Dossier | Solidarität

WANDEL AUF WÄNDEN

Interview mit dem kubanischen Wandmaler Isaac Linares Guerra

Seit 1992 gibt es ein gemeinsames Wandmalprojekt kubanischer und deutscher Künstler*innen. Zahlreiche Wandbilder in Kuba und Deutschland zeugen von dem solidarischen Austausch. Die LN sprachen mit Isaac Linares Guerra, der das Projekt von Beginn an als Organisator und Künstler unterstützt hat.

Interview: Mirjana Mitrovic

Wie hat das Wandmalprojekt mit kubanischen und deutschen Künstler*innen begonnen?
Das erste Austauschprojekt zwischen Künstlern aus Kuba und Deutschland fand als Teil einer Aktion statt, die sich gegen die Festivitäten richtete, die damals zu der 500. Jahrfeier der Eroberung und Kolonisation Amerikas vorbereitet wurden (siehe LN 229/230). So entstanden die ersten Kontakte, um ein Wandbild mit diesem Thema in Minden zu malen. Im Rahmen dieser Kampagne wurde danach im August 1993 in Pinar del Río, das erste gemeinsame Wandmalprojekt Kuba durchgeführt. Ein Gemälde mit dem Titel: „Don Quijote reitet wieder“.
Diese Projekte waren der Beginn der Entwicklung von Wandmalerei in Pinar del Río und förderten gleichzeitig Künstlerinnen und Künstler von hier in Deutschland, indem sie in verschiedene Städte des Landes eingeladen wurden um Wandbilder zu malen. Dies war meine erste direkte Erfahrung in der Wandmalerei und dem Austausch mit Künstlern aus anderen Kulturen.

Welches waren die wichtigsten Themen der Wandbilder früher? Welche sind es heute?
Die Themen waren seit Beginn des Projektes vielfältig. Mit jeder neuen Wand und einem neuen Ort gibt es eine neue Geschichte zu erzählen. Daher ist es immer ein anderes Thema, welches sich mit der sozialen Realität – lokal, national und international – verändert. Hier in Pinar zum Beispiel haben wir die so genannte Sonderperiode, die Blockade der USA gegen Kuba, die Immigration und Umweltprobleme behandelt. Im letzten Wandbild haben wir uns unter anderem mit dem Umgang mit Informationen, den neuen Technologien und ihrem Einfluss auf die soziale Entwicklung der jungen Generationen beschäftigt. Alle Themen folgen sozialen Interessen und werden durch den kritischen Blick der Kunst auf die Gesellschaft behandelt.

Welche Rolle spielt in diesem Fall Solidarität?
Wir konnten dieses Projekt dank der Solidarität unserer Freunde aus Deutschland realisieren und weiterentwickeln. Als die Künstlerbewegung entstand, durchschritt unser Land gerade eine Folge von ökonomischen Krisen, bekannt als die „Sonderperiode“ in den 1990er Jahren. Es mangelte an allem Möglichen. Ohne die Materialspenden und vor allem ohne die künstlerische Erfahrung wäre es nicht möglich gewesen, die Wandmalerei in diesen Jahren voran zu treiben.
Aber die Solidarität von Deutschland mit Kuba und Pinar war nicht nur auf die Wandmalerei begrenzt, sondern hat auch den Künstlerinnen und Künstlern dieser Provinz in ihrer individuellen künstlerischen Arbeit enorm geholfen: zum Beispiel durch ihre Dokumentation für das Künstlerzentrum. Außerdem betraf sie auch andere Bereiche des sozialen und kulturellen Lebens – wie Literatur, Landwirtschaft und Medizin…

Wie nehmen Sie persönlich die solidarischen Beziehungen zu anderen Künstler*innen wahr?
Die Beziehungen zwischen uns kubanischen Künstlern und unseren deutschen Kollegen und Freunden war vor allem zur Förderung der künstlerischen Weiterentwicklung und dem damit einhergehenden sozialen Versprechen wichtig. Es entstand eine solide Freundschaft, so dass wir uns inzwischen als eine große Künstlerfamilie betrachten. Trotz kultureller und sozialer Unterschiede sehen wir uns als Brüder – vereint für die gleiche Sache.

