Literatur | Nummer 231/232 - Sept./Okt. 1993

Unser Leben ist kein Kinderspiel

“Sind wir nur eine Nachricht wert, wenn jemand von uns ein anderes Kind vergewaltigt, auf den Strich geschickt wird oder Leim schnüffelt? Wir verlangen, daß die Autoritäten uns Kindern zuhören. Wir sehen, daß keiner Anstalten macht, uns in Schutz zu nehmen. Deshalb sind wir übereingekommen, sie in Gruppen in ihren Büros zu besuchen, damit sie mitkriegen, warum wir uns auf den Straßen, Märkten, an den Busbahnhöfen und in den Stadtvierteln aufhalten müssen. Wir müssen arbeiten, um zu überleben! Wir haben ein Recht auf Leben, und niemand darf uns dieses nehmen. Warum greift man die Kinder an, die klauen müssen, um zu überleben? Wir haben uns organisiert, um uns gegenseitig zu helfen, weil die Einheit stark macht: wir verlangen Respekt und daß man beachtet, was wir sagen.”

Andreas Kühler

Dieser Kommentar stammt von einem Kind auf dem 1. Straßenkinderkongreß Nicaraguas 1992 als Reaktion auf die relativ spärliche Resonanz bei JournalistInnen und PolitikerInnen.
Ähnlich wie in Nicaragua gibt es bereits in Peru, Mexico und Brasilien (vgl. LN 227) eigene Organisationen, in denen Kinder ihre Interessen und Ansprüche selbständig artikulieren. Dies wird deutlich im dritten Schwerpunkt einer Broschüre der Christlichen Initiative Romero e.V., die jetzt zum Thema Straßenkinder in Lateinamerika erschienen ist.
Zuvor werden in einigen Aufsätzen die Situation und die Problemlage der Kinder, vornehmlich aus Mittelamerika und Brasilien, ausführlich beschrieben. Es geht um Kinderarbeit, Kinderprostitution und um die Ausmaße des Elends der Straßenkinder. Mittlerweile lebt schon die dritte Generation Kinder auf der Straße. Kaum 14jährige Mädchen sind die Mütter dieser “Asphaltenkel”.
Dieses Leben auf der Straße ist geprägt von Arbeit, bzw. der Suche danach, unter Umständen der eigenen “Elternrolle” und, besonders wichtig, der gesellschaftlichen Diskriminierung. Von Kindheit im europäisch verstandenen Sinn sind die Kinder in Lateinamerika weit entfernt. Dazu kommt die alltägliche lebensbedrohliche Verfolgung durch die Polizei und private, durch Geschäftsleute angeheuerte Sicherheitsdienste, die die Straßenkinder zu Freiwild werden lassen.
Den Verfasserinnen dieser Broschüre ist es, trotz aller Differenz zur Lage in Europa, auch wichtig gewesen, auf die Situation von Kindern hier hinzuweisen. In den Texten wird deutlich, daß es die weltweiten Strukturen der Ungerechtigkeit sind, die die Kinder zwingen, auf der Straße zu leben. So haben die Erfüllung der strengen Auflagen des IWF, vor allem die Kürzungen im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitsbereich, die Zahl der Straßenkinder in den 80er Jahren spürbar anwachsen lassen.
Im letzten Teil des Heftes werden Aktionsvorschläge, Lernspiele, Material- und Literaturhinweise sowie weiterführende Adressen für die Arbeit im Unterricht und in Gruppen bzw. für Aktionen zum Thema aufgeführt. Die Broschüre ist eine gelungene Zusammenstellung von Materialien und sowohl zur eigenen gebündelten Information als auch für MultiplikatorInnen geeignet. Das sehr gute Lay-out wird durch ansprechende Photos und durch einzelne Graphiken ergänzt.

Unser Leben ist kein Spiel. Straßenkinder in Lateinamerika. 1993 herausgegeben von und zu bestellen bei: Christliche Initiative Romero e.V., Kardinal-von-Galen-Ring 45, 48149 Münster.

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