fernseher weg, befallen uns ne­ben Verzweiflung über die Zerstörung und das menschliche Leid, das bewu?t ausge­blendet wird, eine dunkle Vorahnung über das, was nach dem Krieg bleiben könnte. Der Irak und Kuwait eine Wüste, unbe­wohnbar!

Politiker hier beschworen mit ihren willfähri­gen In­tellektuellen am Ende des letzten Jah­res die her­aufdämmernde Weltzivilgesell­schaft. Dabei wurde er­stens der grö?te Teil der südlichen Halb­kugel ausgeblendet und zweitens verges­sen, da? kapi­talistische Inter­essen sich in spezifisch histori­schen Situatio­nen mit Gewalt durchsetzen.

Wir konnten diesen Krieg mit unseren be­scheidenen Mitteln nicht aufhalten, aber jetzt gilt um so mehr KAMPF DEM KRIEG !

GEGEN HEILIGE UND GERECHTE KRIEGE
Georg Lutz

Weiterführende Literatur:

Zum irakisch-iranischen Golfkrieg:
– Blätter des iz3w 146 (Dezember 1987)
– A. Malanowski, M. Stern (Hrsg.): “Bis die Gottlo­sen vernichtet sind”; rororo aktuell, Hamburg 1987
Zur Politisierung des Islam:
– Blätter des iz3w 147 (Februar 1988)
Zu den Aktuellen Ereignissen bis Herbst 1990:
– B. Nirumand (Hrsg.): “Sturm im Golf. Die Irak- Krise und das Pulverfass Nahost”; rororo aktuell, Hamburg 1990
– “Chronik eines angekündigten Krieges”;
Arbeiterkampf Nr. 325, Hamburg 1990
Zu Rüstungsexporten:
– Die Todeskrämer. Bundesdeutsche Rü­stungsexporte an den Golf; BUKO-Kampa­gne “Stopt den Rüstungsexport”; Bremen No­vember 1990

Für weiter Interessierte: Wir (d.h. das Infoma­tionszentrum Dritte Welt, Frei­burg) planen die Er­stellung einer Arti­kelsammlung, die bei uns an­gefordert werden kann. Au?er­dem wird der Schwerpunkt der nächsten Ausgabe der “blätter des iz3w” der Golfkrieg und seine Hintergründe sein.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren