Musik | Nummer 454 - April 2012

Von Barranquilla in die Welt

Die Wiederentdeckung der Cumbia – eines Paartanzes aus Kolumbien

Die Cumbia hat – gepaart mit Electro und anderen Sounds – in den letzten Monaten Europas Tanzflächen erobert. Zeit sich einmal mit der Herkunft und Gegenwart des kolumbianischen Musikstils zu beschäftigen. Dessen Popularität auf Europas Tanzflächen hat auch einiges damit zu tun, dass die Kolumbianer_innen peu á peu ihre eigenen musikalischen Wurzeln wiederentdecken.

Knut Henkel

Wie der Blues einst den Mississippi hochwanderte, gelangte auch die Cumbia über die wichtigste Wasserstraße Kolumbiens, den Magdalena Medio, in die großen Städte wie Medellín und Bogotá. Die Wiege des kolumbianischen Tanz- und Musikstils steht an der Karibikküste. Dort ist die Cumbia rund um die Häfen von Barranquilla, Cartagena und Santa Marta entstanden. Die Basis lieferte ein populärer afrikanischer Kreistanz namens cumbé aus Guinea, der sich mit indigenen und spanischen Elementen mischte und zur Cumbia wandelte. Die Cumbia vermischt vielschichtige Rhythmusstrukturen afrikanischen Ursprungs mit spanisch beeinflussten Melodien und lyrischen Formen. Von den großen Hafenstädten, wo die Sklaven_innen aus Afrika ankamen und von wo aus sie auf die großen Haciendas transportiert wurden, gelangte die Cumbia mit den Sklaven weiter ins Inland.
Folgerichtig beginnt dort auch die „Cumbiapedia“, wie der britische Observer „The Original Sound of Cumbia“ betitelt hat. Das Doppelalbum hat der britische Musiker Will „Quantic“ Holland zusammengestellt. Nicht aus Brighton, seinem Heimatort, sondern vor Ort in Kolumbien hat der Brite recherchiert. Und nicht nur auf Stippvisite war er in Bogotá, Cartagena und Santa Marta zugegen, sondern hat 2007 die Meldeadresse in Brighton mit der in Bogotá vertauscht. Um richtig Fuß in dem neuen Land zu fassen, hat Will Holland erst einmal Akkordeon gelernt und anschließend „Quantic and his Combo Bárbaro“ gegründet. Eine Kapelle, die es in sich hat und die – wie sollte es anders sein – auch mit der Cumbia etwas anfangen kann. Holland, der zu Beginn des Jahrtausends mit House- und Funk-Sampeln auf sich aufmerksam machte, hat sich quasi mit dem pulsierenden Rhythmus Kolumbiens infiziert.
Stücke wie das mitreißende „Cumbia del Puerto“ zum Auftakt der Doppel-CD belegen, dass Holland weiß, von wo die Geschichte der Cumbia ihren Lauf nahm. In den Häfen vermischten sich afrikanische Trommeln, indigene Flöten sowie Akkordeon und Gitarre zu einem vollkommen neuen Sound mit einer Fülle von Spielarten – der pulsierenden Cumbia. Auf deren Fährte hat sich Will „Quantic“ Holland begeben. Folgerichtig hat er sich landesweit auf die Suche nach den Cumbia-Perlen von 1948 bis 1979 gemacht. Aus diesem Zeitraum stammen die Stücke, die Holland aus seiner mittlerweile beachtlichen Plattensammlung gewählt hat. Dazu gehören natürlich Songs der Großmeister des Genres wie Anibal Velásquez oder Toño Fernández und eine Menge regionaler Spielarten des Sounds, der damals und auch heute noch das Land und die Region in Atem hält.
Heutzutage werden mehr und mehr Musikrichtungen wiederentdeckt. Dafür sind Musikenthusiast_innen wie Holland genauso verantwortlich wie lokale DJ_anes und Produzent_innen. Lucas Silva ist einer von ihnen. Er begann Mitte der 90er Jahre an die Atlantik- und Pazifikküste zu fahren und fast vergessene Musiker_innen aufzustöbern, vor das Mikrofon zu setzen und aufzunehmen. Anfangs ging es ihm vor allem darum, das Alte zu erhalten, für die Nachwelt aufzuzeichnen. Doch mittlerweile fusioniert er auch, arbeitet mit jungen Musiker_innen von der Küste und hat einige Compilations herausgebracht, die auch außerhalb des Landes Aufsehen erregt haben. Über Soundway, das gleiche Label, wo Will Holland sein Cumbia-Lexikon veröffentlichte, sind exzellente Champeta-Alben, dem reggaebeeinflussten Tanz- und Musikstil von der Karibikküste, zu bekommen. Aber auch Perlen wie kolumbianische Funksampler hat Silva produziert. Er ist so etwas wie ein Trüffelschwein der längst vergessenen Genres und legt als DJ neu Entdecktes auf. Für ihn ist Barranquilla, Kolumbiens Karnevalsmetropole, eine musikalische Fundgrube, wo vielfältige Varianten der Cumbia entstanden sind. „Erst die Popularität der Cumbia in Mexiko wie Argentinien hat dazu geführt, dass diese Stile heute wieder Beachtung finden“, erklärt Silva zufrieden. Dort ist der in Kolumbien entstandene Musikstil seit etwa zwanzig Jahren schwer angesagt und DJ_anes wie „El Hijo de la Cumbia“ aus Argentinien suchen händeringend nach alten Vinylscheiben, um den Tänzer_innen neue Beats und Rhythmen zu liefern. Das hat dafür gesorgt, dass die Renaissance der Cumbia mittlerweile auch in Kolumbien auf dem Vormarsch ist. Für Holland und sein Compilation-Projekt eine große Hilfe, denn mit der Wiederentdeckung der traditionellen Genres und ihrer Wertschätzung wurde so manches alte Cumbia-Stück erst wiederentdeckt. Das könnte auch für das grandiose „Me Quedo Con el Viejo“ von Cresencio Salcedo gelten, das Will Holland in seiner Cumbia-Compilation berücksichtigt hat.
Ein Treffpunkt der Wiederentdecker-Szene ist das Boogaloop in Bogotás 58. Straße. Dort treffen sich Altmeister_innen wie Sidestepper, der Band, die um den Briten Richard Blair zu Beginn des neuen Jahrtausends den traditionellen Genres ein paar zusätzliche Beats unterjubelten, mit Fusionist_innen von „La Mojarra Eléctrica“, „Bomba Estéreo“ oder „Systema Solar“. Diese Bands haben allesamt bereits Erfolge in Europa und nutzen die Cumbia als einen zentralen Bezugspunkt. Gleiches gilt für „La Makina del Karibe“ oder „Papaya Republik“.
So ist Simón Mejía beispielsweise der Gründer von „Bomba Estéreo“ und hat gemeinsam mit Sängerin Lilian Saumet und den Kolleg_innen an Bass und Gitarre der Cumbia Beine gemacht. „Fuego“ lautet ihr größter Hit, mit dem sie in Argentinien, Chile, Mexiko und den USA auf Tour waren, und im Sommer war ihr „Electro Tropical“ auch in Europa zu hören. „Wir sind Teil einer Welle von Bands, die ihre eigene Musikkultur neu interpretieren“, freut sich der Soundtüftler mit dem Kinnbart. Zwischen den Bands gibt es regen Kontakt, hier und da Remixes und von den offenen Türen hat auch Will Holland profitiert, als er sich in Bogotá auf die Recherche begab, so der Musiker im Interview. Das hat Appetit auf mehr gemacht und so hat Will Holland auch noch ein paar Porros, ein weiterer traditioneller Rhythmus, auf die zweite CD gepackt. Das weckt Interesse an weiteren Genres aus dem Land und Holland ist schon längst wieder auf der Suche nach neuen Songs aus seiner zweiten Heimat.

The Original Sound of Cumbia – the History of Colombian Cumbia & Porro // Soundway Records im Vertrieb von Indigo // www.soundwayrecords.com

Palenque Palenque: Champeta Criolla & Afro Roots in Colombia 1975-91 // Palenque Records/Soundway CD/LP022 // www.soundwayrecords.com

Bomba Estéro: Estalla // Polen Records

Systema Solar: Systema Solar // Chusma Records

Cumbia Bestial, Compilation // Chusma Records

Afritango – the Sound of Afrocolombia // Trikont im Vertrieb von Indigo

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