Land und Freiheit | Nummer 459/460 - Sept./Okt. 2012

Weichen gestellt

Der Bergbau soll als „Lokomotive“ die gesamte kolumbianische Wirtschaft anschieben. trifft aber auch auf Widerstand

In Kolumbien wird die Rohstoffförderung massiv ausgeweitet. Für internationale Unternehmen lassen sich aufgrund sehr niedriger Abgaben ausgezeichnete Geschäfte machen. Bei der Bevölkerung kommt hingegen wenig an. Eine andere Rohstoffpolitik ist zurzeit nicht in Sicht.

Alke Jenss

Schon fahren die Züge wieder. Seit Mitte Juli 2012 hatten Eisenbahner_innen bei der Bahnlinie FENOCO, die sich der Bergbaukonzern Drummond mit anderen Unternehmen teilt, gestreikt. Denn die Züge transportieren keine Menschen, sondern täglich um die 160.000 Tonnen Kohle von den Tagebauen im Nordosten des Landes zu den Häfen Santa Marta und Ciénaga an der Karibikküste. Die Streikenden und die Metallgewerkschaft SINTRAIME forderten sicherere Arbeitsbedingungen, Sozialversicherungen und ein Ende befristeter Verträge bei Subunternehmen. Ein Gericht in Bogotá erklärte den Streik im August für illegal.
Immer wieder beschwört Präsident Juan Manuel Santos die „Lokomotiven“ für wirtschaftliches Wachstum in Kolumbien: Agrarindustrie, Infrastruktur, Immobilien und Bergbau. Kohle und Bergbau allein machen fast die Hälfte der Exporte aus, sie sollen die gesamte exportorientierte Wirtschaft anschieben.
Für die kanadischen, britischen oder schweizerischen Unternehmen ist der kolumbianische Bergbausektor im wörtlichen Sinn eine Goldgrube. Weit über den bereits beachtlichen vier bis fünf Prozent, die das Bruttoinlandsprodukt zuletzt jährlich wuchs, lag das Wachstum des Bergbausektors 2010 bei um die 15 Prozent. Es ist der größte Boom der Geschichte. Selbstverständlich spielen dabei die Weltmarktpreise eine wichtige Rolle. Mit der weltweiten Krise zog etwa die Nachfrage nach Gold massiv an, die Preise explodierten. Exportierte Kolumbien 2007 noch Gold im Wert von 332 Millionen US-Dollar, waren es 2009 bereits 1,54 Milliarden. Während des Streiks bei FENOCO konnten die Firmen nur die Hälfte der üblichen Menge an Kohle ausfahren; die Tonne kolumbianischer Kohle verteuerte sich im Vergleich zu den Weltmarktpreisen. Doch „wenn die Nachfrage drastisch sinkt und die Preise fallen, fällt die ganze Exportstrategie in sich zusammen. So war es immer! Nichts weist darauf hin, dass das diesmal nicht passiert!“ kommentiert Diego García vom Medienkollektiv El Turbión.
Die ausländischen Direktinvestitionen im kolumbianischen Bergbausektor stiegen zwischen 2006 und 2009 um 73 Prozent auf etwa drei Milliarden US-Dollar an. Bei 72 Millionen Tonnen pro Jahr liegen die Ausfuhren von Kohle inzwischen, zweitwichtigstes Empfängerland ist Deutschland.
Anders als in Venezuela oder Mexiko sind staatliche Stellen in Kolumbien im Bergbau fast nur noch Lizenzgeber, finanzieren Infrastruktur oder nehmen indirekte Abgaben („regalías“) ein. Von Steuern sind die Unternehmen weitestgehend befreit. Die Gewinne reinvestieren die Unternehmen keineswegs produktiv in Kolumbien, sondern transferieren sie meist zurück in den Norden.
Als zentrale Achse der Entwicklungsstrategie profitiert der Bergbau im autoritären kolumbianischen Modell auch von gewaltsamen Vertreibungen der letzten Jahrzehnte: So systematisch ist die Vertreibung von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern aus Regionen, die unterdessen durch agroindustrielle Nutzung, Bergbau oder für die extensive Rinderwirtschaft inwertgesetzt werden, in keinem anderen lateinamerikanischen Land. Gerade in den selbstverwalteten Gebieten indigener und afrokolumbianischer Gemeinden spiegeln sich gewalttätige Aneignungsprozesse wider. Ganze Dörfer wurden aus ihren an Bodenschätzen oder Biodiversität reichen Gegenden vertrieben. Heute wächst der Druck auf bäuerliche Gemeinden mit der Orientierung auf große Bergbauprojekte, Infrastrukturvorhaben und agroindustriell bewirtschaftete Großflächen noch an. Immer wieder gibt es daher Vorwürfe gegen Bergbaumultis, mit Paramilitärs gemeinsame Sache gemacht zu haben. So stand das US-amerikanische Kohleunternehmen Drummond wiederholt in den USA vor Gericht. Ohne jahrelange hartnäckige Bemühungen verschiedener Organisationen wäre das kaum passiert.
