Ecuador | Nummer 507/508 - Sept./Okt. 2016

WIDERSTAND IST MEIN RECHT

AKTIVIST*INNEN WEHREN SICH GEGEN DIE KRIMINALISIERUNG SOZIALER BEWEGUNGEN

Die Kampagne „Widerstand ist mein Recht“ wurde als Antwort auf die staatliche Repression gegen soziale Aktivist*innen gegründet. Am 21. Juli 2016 demonstrierten dagegen Teilnehmer*innen einer nationalen Konferenz bäuerlicher und indigener Bewegungen. Auch prangerten sie die Agrarpolitik der Regierung und den industriellen Großbergbau an.

Von Susanne Schultz

„Es ist eine Regierung des Marketings“, sagt die Aktivistin Katy Betancourt Machoa, als wir uns bei der Cumbre Agraria, dem „Landwirtschaftsgipfel“, einer nationalen Konferenz bäuerlicher und indigener Bewegungen Ende Juli in Quito treffen. „In Fernsehbotschaften lobt die Regierung ihre Politik der konservativen Modernisierung als Agrarreform. Gleichzeitig kriminalisiert sie soziale Bewegungen in einem bisher in Ecuador nicht gekannten Ausmaß.“ Betancourt ist eine der jungen dirigentes (Repräsentant*innen) der CONAIE, dem nationalen Dachverband der indigenen Organisationen, der gemeinsam mit weiteren Gruppen die Konferenz organisierte. Und sie koordiniert die Kampagne „Widerstand ist mein Recht“, die sich zum Ziel gesetzt hat, das gerichtliche Nachspiel gegen die Massenproteste im August 2015 öffentlich sichtbar zu machen und für die Unschuld von 132 Angeklagten zu streiten. Damals hatte ein Bündnis aus indigenen Organisationen, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen im ganzen Land Straßenblockaden und Demonstrationen organisiert, um gegen eine Reihe von politischen und rechtlichen Reformen – von einem Streikverbot für öffentliche Angestellte bis zu verschiedenen Gesetzesprojekten rund um Wasser, Bergbau und Landwirtschaft – zu protestieren (vgl. LN 495/496). Betancourt sagt dazu: „Die Straßenblockade ist eine wichtige Protestform, auf die wir in Ecuador bisher immer zurückgegriffen haben und mit der es Bewegungen sogar gelungen ist, Regierungen zu stürzen. Sie soll uns jetzt genommen werden.“
Die teilweise hohen Haftstrafen der Protestierenden sind möglich auf der Grundlage eines ecuadorianischen Strafrechts, das sehr diffus formulierte Tatbestände wie Terrorismus, Sabotage oder Lahmlegung des öffentlichen Dienstes aufführt. Sieben Urteile gibt es bereits in der östlichen Provinz Pastaza, wo sieben Teilnehmer*innen einer friedlichen Demonstration zu jeweils sechs Monaten Haft und der Zahlung von drei Mindestlöhnen verurteilt wurden. Der Student Elvis Guamán hatte dort beispielsweise gegen die neue Zulassungspolitik an den öffentlichen Hochschulen protestiert: „Mit dem neuen System der Vergabe von Studienplätzen bekommen viele Leute nicht mehr den Studienplatz, den sie sich wünschen. Das ist typisch für diese ganze neue Bürokratie, da gibt es keine Entscheidungsfreiheit mehr.“ Vor Gericht hatten die Polizeizeug*innen erklärt, er sei mit Steinen und einem Stock bewaffnet auf sie losgegangen, ohne dies belegen zu können. Auch ein Maurer, der nur zufällig an der Demonstration vorbeigekommen war, wurde verurteilt.
Besonders drastische Urteile wurden in Saraguro in der Provinz Loja verhängt. Dort wurden siebzehn Männer und zwölf Frauen angeklagt. Eine von ihnen ist Maria Luisa Lozano, die wegen der „Lahmlegung des öffentlichen Dienstes“ ein Urteil von vier Jahren Haft erhielt (siehe Interview). Der Fall der Frauen aus Saraguro scheint für die Regierung inzwischen zu einer heiklen Angelegenheit geworden zu sein. Die Kampagne „Widerstand ist mein Recht“ sorgte für viel Öffentlichkeit, und Lozano erklärt, sie sei bereits zu einem Dialog mit dem Vizeminister des Inneren eingeladen worden, um „schöne Bilder fürs Fernsehen zu produzieren“. Deshalb habe sie sich dem verweigert.
Trotz eines insgesamt sehr selbstbewussten Auftretens vieler der Aktivist*innen vom August 2015 hat Katy Betancourt zufolge die Repression dennoch ihre Wirkung entfaltet und Angst verbreitet. Gerade, weil heute viele Personen vor der klassischen Protestform der Straßenblockade zurückschreckten, sei es nötig geworden, die Organisationen erstmals zu einer nationalen Konferenz zu diesem Thema nach Quito einzuladen. 800 bis 1.000 Personen aus dem ganzen Land nahmen teil. Am 21. Juli dieses Jahres begann die Cumbre Agraria vormittags mit einer Demonstration durch ganz Quito. Vor dem Agrarministerium und dem Ministerium für Bergbau wurde lautstark gegen die Agrarpolitik der Regierung und den industriellen Großbergbau protestiert. Anschließend tagten zehn Arbeitsgruppen, um ein „nationales Agrarabkommen“ mit Forderungen an die Regierung zu erarbeiten. Themen gab es viele: der Protest gegen Bergbau- und Erdölkonzessionen an China oder die Kritik an einer Bildungspolitik, die derzeit zur Schließung vieler indigen-spanischer bilingualer Dorfschulen führt. Sehr sichtbar war der Protest gegen ein Gesetzesprojekt zur Zertifizierung von Saatgut. Zum Zeichen der Verteidigung eines freien Austausches und des Nachzüchtens von Saatgut hatten die Bäuerinnen und Bauern aus ganz Ecuador Samen mitgebracht. Diese tauschten sie während der gesamten Konferenz aus. Auch Vertreter*innen der vom Erdbeben betroffenen afroecuadorianischen Gemeinden aus Chamanga in der Provinz Esmeraldas waren präsent und sammelten Spenden für von der Regierung nicht anerkannte Obdachlosen-Unterkünfte.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren