Guatemala | Nummer 227 - Mai 1993

Widerstandsdörfer – zurück in die Zivilgesellschaft ?

Delegation besuchte die CPR-Ixcán und Sierra auf dem Landweg

Zum ersten Mal besuchte vom 15.2.93 bis zum 25.2.93 eine, aus 410 nationalen und internationalen Begleiterlnnen bestehende, Delegation die ‘Comunidades de Población en Resistencia’ (CPR) in der Sierra und im Ixcán auf dem Landweg. Die Gebiete zählen zu den konfliktreichsten Territorien Guatemalas. Der nördliche Teil der Provinz Quiche gehört zu den Rückzugsgebieten der guatemaltekischen Guerilla. Aus diesem Grunde operiert das Militär ständig in dieser Region und behandelt alle hier lebenden Menschen als ‘Subversive’, was vor allem im Ixcán zu häufigen Bombardierungen fuhrt. Seit Ende Novevember 1992 fuhrt die Armee im Ixcán und anderen Teilen Guatemalas eine Offensive durch, wodurch die Bevölkerung der Widerstandsdörfer ‘Los Angeles’ und ‘Cuarto Pueblo’ immer wieder gezwungen wird, in den Urwald oder über die nahe Grenze nach Mexiko zu fliehen.

Hermann Werle

Die von den CPR und der Comisión Multipartita organisierte Delegation sollte mit Hilfe einer großen internationalen Beteiligung die Forderungen der CPR, ins- besondere die Anerkennung als Zivilbevölkerung, unterstützen. Desweiteren sollten die Lebensumstände der Menschen in den CPR vermittelt und die Möglichkeit eröffnet werden, daß sich Familienangehörige, die sich manchmal seit zehn und mehr Jahren nicht mehr gesehen hatten, treffen konnten. Außerdem wurden Hilfsgüter, Medizin, Werkzeuge und anderes in die Dörfer transportiert. Am Tag der Abreise wurde unter der Schirmherrschaft von Julio Cabrera, Bischof der Provinz Quiche, und Alvaro Ramazzini, Bischof der Provinz San Marcos, die an der Reise teilnahmen, eine Messe abgehalten, die ganz dem Sinne des Widerstands der Menschen der CPR entsprach. Danach teilten sich die TeilnehmerInnen aus vierzehn Nationen, unter denen sich zwei Kamerateam, Vertreter- Innen von Kirchen-und Menschenrechtsorganisationen und Menschen aus der Solidaritätsbewegung befanden, in zwei Gruppen, die kurz darauf in RichtungIxcán bzw. Sierra aufbrachen.

‘Ein neuer Weg der Hoffnung’ in den Ixcán

Die Delegation zu den Widerstandsdörfern im Ixcán folgte bis Cantabal der Route, die im Januar die heimgekehrten Flüchtlinge aus Mexiko genommen hatten. In Coban, Chisec und Cantabal gab es Zwischenaufenthalte, um die Bevölkerung über die Reise und Hintergründe zu informieren. Einige Campesinas und Campesinos, GemeindevertreterInnen und Ordensleute dieser Orte schlossen sich dem Zug an. Während der elfstündigen Holperfahrt auf offenen LKW’S von Coban nach Cantabal verteilten Leute der Bauerngewerkschaft (CUC) Flugblätter an die Bevölkerung der anliegenden Orte, die gegen die Zwangsrekrutierung in die paramilitärischen Zivilpatrouillien (PAC) geschrieben waren. Kurz hinter Cantabal schlossen sich etwa 30 Rückkehrer aus dem Poligono 14 an.
Die folgenden drei Tage in Mayalan und Pueblo Nuevo 11, wo auch Delegierte der vom Militär attackierten Dörfer, Los Angeles und Cuarto Pueblo eintrafen, vermittelten auf vielen verschiedenen Ebenen einen Eindruck der organisatorischen Stärke der CPR. Die Dörfer haben ein Basisgesundheitssystem, das sich auf PromotorenInnen stützt. In den Schulen wird bis zur fünften Klasse unterrichtet.Kulturelle Traditionen werden u.a. in der Schule und in Kindertanzgruppen erhalten. Seit zwei Jahren bauen die Frauen ihre eigene Organisation auf, in der sie sich austauschen und ihre spezifischen Probleme behandeln. Das günstige Klima und der gute Boden im Ixcán lassen den Anbau von Mais, Bohnen, Bananen, Reis, Zuckerrohr, Ananas und auch Zitrusfrüchten zu. Dies ermöglicht zusammen mit den sehr begrenzten Handelsbeziehungen nach Mexiko das Uberleben in Unabhängigkeit von Militär und staatlichen Institutionen. Die Männer und Frauen berichteten die Männer und Frauen von einem zeitaufwendigen Wachsystem, an dem sich die ganze Gemeinde beteiligt, um sich vor Luft-und Patrouillenangriffen zu schützen. Eine leise Vorstellung der militärischen Bedrohung bekamen die BesucherInnen in den Nächten, als unbeleuchtete Hubschrau-ber die Region überflogen. Sofortiges Auslöschen aller Feuer und Taschenlampen war die Reaktion, als die Meldung von einem Wachposten übermittelt wurde. Für die Dorfer Los Angeles und Cuarto Pueblo wenige Kilometer nördich wurde es in diesen Tagen ungleich ernster. Ein Delegierter aus Cuarto Pueblo schilderte die Flucht seines Dorfes, als man erfuhr, daß sich zwei Armeeeinheiten näherten. Diese Aggression des Militärs bedeutet einen Bruch der Zusage, die Begegnung nicht zu stören. (siehe LN 226)
Außer dem sofortigen und umfassenden Ende der Repression haben die CPR eine Reihe sehr konkreter Forderungen aufgestellt, die ihnen die Rückkehr in die Gesellschaft ebnen sollen. So werden Sicherheitsgarantien für alle NutzerInnen des neueingeschlagenen Weges, der kontinuierliche Handelsbeziehungen und Besuchsmöglichkeiten bezweckt, gefordert. Zentrales Anliegen gegenüber den Besuchern war die Bitte um Gewährleistung einer permanenten nationalen und internationalen Präsenz in den CPR. Den mitgereisten GemeindevertreterInnen aus Coban und Cantabal wurde der Wunsch vorgetragen, künftig die Schwerkranken in den lokalen Krankenhäusern aufzunehmen, die gegenwärtig nach Mexiko geschleppt werden müssen sowie für eine baldige Ausstellung von Ausweispapieren zu sorgen. Eine Zielvorstellung der CPR sind Rahmenabkommen mit der Regierung, wie sie die Flüchtlinge in Mexiko erreichen konnten, zu denen enge Beziehungen bestehen.

Resistir para vivir

Widerstand, um zu leben, ist eine der Parolen der etwa 17000 CPR-Bewohner der Sierra. Die große Mehrheit stammt aus den Gemeinden des Ixil-Dreiecks, ein Teil aus dem südlichen Quiche und Ixcán. Die Region ist fruchtbar und ermöglicht, ähnlich wie im Ixcán eine weitgehende Subsistenz. Auch die Organisationsstrukturen ähneln denen der CPR des Ixcán. ‘Comites de áreas’ koordinieren das Versorgungs- und Dienstleistungssystem der drei Regionen, Santa Clara, Cabá und Xeputul, in die das Gebiet aufgeteilt ist. Durch die Öffnung der CPR im Anschluß an die erste Generalversammlung im März 1990 und dem Empfang erster internationaler Hilfsgelder, gelang es Kleinprojekte, wie eine Schweinezucht in Angriff zu nehmen, um durch die Verkaufserlöse eine sektorielle Entwicklung in Gang zu setzen und fehlende Güter der Grundversorgung, zB. Medikamente er-stehen zu können. Die interne Entwicklung der CPR stagniert jedoch. Ein Grund hierfür ist das Fehlen weiterer finanzieller Unterstützung und die mangelhafte Wasserversorgung der Region Santa Clara, die die Anschaffung von Wasserspeichern notwendig macht. Der Hauptgrund für die beschränkten Entwicklungsmöglichkeiten liegt jedoch auch hier in der anhaltenden Repression durch das Militär. Die in den letzten zwei Jahren aufgebauten Handelsbeziehungen zu den umliegenden Nachbargemeinden unterliegen der ständigen Bedrohung durch die PAC und das Militär, welches sechs Kasernen im Halbkreis um das Gebiet der CPR angelegt hat. Die letzte wurde neu angelegt, als die internationale Delegation das Gebiet verlassen hatte. Allein in den ersten zwei Monaten dieses Jahres sind fünf Fälle bekannt geworden, wo CPR-BewohnerInnen auf ihren Wegen bedroht wurden. Die letzte große Armeeattacke fand im Juni 1992 in Santa Clara statt. Seitdem änderte das Militär seine Strategie und attackiert wahllos einzelne BewohnerInnen der CPR, raubt Verkaufsprodukte und zerstört Anbauflächen. Außerdem setzt die Armee die BewohnerInnen der Nachbardörfer unter Druck, den Kontakt mit den CPR zu unterlassen. Dies geschieht mit Erfolg, wovon sich die TeilnehmerInnen der Delegation hautnah überzeugen konnten. So führte die Ausübung massiven Drucks auf Einwohner in Chajul und Nebaj durch die PAC dazu, daß 40 Lasttiere, die den Transport erleichtern sollten, der Karavane nicht zur Verfügung gestellt wurden. In Jua fanden sich Plakate, auf denen die CPR als Guerilla angezeigt wurden, in Chel war die Delegation aggressiven Beschimpfungen durch Angehörige der PAC ausgesetzt, die sogar Drohschüsse abgaben.