Was reizt Sie an diesem Projekt?
In erster Linie war meine Motivation künstlerisch. Ich habe seit Beginn des Projektes mitgemacht, weil ich immer an die Künste geglaubt habe. Zudem gefällt mir die Herausforderung, Projekte zu unterstützen, um die künstlerische Arbeit zu erweitern und mit den Rezipienten einen kulturellen Austausch zu schaffen. Die Kunst ist ein Medium, das Gefühle, Ideen und Konzepte kommunizieren kann. Die Leute können sie interpretieren und sich manchmal auch darin wiederfinden. Ich wohne direkt gegenüber dem Wandbild „Schutz“ und sehe tagtäglich wie sich Personen nähern und sich über Elemente des Kunstwerkes austauschen. Vor allem über das Bild der Kuh, welche die ökologischen Konzepte repräsentiert. Sie soll ein Bewusstsein für den natürlichen und nachhaltigen Umgang mit den Mitteln herstellen, die uns die Natur bietet.
Etwas Besonderes ist auch die gemeinsame Arbeit auf dem Gerüst – der Gewinn neuer künstlerischer Erfahrungen als auch die Arbeit im Kollektiv. Die Wandmalerei lässt einen mit verschiedenen Dimensionen und Untergründen experimentieren, nicht nur auf Leinwand oder Tonkarton. Auf eine Wand in der Straße zu malen, impliziert eine ganz andere Form des Gestaltens und den direkten Austausch mit den Leuten. Das bereichert den künstlerischen Prozess sehr und bietet die Möglichkeit neue Techniken, Kulturen und Ideologien kennenzulernen. Mit jedem Projekt entsteht eine einmalige und unwiederbringliche Geschichte. Letztlich ist auch der Austausch, der zwischen Künstlern, Kunstwerk und Publikum entsteht, immer wieder neu.

Wo sehen Sie das Ziel der Wandmalerei?
Das übergeordnete Ziel des Projektes ist für mich, Kunst über die Grenzen von Galerien und Museum herauszutragen. So kann sich eine größere Anzahl von Personen an der Kunst erfreuen und sich darüber austauschen. Und zudem sind die Wandbilder eine interkulturelle Brücke, wo Solidarität und Freundschaft überwiegen und das gegenseitige Wissen über Kulturen und Ausdrucksformen wächst.

Welche Schwierigkeiten gibt es in der gemeinsamen künstlerischen Arbeit?
Alle Arbeitsprozesse, vor allem die künstlerische Planung, bringen – egal in welchem Land – unausweichlich Schwierigkeiten mit sich. Manchmal ist das größte Hindernis bereits das jeder seine persönlichen Ziele denen der Gruppe unterordnen muss. Zudem muss geschaut werden, wie diese in die Praxis umgesetzt werden können.

Inwiefern gibt es einen Wandel in den solidarischen Bewegungen aufgrund des politischen Wandels in Kuba?
In Kuba gibt es keinen politischen Wandel. Ja, es gab einen Wechsel der sozio-ökonomischen Führung des Landes sowie einen Anstieg der internationalen Beziehungen. Dadurch werden sogar seit einigen Jahren solidarische Bewegungen begünstigt, sowohl von anderen Ländern nach Kuba wie auch von Kuba in andere Länder.

Wie sollten solidarische Projekte Ihrer Meinung nach in Zukunft sein?
Ich denke, dass solidarische Projekte weiterhin so sein sollten wie bisher. Für den Austausch und die Brüderlichkeit zwischen unseren Kulturen, Künstlern und Gesellschaften.

Isaac Linares Guerra
ist bildender Künstler und arbeitet seit 1992 bei dem internationalen Wandmalprojekt mit. Zunächst als Direktor des örtlichen Zentrums für Bildende Künste und seit 1995 als Künstler bei den Projekten in Kuba und Deutschland. Er lebt in Pinar del Río, Kuba

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