Im August 2012 riefen das Kolumbianische Netzwerk gegen den transnationalen Großbergbau (Reclame) und mehrere Gewerkschaftsverbände zum Widerstand gegen die „Lokomotive Bergbau“ und zu Demonstrationen in 21 Städten auf. Im Protest gegen große Bergbauprojekte sammeln sich Umweltbewegungen, bäuerliche und Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und indigene Vertretungen. Das Komitee zur Verteidigung der Hochebene Santurbán sammelte über 100 000 Unterschriften zum Schutz des Gebietes. Dort hatten die Firmen Greystar (Kanada) und Endesa/Enel (Spanien) im Projekt Angostura („Enge“) den Goldabbau geplant. Der Páramo Santurbán gilt als seltenes Ökosystem der Hochanden mit entscheidenden Wasserreservoirs. „Würde man dort eingreifen, wäre das eine Umweltkatastrophe und würde die Wasserversorgung in der ganzen Region zerstören“, so die Befürchtung des Komitees. Im Februar 2011 gingen in der nahegelegenen Großstadt Bucaramanga über 40.000 Menschen auf die Straße. Im Mai 2011 lehnte das Umweltministerium den Antrag des Unternehmens auf Unbedenklichkeit ab – ein Erfolg, wenn auch keine endgültige Entscheidung.
Die Vernetzung zwischen Arbeiter_innen und Gemeinden, die vom Ressourcenabbau betroffen sind, ist nicht immer einfach. Für die einen sind die Minen Arbeitgeberin, für die anderen zerstören sie Acker- und Weideland. Francisco Castillo von der Organisation Aury Sará weist auf die unmögliche Situation der Ölarbeiter_innen in den Amazonasdepartamentos hin: „Bei Pacific Rubiales und anderen Multis werden die Arbeitsrechte völlig missachtet, außerdem sind paramilitärische Gruppen aktiv, und von diesen profitieren die Firmen, weil sie gewerkschaftliche Arbeit unmöglich machen.“ Häufig werben die Unternehmen Arbeiter_innen aus anderen Landesteilen an, um den Gemeinden, die einem Tagebau weichen müssen, nicht eine neue Lebensgrundlage zu schaffen.
Fast nie lassen sich die Unternehmen auf geregelte Umsiedlungsprozesse ein: Die Gemeinde Tabaco in der Nähe der Kohlemine Carbones del Cerrejón räumte die Polizei 2001 gewaltsam. Bulldozer rissen Häuser ein, in denen noch Möbel, Kleidung und Küchengerät standen. Die noch bestehenden Dörfer in der Nähe der Kohlemine sind auf ihren Ortskern zusammengeschrumpft – überall, wo die Firma Land aufgekauft hat oder die Leute entnervt und eingeschüchtert ihren Besitz aufgaben, markierte das Unternehmen die Grenzen des Privatgeländes: Zutritt verboten. Privates Sicherheitspersonal verbot Angeln und Jagen in der Umgebung. Die Grundstücke wurden weit unter Wert an die Firma verkauft. Fast nie reichte der Erlös, um sich anderswo ein Stück Land zu kaufen. Die Gemeinden gleichen Inseln, um die herum bereits Kohle abgebaut wird.
Während die Unternehmen beteuern, ihr Umweltmanagement sei exzellent, kritisieren die betroffenen Gemeinden, die Folgen des groß angelegten Bergbaus seien unumkehrbar. Allein der Wasserverbrauch im Kohle- oder Goldabbau ist enorm; zum Herauslösen aus dem restlichen Gestein werden zudem Giftstoffe wie Zyanid benötigt. Auch die Wasserquellen selbst sind bedroht. Der einzige Fluss der semi-ariden Region Guajira, der auch in den Trockenphasen des Jahres Wasser führt, ist der Río Ranchería. Das Unternehmen Cerrejón will ihn auf 26 km umleiten: Unter dem Flussbett vermutet es 530 Millionen Tonnen Kohle.
„Warum sollten wir unseren einzigen Fluss gegen Exportabgaben tauschen?“ schreibt Vicenta Siosi Pino, Angehörige der indigenen Wayúu, Anfang 2012 in einem offenen Brief an Präsident Santos. „Und wenn wir uns angeblich keine Sorgen machen sollen, warum will das Unternehmen uns dann Entschädigungen zahlen?“