Keine Entspannung in Sicht

Am 25. Februar trafen die beiden Besuchergruppen wieder in der Hauptstadt ein. Wie zu Beginn der Reise, gab es eine Messe in der Kathedrale, in unmittelbarer Nähe des Nationalpalastes. Aus diesem ließ der Verteidigungsminister, Garcia Samayoa, am 26. Februar vermelden, “…daß die Ausländer, die mit der Comisión Multipartita zusammenarbeiten und die Widerstandsdörfer besucht haben, die Bevölkerung manipulieren …” desweiteren drohte er, “diejenigen, die Sturm und Domen säen, werden Sturm und Domen ernte^.“ Wie ernst, vor allem guatemaltekische Oppositionelle solche Drohungen, zu nehmen haben, zeigen die Vorfälle in der Vergangenheit und das Attentat, das am 25. Februar auf den Gewerkschafter Gómez López verübt wurde. Gómez Lopez, der an der Delegation in den Ixán teilgenommen und mit einer Videokamera dokumentiert hatte, wurde auf seiner Heimfahrt nach Quetzaltenango, in einem öffentlichen Bus, durch Schüsse lebensgefährlich verletzt und seiner Kameraausrüstung, sowie des Filmmaterials beraubt. Nach weiteren Morddrohungen gegen seine Person ist er am 5. April außer Landes gebracht worden.
Die Entdeckung mehrerer Spitzel bei den Delegationen, die Einrichtung eines weiteren Militärpostens in Chel und die erneuten Todesdrohungen gegen VertreterInnen der CPR und deren Familien, JournalistInnen und anderen Oppositionellen, sind Belege der menschenverachtenden, rassistischen Politik der guatemaltekischen Regierung und des Militärs. Die Ende letzten Jahres begonnene neue Offensive gegen Guerilla und Zivilbevölkerung, während in Genf über Menschenrechte verhandelt wurde und eine neue Verhandlungsrunde mit der URNG anstand, zeigt erneut die Unberechenbarkeit und Unglaubwürdigkeit guatemaltekischer Regierungsvertreter.

Kasten:

“Organisieren, um in Freiheit zu leben“

Die Aufstandsbekämpfungspolitik der guatemaltekischen Militärdiktaturen zwang in den Jahren von 1978-1983 mehrere hunderttausend Menschen zur Flucht. Besonders betroffen waren die ländlichen Gebiete des guatemaltekischen Hochlandes. Die meisten Menschen flohen in die Randbezirke derHauptstadt oder nach Mexiko, um dem Terror des Militärs zu entgehen. Einige zehntausend Familien zogen sich in die unwegsamen Regionen der Provinz Quiché zurück. “Wir suchten Zuflucht in den Bergen, obwohl wir keine Erfahrung darin hatten, in der Wildnis zu leben. Das ganze folgende Jahr 1983 verfolgten sie uns. In jenem Jahr litten wir entsetzlich. Wir waren ohne Essen, ohne Kleidung, ohne Unterkunft, dem Regen, der Sonne und der Nachtkälte ausgesetzt. Aus purer Not aßen wir die Früchte, die wir die Tiere essen sahen, und dadurch konnten wir überleben. … Das ganze Jahr hindurch trafen wir Menschen in den Bergen, die ebenfalls ihre Wohnstätten verlassen hatten. … Am Ende des Jahres diskutierten wir, was wir machen sollten. Viele Familien I waren über die Grenze nach Mexiko gegangen, aber wir wollten das nicht tun – unseren Grund und Boden verlassen, unser Land, das uns so viel Mühe gekostet hatte. Wir beschlossen, lieber in den Bergen zu leben – wie hart das auch immer sein würde, statt uns der Kontrolle der Armee oder der mexikanischen Behörden zu unterwerfen. Nachdem wir als große Gruppen von der Armee angegriffen worden waren, beschlossen wir, uns in den Bergen in viele kleine Gruppen aufzuteilen, Gruppen von 25 bis 30 Familien, so daß wir uns schnell bewegen und schneller entkommen konnten, wenn die Armee in die Nahe kam.“ Aus diesen ‘mobilen Gemeinschaften’, die zunächst keine festen Strukturen hatten, entwickelten sich, mit zunehmender Organisierung des alltäglichen Lebens, feste Ansiedlungen. Dafür war es wichtig, die Sicherheit der kleinen Dörfer zu gewährleisten. Es wurden Wachen eingeteilt, und zwischen den Siedlungen entstand ein Kommunikationssystem, das Informationen über anrückende Militäreinheiten sofort an alle gefährdeten Orte weitergibt. Es existiert ein Alarm- und Rückzugssystem, sowie Notpläne, nach denen die Bevölkerung sich im Falle einer Flucht zerstreut und dann wiederfindet. An prädestinierten Stellen sind Fallen installiert. Seit 1984 wurde damit begonnen, die Bereiche der Produktion, Gesundheit und Bildung zu organisieren. Die Erfahrungen, die viele der Flüchtlinge während der Kooperativenbewegung gemacht haben, waren hierbei von großer Bedeutung. Erste offensive Schritte in die Öffentlichkeit unternahmen die Gemeinden, die sich als ‘Comunidades de Población en Resistencia’ (CPR) konstituiert haben, im September 1990 bei einem ersten Zusammentreffen mit PressevertreterInnen guatemaltekischer Medien. Zusammengefaßt waren die Forderungen derCPR:
1. Anerkennung durch die Regierung als ‘Zivile Landbevölkerung im Widerstand’.
2. Das Recht in die ursprünglichen Gemeinden in Freiheit zurückzukehren, Rückerhalt des Landes und Zusammenführung der Familien.
3. Demilitarisierung der Gebiete.
4. Zusicherung der Menschenrechte und Bewegungsfreiheit.
5. Freien Zugang für Nichtregierungs- und Kirchenorganisationen in die Fluchtgebiete.
Im Oktober 1990 hatten Kirchen,- Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen die ‚Comisión Multipartita’ gegründet, die seitdem die Belange der CPR vertritt und mit deren Unterstützung zum ersten Mal ein Besuch bei den CPR im Ixilgebiet unter Partizipation von DiplomatenInnen und RegierungsfunktionärenInnen im Februar 1991 realisiert wurde. Im August 1992 folgte eine weitere Delegation mit nationaler und internationaler Begleitung. Im September gab es ein Gespräch mit dem Verteidigungsminister Samayoa, das jedoch keine Lösung in Aussicht stellte, da für Samayoa die CPR nach wie vor der politische Arm der URNG sind. Vom 22.September bis zum 26. Oktober 1992 reiste eine Vertretung der CPR nach Europa, um mit europäischen Hilfswerken und Regierungsstellen zusammenzutreffen, denen die Forderungen und Perspektiven der CPR erläutert wurden. Bei diesen Treffen wurden Möglichkeiten der Unterstützung diskutiert, und ein Resultat war die Planung des ersten Besuches einer großen internationalen Delegation zu den Widerstandsdörfern auf dem Landweg.


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