Wo nicht im Tagebau gefördert wird, sind die Folgen für die lokale Gesellschaft ebenfalls schwerwiegend. Smaragde etwa exportiert Kolumbien seit Jahrhunderten. In den Minen in Boyacá nahe der Hauptstadt Bogotá ist Kinderarbeit keine Seltenheit. Kinder sieben die Überbleibsel aus den Minen nach winzigen Smaragden durch, die übersehen wurden oder arbeiten in für Erwachsene zu engen Tunneln. Die Gemeinde Muzo im Herzen der Smaragdabbauregion hat eine der höchsten Analphabetenraten Kolumbiens: Viele Kinder arbeiten in den Minen, statt die Schule zu besuchen. Lungenkrankheiten sind häufig.
Jede Familie arbeitet dort für sich, alle hoffen auf den einen Smaragd, der sie reich machen wird. Sie sind das eine Ende des Spektrums. Am anderen stehen Netzwerke der Organisierten Kriminalität, die unter anderem im 20. Jahrhundert mit dem Smaragdschmuggel reich wurden und heute die kolumbianische Politik mitbestimmen. Victor Carranza, der „König der Smaragde“, hat, so das Gerücht, eine steuerfreie Lizenz über die Minen. Mehr als die Hälfte der weltweit gehandelten Smaragde kommen aus Kolumbien. Ein formalisierter Wirtschaftszweig ist es bis heute nicht: Im Zentrum Bogotás findet man die Smaragd-Händler auf der Straße, täglich versammeln sie sich an der Avenida Jiménez.
Immer hat es in Kolumbien auch kleine Bergbauprojekte und einzelne Bergleute gegeben, die meist keine Lizenzen fürs Schürfen von Gold oder Smaragden haben. Lange ignoriert, finden sie sich nun als Konkurrent_innen von Firmen wie der britisch-südafrikanischen Anglo-Gold Ashanti um ihre Schürfgebiete wieder – so etwa im traditionellen Minenstädtchen Suárez in der Region Cauca, wo laut der kolumbianischen Le Monde Diplomatique Anglo-Gold Ashanti sogar für das Areal des Friedhofs eine Förderlizenz beantragt hat.
Rechtlich gibt es den Status des Kleinbergbaus nicht mehr. Die kleinen Bergleute sollen ebenso Landtitel erwerben wie ein multinationales Unternehmen mit Kapitalzuflüssen in Milliardenhöhe. Immer wieder zerstören nun kolumbianische Sicherheitskräfte ohne richterlichen Beschluss Gerät der „informellen“ Bergbauunternehmen, weil bereits ein Großunternehmen eine Lizenz beantragt hat. Der informelle Bergbau sei eins der großen Probleme des Landes, so der Bergbau- und Energieminister Mauricio Cárdenas Santamaría: Die Bergleute ohne Lizenz müssten „wie Drogenhändler behandelt werden“. Präsident Santos setzte in Rio de Janeiro eins drauf: „Der illegale Bergbau ist in vielen Ländern ein Problem für die Umwelt, in Kolumbien ist er zusätzlich zu einer Geldquelle für illegale Gruppen geworden“ (vgl. auch den Text von Ronald Köpke in diesem Dossier).
Stattdessen hat die Regierung nun 17,5 Millionen Hektar im Nordwesten und den Amazonasregionen reserviert, um die „nachhaltige“ Förderung von Koltan, Uran, Platin und Gold zu ermöglichen. Sie will ab sofort in Verhandlungsrunden entscheiden, welchem Unternehmen sie Titel in den „strategischen Regionen“ zuspricht. „Einige“ der autonom verwalteten Gebiete indigener Gemeinden und Naturschutzzonen sollen ausgespart bleiben.
„Wir als Staat müssen jetzt die Umweltbehörden schneller arbeiten lassen. Diese strategischen Bergbauregionen sind eigentlich eine Schutzmaßnahme für Territorien mit großer Sensibilität für Umweltschäden“, traut sich Luz Helena Sarmiento, Leiterin der Nationalen Umweltlizenzbehörde, zu sagen. Unternehmen, die es gewohnt waren, dass eine „Umweltprüfung“ ein ziemlich rasch ausgestelltes Papier war, hatten sie kritisiert. In der Region Cesar habe sie nun die geplante Expansion der Tagebaue von Firmen wie Drummond, Prodeco, Vale y CNR um noch einmal die Hälfte ihrer Fläche gestoppt. „Wir haben das nicht autorisiert. Die Schadstoffquoten waren zu hoch“, so Sarmiento im Interview mit der Wochenzeitung Semana. Kolumbien müsse seine Biodiversität schützen, auch im „grünen Geschäft“ könne das Land zur wirtschaftlichen Macht werden. Beruhigend klingt das wohl weder für betroffene Gemeinden noch für Arbeiter_innen im Bergbau.

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